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[602] Querfeldein über Berg und Tal schweifend, pilgerte gleich am nächsten Tage das schon so lange verbundene und immer noch nach dem Segen der Kirche dürstende Paar dem Kochertale zu, in dessen Umgebung ihm sein Wunsch erfüllt werden sollte. Wem man aber gesagt hätte, daß die beiden auf einem Brautgang begriffen seien, der würde sie verwundert angeschaut haben: der Hochzeiter war, wenn auch sein Gesicht von den Mühseligkeiten des Lebens zeugte, in der Blüte der Mannesjahre und schritt im blauen Rock, im rot-, blau- und grüngestreiften kalaminkenen Brusttuch (Weste), in den schwarzen Lederbeinkleidern, weißen Strümpfen und neuen Schuhen mit blanken, stählernen Schnallen gar stattlich einher, während aus der verschossenen, von Hause aus farblosen und ärmlichen Bauerntracht der Hochzeiterin ein verblühtes, müdes Gesicht hervorsah. Bald waren sie wieder auf dem Rückwege von Thüngenthal, denn so schreibt sich der Name des Ortes, den der eigensinnige Volksmund in Dinkeltheim verwandelt hat, gleichwie ihm umgekehrt die Residenz des deutschen Ordens, welche Mergentheim geschrieben wird, zu einem Mergenthal geworden ist. Am Abend des ersten Tages, da sie wieder in der Richtung nach der Rems wanderten, kehrten sie in einem Dorfwirtshause ein, um daselbst über Nacht zu bleiben. Sie waren die einzigen Gäste in der Wirtsstube, wo der Wirt ab- und zuging; im Kabinett saßen drei geistliche Herren, die miteinander tranken und redeten, ohne ihnen Aufmerksamkeit[603] zu schenken. Kaum hatten sie das Fleisch, das ihnen der Wirt vorgesetzt, gegessen, so trat ein anständiger Mann in einem braunen Anzug ein, desgleichen die Gerber trugen, grüßte sie freundlich, setzte sich an ihren Tisch und verlangte gleichfalls ein Nachtquartier. Christine erwiderte den Gruß gleichgültig; Friedrich aber, nachdem er ihn angesehen, mußte den Mund zum Lachen verziehen. Der andere gab ihm einen Wink, zu warten, bis der Wirt die Stube verlassen; dann fragte er lachend: »Nun, wie ist die Kopulation abgelaufen?«

Erst jetzt blickte ihn Christine näher an und erkannte mit Staunen einen der Männer aus dem Walde von Wäschenbeuren. Es war in der Tat Bettelmelcher.

»Ganz gut«, antwortete Friedrich, »aber sehr einfach. Es war eine Hauskopulation, die dein Pfaff in seiner Stube vorgenommen hat, er wird wohl wissen warum, und der ganze Akt bestand darin, daß er uns geheißen hat, wir sollen einander die Hände darauf geben, daß wir einander in Lieb und Leid nicht verlassen wollen.«

»Nun, ist das nicht genug?« versetzte Bettelmelcher mit gerührter Stimme und spitzbübischem Augenzwinkern.

»Dann hat er uns einen Kopulationsschein ausgestellt und hat ihn auf mein Verlangen noch um ein Jahr weiter zurückdatiert, so daß unsere Ehe jetzt schier für achtjährig gilt. Der tut alles, was man haben will. Deinen Gruß hab ich ihm ausgerichtet. Drauf hat er gelacht und gesagt: ›So ist der Spitzbub immer noch ungehenkt?‹«

Bettelmelcher lachte.[604]

»Aber du!« fuhr Friedrich fort, »das ist mir ein sauberer Pfarrer, den du mir rekommandiert hast, und mir kommen Bedenken, ob die Handlung und der Trauschein nur auch etwas wert sind. Wir haben zuerst nach dem Pfarrhaus gefragt, aber da sind wir schön angekommen.«

»Ich hab dir ja seine Wohnung angegeben«, unterbrach ihn Bettelmelcher, immer noch lachend.

»Ja freilich, dann hat sich's herausgestellt, daß er nicht der rechte Pfarrer ist, sondern ein abgedankter. Er hat mir selber erzählt, er hab nur ein klein's Späßle gemacht und sei deswegen gleich weggeschmissen worden. Nun möcht ich doch wissen, ob ein abgedankter Pfarrer auch noch kopulieren kann.«

»Willst du dich denn in Ebersbach häuslich niederlassen und dem Amt deinen Trauschein vorzeigen?« fragte Bettelmelcher spöttisch.

