18. Der junge Riese.

Mündlich aus Ankeloh bei Bederkesa.

[360] Da ist einmal eine Frau gewesen, die bekam einen Sohn, den ließ sie sechs Jahre an der Brust liegen, daß er Bäume aus der Erde reißen könnte, aber als die sechs Jahre um waren, da konnte er's noch nicht; drum gab sie ihm nochmal sechs Jahre die Brust und da konnte er's. Jetzt sagte die Mutter zu ihm, er solle in die Welt gehen und Bescheid lernen, und das that er auch, ging in die weite Welt und kam zu einem Bauer, bei dem er sich vermiethete. Der Bauer aber hatte noch zwei Knechte, die merkten bald, wie stark ihr Mitknecht war, und hielten deshalb immer zusammen, damit er nicht über sie käme. Da geschah's auch mal, daß sie zum Holzberg fahren sollten, um Holz zu holen, und als nun der Tag kaum graute und jener, der gern lange schlief, noch im Bette lag, da machten sie sich auf und nahmen die besten Pferde, um ihm den Vorsprung abzugewinnen. Eine lange Zeit waren sie nun schon fort und die Sonne stand schon hoch, da wachte er erst auf, und als er sah,[360] daß sie mit den besten Pferden schon weg waren, nahm er die beiden Mähren, die sie ihm im Stall gelaßen, und fuhr nach dem Holzberg. Als er aber in den Wald kam, faßte er ein Paar große Eichen oben bei den Spitzen an, zog sie mit einem Ruck heraus und legte sie quer über den Weg; darauf fuhr er in den Wald, um seine Ladung zu holen. Nicht lange danach kamen die beiden andern zurück und konnten nun vor den Eichen, die quer über den Weg gelegt waren, nicht weiter und mußten warten, bis er zurückkam. Da zog er denn die Eichen mit Leichtigkeit bei Seite und fuhr nun den beiden voran, ja, als er sie hinterherkommen sah und seine schlechten Kracken anfingen müde zu werden, da legte er die eine auf den Wagen und die andere spannte er hinten dran und zog selber, und war doch noch lange vor den beiden andern Knechten daheim. Als diese nun aber dem Bauer erzählten, wie es ihnen ergangen, da ward ihm auch bange vor seines Knechtes Stärke, und sie beschloßen, ihn überseit zu schaffen. Der Bauer rief ihn deshalb zu sich, gab ihm einen Löffel und sagte: »Damit steig hinab in den Brunnen und schöpf ihn leer!« Das war er zufrieden, stieg hinab und machte sich an's Werk; aber als er merkte, daß die Arbeit so nicht recht flecke, warf er den Löffel hinauf, bückte sich und trank den ganzen Brunnen aus. Darauf wollte er eben hinaufsteigen, da warfen der Bauer und die beiden Knechte einen Mühlstein hinab, der sollte ihm den Kopf zerschellen, er aber steckte den Kopf durch's Loch und kam lachend aus dem Brunnen herausgestiegen. Da wurde dem Bauer noch viel bänger als zuvor, und er ließ einen großen Keßel mit Brei über's Feuer setzen, damit sich der Knecht zu Tode freßen solle. Als der Brei gar war, gingen sie alle am Tisch sitzen, und der eine Knecht band sich einen großen Sack um den Hals, und nun fing er[361] an, mit jenem um die Wette zu freßen. Ein großes Loch hatten sie schon in den Keßel gemacht, und beide hielten immer noch aus, da nahm der Knecht sein Meßer und sagte: »'s wird mir bald zu viel, ich will mir den Bauch ein wenig aufschneiden, damit ich Platz bekomme.« Und damit nahm er das Meßer und schnitt den Sack, den er sich vorgehängt hatte, auf, denn dahinein hatte er all den Brei, den er zum Munde geführt, gleiten laßen, und schüttete nun den Brei heraus. Wie das der Starke sah, war er gewaltig erfreut, denn es fing ihm doch auch an, schon etwas sauer zu werden, nahm sein Meßer und schnitt sich den Bauch auf und da fiel er um, so lang er war und hat niemals wieder ein Glied gerührt.

Quelle:
Adalbert Kuhn / W. Schwartz: Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen. Leipzig 1848, S. 360-362.
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