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[552] Der letzte Schnee des Winters war gefallen und wieder gegangen. Der Frühling hatte den Wald mit dem Jauchzen der Vögel erfüllt und das Feld mit dem lichten Meere seiner Blüten überflutet; die Blüten waren gefallen, und der Waldgesang war immer dünner geworden. Die Sonne brannte stärker, und der anbrechende Sommer verhieß der harrenden Welt die Fülle seines Segens, so daß es unmöglich schien, daß inmitten des überall aufschießenden Reichtums Armut, Not, Hunger und Gier nach der Habe des Glücklicheren in der Welt vorhanden sein sollte.

Auf einem abgelegenen Hofe, der zwischen dem Hohenstaufen und dem Filstal mitten in den Wäldern von einem spärlichen Stück Feldes umgeben lag, saß eines Tages der Erbe der ›Sonne‹ von Ebersbach bei dem Weibe, um dessen Besitz er so lange mit der Welt gestritten hatte, bis ihm selbst jeder Anspruch auf ein Eigentum und eine Heimat in der Welt verlorengegangen war. Mit Hilfe des Krämerchristle, der nach seinem Vornamen und einem kleinen[552] Kramhandel so genannt wurde, hatte er sie bei einer hier verheirateten Schwester desselben untergebracht, zahlte ein kleines Kostgeld für ihren armseligen Unterhalt und kehrte von seinen Streifereien in der Gegend immer wieder zu ihr zurück. Die Hofbewohner waren ihren Feldarbeiten nachgegangen, und das Paar befand sich allein. Christine saß am Tische, wo sie ein paar rohe Lappen zusammengenäht hatte, und stützte den Kopf auf den aufgelegten Arm. Friedrich hatte sich in die Fensterecke gedrückt, wo er mit gekreuzten Armen düster vor sich hinbrütete. Die ärmliche Wohnung gewährte ihnen einen vorübergehenden Schein von Haus und Heimat, der aber freilich schnell wieder verschwand, sobald jemand von den wirklichen Insassen in die Stube trat.

Nach einem langen trüben Stillschweigen warf sie einen Blick auf seinen abgenutzten Rock, sah aufmerksam hin und rief: »Daß Gott erbarm! Du hast ja Blut am Ärmel.«

»Kann sein«, erwiderte er, »es hat dich schon einmal unnötig erschreckt.«

»Das ist aber im Winter gewesen. Frieder, Frieder, sag mir's, hast du jemand erschossen?«

»Just wie damals, wo du mich das erstemal gefragt hast. Damals hab ich gesagt: ›Dumme Seel, freilich hab ich einen erschossen, draußen im Wald liegt er, hat ein ledern Röcklein an und einen zackigen Hut auf'm Kopf‹; und dasselbe sag ich dir heut wieder.«

»Ja, ist denn schon wieder die Zeit, daß man einen Hirsch schießen kann?«[553]

»Not bricht Eisen«, sagte er. »Sie sind noch erbärmlich dürr, und es gehört ein guter Hunger dazu, um das Fleisch genießbar zu finden, aber im schlimmsten Fall ist wenigstens die Haut zu brauchen. Das Handwerk hat überhaupt stark nachgelassen, und ich seh kaum hinaus, wie's weiter werden soll. Ich hab den Winter über das groß und kleine Gewild rudelweis geschossen und die ganze Umgegend von Boll bis Gmünd damit versorgt; und da führt mir der Teufel noch den Hof daher, der mir nicht bloß die Jagd, sondern noch vielmehr den Handel verdorben hat, denn die machen dir in ein paar Tagen ein Schlachtfeld, daß man's schier verwesen lassen muß. Wildbret ist so wohlfeil und so unwert geworden, daß man mir einmal in einem Pfarrhaus ein übergelassenes Stück Hirsch vorgesetzt hat von meiner eigenen Hand. Ich hatt's den Tag zuvor geschossen und durch den Christle dahin verkaufen lassen, der's ihnen mit Müh und Not aufgeschwätzt hat um ein Bettelgeld. Wie ich den Tag drauf vorüberkomme, ruft mir die Pfarrerin vom Fenster, ob ich nicht ums Warme ein wenig Holz spalten wolle. Ich hab's gern getan, weil mich's gefroren und gehungert hat; und wie ich dann mit Hirschbraten bin abgefüttert worden, hab ich doch denken müssen: ›die War muß tief im Preis stehen, wenn man sie dem billigsten Taglöhner nachwirft.‹ Hab auch bald meine Rechnung richtig gefunden, denn beim Gretmeister in Gmünd, im dortigen Barfüßerkloster, wo sonst immer ein gutes Geschäft zu machen war, und in allen Pfarrhäusern weit und[554] breit – nirgends ist mehr was anzubringen gewesen. Drüber ist dann die Jagdzeit ohnehin vollends zu End gangen, aber ich besorg mich, wenn sie auch wieder anhebt, so werden die Leut noch satt und voll vom Wildbret sein und werden Rindfleisch vorziehen, das ich ihnen nicht schießen kann. Froh ist freilich alles in den Dörfern und auf den Höfen, wenn ich das Wild wegschieße, aber niemand zahlt mir ein Schußgeld dafür.«

»Schlechte Aussicht!« sagte sie. »Und ich spür's hier wohl, daß du nicht viel ins Haus bringst.«

»Sind sie wüst gegen dich?«

»Das grad nicht, sie sind freundlicher als auf den andern Höfen, wo du mich hinbracht hast. Deine Verbindung mit dem Christle tut mir gut bei ihnen, aber doch lassen sie mich's merken, daß du das Kostgeld die Zeit her schuldig blieben bist.«

»Mach dich jetzt auf, Christine, mußt mir die Hirschhaut den Wald hinuntertragen, abgezogen hab ich sie schon, und in der Teufelskling verstecken, damit sie der Christle mitnehmen kann. Er kommt morgen von Rechberghausen aus dort hinab, und von da mußt du mit ihm den Waldsteig nach Gmünd gehen.«

»Das geschieht mir sauer«, wendete sie weinerlich ein.

»Du kannst mir nicht vorwerfen, daß ich dich plage«, entgegnete er. »Ich hab dich ein einzigsmal diesen Winter zur Jagd mitgenommen und hab gemeint, du könntest mir am Wald vorstehen und das Wild zurücktreiben. Wie du aber wehleidig getan hast, hab ich dich gleich gehen lassen und nie wieder mitgenommen. Diesmal aber muß es sein, die[555] Haut wird dich nicht zu Boden drücken, und in Gmünd mußt mit beim Erlös sein, damit mich der Christle, der abgeführte Spitzbub, nicht betrügt, denn sonst kann ich deine Schuld hier nicht bezahlen. Die Haut trägt dir morgen der Christle, heut aber mußt sie selber tragen, denn ich will derweil sehen, ob ich nicht noch einen schießen kann. Komm!«

Sie seufzte. »Du mußt dich aber vor rasieren«, sagte sie verdrossen. »Jetzt hast schon wieder ein achttägiges Stoppelfeld, und ich leid's nicht, daß du dir den Bart wachsen läßt, denn du siehst so arg wild drin aus, und wenn dir jemand begegnet, so muß er wunder was von dir denken.«

»Meinetwegen!« brummte er, griff ohne Umstände nach dem Rasierzeug des Hofbesitzers und kam ihrem Begehren nach, worauf sie den Hof verließen und den Weg nach dem Walde einschlugen.

»Ist denn gar keine Möglichkeit, aus dem Leben da fortzukommen?« fragte sie im Gehen mit kummervoller Miene. »Du hast mir versprochen, du wollest mich nach Frankfurt mitnehmen, oder in den Krieg, hast auch von Amerika gesagt. Ich ging überall mit dir hin, wenn ich nur aus dem Leben draußen wär und die Kinder bei mir hätt'.«

»Warum hast dich in Dettingen fangen lassen!« versetzte er unwirsch. »Während deiner Gefangenschaft ist mein Erspartes von Sachsenhausen draufgangen, mein Vater tut keinen Zug, um sein Versprechen zu halten, und wie kann ich denn als ein vogelfreier Mensch etwas erwerben, damit wir zu[556] Reisgeld kommen? Sag, ich soll in Ebersbach einen höflichen Besuch machen, oder mit einem Roßjuden, beschnitten oder unbeschnitten, nach dem Markt ein Wort in Güte reden, dann sollst du Geld genug haben.«

»Um Gotts willen nur nichts so!« rief sie.

»So sagst du immer, aber dabei willst in einem fort Geld und Lebensmittel und bekümmerst dich nicht drum, wo ich's hernehmen soll. So hast du mich auch gequält, bis ich meinem Vater die Frucht geholt hab, und dann wieder, bis ich dem Pfarrer ins Haus gestiegen bin, und hintennach ist dir's dann doch wieder nicht recht gewesen.«

»Es ist auch nicht recht«, sagte sie.

»Gelt, weil's zu bösen Häusern führen kann? Wenn du das nicht willst, so schick dich eben in die Zeit, nur mach mir nicht den Kopf mit deinem Lamento warm.«

»Ach!« seufzte sie, »ich hab mir eben ein ganz anderes Leben fürgestellt, wie wir von Neckardenzlingen miteinander fort sind. Da hab ich schon gemeint, ich werd wieder jung, und hab alles gern dahinten gelassen.«

»Machst mir das zum Vorwurf? Bin ich nicht auch im Rohr gesessen und hätt' mir Pfeifen schneiden können, und hab ich nicht um deinetwillen auf alles verzichtet?«

»Wärst lieber blieben, bis sich etwas für uns gemacht hätt'. Hätt'st mir ja derweil schreiben können.«

»Man kriegt ja keine Antwort von dir. Und hab[557] ich gewußt, wo ich hinschreiben soll? Nach Ebersbach, wenn du nicht dort bist? Hätt ich mir etwa selber einen Paß von Sachsenhausen nach Hohentwiel schreiben sollen?«

»Ich will nichts mehr sagen«, versetzte sie, »du wirst gleich so wild.«

Sie gingen lange Zeit stillschweigend hin. »Was siehst du denn immer auf den Boden?« fragte sie, da ihr sein Benehmen auffiel.

»Da ist wieder einer!« rief er, sich bückend und etwas aufhebend. Es war ein frisch abgebrochener gabelförmiger Zweig. Er betrachtete ihn von allen Seiten, schüttelte den Kopf, da er nichts weiter daran fand, und legte ihn sorgfältig wieder auf den Boden. Dann sah er sich an den Bäumen um, blickte scharf von Stamm zu Stamm, schüttelte den Kopf abermals, als fände er nicht, was er erwartete, und setzte den Weg wieder fort. Sie waren eine weitere Strecke gegangen, da lag ein neuer Zweig von gleicher Form, den er aufmerksam betrachtete, worauf er den eingeschlagenen Weg verließ und einen schmalen Seitenpfad zur Rechten betrat. Christine folgte. Mit zufriedenem Kopfnicken fand er dort bald wieder einen Zweig von der vorigen Art und weiterhin noch mehrere. Sie waren einer wie der andere an der Seite des Weges schief hingelegt, so daß von den beiden Spitzen der Gabel, deren eine geknickt war, die andere unversehrte in gleicher Richtung mit dem Wege vorwärts deutete.