»Nein, das just nicht.«

»Nun, so gib dich zufrieden und sei froh, daß du's schwarz auf weiß hast. Das Papier kann dir unter Umständen viel nutzen, es kann dir statt eines Passes dienen, und wenn du dich mit deiner Frau einmal in einem fremden Lande irgendwo setzen willst, so kannst du dich damit legitimieren. Meinst du denn, man frage überall so genau darnach?«

»Ja, wenn's nur ein bißle etwas ist«, bemerkte Christine, die es als eine große Genugtuung empfand, endlich einmal urkundlich, wie auch die Urkunde beschaffen sein mochte, verheiratet zu sein.

Friedrich beruhigte sich. Sie zahlten ihre Zeche und gingen bald darauf zu Bette.[605]

Morgens fanden sie sich beim Frühstück wieder zusammen, wie Gäste, die sich zufällig in der gemeinsamen Herberge kennengelernt haben. Der hinzugekommene Genosse machte dem Ehepaar keine Schande: er sah jetzt beim Tageslicht in seinem braun- und blaumelierten Rocke sehr ehrbar und wohlhabend aus und benahm sich äußerst gesetzt. Man speiste eine Milchsuppe, zu welcher der Wirt silberne Löffel auflegte. Christine schien sich bei dieser vornehmen Bewirtung behaglich zu fühlen; sie trat ihrem Manne auf den Fuß und flüsterte ihm zu: »Das ist ein kostbarer Wirt!«

Beim Fortgehen schlug Bettelmelcher den entgegengesetzten Weg ein, gesellte sich aber bald auf der Straße wieder zu ihnen. »Nun muß man doch auch auf ein Hochzeitsgeschenk für die junge Frau mit dem achtjährigen Kopulationsschein denken«, sagte er lächelnd. »Was wär denn etwa nach ihrem Gusto?«

Christine lachte, nicht ungeschmeichelt, und erwiderte, man dürfe sich ihretwegen nicht in Unkosten stürzen. Als er aber freundlich in sie drang, zu sagen, ob sie in ihrem neuen Stande nicht irgend etwas wünsche, versetzte sie, weniger gegen ihn als ihren Mann gewendet: »E Bißle erquickt en Äderle; ich brauch nicht viel; wenn ich nur ein klein's Pfännle hätt, daß ich mir hier und da etwas Warm's machen könnt.«

»Das ist ein bescheidener Wunsch!« erwiderte Bettelmelcher lachend, »und doch muß man, wenn man sich auch nur bescheidentlich fortbringen will, die Augen offen haben und in viele Sättel gerecht sein.[606] Wer träumt und dröselt, kommt nicht weit. Mit silbernen Löffeln speisen, ist wohl angenehm, nicht wahr? Aber das kann jeder, dessen Eltern so gescheit gewesen sind, ihm eine gute Erbschaft zu hinterlassen. Wer keine so gescheiten Eltern gehabt hat, der muß selbst den Verstand brauchen. Ich möchte wohl wissen, ob die junge Frau in dem Wirtshaus da die Hälfte von dem bemerkt hat, was zu sehen und zu beobachten gewesen ist. So ein Wirt meint wunder, wie klug er seine Sachen einrichte, und vergißt alles drüber, wenn er drei Pfaffen im Kabinett sitzen hat.«

»Oh, ich hab auch meine Augen«, sagte Christine, die sich durch den Zweifel an ihrer Beobachtungsgabe verletzt fühlte; »ich habe wohl gesehen, wie der Wirt seine Löffel in ein Schublädle getan hat, nachdem sie ausbraucht gewesen sind, und wie er das Geld von uns und von den drei Herren in ein Glas in dem nämlichen Schublädle getan hat, hab auch gesehen, daß ein Goldstück in dem Glas gewesen ist.«

Bettelmelcher sah sie erstaunt mit einem gewissen Ausdruck von Achtung an. »Wahrhaftig, die Frau ist nicht so – träumerisch, wie sie aussieht«, sagte er, »sie kann noch brauchbar werden.« Er schlug bald nachher einen anderen Weg ein, um, wie er sagte, seinen Geschäften nachzugehen.