»Das sind Zeichen«, bemerkte Christine, welche den Zweigen und seiner Beobachtung derselben eine gespannte[558] Aufmerksamkeit zugewendet hatte. »Gelt, gesteh's nur, da sind deine Kocher, oder wie sie heißen, um den Weg, und dein scheeler Christianus will dir was zu wissen tun.«

»Wenn er da wär, so hätt' er mir seinen Zinken irgendwo hinterlassen«, versetzte er, »es ist aber nirgends nichts zu sehen.«

Nachdem sie noch ein wenig fortgegangen, kamen sie auf einen freien Platz, welcher sich nach einem Waldabhang senkte und einen weiten Blick über endlose Waldung tun ließ, die in reicher Abwechslung von Höhen und Tiefen sich um den Hohenstaufen lagerte, gegen das Remstal abwärts und nach den jenseitigen Hügeln strich. Die Zeichen, wenn es solche waren, schienen hier aufzuhören. Christine setzte sich müde auf den Boden. Friedrich schaute achtsam in die Waldgegend hinein, als ob er in der Ferne hinter jedem Busch ein Wild oder etwas anderes aufspüren müßte. Auf einmal blieb sein Auge an einer Waldecke unter dem Hohenstaufen hängen. Ein leichter, bläulicher Rauch ging dort kräuselnd aus den Spitzen der Bäume hervor und schien sich hinter einigen höheren Wipfeln zu verlieren. Er blickte unverwandt hin; der Rauch verschwand, kam wieder zum Vorschein und verschwand wieder. Sein Entschluß war gefaßt. Er rief Christinen vom Boden auf. »Siehst dort den Waldspitzen herwärts von Wäschenbeuren?« sagte er, »dort kannst mich nachher treffen oder auf mich warten, dort will ich anstehen, ob ich vielleicht noch einen glücklichen Fang tue.«[559]

Er führte sie herauf zu der Stelle, wo er den erlegten Hirsch gelassen hatte, packte ihr die Haut samt dem Geweih auf den Kopf, gab ihr genaue Anleitung, wo sie ihre Last zu verstecken habe, und ging.

Christine machte sich schwer seufzend auf ihren Weg. »Wie anders hätt' ich's, wenn ich bei meiner Schulmeisterin blieben wär!« sagte sie zu sich, »und meine Kinder wären nicht schlechter versorgt als jetzt auch.«

Unterdessen hatte er sich der erspähten Stelle wieder zugewendet und bald fand er, daß seine Vermutung richtig sein müsse. Der eingeschlagene Pfad führte ihn über einen rauhen Fahrweg, auf welchem wieder ein Zweig von der beschriebenen Gattung lag. Das Gabelende, das den Wegzeiger bildete, wies scharf über die Straße nach einer Waldfurche hin. Er folgte der Richtung und gewahrte nach wenigen Schritten bei einem Durchblick, daß sie gerade auf jene Waldecke zu führte, wo jetzt ein stärkerer Rauch aus den Bäumen emporwirbelte. Nun suchte er nach keinem weitern Zeichen am Boden mehr, sondern schritt rüstig waldein, waldaus nach der Stelle, zu der es ihn zog. »Wenn er selbst nicht da ist«, sagte er zu sich, »so treffe ich seinesgleichen, die mir sagen können, wo er ist; denn solche Zeichen hat weder ein Bauer noch ein Jäger ausgestreut. Ich bin fertig mit der Welt, eine Staffel um die andere haben sie mich herabgestoßen, jetzt bin ich auf der letzten. Er hat mir richtig prophezeit: ›Wenn du keinen Aus- und Eingang mehr weißt,[560] so kommen wir schon von selber wieder zusammen. Was bleibt mir sonst übrig?‹«

Die Sonne brannte glühend über den öden Gipfel des schlanken Berges herab, als er an dessen Fuß auf die Waldecke zuschritt. Er eilte in ihren Schatten. Das geladene Gewehr mit gespanntem Hahn für alle Fälle zum Anschlagen fertig haltend, sei es gegen ein Tier, sei es gegen einen Angriff von Menschenhand, schlug er sich langsam durch die Bäume vorwärts. Bald hörte er Stimmen und Gelächter und ging dem Schalle nach. »Steck mir vom Balo!« hörte er sagen, als er näher kam, und zu gleicher Zeit drang der Geruch eines gebratenen Schweines zu ihm, um ihm den Ausdruck, wofern dies nötig gewesen wäre, zu verdolmetschen. Er hatte keinen Zweifel mehr: wo jenische Laute sich vernehmlich machten, war weniger Gefahr für ihn, als wo deutsch oder gar das römisch-deutsche Rotwelsch des Gesetzes gesprochen wurde. Wer auch die Schmausenden sein mochten, in seiner verzweifelten Lage brauchte er weder ihre Feindschaft noch ihre Freundschaft zu fürchten. Er brachte den Hahn in Ruh, behielt aber die Büchse in der Hand und ging entschlossen vorwärts. Auf einmal stand er, zwischen den Bäumen hervortretend, auf einer kleinen Waldwiese, wo eine lustige Gesellschaft um ein Feuer lagerte. Sie bestand aus drei Männern und drei Frauen, welche sämtlich so anständig gekleidet waren, daß er, ein Mißverständnis besorgend, zurücktreten wollte. Aber schon war er bemerkt worden und sah ein paar Gewehrläufe auf sich gerichtet,[561] als plötzlich ihm selbst und einem von der Gesellschaft der gegenseitige Ausruf entfuhr: »Da ist er ja!« Zugleich sprang einer der Männer auf und lachend auf ihn zu. Das Gesicht des Zigeuners, mit welchem sich sein Lebensweg heute zum drittenmal kreuzte, hatte seit der ersten Ludwigsburger Bekanntschaft Veränderungen erlitten, die seinem Festungsgenossen nicht unbekannt waren: die gelbe welke Haut war in unzählige Runzeln und Falten zerschnitten, die besonders an Mund und Augen das Gepräge einer lächelnden Verschlagenheit und großen Übung in der Kunst, die Leidenschaften zu verbergen, ausdrückten. Neu aber war ihm eine weitere Veränderung: ein Auge, in dessen Besitz er ihn auf Hohentwiel noch gesehen, war ihm in der Zwischenzeit abhanden gekommen; doch gereichte ihm dieser Verlust nicht eben zum Nachteil, da die Laune des Zufalls das scheele Auge betroffen hatte, dessen Blick äußerst abschreckend gewesen war, so daß er jetzt als Einäugiger mit dem geschlossenen, von lustigen Fältchen umspielten Augenlide nicht mehr so widrig aussah wie früher, da er geschielt hatte.

»Willkommen!« rief er und streckte ihm die Hand entgegen. »Hab ich's nicht gesagt, wir sehen unswieder?«

»Grüß dich Gott, Christianus!« erwiderte Friedrich und schüttelte ihm die Hand. »Hab da auf einen Hirsch anstehen wollen, und jetzt treff ich noch ein ganz anderes Stück Hochwild. Du wärst aber schwer zu finden gewesen, wenn ich dich hätte suchen wollen, denn deinen Zinken hab ich nirgends gesehen.«[562]

Der Zigeuner lächelte verschmitzt. »Ich bin nicht allein mit den Meinigen«, sagte er, »es haben sich Freunde zu uns gesellt, die auch wieder Nachzügler erwarten, und da hätten wir ja eine ganze Wappensammlung in die Bäume schneiden müssen.«

»Was ist denn mit deinem Aug passiert?« fragte Friedrich weiter.

»Ich hab eine kleine Ungelegenheit gehabt«, antwortete der Zigeuner ausweichend, »und da hab ich den queren Scheinling eingebüßt.« »Aber komm«, unterbrach er sich, »ich muß dich der Gesellschaft vorstellen.«

Er nahm ihn bei der Hand und führte ihn gegen das Feuer, an welchem ein ganzes Schwein briet und einen Duft ausströmte, der einen Hungrigen wohl in Versuchung führen konnte. »Merkt auf, ihr Männer, und spitzt die Ohren, ihr Weiber!« rief er, »hier bring ich euch einen Freund, nach dessen Bekanntschaft ihr euch schon lang gesehnt habt. Das ist«, fuhr er mit erhobener, beinahe feierlicher Stimme fort, »das ist der Mann, dessen Name in jedem Walde zwischen Rhein und Donau mit Hutabziehen genannt wird, obgleich er seinen eigenen Wert nicht kennt, der Mann, vor dem ein ganzes Amt zittert, der Mann, dessen Genie die Festungswerke von Hohentwiel zu einem Kinderkartenhäuschen gemacht hat –«

»Ah!« riefen die drei weiblichen Mitglieder der Gesellschaft, die im Begreifen den Männern vorauseilten.

»Mit einem Wort«, vollendete der Zigeuner, indem[563] er seinem Tone noch stärkeren Nachdruck gab, »es ist der berühmte Sonnenwirt

Mit einem Schrei der freudigsten Überraschung sprangen alle auf und umringten den Ankömmling, der kaum wußte, wie ihm geschah. Er glaubte zu träumen. Ausgestoßen, gehaßt und verachtet, wie er war, hatte er bis jetzt höchstens die traurige Befriedigung genossen, sich gefürchtet zu sehen, und durch seine Geschicklichkeit im Wildern hatte er sich bei den Hofbesitzern und Bauern eine gewisse eigennützige Teilnahme erworben; aber die Freundschaft, Achtung, Bewunderung, ja Ehrerbietung, die ihm hier als einem jungen Manne, der schon so Großes geleistet, erwiesen wurden, und zwar von Leuten, durch deren, wie es ihm schien, ungewöhnliche Bildung und Redeweise er sich zugleich gehoben und gedemütigt fühlte, diese Erzeigungen waren ihm unbekannt, und während seine Bescheidenheit sich gegen das Übermaß des Lobes und Preisens sträubte, tat doch die ungeheuchelte Anerkennung, die sich darin äußerte, nicht bloß seiner Eitelkeit, sondern auch seinem Herzen wohl.

»Nun will ich dir die Gesellschaft vorstellen«, fuhr der Zigeuner fort. Er deutete auf einen großen Mann, dessen freundliches Gesicht, unterstützt durch einen feinen, weißblauen Rock, einen günstigen Eindruck machte, nur daß um den lächelnden Mund ein spöttischer Zug lauerte und die etwas gemeine Barchentweste weder zu den silbernen Knöpfen, mit welchen sie besetzt war, noch zu dem feinen Rock recht passen wollte. »Das ist mein Freund Bettelmelcher«,[564] sagte er, »ein sehr versierter Kopf, dessen glattem Gesicht man es nicht ansehen würde, wie viel Raffinement dahinter steckt.«

Der Mann mit dem abstoßenden Namen reichte dem Gaste die Hand und bewillkommte ihn mit so zierlich gesetzten Worten, daß der widersprechende Eindruck, den sowohl sein Gesicht als seine Kleidung hervorbrachten, bei einem Neuling schnell ausgeglichen wurde.

»Und dieser«, sagte der Zigeuner, indem er den andern am Arme nahm, »ist mein Freund Schwamenjackel, ein sehr ernsthafter Kerl, wenn er anfängt, denn da heißt's bei ihm: ›Nix Pardon!‹ aber seinen Freunden treu und anhänglich; wenn er einen einmal zum Freunde angenommen hat, so geht er durch's Feuer für ihn – ein grundehrlicher Kerl!«

Der also Geschilderte zerdrückte dem Ankömmling die breite, starke Hand, daß dieser das Blut in den Fingerspitzen fühlte, und sagte mit heiserer Stimme: »Wollen gut Freund sein.« Dann räusperte er sich, als ob die paar Worte ihm die Kehle angegriffen hätten, und nickte stumm dazu.

Er war eine kurze Gestalt, noch etwas unter Friedrichs Größe, aber dicker. Sein Gesicht war leserlicher als das seines Gefährten, aber es bedurfte einiger Überwindung, um darin zu lesen. Ein starker schwarzer Bart, an den unteren Haaren ins Gräuliche streifend, gab den groben Zügen den Ausdruck einer ungeschlachten Verwogenheit; hinter den buschigen Augenbrauen lagen ein paar bösblickende Augen wie in tiefen Höhlen; die niedrige Stirne[565] deutete auf eine harte Entschlossenheit, die wenig nach Überlegung fragte, und das gleichfalls ins Graue spielende schwarze Haar verriet, mit dem noch nicht alten Gesichte verglichen, ein Leben voll Mühsal und wilder Leidenschaft. Trotz dieser Härte der Erscheinung hatte der Mann nichts Bäurisches in seinem Auftreten; seine Bewegungen waren kurz und sicher, und sein Anstand blieb wenig hinter dem seiner gewandteren Genossen zurück. Seine Tracht aber war noch ungleichartiger als die des Bettelmelchers. Er trug ein graues Kamisol und gelbe hirschlederne Beinkleider, die vollkommen zu seinem Gesichte, desto weniger aber zu einer höchst stattlichen braunseidenen Kamelotweste paßten. Eine bessere Übereinstimmung zeigte der Anzug des Zigeuners: sein grüner geschlossener Jagdrock schickte sich trefflich zu den weißen Beinkleidern und zu einem Hirschfänger, den er an der Seite trug; aber ein schärferes Auge konnte auch an ihm eine Unvollkommenheit entdecken, denn der Schnitt der Kleider wollte nicht ganz genau zu seinem Leibe passen. Der Gast aber nahm es mit seiner Musterung nicht so streng, er dachte vielmehr nur an den Gegensatz, den er selbst unter diesen wohlgekleideten Leuten bildete, und verglich beschämt seinen abgeschabten Rock, der keine bestimmte Farbe mehr hatte, seine nußfarbigen, einst gelbledernen Beinkleider, seine schwarzen Strümpfe, die noch die gute Eigenschaft hatten, daß sie nicht so oft der Wäsche bedurften, und seine zerrissenen schmutzigen Schuhe mit den wohlhäbigen Kleidern, den frischen weißen[566] Strümpfen und den blankgewichsten Schnallenschuhen der andern.

Hierauf stellte ihm der Zigeuner den weiblichen Teil der Gesellschaft mit den Worten vor: »Das ist meine Mutter Anna Maria, eine betagte Witwe, die viel erlebt und erlitten hat, und das sind meine Schwestern Margareta und Katharina, die sich dir schon selbst zu empfehlen wissen werden.«

Der Gast machte einen verlegenen Kratzfuß; es war ihm in seinem Leben noch nicht begegnet, daß er so förmlich einer weiblichen Gesellschaft vorgestellt wurde. Aber die Anwesenheit der beiden bildhübschen Mädchen, die er vom ersten Augenblick an unwillkürlich immer wieder hatte ansehen müssen, erhöhte den anziehenden Eindruck des Empfanges nicht wenig für ihn. Sie waren, wie ihre Mutter, von Kopf bis zu Fuß schwarz gekleidet und trugen, während jene ein buntes Tuch um den Kopf geschlungen hatte, breitrandige Strohhüte von geschmackvoller Form, die ihnen ein freies, kühnes Aussehen gaben. Die ältere sah gar nicht wie eine Zigeunerin aus, sie hatte hellbraune Haare und ein Gesicht wie Milch und Blut, aus welchem ein Paar hellgraue Augen keck und lustig hervorblitzten; über ihrer vollen Brust wogte eine silberne Kette auf und ab, und ihre Finger strotzten von Ringen. Die jüngere, die ihr Bruder Katharina geheißen, war ohne allen Schmuck, bis auf ein brennend rotes Halstuch, das der Farbe ihres Gesichts und Halses verführerisch zu Hilfe kam; denn wenn sie auch so wenig wie ihre Schwester einer Zigeunerin gleich sah, so[567] ließ doch ihre Färbung den zigeunerischen Ursprung verraten; sie hatte dunkelbraune Haare, und ihre Haut stach von dem hellen Aussehen ihrer Schwester mächtig ab, war aber ebensoweit entfernt von jener schmutzigen Hautfarbe, die ihre Mutter und ihren Bruder unverkennbar zu Zigeunern stempelte, sondern näherte sich dem reinen Braun des Erzes, so daß das Blut lebenswarm, gleichsam von der Farbe des Halstuches angelockt, durch die Haut hindurchschimmerte. Beide Schwestern waren von Gestalt untadelhaft. Auf den ersten Blick schien die ältere, solange sie durch ihr entgegenkommendes Lächeln bezaubern konnte, die schönere zu sein; bald aber mußten einem unverdorbenen Blicke ihre Augen, die sie unnötig zu erweitern suchte, zu grell erscheinen, und das ewige Lächeln, das ihren Mund ins Breite zog, fand ebenfalls bald seine Erklärung: er war von Natur etwas zu groß, und um dies zu verbergen, liebte sie die Zähne zu zeigen, die freilich so blendend weiß waren, daß man ihr das Auskunftsmittel nicht verargen konnte. Die Mutter war eine alte häßliche Zigeunerin mit unheimlich blitzenden Augen, einer vorspringenden Nase, die das ganze Gesicht aufwog, und einem zahnlosen, von tiefen Furchen umgebenen Munde darunter. Die drei ungleichen Kinder, die sie ihre Mutter nannten, ein echter Zigeuner, eine völlige deutsche und eine Halbzigeunerin, konnten unmöglich von einem und demselben Vater stammen.

»Es ist uns eine große Ehre, den Herrn Sonnenwirt bei uns zu sehen«, sagte die Alte, indem sie die Vorstellungsfeierlichkeit[568] erwiderte, »wir haben so mächtige Dinge von Ihnen gehört, daß wir uns über Ihren Besuch sehr glücklich schätzen müssen; und ich wünsche nur, daß es dem Herrn Sonnenwirt bei uns recht lang gefallen möchte.«

»Bitt Ihnen!« stammelte der Gast verlegen und bescheidentlich. »Ich bin nicht Sonnenwirt. Mein Vater ist immer noch auf der Wirtschaft. Man hat mich in meinem Ort eben den Sonnenwirtle geheißen, wie man des Anwalts Sohn den Anwältle heißt, und wie man des Amtmanns seinen, wenn der nämlich einen hätt, den Amtmändle heißen würde. Weiter ist's nichts.«

Alle lächelten, und selbst der rauhe Schwamenjackel verzog den Mund ein wenig.

»Nun sitz dich endlich, Bruder Sonnenwirt!« sagte der Zigeuner lachend. »Wir sind freie Leute; was kümmern uns Rang und Titel in dieser einfältigen Welt! Wenn's dir aber nicht genehm ist, deines Vaters Titel zu führen, nach dem du freilich kein großes Verlangen verspüren wirst, so wollen wir dir seinen Namen geben. Reicht dem Friedrich Schwan die Hände, Mädels, und das mit Respekt, und nun wieder zu unserm Geschäft!«

Die beiden Mädchen nebst der Mutter gaben dem Gast die Hände, wobei die ältere Schwester ein warmes Fingerspiel mit unterlaufen ließ, die jüngere aber sich auf einen kurzen Handschlag ohne irgendeinen Druck beschränkte. Er wurde zwischen die beiden Schönen gesetzt, und die Mahlzeit nahm ihren Fortgang, wobei ein köstlicher Wein aus einem Fäßchen,[569] dessen Handhabung Bettelmelcher übernommen hatte, fleißig die Runde machte. Friedrich konnte dem Reiz der Speise und des Getränkes nicht widerstehen und entschuldigte seine durch lange Entbehrung gesteigerte Begierde mit einer auf dem Anstande durchwachten Nacht. Man sprach ihm eifrig zu, und die beiden Mädchen wetteiferten, ihn zu bedienen, wobei die ältere ihn durch Schnelligkeit zu gewinnen suchte, die jüngere aber ihm seltener, jedoch ausgewähltere Bissen vorlegte. Mit Wein versah ihn die ältere aufs reichlichste, und bald kreiste das Blut rascher durch seine Adern; die jüngere reichte ihm nur dann das Glas, wenn es längere Zeit nicht an ihn gekommen war und die ältere ihren Dienst im Schwatzen vergessen hatte. Die Mahlzeit ging in munteren Gesprächen hin, die sich großenteils auf ihn selbst bezogen und in welchen er bald mit gröberen, bald mit feineren Schmeicheleien überhäuft wurde. Selbst seine Büchse wurde gelobt, und er glaubte zum erstenmal in einer Welt zu sein, die alles an ihm vortrefflich fand. In diesem behaglichen Zustande störte ihn nichts als das Benehmen der älteren Schwester Margareta, das er auf die Länge auffallend zudringlich fand: sie setzte ihm mit mehr als herausfordernden Blicken und Reden zu und wußte sich dabei auf eine Weise an ihn anzuschmiegen, die ihn zugleich abstieß und doch entzündete. Dies hatte zur Folge, daß er das Feuer, das sie in ihm anfachte, mehr und mehr ihrer jüngeren Schwester zuwendete, die nicht bloß durch ihre Zurückhaltung gewann, sondern bei längerem Anschauen[570] nach und nach eine Schönheit entfaltete, welche das Auge zu immer häufiger wiederholten Besuchen einlud. Diese Schönheit bot weit mehr ein Ganzes dar als die zusammengesetzten Reize ihrer buhlerischen Schwester. Auch konnte der strenge Ernst, der in dem dunklen Gesichte mit der geraden wohlgebauten Nase vorzuherrschen schien, einem warmen Lächeln weichen, die festgeschlossenen Lippen konnten zu einem Scherzwort auftauen, das den freien Ton der Unterhaltung überbot, und wenn ihr schwarzbraunes Auge einmal flüchtig über den Gast hinstreifte, so war es ihm, als ob sie hinter diesem stillen Blick eine Glut verberge, die sie plötzlich verzehrend auflodern lassen könnte. Er sagte sich vor, er wolle sie nur ein wenig auf die Probe stellen, indem er, durch Margaretens freches Strohfeuer erhitzt, sein Knie an das ihrige drückte; sie rückte aber leise weg, und er beschloß, den Versuch nicht so bald zu wiederholen.