Das Paar setzte seine Wanderung bis in den Nachmittag fort, da stand ein alter Bettler mit weißem Bart und lang herabhängenden weißen Haaren am Wege und bat um ein Almosen. »Wir haben ja selber nichts!« fuhr ihn Christine verdrießlich an, während ihr Mann nach einer Kupfermünze suchte. »Wenn[607] das der Fall ist«, sagte der Bettler, »so soll mir's auf eine kleine Beisteuer nicht ankommen.« Mit diesen Worten zog er unter dem Wams eine kleine Pfanne hervor und überreichte sie ihr. »Sie ist zwar nicht mehr ganz neu«, sagte er, »aber ein Schelm gibt's besser, als er's hat.«

»Du Spitzbub!« rief Friedrich lachend, »diesmal hast du mich selbst getäuscht; ich hätte dich an keinem Zug erkannt, nicht einmal an deinen nichtsnutzigen Augen.«

Bettelmelcher stieß ein lustiges Gelächter aus und sprach dann eine Weile jenisch mit ihm, wobei Christine verwundert auf die fremden, seltsamen Ausdrücke hörte. Hierauf entfernte sich Bettelmelcher, und die beiden gingen weiter, bis sie ein einsames Wirtshaus am Saume eines Waldes erreichten, wo Friedrich etwas Essen und Trinken kommen ließ. Christine hatte sich schon mehrmals über Ermüdung beklagt. Nachdem er einige jenische Worte mit dem Wirt gewechselt, eröffnete er ihr, sie könne hier der Ruhe pflegen, er werde die Nacht über auf dem Anstande sein und sie den andern Morgen wieder abholen.

»Ach, Frieder!« sagte sie erschreckend, »du gehst auf kein' Hirsch aus. Ich seh's wohl, du bist nicht in den besten Händen, du hast dich mit dem Spitzbuben, dem Bettelmelcher, in etwas eingelassen.«

»Wenn ich dir sage, ich geh auf den Anstand, so hast du nichts weiter zu fragen«, entgegnete er streng. »Ich werd am besten wissen, was ich zu tun hab.«

»Mein Herz sagt mir, du hast nichts Gut's vor!«[608]

»Und wenn es auch so wär – hast du eine Glückshenne, die mir goldne Eier legt? Oder kannst du mir ein Haus oder Geschäft in Ebersbach kaufen? Glaubst du, der Wirt da, obwohl du sicher bei ihm aufgehoben bist, werde dich umsonst beherbergen? Halt mich nicht unnötig auf, ich kann die Zeit nicht mit Streiten verlieren. Bleib ruhig hier, bis ich wiederkomme.«

Er trank sein Glas aus und ging rasch fort.

»Frieder! Frieder!« rief sie, ihm auf die Straße nachlaufend.

Er blieb unwillig stehen.

»Frieder«, sagte sie ihm ins Ohr, »wenn du etwas tun willst, was dir Gott verzeihen mög, so tu doch wenigstens schwarze Strümpf an, deine weiße Strümpf machen dich sichtbar in der Nacht!«

Er lachte, hieß sie ohne Sorge sein und entfernte sich auf dem Wege, den sie hergekommen waren.

Den andern Vormittag erschien er versprochenermaßen wieder in dem Wirtshause, zahlte die Zeche und führte Christinen weiter. »Meine Freunde haben mir ein Hochzeitsgeschenk für dich verehrt«, sagte er unterwegs und überreichte ihr ein paar silberne Löffel nebst einem silbernen Besteck.

Sie besah die Löffel aufmerksam. »Die kenn ich!« rief sie, »das sind die Löffel, mit denen wir gestern früh die Milchsupp gessen haben. Du, für das Geschenk dank ich, das ist nicht auf richtige Art in deine Händ kommen. Oh, Frieder, du bist bei dem Wirt zu Heseltal einbrochen!«

»Ich hab ihm das Haus mit keinem Fuß betreten«, erwiderte er.[609]

»Dann haben's deine Kameraden getan«, sagte sie, »und die werden ihm die Löffel nicht abkauft haben.«

»Heb mir die Sachen auf«, entgegnete er mit einem Tone, der jede fernere Erörterung abschnitt. »Wenn du sie nicht willst, so gehören sie mir. Du meinst gleich, der Teufel hole dich darüber; wenn du in Ebersbach wärest, so sprängest du schon dem Amtmann zu.«