Der »Balo« war unter Scherzen und Erzählungen verspeist, wobei die Geschichte des Ausbruchs von Hohentwiel, der einem der drei Kühnen das Leben gekostet hatte, den Hauptgegenstand bildete, und das auf einem Baumstumpf aufgelegte Fäßchen war schon geneigt, als der Zigeuner zum Beweise für die Schlechtigkeit der Welt die Lebensgeschichte des neuen Freundes zu erzählen begann und ihn dadurch zu Berichtigungen und Ergänzungen nötigte. Die Mitteilung wurde mit der lebhaftesten Teilnahme aufgenommen, und selbst Schwamenjackel bemerkte, es sei scheußlich, so mit einem Menschen umzugehen.[571] »Wie könnte es mir einfallen«, sagte die alte Anna Maria, »meine Kinder im Heiraten beschränken zu wollen! Ich hab ihnen stets ihren Willen darin gelassen, es ist ja ganz ihre eigene Sache.« Am stärksten aber verurteilte die Gesellschaft das Benehmen der Obrigkeit, die sich in Dinge gemischt habe, welche sie gar nichts angehen. Dabei wurde Friedrichs Standhaftigkeit mit Bewunderung hervorgehoben, und das Gefühl des erlittenen Unrechts, das schon zuvor an ihm zehrte, immer heftiger in ihm angefacht, bis es zuletzt ihm wie den andern feststand, daß die Welt aus lauter Spitzbuben bestehe, die man mit allen Waffen zu bekämpfen berechtigt sei. Die Weigerung des Pfarrers endlich, eine Trauung ohne Trinkgeld, wie es Schwamenjackel nannte, vorzunehmen, rief eine Empörung hervor, welche, von Leuten dieses Schlages ausgesprochen, einen besonderen Nachdruck erhielt und sie selbst wiederum in den Augen des Neulings, besonders wenn er ihre gesellschaftliche Stellung mit der Amtswürde des habsüchtigen Geistlichen verglich, bedeutend heben mußte. Sie bekannten sich sämtlich für gute katholische Christen und versicherten mit nicht geringem Stolze, daß ihre Konfession an solchen abschreckenden Beispielen weit ärmer sei.

»Wißt ihr das Stückchen vom Leutnant Löw und seinem Louisd'or?« fragte die jüngere der beiden Zigeunermädchen, und auf Verneinen der anderen erzählte sie: »Eine arme Frau mit einem Kind steht weinend an der Kirche. Begegnet ihr ein Jud und[572] fragt, warum sie weine. ›Der Pfarrer will mein Kind nicht taufen‹, sagt sie, ›weil ich die Taufgebühr nicht zahlen kann.‹ ›Ei‹, sagt er, ›da ist bald geholfen‹, und gibt ihr einen Sonnenlouisd'or, sie solle ihn dem Pfarrer bringen und sagen, eine Christenseele habe ihr aus der Not geholfen. Darauf geht sie in die Sakristei, und wie die Kirche aus ist, kommt sie ganz vergnügt heraus. ›Nun! wie hat's gegangen?‹ fragte der Jude, der auf sie gewartet hat. Das Kind sei glücklich getauft, sagte sie, sie hätte freilich geglaubt, der Pfarrer solle ihr auf das Gold herausgeben, was ihm nicht eingefallen sei; aber dennoch hat sie dem Juden tausendmal gedankt. ›Gott's Wunder‹, sagt der Leutnant Löw, ›wenn der Pfäff herausgegeben hält, so war der Spaß freilich noch größer, aber Dank's wert ist's auf keinen Fall, denn der Luckedor war falsch.‹«

Die Gesellschaft brach in ein unbändiges Gelächter aus, in welchem sich Schwamenjackels Stimme durch ein eigentümliches Grunzen unterschied. Bettelmelcher lachte, daß ihm die Tränen in den Augen standen.

»Leutnant Löw?« fragte der Gast, als man sich müde gelacht hatte. »Unter welchem Militär gibt's denn jüdische Offiziere?«

Das Gelächter brach von neuem so heftig aus, daß er, in der Überzeugung, ungeschickt gefragt zu haben, mitlachen mußte.

»Diese Art Militär«, belehrte ihn der Zigeuner, »ist bei Mergental zu Hause, steht aber nicht im Dienste des deutschen Ordens, obwohl unter allen Ländern dort am besten zu leben ist, denn der Deutschmeister[573] hat gelobt, nie einen mit einer Todesstrafe zu belegen und nie die Auslieferung eines Flüchtigen zu verlangen, und alle seine Untertanen vom Schultheißen bis zum Nachtwächter halten's mit uns; dort ist kein Bub und kein Mägdlein, das nicht Jenisch versteht. Darum wird auch kein vernünftiger Koch um in jenem Gebiet etwas anstellen, aber es ist ein sehr günstiges Terrain, um von da aus in der Umgegend mit Unternehmungen aufzutreten. Drei Leutnants haben dort Gesellschaften gegründet mit einer Einrichtung, die man sonst nirgends trifft. Jeder hat ungefähr dreißig Mann unter sich, meist Juden, auch Zigeuner, und im Notfall werben sie auch sonst taugliche Leute dazu. Wenn ein Koch unternommen werden soll, so wird zuerst der Waldoberer ausgeschickt, der die Gelegenheit auskundschaftet und dafür seine besondere Belohnung erhält. Der kauft dann etwa einem Bauern ein paar Ochsen ab und sieht, wo er das Geld hintut, damit man's wieder holen kann und weiteres dazu. Dann schickt der Leutnant seine Knechte aus und läßt seine Leute von Ort zu Ort – bei den Judenschulen trifft man sie am sichersten – auf einen Sammelplatz zusammenbieten, reicht ihnen auch, bis die Sache ausgeführt ist, was oft acht Tage und darüber ansteht, allen ihr regelmäßiges Taggeld nebst Unterhalt, und wenn das Unternehmen gut ausfällt, noch obendrein jedem seine Portion. Nach der Verteilung der Beute stellt er sie in einen Kreis, liest die Namen ab und heißt sie dann einzeln auf verschiedenen Wegen sich fortmachen, nicht trinken, nicht spielen, bloß bei den Juden über Nacht bleiben und still zu Hause[574] warten, bis er sie auf einen anderen Koch zusammenberufen werde. Bei dem Unternehmen müssen sie streng Order parieren, und es wird nicht jeder angenommen, sondern scharfe Auswahl gehalten. Der Jägerkasperle – du wirst ihn kennenlernen, wir erwarten ihn täglich hier – der hat einmal mitgehen wollen, aber der Leutnant Löw hat ihn bei der Musterung von oben herab angesehen und gesagt, was man denn mit dem kleinen schlechten Kerl tun wolle, es seien ohnehin Leute genug da, man solle ihm etwas geben und ihn fortweisen. Darauf hat ihm ein Unterbefehlshaber einen Gulden geschenkt; der Kleine ist heut noch wild darüber.«

»Das war auch nicht recht«, bemerkte Bettelmelcher, »denn der Jägerkasperle ist zwar nicht groß, aber ein solch rahner, flüchtiger, gewandter Bursch, daß er's mit dem Teufel aufnimmt, freilich mehr in List als Gewalt. Er lobt besonders den Welzheimer Markt. Ich freue mich sehr auf den lustigen Bürsten- und Kehrwischhändler, der sich die Leute durch so hohe Preise vom Leib zu halten versteht, daß ihm gewiß niemand seinen nötigen Vorrat abnehmen wird. Auch auf sein kleines sauberes Frauele freu ich mich: sie ist eine treffliche Bemutter und wird nicht leicht eine so geschickt einen Beutel wegzustibitzen wissen.«

»Jawohl«, sagte der Zigeuner. »Diese Juden«, fuhr er in seiner unterbrochenen Rede fort, »sind ganz verfluchte Kerls. Sie haben ein Regiment und Staat errichtet, dergleichen zwischen Rhein und Donau nirgends ein ähnliches existiert, und die Sache wär wohl der Nachahmung wert. Sie müssen einen unbegreiflichen[575] Profit davon haben, denn sie zahlen nicht bloß nobel aus, sondern wenn ein Unternehmen mißglückt, so fallen alle Kosten auf sie allein. Und doch haben sie immer Geld genug, tragen goldene Uhren, gehen im feinsten Tuch proper gekleidet, und die vornehmsten Juden halten es mit ihnen. Wollen wir's nicht auch einmal probieren?« setzte er lächelnd gegen den Gast hinzu.

»Da wird's für einen Anfänger nötig sein, sich ein hebräisches Wörterbuch anzuschaffen«, bemerkte die alte Zigeunerin mit wohlmeinendem Tone gegen denselben, »denn das Jenische reicht bei ihnen nicht ganz aus, sie mischen mehr hebräische Wörter darunter. Übrigens«, wendete sie sich gegen ihren Sohn, »sehe ich nicht ein, warum man den Juden in ihren Sack arbeiten soll. Und wie lang werden sie's noch mit ihren Gewalttaten treiben? Ich bin überhaupt nicht für diese Art von Arbeit. Diese Einbrüche machen einen großen Lärm weit umher, verderben das Terrain, mißlingen oft und tragen im besten Fall nicht viel ein, weil der Gewinn in zu viele Teile geht. Ich lobe mir die stillen sichern Marktunternehmungen, wie sie in unserer Familie bisher gebräuchlich gewesen sind. Kennt unser Gast die Fuhre? Ich denke, wir dürfen ihn als einen Kochum, das heißt, wenigstens als einen vertrauten Mann betrachten?«

»Ich bürge für ihn«, rief der Sohn, während der Gast erwiderte, daß die Fuhre ihm bis jetzt ein unbekanntes Wesen sei.

»Die Fuhre«, belehrte ihn die alte Zigeunerin, »ist eine zweckmäßige Kleidung für den Marktgang –«[576] »Ja, sie gehört eigentlich ins Gebiet der Moden«, unterbrach Bettelmelcher lachend.

»Richtig, und ist. eine sehr sinnreiche Mode –«

»Für die Weiber«, sagte Schwamenjackel. Die jungen Leute lachten zusammen.

»Für die Weiber«, fuhr die Alte geduldig fort, indem sie jedoch zugleich einen stechenden Blick nach dem Unterbrecher sendete. »Ober- und Unterkleid, welche sehr weit und faltig sind, werden am unteren Saum rings mit einem Faden zusammengezogen, der innen auf beiden Seiten bis zu den hohlen Taschenöffnungen heraufgeht. Auf diese Weise bildet das Kleid einen großen Sack, in den eine tüchtige Schottenfellerin zwei, drei Ballen von je zwanzig Ellen und mehr nacheinander hineinpraktizieren kann, ohne daß jemand eine Spur davon sieht. Ist das Gepolster zu groß, so deckt man's mit dem breiten Strohhut zu. Der Krämer muß sich's gefallen lassen, daß man vor seine Bude tritt und seine Waren prüft. In der Regel hütet er nur die kleineren Stücke und denkt nicht daran, daß ihm so ein großer Pack verschwinden kann. Wenn er aber etwas merkt, so zieht man nur den Faden auf, daß die Ware durch die Säume auf den Boden fällt, hebt sie auf, als ob man sie zufällig vom Tische gestreift hätte, und überreicht sie mit dem größten Anstände von der Welt, so daß er noch höflich danken muß.«

»Das Schottenfellen«, bemerkte der Gast, »scheint mir also bloß ein Geschäft für die Frauenzimmer zu sein. Da haben ja die Männer das Zusehen.«

»Ein rechtes Frauenzimmer wird sich's stets als ein[577] Glück anrechnen, für ihren Geliebten arbeiten zu dürfen«, sagte die ältere der beiden Schwestern zärtlich zu ihm.