Sie nahm die Löffel und das Besteck in Verwahrung und sagte nichts mehr. Nachdem sie stillschweigend bis gegen Mittag gewandert waren, sah Christine einen Berg vor ihnen, auf dessen Gipfel eine Kirche stand, und nun fand sie sich wieder in bekannter Gegend. Es war der Rechberg. Friedrich wandte sich demselben zu und schlug den Weg nach der Höhe ein. Sie folgte ihrem Manne ohne zu fragen. Als sie den Gipfel erstiegen hatten, begaben sie sich in das der Kirche gegenüber gelegene Pfarrhaus, mit welchem von jeher zum Besten der frommen Wanderer eine Wirtschaft verbunden war. Beim Eintritt rief Christine überrascht: »Ei, da sind ja –« Er stieß sie in die Seite und bedeutete sie, zu schweigen. Um den runden Tisch am Fenster saßen drei Mitglieder der Gesellschaft vom Walde, Bettelmelcher, Schwamenjackel und die jüngere Zigeunerin, welche in aller Ruhe miteinander zehrten. Der Wanderer begrüßte sie, wie man Fremde grüßt, mit welchen man sich an einem einsamen Orte zusammengeführt sieht, und entschuldigte sein Weib, die sich von irgendeiner Ähnlichkeit habe hinreißen lassen, einen Augenblick Bekannte in ihnen zu sehen.[610] Sie nahmen die Entschuldigung mit gleichmütiger Höflichkeit auf, erwiderten, dergleichen Irrtümer kommen häufig vor, und boten den Ankommenden Platz an ihrem Tische an. Dann fragte man sich gegenseitig, woher und wohin, und tischte einander beliebige Auskunft darüber auf. Christine hörte sehr verdutzt auf diese Reden und konnte nicht begreifen, wie ihr Mann sich so schnell in das angenommene Betragen finden konnte. Nach und nach wurde man immer bekannter, indem der Wein die fremden Herzen gegeneinander aufzuschließen schien; und als die Gesellschaft zusammen aufbrach, um den zufällig gemeinsamen Weg miteinander fortzusetzen, hätte die Hauserin des Pfarrers, welche die Wirtschaft führte, darauf schwören können, daß hier Leute, die sich in ihrem Leben zum erstenmal gesehen, auf dem freundlichen Berge recht heiter und vertraulich miteinander geworden seien.

Sie nahmen ihren Weg über den schmalen Grat, der, einem Messerrücken ähnlich, vom Hohenrechberg nach dem Hohenstaufen führt. Friedrich und Christine waren die vordersten in der wandernden Gesellschaft. Er zankte sie tüchtig aus, daß sie in dem Pfarrhause so unvorsichtig herausgefahren sei, und gebot ihr, in Zukunft ihre Zunge besser zu hüten.

»Wie hab ich denn wissen können, daß ich die Leut gar nicht kennen darf!« maulte sie. »Da weiß man ja gar nicht mehr, wie man sich betragen soll.«

»So sei künftig ganz still und wart, bis man dich reden heißt!« sagte er zornig.

Sie verschluckte die Antwort, die sie im Unmute geben[611] wollte, und schritt immer stärker zu, während er sich mit verdrossenem Gleichmut im bisherigen Gange hielt. Auf diese Weise geriet sie, ohne sich umzusehen, ziemlich weit voraus. Als sie eine Strecke von ihm entfernt war, sah er sich von Bettelmelcher und Schwamenjackel eingeholt.

»Was?« rief Bettelmelcher, »ich will nicht hoffen, daß es gleich nach der Hochzeit zu Ehedissidien kommt.«

»Das ist sehr oft der Fall«, erwiderte er lachend, »wenn der Pfaff einmal die Garantie übernommen hat, so meinen die Leute gewöhnlich, sie brauchen für sich selbst nichts mehr dazu zu tun. Übrigens ist's bei uns nicht so gefährlich: ich hab meiner Frau bloß ein wenig Behutsamkeit im Weltleben eingeschärft, und jetzt scheint sie ihren Katechismus ungestört lernen zu wollen.«

»Das wird sehr gut sein«, versetzte Bettelmelcher. »Soll ich ihr nicht ein wenig dabei helfen?«

»Kann nichts schaden.«

»Dir fehlt's indessen nicht an Gesellschaft«, setzte jener hinzu, auf die herankommende Zigeunerin deutend, welche ganz allein die Nachhut bildete. Mit diesen Worten ging er rasch seines Weges, und Schwamenjackel folgte ihm, so daß Friedrich nur die Wahl hatte, auf seine schöne Freundin vom Walde, die den Fingerzeig gesehen hatte, zu warten, oder mit sichtbarer Geflissenheit ihre Gesellschaft zu meiden. Er fand keinen Grund, ihr diese Beleidigung zuzufügen, wohl aber hundert Gründe, das Gegenteil zu tun.

»Komm, Katharina«, sagte er, am Wege stehen bleibend.[612]

»Ich heiße nicht Katharina«, erwiderte sie. »Christina ist mein Name.«

»Du heißt also wie meine Frau?« rief er erstaunt. »Warum haben dir denn die Deinigen einen falschen Namen gegeben?«

»Um meiner Sicherheit willen«, antwortete sie. »Ich bin aller Länder, außer Frankreich, Sachsen und Ungarn, verbannt, hab überall Urfehde schwören müssen, und wenn ich mich betreten ließe, so ging mir's um den Hals.«

»Noch so jung und schon so viel erlebt!« sagte er.