»Die Weiber sind flinker und gescheiter als die Männer«, bemerkte die jüngere stolz. »Was die mit ihren plumpen Fingern bei einem Einbruch davontragen, reicht oft nicht, um einen Tag zu leben, während ich auf einem guten Markt, wie sie am Rhein drüben sind, ein paar hundert Gulden an einem einzigen Tag verdienen will.«

»Vom Weibsverdienst zu leben, das war nicht nach meinem Geschmack«, versetzte der Gast.

»Und ich«, erwiderte sie, »möcht mich nicht von einem Mann erhalten lassen. Lieber will ich ihn erhalten, wenn mir einer gefällt.«

»Die Männer sind nicht so müßig dabei, wie man meint«, sagte die Alte. »Sie haben auf dem Markt einen wichtigen Dienst zu versehen. Einmal müssen sie ihren Schottenfellerinnen die Waren in Sicherheit bringen, damit diese, wenn gerade ein guter Tag ist, wieder ihrer Arbeit nachgehen können. Dann müssen sie den Markt bewachen, nicht bloß gegen die Fleischmänner, die dort Aufsicht halten, sondern oft auch gegen Bekannte, die sich einen Anteil vom Ertrag nehmen wollen und vorgeben, man habe ihnen den Markt verderbt. Ein Mann hat also oft alle Hände voll zu tun, wenn der Markt glücklich ausfallen soll, und einer allein ist nicht immer Manns genug, denn wenn's Lärmen gibt, die Fleischmänner über die Weiber herfallen und sie gefangen nehmen wollen, so müssen die Männer sie oft mit Gefahr ihres Lebens befreien.«[578]

»Das läßt sich eher hören«, sagte der Gast.

»Ja«, fiel der Zigeuner ein, »da ist im Pfälzischen drüben so ein vermaledeiter Kerl, der Kastor, der's mit der Kostenbärbel und ihrer Tochter hält. Der führt eine schöne Polizei auf den pfälzischen Märkten, läßt die beide Canaillen unter seiner Aufsicht stehlen, soviel sie wollen; aber andern ehrlichen Leuten, die ein Geschäft machen wollen, paßt er um so schärfer auf und jagt ihnen alles wieder ab, nicht für das Amt, sondern für seinen eigenen Sack. Auf dem Bruchsaler Markt, weißt, Margarete, wie wir einmal miteinander dort gewesen sind, da hat er mich auf einmal mit meinem Namen angeredet und hat mir mit Verhaftung gedroht, wenn ich ihm nicht sechs Karolin gebe. Unser ganzes Vermögen bestand damals in einem Schwerttaler und einem Stückchen Wollendamast. Das hat er uns alles abgejagt und der Margarete noch obendrein ihre Haube mit feinen Spitzen, die nicht einmal vom Markt und wenigstens fünf Guldenwert war, und hat uns versprochen, daß er's uns auf dem Germersheimer Markt wiedergeben wolle, wenn wir uns gut halten und ihm die Hälfte unseres dortigen Ertrages abtreten wollen. Hätt ich einen einzigen entschlossenen Mann bei mir gehabt, wie ihr drei seid, da hätten dem infamen Kerl die Ohren sausen sollen.«

»Bei einem Nachtgang«, bemerkte Schwamenjackel, »ist doch mehr Mannhaftigkeit und auch mehr Spaß.«

»Die Mutter meint ja nicht, daß man die Branche ganz aufgeben soll. Zur Abwechslung kannst du dir immer wieder einen Spaß machen. Aber recht hat sie: es kommt nicht viel dabei heraus und macht ein[579] Aufsehen, daß gleich eine ganze Gegend davon voll ist und daß man viel Berg und Täler zwischen sich und den Ort schieben muß. Warum haben wir Geld? Warum können wir herrlich und in Freuden leben, heut und alle Tage? Weil wir auf den rheinischen Märkten gute Geschäfte gemacht haben. Es ist nur schade, daß man nicht immerfort in der einen Gegend bleiben kann. Wenn aber vier zuverlässige Männer, wie wir, mit unsern Weibern zusammenstehen, dann können wir alle Märkte im schwäbischen und fränkischen Kreis beherrschen. Keiner darf uns ins Handwerk pfuschen, weil die andern nicht zusammenhalten, und gehen wir nach einem festen Plan zu Werke, so daß immer eine gute Zeit verstreicht, bis wir auf den nämlichen Markt zurückkommen, dann können wir ungestört fortarbeiten bis an unser seliges –«

»hänfenes Ende!« ergänzte Bettelmelcher.

»Das hat keine Gefahr, beim Schottenfellen am allerwenigsten«, entgegnete der Zigeuner.

»Nein, nein, das Projekt ist gut«, versetzte Bettelmelcher.

»Wo aber die Kunden herbekommen, an die man die Waren absetzen müßte?« fragte der Neuling. »Den Kattun oder Damast kann man doch nicht essen oder trinken.«

»Das laß deine geringste Sorge sein«, erwiderte der Zigeuner lachend.

»In ganz Franken und Schwaben«, sagte seine jüngere Schwester, »gibt's Pfarrer, Schultheißen, Wirte und sonst honette Leute genug, die bei einem wohlfeilen Einkauf ein Auge zudrücken. Alle Welt verwünscht[580] die Krämer, die auf ihre Zunftrechte pochen, mit dem hundertfachen Profit nicht zufrieden sind und das Publikum mit ihren Sündenpreisen betrügen. Wer diesen Schelmen ihren Raub abjagt, ist den Käufern so lieb, wie den Bauern der Wildschütz, der ihre Felder bewahrt. Und da wir einmal von einer festen Ordnung reden, so meine ich, man könnte ebensogut einen planmäßigen Handel einrichten, feste Preise machen und vertraute Leute zum Wiederverkauf aufstellen, damit man nicht christlichen und hebräischen Juden preisgegeben und genötigt wäre, jedes Stück gleich wieder zu verschleudern.«

»Davon hab ich eben reden wollen«, versetzte die Zigeunermutter, »aber meine Christ – meine Katharine« – verbesserte sie sich, »kommt mir mit ihrem schnellen Geist zuvor. Dieser Handel müßte jedoch großenteils in Person betrieben werden, da man von den meisten Unterkäufern, wie wir aus Erfahrung wissen, doch nur betrogen wird und sich nicht hinlänglich gegen sie schützen kann. Ihr könnt euch jetzt schon denken, wo ich hinaus will. Wir müßten mit unsern Reisen zugleich einen wandernden Kramhandel für gemeinschaftliche Rechnung verbinden, der sich ganz offen in die Karten sehen lassen und viel ehrlicher betrieben werden müßte, als es bei den honettesten Krämern der Fall ist: überall Patente gelöst, jedes Stückchen Ware aufs pünktlichste verzollt, gegen das Gesetz und das kaufende Publikum durch und durch reell und dabei Preise, die jede Konkurrenz schlagen müssen! Das können wir. Es fehlt gar nichts, als daß wir in der Gesellschaft ein Mitglied haben –«[581] »Und dazu ist unser Freund Schwan wie gemacht!« rief ihr Sohn dazwischen.

»Das will ich ja gerade sagen!« rief die Alte eifrig. »Man darf unsern Freund nur ansehen. Wenn er Sonnenwirt wäre an seines Vaters Statt oder sonst ein offenes Geschäft hätte, oder mit einer Kramkiste umherreiste, wie ja fürnehme Krämer mit den kostbarsten Waren hausieren – wer würde einem Mann von solch aufrichtiger Physiognomie, von solch leutseligem und bescheidenem Betragen nicht sein Vertrauen schenken?«

»Schönes Kompliment!« rief Bettelmelcher lachend. »Das heißt mit andern Worten: wir sehen aus wie Spitzbuben und er wie ein Biedermann.«

»Alles in seiner Art«, sagte die Alte, »und jeder an seinem Platz! Was kann unser Freund für sein Gesicht? Er sagt, er sei um sein Mütterliches gebracht worden. Oh, das ist ein großer Irrtum! Sein Mütterliches guckt ihm aus dem Gesicht heraus. Die meisten Menschen sehen bloß ihrem Vater ähnlich, und die Männer verhärten sich im Leben, das kann nicht anders sein. Wenn aber einer etwas von seiner Mutter hat, so braucht man die Frau gar nicht gekannt zu haben, man sieht's auf den ersten Blick, und wenn er noch so finster und grimmig dreinschaut. Ich verstehe mich auf Physiognomien. Das ist ein Gesicht, mit dem es alle, die sich ehrliche Leute nennen, gern zu tun haben, denn man merkt ihm gleich den Deutschen und, was noch mehr sagen will, den Schwaben an.«

Die Augen der Alten ruhten bei diesen Worten mit[582] einer brennenden Wärme auf ihm, als ob ihr altes Herz sich noch von jugendlichem Liebesfeuer durchglüht fühlte. Es belästigte ihn, es lächerte ihn, und dennoch tat es ihm wohl. Erst als ihre ältere Tochter den Ausspruch der Mutter mit tätlichen Beweisen der Zustimmung begleiten wollte, fühlte er einen wirklichen Widerwillen und rückte von ihr weg, wie die jüngere vorhin sich von ihm entfernt hatte.

»Die Mutter hat zwei Deutsche zu Männern gehabt«, sagte der Zigeuner lächelnd zu seinen Gesellen. »Das verbirgt sich nicht. Aber ihr Vorschlag scheint mir gut.«

»Très bon«, sagte Bettelmelcher, »das Projekt ist insidiös.«

Schwamenjackel sagte nichts, sondern schaute gedankenvoll durch die leere Flasche, die er sich vor die Augen hielt. Die stumme Kundgebung bewog seinen Genossen, dem versäumten Schenkendienste gewissenhaft wieder obzuliegen.

»Was sagst du zu dem Antrag, Bruder Schwan?« wendete sich der Zigeuner an den Gast.

»Ich rechne mir euer Zutrauen zur Ehre«, antwortete dieser, »aber ich weiß nicht, ob ich auf den Posten tauge.«

»Zweifel und Bedenken über deine Fähigkeit lassen wir nicht gelten, da gib dir nur gar keine Mühe«, erwiderte der Zigeuner. »Es fragt sich bloß, ob du Lust und Liebe hast, dich zu einem gemeinsamen Geschäftsbetrieb mit uns zu verbinden, und ich denke, die Antwort sollte dir nicht schwer werden. Du weißt, ich hab dich schon von Hohentwiel aus mitnehmen[583] wollen, und es hat mir nicht gefallen, daß du durchaus nach Ebersbach gewollt hast. Jetzt seh ich's noch viel deutlicher ein, daß dein Herumhocken in dieser Gegend zu nichts Gutem führen kann. Deine Hartnäckigkeit bringt dich gewiß noch an den Göppinger Galgen. Mach, daß du in eine andere Luft kommst; es ist allenthalben etwas zu verdienen. Und was ist das für eine Existenz, für Leben und Sterben hier und da ein Stück Fleisch oder Brot aus einem Haus zu holen und den Hals dabei zu riskieren, oder einem Brenner aus Malice, weil er einen elenden Fusel hergegeben hat, den Brennhafen fortzuschleppen, den man unterwegs liegen lassen muß! Das mag, wie gesagt, zur Abwechslung dann und wann recht sein, wenn nicht viel dabei auf dem Spiel steht, aber für einen Mann von deinen Gaben – nimm mir's nicht übel, Schwan, du weißt, ich pflege offen zu reden, und als dein Freund und Kriegskamerad brauch ich kein Blatt vor den Mund zu nehmen –, für einen Mann, der, wie du, zu etwas Besserem bestimmt ist, ist es ein erbärmliches Handwerk. Ich sag dir, es ist unter deiner Würde, und wieviel du Seide dabei gesponnen hast, wirst du selbst am besten wissen.«

Der Gast warf einen unwillkürlichen Blick auf seine abgetragenen Kleider, der dem Redner gestand, daß er ihm recht geben müsse.

»Hanf aber«, fuhr dieser fort, »kannst du dabei gerade so viel spinnen, wie bei den schönsten Unternehmungen, die sich der Mühe und Gefahr wenigstens verlohnen. Meinst du, wenn sie dich kriegen, so werden sie mit ihren lateinischen Ausdrücken, die auf[584] alles passen müssen, große Unterscheidung machen? Mich wundert's nur, daß sie dich nicht schon längst am Fittich haben, und es geschähe dir recht; denn wie du ihnen unter der Nase herumvagierst, das ist kein Mut, das ist Wahnsinn! Bei uns ist ganz anders für deine Sicherheit gesorgt. Wir wissen in aller Herren Ländern jedes Plätzchen, wo man sich ruhig niederlassen kann.«

»Ist denn das zum Beispiel hier der Fall?« unterbrach ihn der Gast.

»Freilich!« rief der Zigeuner. »Die Frage beweist, wie wenig du die Welt noch kennst. Hier sitzen wir auf edelmännischem Boden und sind so sicher, wie das Kind im Mutterleib, während du in deiner Unkenntnis mit ein paar Schritten ins Württembergische taumelst, wo die Leute dumm sind und die Beamten, wie du selbst erzählst, sich kein Gewissen daraus machen, einem seine eigenen Kinder als Lockwürmer an die Angel zu stecken, um den Fisch damit zu fangen. Auch haben wir überall unsere vertrauten Leute, die uns Nachricht geben, wenn etwas gegen uns los ist. Und wenn je einmal eins von uns den Fuß übertritt und in die unrechten Hände gerät, so gibt es auch Mittel und Wege, ihm wieder aus der Falle zu helfen. Das alles geht dir ab, solang du wie ein Irrlicht allein und auf eigene Faust umherflackerst Und was für Ehre hast du davon, dein kümmerliches Leben immer und ewig um dein einfältiges Ebersbach herum zu fristen, wo alles schreit: ›Der Dieb, der schlechte Kerl, der Sonnenwirtle ist wieder einmal dagewesen und hat dies und das gestohlen!‹ Wenn du in unsere Gesellschaft[585] eintrittst, so hörst du ganz andere Titel, da bist du allen ein lieber werter Freund, wirst wegen deines Mutes, wegen deines Verstandes, wegen deiner Treue geliebt, geachtet, bewundert, auf den Händen getragen. Du hast einmal auf einen wunderlichen Adjutanten zu Hohentwiel das Bibelwort angewendet: ›Es ist dem Menschen nicht gut, daß er alleine sei.‹ Das paßt nicht bloß darauf, daß er eine Gehilfin haben sollte, es paßt auch auf das Handwerk, das er treibt, er muß auch darin seinesgleichen um sich haben, bei denen er Beifall und Aufmunterung findet, denn sonst ist's ein Hundeleben.«

»Das ist sehr wahr!« rief der Gast, von dieser Bemerkung ergriffen.

»Bei uns findest du keinen Brotneid, keine Unterdrückung, wie in der honetten Welt draußen. Du bist uns mit deinem Kopf und Arm willkommen, und wir bedürfen deiner, wie du unserer bedarfst. Unsern Ertrag teilen wir ehrlich und redlich, und wenn einer vor den andern eine besondere Mühe auf sich genommen hat, so wird ihm ein verhältnismäßig größerer Anteil zuerkannt. Einen Leutnant, der das Beste an sich reißt und die andern als seine Untergebenen behandelt, gibt es nicht bei uns. Wer die beste Meinung geltend machen kann, dessen Anschlag wird befolgt, und was gemeinsam beschlossen ist, wird in strenger Ordnung ausgeführt. Außerdem aber leben wir als freie Leute auf gleichem Fuß miteinander.«

»Und immer in Floribus!« fiel Bettelmelcher ein, indem er die Flasche schwang und dem Gaste reichte.

»Leuchtet dir aber die Wahrheit deines Sprüchleins[586] auch im anderen Punkte ein«, hob der Zigeuner wieder an, »und möchtest du eine Gefährtin haben, die in deinen neuen Lebenslauf paßt, so hast du, ohne Ziererei gesprochen, zwischen meinen Schwestern die Wahl. Du wirst sie, denk ich, beide nicht übel gefunden haben. Eine abschlägige Antwort hast du nicht zu befürchten; ich bürge dir nicht bloß für die Freundliche, sondern auch für die Trutzige, die mir ein herbes Gesicht für meine Rede macht. Auch findest du nicht einmal einen Nebenbuhler, denn beide sind frei, Freund Bettelmelcher aber ist versehen und schwört nicht höher als auf seine Marianna, die zärtliche Taube, die auch mit uns fliegen wird, und Freund Schwamenjackel macht dir nicht die mindeste Konkurrenz. Der hat statt des Herzens eine zweite Leber, oder wenn's je ein Herz ist, so ist es für die Weiber unzugänglich: keine Schottenfellerin wird es einsacken, keine Schrendefegerin wird hineinsteigen.«

Schwamenjackel grunzte, und die andern brachen in ein Gelächter aus.

»Sollten jedoch beide keine Gnade vor deinen Augen finden«, setzte der Zigeuner hinzu, »so dürfen sie dir kein saures Gesicht machen, wenn du eine andere wählst. Ich hab dir's ja schon früher gesagt: in Bickesheim bei Rastatt, am großen Wallfahrts- und Jahrmarktstage, da kannst du alles beisammen finden, was zu unserer Verwandtschaft gehört, und noch viel andere mehr, den Hannobel, den Josephle, den Tonele, den Frischholz, die Bebe, das Suphile, die Lisa, den Leopold, den Baron Stihl, den Buchdrucker und seine Hammelschwänzin, den Peter Paul, den Jägerkasperle,[587] fast alle mit Familie und Mädels genug. Da hast du eine große Auswahl, und welche dir gefällt, die muß uns recht sein. Ich kann dir aber voraussagen, daß dir außer meinen beiden Schwestern höchstens noch die Lisa gefallen wird; denn diese drei gelten bei Freund und Feind für die drei größten Schönheiten zwischen Rhein und Donau. Die Marianna ist die vierte und sticht vielleicht alle drei aus, aber die läßt von ihrem Herzblatt nicht. Die Lisa hat zwar einen Mann, dem sie aber längst wegen seiner Schneidercourage den Laufpaß gegeben hat. Er ist ein Landsmann von dir, aus dem Maulbronner Oberamt gebürtig und bei uns unter dem Namen Schneidermichel bekannt.«

»Den kenn ich von Ludwigsburg her«, sagte der Gast.

»Ja, sie haben ihn um etlicher Kalamitäten willen ins Zuchthaus gesteckt und seitdem, wie ich höre, unter ein Grenadierbataillon gestoßen.«

Die Mädchen lachten.

»Der wird eine schöne Figur machen«, sagte die jüngere.

»Er hat freilich weder das Pulver erfunden, noch wird er's gern riechen«, bemerkte der Gast. »Übrigens ist er sonst ein guter Kerl.«

Die ältere begann über die abwesende Lisa, in der sie eine Mitbewerberin fürchten mochte, hämische Äußerungen auszustoßen, die aber von der jüngeren kräftig abgewehrt wurden. Dieser trat auch die Mutter bei und erklärte mit Lebhaftigkeit, die Geschmähte sei ihre Schwestertochter, sie habe sie so lieb wie ihre eigenen Kinder und wünsche sie so gut wie diese mit einem wackeren Manne, wie Herr Schwan, versorgt zu wissen.[588]

»Das ist brav, sich der Abwesenden anzunehmen!« sagte dieser, indem er seiner jüngeren Nachbarin auf den Nacken klopfte, wobei er sich beredete, daß er die viele Freundlichkeit, die ihm in Worten und Werken erzeigt werde, doch auch in irgendeiner Weise erwidern müsse. Die Zigeunerin aber schien nicht mit dieser Art der Erwiderung einverstanden zu sein, sondern stieß ihn heftig zurück, wozu sie sich wohl noch mehr durch das zudringliche Betragen ihrer Schwester als durch seine Kühnheit herausgefordert fühlen mochte.

»Hoho!« rief ihr Bruder, »auf einen Puff gehört ein Kuß, das ist in den Wäldern so gut wie in Städten und Dörfern Sitte, und damit der Feuerteufel von einem Weibsbild keinen Ausweg hat, so schlage ich vor, daß wir jungen Leute mit diesem Gaste Bruder- und Schwesterschaft trinken.«

Der Vorschlag fand allgemeinen Beifall, die Flasche ging in die Runde, und der Freundschaftsbund wurde von den Männern mit einem Handschlag, von den beiden Mädchen je mit einem Kusse besiegelt. So feurig aber die ältere diese Gelegenheit benutzte, um ihre Wünsche kundzutun, so deuchte den Gast der rasche Kuß, mit welchem die jüngere einen Augenblick seine Lippen zusammenpreßte, weit inniger zu sein, und ein heißer Strahl aus ihren dunkeln Augen sagte ihm, daß sie der Bezeichnung, die ihr Bruder ihr soeben gegeben, zu entsprechen vermöge. Doch riß sie sich gleich wieder von ihm los und setzte sich ruhig auf ihren Platz.

»Eine solche Buße«, sagte er, »kann ich mir für die[589] Sprödigkeit wohl gefallen lassen. Weil mir's aber doch scheint, daß es der Jungfer schwer fallen will, dieselbe gegen mich abzulegen, und weil ihr mich alle vorhin wegen meiner Standhaftigkeit gelobt habt, so will ich nur gestehen, daß mein Weib zu dieser Stunde vor dem Wald, wo ich sie hinbestellt habe, auf mich warten wird. Mein Weib heiß ich sie, obgleich wir's mit aller Mühe nicht dahin gebracht haben, miteinander vor den Altar zu kommen. Somit weiß ich auf das liebreiche Anerbieten weiter nichts zu antworten, als dieses: wenn's in eurer Gesellschaft nicht vielleicht Sitte ist, daß einer zwei und mehr Weiber hat, wie die alten Erzväter in der Bibel, so muß ich eben danken, weil ich schon versehen bin.«

Er konnte es nicht unterlassen, diese Eröffnung mit einem spähenden Blick auf seine Nachbarin zu begleiten, und hatte die Genugtuung, zu sehen, daß sie ihr Gesicht nicht so völlig in der Gewalt hatte, um die unwillkommene Überraschung ganz verbergen zu können.

»Das ist freilich was anderes«, versetzte der Zigeuner. »Bis jetzt ist die Vielweiberei bei uns nicht im Schwang gewesen. Die Männer würden sich vielleicht gar nicht ungern dazu verstehen, aber die Weiber finden sie nicht nach ihrem Geschmack. Übrigens ist es schade, daß du uns nichts von der Ankunft deiner Frau gesagt hast: wir haben ja beinahe nichts mehr übrig, was man ihr anbieten könnte. Da du unser Gast bist, so darfst du dich nicht bemühen. Freund Bettelmelcher ist gewiß gern so galant, sie abzuholen und in unsre Mitte einzuführen.«[590]

»Wie sieht sie denn aus, damit ich nicht die Unrechte bringe?« fragte dieser neugierig lächelnd, indem er sich zum Fortgehen anschickte.

Christinens Freund empfand eine seltsame Verlegenheit. »Sie sieht aus, wie die Leute aus der Umgegend«, sagte er, nachdem er einen Augenblick vergebens nach einer passenderen Beschreibung gerungen hatte.

»Geh nur, Schelm!« rief der Zigeuner lachend. »Meinst du denn, du werdest einen Markt voll Weiber vor dem Walde finden? – Wir müssen eben einmal die Probe mit ihr machen, wie sie sich bei uns gefällt«, fuhr er fort, nachdem jener sich entfernt hatte. »Wir beweisen dir eine große Rücksicht, Bruder, und gehen weit von unseren gewohnten Grundsätzen ab, wenn wir deine Frau in unsere Gesellschaft aufnehmen. Was die Männer betrifft, so halten wir's nicht gar streng mit den Deutschen, selbst wir Zigeuner nicht, die wir uns noch am meisten abzuschließen pflegen. Meine Mutter ist, wie du weißt, mit Deutschen verheiratet gewesen. Unsre beiden Freunde hier sind gleichfalls Deutsche, wenigstens dem Aussehen nach, denn ihr Stammbaum ist ihnen selbst nicht recht bekannt. Welche Aufnahme du bei uns gefunden hast, das weißt du selbst. Gegen die deutschen Weiber aber besinnen wir uns dreimal, bis wir eine zulassen.«

»Aber nicht, weil wir eifersüchtig sind!« rief seine jüngere Schwester trotzig dazwischen.

»Nein, das sind wir nicht!« stimmte die ältere mit einem spöttischen Gelächter ein.

»Die deutschen Weiber«, sagte die Alte, »sind nicht zu unserem Leben erzogen und taugen deshalb selten dazu.«[591]

»Sie sind«, ergänzte ihr Sohn, einen Augenblick aus dem Tone guter Lebensart fallend – »sie sind in der Regel dumme Hunde, die zu nichts zu gebrauchen sind.«

Es rauschte im Walde, und man hörte das Zirpen einer Grille, das der Zigeuner mit dem gleichen Laut beantwortete. Gleich darauf erschien Bettelmelcher, eine Frau am Arme führend oder vielmehr nach sich ziehend. Es war Christine, die ihm ängstlich und mit sichtbarem Mißtrauen folgte. Sie machte große Augen, als sie ihren Frieder zwischen den beiden Schönheiten sitzen sah, von welchen ihr Begleiter vermutlich nichts gesagt hatte. Dieser rechtfertigte das Lob, das der Zigeuner ihm zuerkannt hatte: er führte seine Anbefohlene mit fratzenhafter Galanterie herbei und sagte kratzfußend, indem ein leises, aber unbeschreiblich boshaftes Lächeln in seinen Mundwinkeln stand: »Habe die Ehre, Madame Schwan der Gesellschaft zu präsentieren.«

Christine zog ihren Arm aus dem seinigen und trat zu ihrem Manne. »Wo steckst denn so lang?« fragte sie weinerlich. »Läßt mich eine geschlagene Stund vor'm Wald da warten, daß ich schier am Umsinken bin,«

»Nun, so setz dich«, erwiderte er etwas unmutig, »bist ja jetzt bei mir.«

Die jüngere Zigeunerin rückte zuvorkommend und zog Christinen zu sich nieder, so daß sie zu ihrem Manne zu sitzen kam. Freilich war der Platz nach der anderen Seite hin nicht sehr vorteilhaft für sie, sofern sie die Vergleichung mit ihrer jüngeren, schöneren und reizend gekleideten Nachbarin aushalten[592] mußte. Friedrich wußte, daß die Gesellschaft stille Blicke unter sich wechselte, die das Ergebnis dieser Vergleichung aussprachen. Er sah die Blicke nicht, aber er fühlte sie.

Aus Rücksicht auf den neuen Gast wurde die Unterhaltung, zu welcher man sich bisher der jenischen Mischsprache, untermengt mit modischen Brocken, bedient hatte, nun ganz deutsch geführt, wollte aber nicht recht in Gang kommen. Man bot Christinen, deren schlaffe Züge Müdigkeit und Hunger verrieten, von den Überbleibseln des Essens an; sie genoß einige Bissen, stieß aber bald die Speise zurück und klagte über Übelkeit. Der dienstfertige Mundschenk bot ihr die Flasche; sie trank gierig, fand aber den Wein zu stark, lehnte sich an ihren Mann und klagte, der Kopf schwindle ihr. Der Zigeuner suchte ihr eine bequeme Lagerstelle aus, breitete ein Tuch zur Unterlage für den Kopf auf den Boden und redete ihr zu, sich zur Ruhe zu legen. Sie betrachtete den Pfühl mit kaum verhehltem Widerwillen, entschloß sich aber doch, sich seiner zu bedienen, legte sich hin und war oder schien bald eingeschlafen.

»Du hast's also nicht zur Kopulation bringen können, Bruder?« fragte Bettelmelcher, als die Gesellschaft wieder vertraulich, wie nach einer überstandenen Störung, beisammen saß.

»Nein«, antwortete der Gast und erzählte ausführlicher als vorhin die Geschichte seiner vergeblichen Bemühungen um den kirchlichen und hiemit zugleich bürgerlichen Segen für sein eheliches Band.

»Dafür weiß ich Rat«, sagte sein neuer Freund;[593] »wenn's dir immer noch darum zu tun ist, so kann ich dir einen Pfarrer angeben, der dich um Geld und gute Worte ohne Anstand kopuliert. Er ist ein Schulkamerad von mir, du brauchst ihm nur einen Gruß von mir zu sagen.«

»Wo ist er?« rief der Gast voll Feuer und Flamme. Das Wort hatte bei ihm eingeschlagen wie ein Blitz, und über der Aussicht auf ein Ziel, dem er so lange umsonst nachgejagt, auf die Möglichkeit, dem ganzen Flecken Ebersbach nebst Pfarrer und Amtmann zum Trotz den Eid zu halten, wegen dessen er einst vom Kirchenkonvent gestraft worden war, und seine Heirat zu vollziehen, über dieser Aussicht vergaß er alle Reize, die ihn zum Eintritt in eine neue Welt lockten und die unscheinbar gewordene erste Liebe verdunkelten. »Wo ist der Pfarrer, Bruder?« fragte er wiederholt den Freund, der durch ein so nahes Verhältnis zu einem Manne von ehrwürdiger Stellung in seinen Augen nicht wenig gestiegen war.

»Wurst wider Wurst!« antwortete Bettelmelcher, den der Zigeuner still angesehen hatte, mit schlauem Lächeln. »Wenn du einmal der unsrige bist, so hab ich kein Geheimnis mehr vor dir.«

»Nein!« rief der Zigeuner mit dem Tone der Billigkeit, »man muß einem Menschen nicht Hände und Füße binden. Wir sind freie Leute, und wenn er zu uns treten will, so soll es sein eigener freier Wille sein. Du mußt deinen Preis annehmlicher stellen.«

»Wohlan also«, sagte Bettelmelcher nach einem verstohlenen Blick auf Christinen, die wirklich schlief, »wenn du uns zu der ersten größeren Unternehmung,[594] die wir ausführen, deinen Kopf und deinen Arm versprichst, so kannst du über meine Zunge verfügen. Mehr verlang ich nicht.«

»Es gilt!« rief der Gast aufspringend, »hier ist mein Wort und meine Hand!«

Die drei andern Männer sprangen ebenfalls auf die Beine, und einer nach dem andern empfing seine dargereichte Hand zu einem kräftigen Druck.

»Und ich«, rief der Zigeuner, »leiste hiemit Bürgschaft für ihn, daß er sein Wort halten wird. Wenn das geschehen ist«, wandte er sich zu ihm, »so bist du nicht weiter gebunden, und es steht ganz in deinem Belieben, ob du bei uns bleiben willst oder nicht. Auch sollst du dich zu keinem Unternehmen verpflichtet haben, das nicht nach deinem Sinn wäre.«

Sie setzten sich wieder, und zur Besiegelung des Gelübdes kreiste noch einmal die Flasche mit der Neige aus dem Fäßchen, das nun völlig auf dem Kopfe stand.

»Den Pfarrer, von dem ich dir gesagt habe«, vertraute nun Bettelmelcher dem Gaste, als er bemerkte, daß dieser ihn erwartungsvoll ansah, »den triffst du in Dinkeltheim bei Schwäbisch Hall.«

»Gut! Ich habe mit meinem Weib morgen einen Handel in Gmünd zu machen, und von da wollen wir gleich den Stab weiter setzen. Sowie ich zurückkomme, steh ich euch zu Diensten. Ob's ein Marktgang ist oder ein Unternehmen, wo man das Fell einsetzt und die Haar davonfliegen, gilt mir gleich. Nur eins beding ich mir aus: einem Unschuldigen will ich nichts zuleid tun, aber gebt mir eine Gelegenheit, daß ich dieser[595] schnöden, falschen Welt mit ihrem Geiz und Hochmut, mit ihrer Unterdrückung und verlogenen Ehrbarkeit das Herz aus ihrem eigennützigen Leib herausreißen kann – und wenn's den Kopf kostet, ihr sollt mich kennenlernen.«

»Bravo, Bruder Schwan!« rief der Zigeuner. »So denken wir auch!«

»Die Gelegenheit sollst du haben!« rief Bettelmelcher. »Meinst du, du seiest allein unterdrückt? Ich könnte jetzt so gut Pfarrer sein, wie der Pfaff, der dir die Kopulation abgeschlagen hat, ich hatte schon ein wenig zu studieren angefangen, da hat mich ein betrügerischer Vormund um all mein Hab und Gut gebracht.«

»Ich hab auch noch mit einem solchen abzurechnen!« rief das halbgeworbene Mitglied der Bande.

»Was sind Bedrückungen des einzelnen gegen die Verfolgungen, die mein ganzer Stamm erfahren hat!« hob die alte Zigeunerin an. »Vor ein paar hundert Jahren sind unsere Vorfahren aus fernen Landen weit im Osten durch Krieg und Not in dieses Land gekommen, wo eine blässere Sonne scheint. Sie haben sich friedlich in den Wäldern aufgehalten, haben von den Leuten geheischen, was sie zu ihrer Notdurft brauchten, und haben in guter Freundschaft mit ihnen gelebt. Dann haben böse Menschen Mißtrauen und Hader gesät, und seit mehr als hundert Jahren wird unser Stamm verfolgt, so daß keins von uns sein Haupt ruhig auf den Boden legen kann. Jedes friedliche Fortkommen ist uns abgeschnitten, als ob wir nicht auch Christen und Kinder Gottes wären, die gelebt[596] haben müssen, und wir mögen unsere Nahrung suchen, wie wir wollen, so sind wir dafür von Mutterleib an zum Tod verurteilt. Drei Männer hab ich nacheinander gehabt, keinen lang: alle drei sind am Galgen gestorben. Zwei Schwestern und ein Bruder sind den gleichen Todesweg gegangen; die dritte Schwester hat sich zu Karlsruhe im Gefängnis erhenkt, denn Freiheit ist unsere Lebensluft. Von zwei Männern meiner Schwestern ist einer durch das Schwert, einer durch den Strang gestorben. Ein Sohn, zwei Schwiegersöhne, eine Schwieger- und eine Schwestertochter sind gehenkt, zehn Männer, mit mir verschwägert oder verwandt, desgleichen gehenkt, geköpft, gerädert, auf hundertundein Jahr auf die Galeere angeschmiedet. Einen Mann, einen Bruder, einen Sohn und einen Tochtermann hab ich mit eigener Hand vom Galgen geholt und unter heißen Tränen und Gebeten begraben. Bei den andern hat's nicht sein mögen. Und nun betrachtet mein Los und wagt noch über euer eigenes zu klagen.«

Mit niedergebeugtem Kopfe und gramdurchfurchtem Antlitz saß sie da, die Hekuba eines geächteten Stammes. Der Gast konnte kein Auge von ihr wenden, wie sie die Blicke vor sich in den Boden bohrte. Weit entfernt, in ihren Erlebnissen ein abschreckendes Beispiel zu sehen, fühlte er eine tiefe Teilnahme für sie und die verwaisten Mädchen, die schon so früh den versengenden Frost des Lebens kennengelernt. Freilich verschwieg sie weislich, daß ihr Volk keineswegs ohne eigene Schuld in den deutschen Landen Schutz und Gastfreundschaft verwirkt hatte; daß zwei ihrer[597] Männer diesem Volke nicht angehört, überging sie gleichfalls mit Stillschweigen; und durch welche Taten so viele der Ihrigen von einer freilich rohen, aber zum Kampfe auf Leben und Tod genötigten Staatsgesellschaft sich ein schauerliches Ende zugezogen, das schien sie gegen ihre Erlebnisse nicht in die Waagschale zu legen.

»Laßt mich reden!« rief Schwamenjackel, seine Worte mit heiserer Stimme kurz hervorstoßend. »Mein Vater, der mich erzogen und geboren hat –«

Ungeachtet des furchtbaren Ernstes, den die Unterredung angenommen, kämpfte ein unterdrücktes Lachen in der Brust der Mädchen, die das Gesicht abwandten, und die Männer bissen sich auf die Lippen, um ihren Gefährten nicht durch einen unzeitigen Ausbruch zu stören.

»Mein Vater«, fuhr Schwamenjackel fort, »ist zu Alpirsbach auf dem Schwarzwald gerädert worden, und ich hab als ein zwölfjähriger Bube hart dabei zusehen müssen und bin nachher ins Zuchthaus gesteckt worden. In meinem ganzen Leben vergeß ich's nicht und will's auch nie vergessen. Ich übe mein Gedächtnis mit Fleiß, daß es mir die Stöße des schweren, mit Blei ausgefüllten Rades und das Krachen der Glieder immer wieder als gegenwärtig vorstellen muß: erst den rechten Fuß und den linken Vorderarm, dann den linken Fuß und den rechten Vorderarm, dann den rechten Schenkel und den linken Oberarm, dann den linken Schenkel und den rechten Oberarm, und endlich, wenn sie's leidlich machen, den Gnadenstoß auf die Brust. Meinem Vater ist's aber nicht so gut[598] geworden: lebendig haben sie ihn aufs Rad geflochten, stundenlang ächzen und stöhnen lassen in der greulichen Marter, bis sie ihm endlich den Kopf abgeschnitten und auf den Pfahl gesteckt haben. Und dabei haben die Pfaffen immerfort in ihn hineingeschrien und ihm ihre Kreuze unter die Nase gestoßen. Das halt ich mir tagtäglich vor, damit mich kein dummes Mitleid übermannt –«

Ein entsetzlicher Schrei unterbrach ihn. Alle sprangen auf und sahen sich um. Es war Christine, die unruhig geschlafen und, von der rauhen Stimme Schwamenjackels erweckt, seine Worte noch halb gehört hatte. »Mein Herz!« rief sie, ihre Hände auf der Brust zusammendrückend, »mein Herz! Das ist ja zu gräßlich! Es bringt mich um.«

»Sei ruhig, Christine!« rief Friedrich, der selbst etwas bleich geworden war, und eilte zu ihr. Sie sah ihn wild an und erholte sich erst allmählich. »Es ist ja nur von vergangenen Dingen die Rede«, sprach er ihr zu. »Sieh, ich bin bei dir, und meine Freunde haben mir einen Pfarrer genannt, der uns trauen will. Sei munter, jetzt geht's endlich zur Hochzeit!«

»Hochzeit?« sagte sie, »ich hab gemeint, es sei – von etwas anderem die Rede. Hab ich denn so schrecklich träumt?«

Er wiederholte ihr, daß er gleich am nächsten Tage mit ihr zur Trauung wandern werde. Ihr Angesicht belebte und erheiterte sich nach und nach. »Ist's denn wirklich wahr?« sagte sie, »soll ich endlich einmal mit dir vor den Altar kommen?«

»Sieben Jahre so lang wird's jetzt sein, daß wir das[599] erstemal miteinander vor Kirchenkonvent gewesen sind – sieben Jahre hab ich mir's um dich sauer werden lassen müssen, wie der Erzvater Jakob um die Rahel, und jetzt ist's endlich gewonnen.«

»Gelt, und darüber bin ich zur Lea worden?« sagte sie, einen scheuen Blick um sich werfend. Sie starrte die Gesellschaft an, wie wenn sie sie noch nie gesehen hätte, und drängte ängstlich fort. Er erklärte sich bereit, mit ihr zu gehen.

»Wir wollen jetzt auch zur Ruhe«, versetzte die Alte.

»Der Hitzling ist hinab«, sagte ihr Sohn, gen Himmel deutend, »die Glanzer sind aufgegangen.«

»Und der Jaim ist geschwächt«, setzte Bettelmelcher hinzu, indem er das Fäßchen mit einem Fußtritt auf den Boden schleuderte.

Beim Abschied wurde der Gast in jenischer Sprache aufgefordert, sich bald wieder auf dieser Stelle einzufinden, wo er die Gesellschaft noch eine Zeitlang gelagert finden werde. Er gab sein Wort. Der Zigeuner bot ihm Kleider an, da ihre Garderobe reich versehen sei und er den kleinen Vorschuß bei Gelegenheit wieder erstatten könne. Er nahm das Anerbieten an und wurde alsbald mit einer vollständigen Kleidung versehen, die ihm für die Hochzeitsreise sehr zustatten kam. Christinen wurde nichts angeboten, und er scheute sich, etwas für sie anzusprechen. Bettelmelcher gab ihm noch genauere Anweisung über den Pfarrer, der ihn trauen sollte; er nannte ihm seinen Namen und beschrieb ihm seine Wohnung so genau, daß er nicht fehlen konnte.

Als das Paar sich miteinander entfernt hatte, blickte[600] sich die Bande eine Zeitlang stillschweigend an; dann sagte der scheele Christianus: »Er ist reif, und dir, Frau Schwester, gratulier ich zu der Eroberung. Laß du ihn zur Hochzeit und Kopulation gehen, er hält's bei dem Bauernmensch keine acht Tage mehr aus.«

»Woher weißt du denn, daß ich ihn will?« fragte seine jüngere Schwester.

Er lachte.

»Was er für einen großen Kopf hat!« sagte sie.

»Das Bild der Tatkraft!« rief er. »Verstelle dich nur nicht, ich hab in deine Augen gesehen und auch in die seinigen. Du mußt das Band werden, das ihn an uns fesselt.«

»Eine Messe laß ich lesen, wenn's gelingt und du wieder einmal versorgt bist«, sagte die Alte.

»Amen«, erwiderte ihr Sohn und bekreuzte sich andächtig.

»Die Altmutter hat recht«, bemerkte Bettelmelcher, »er hat etwas Solides in seinem Aussehen und könnte treffliche Geschäfte für uns machen.«

»Ich bin ihm nicht feind«, versetzte der Schwamenjackel, »und doch ist in seinem Gesicht etwas, das mir nicht ganz gefällt. Ich weiß nicht, was in dem Mütterlichen für ein Vorzug liegen soll. Was die Deutschen von ihren Müttern haben, das ist in der Regel eine butterherzige Dummheit, und ich will deshalb nur wünschen, die Altmutter möge diesmal fehlgeschossen haben. Habt ihr's nicht gesehen, wie er über der Beschreibung des Räderns erblaßt ist?«

»Ich kenne ihn«, erklärte der Zigeuner mit entschiedenem Tone. »Er steht am Graben und besinnt sich.[601] Wenn er nicht mehr rückwärts kann, so springt er und fragt nicht, wie breit oder wie tief. Aber aus den Augen dürfen wir ihn nicht mehr lassen. An seinem Mut ist nicht zu zweifeln, er hat Mut wie der Teufel; aber auch der Mut will geübt sein.«

»Und ein tüchtiges Probestück«, versetzte Bettelmelcher, »müssen wir ihm vorlegen, daß die Haar davon fliegen, wie er selber sagt. Ich weiß nicht mehr, welcher König es war, der über Meer in ein fremdes Land einfiel: als er gelandet hatte, verbrannte er seine Schiffe hinter sich, damit seinen Leuten das Heimweh verging.«

»Ja, auf diese Weise bringen wir ihn am besten aus der Gegend fort, dann wird er lustiger anbeißen.«

»Um den Preis will ich mich zu einer Ausnahme von meiner Regel verstehen«, sagte die Alte. »Hier herum werfen die Märkte ohnehin nicht so viel ab, daß ich Lust hätte, bald wiederzukommen und Sohn und Tochter zu riskieren, für die hier keine gesunde Luft ist.«

Während sie so miteinander redeten, führte der Gegenstand ihrer Gespräche Christinen nach dem Hofe, wo er ihr einen Aufenthalt verschafft hatte. Er wußte sie unterwegs notdürftig über die Gesellschaft, in der sie ihn getroffen, zu beruhigen, was ihm diesmal leichter gelang, wie die Aussicht, endlich sein rechtmäßiges Weib zu werden, in ihr alles andere überwog. Auch ihm gab dieser Gedanke neue Schwungkraft: er konnte endlich sein Wort halten, seinen Willen durchsetzen. Aber freilich, um welchen Preis!

Quelle:
Hermann Kurz: Der Sonnenwirt. Kirchheim / Teck 1980, S. 552-602.
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