»Von Kindesbeinen an bin ich in der Welt herumgehetzt und hab früh lernen müssen auf eigenen Füßen stehen, denn meine Mutter kann mir raten, aber nicht helfen, sie ist eben eine uralte Frau.«

»Wo ist sie jetzt?«

»Sie betet ein Pater und Ave Maria ums andere, damit unser nächstes Vorhaben gelingen möge.«

»Das kommt mir sonderbar vor«, bemerkte er. »So gut stehen wir Lutheraner nicht mit dem Himmel, daß wir so frei wären, ihm zuzumuten, er solle uns bei – solchen Dingen noch behilflich sein.«

»Warum denn nicht?« versetzte sie ruhig. »Deine honetten Spießbürger, die Ketzer wie die katholischen Christen, beten auch täglich zu Gott, daß er sie in ihrer Hantierung segnen möge, und was ist ihre Hantierung? Einander bestehlen, betrügen, unterdrücken, den guten Namen morden. Geh in den Landen umher und zähle die Leute, die im wahren Sinn des Wortes ehrlich sind und also allein zu beten berechtigt wären. Du wirst keine große Tafel zum Aufschreiben brauchen.«[613]

»Du hast recht«, erwiderte er.

Sie gingen einige Zeit stumm nebeneinander, während welcher er es nicht unterlassen konnte, wiederholt ihre Augen zu suchen.

»Du scheinst mir nicht recht aufgeräumt zu sein«, begann sie nach einer Weile. »Es gefällt dir nicht bei uns.«

»Was das betrifft«, erwiderte er mit einem mehr als freundschaftlichen Blicke, »so glaubst du wohl selbst nicht, was du sagst. Aber wahr ist's, es hat mich verdrossen, daß ich nur als Schmarotzer mitlaufen und außen Wache stehen soll, während die anderen die Gefahr auf sich nehmen. Das halbe Sündigen ist mir in Tod zuwider: entweder ganz oder gar nicht! Auch liegt ein Mißtrauen drin: ich merk's wohl, man will mich nur probieren.«

Sie lächelte freundlich und zutraulich mit einem Ausdruck von Achtung, den er tief empfand. »Du irrst dich«, versetzte sie. »Es hätte sich nicht geschickt dich stärker in Anspruch zu nehmen, wo es sich darum handelte, ein Geschenk für dich aufzutreiben. Auch hast du dich ja nur zu einem einzigen Unternehmen anheischig gemacht, brauchst also das von heute nacht nicht zu rechnen. Wenn du so ehrenhaft denkst, selbst Hand anlegen zu wollen, statt andere für dich arbeiten zu lassen, so soll's dir nicht lang an Gelegenheit fehlen.«

»Nur zu!« rief er, mit finsterer Entschlossenheit die Stirne faltend.

»Du scheinst mir aber doch nur mit halber Seele dabei zu sein«, setzte sie hinzu, »denn du sprichst von[614] sündigen und nimmst die Sache schrecklich ernsthaft. Ich merke wohl, an was du klebst. Tor! Die Menschen sind alle von einem Schlag, nur mit dem Unterschied, daß die einen den Galgen andiktieren und die anderen ihm davonlaufen. Wenn aber Stehlen todeswürdig ist, so gehört den einen so gut wie den anderen der Strang. Daß die Spitzbuben mit Haus und Hof über die heimatlosen Spitzbuben herfallen und ihnen von jeher nichts haben gönnen wollen, das ist eben eine ungerechte Verfolgung.«

Der überlegene Ton, der ihn von einem Manne abgestoßen haben würde, machte aus diesem Munde einen mächtigen Eindruck auf ihn. Er fühlte sich gedemütigt und angezogen zugleich.

»Wenn du aber der Sünde, wie du's heißt, ganz absagen willst«, fuhr sie lachend fort, »so kann ich dir in meiner eigenen Familie ein Musterbild von Tugend und Ehrbarkeit aufstellen. Lache nicht, es ist buchstäblich wahr. Ich habe noch eine zweite Schwester, die sich am Tode so vieler Verwandten ein Exempel genommen hat und sich mit ihrem Manne, einem Scherenschleifer, ehrlich und redlich fortbringt. Sie ist nicht besonders schön, dabei etwas schmierig und schlampig, wie es auch bei ihrer armseligen Lebensart nicht anders sein kann. Wir haben zwar keinen großen Geschmack aneinander, aber wenn du eine Empfehlung willst, um das Scherenschleifen zu lernen, so steh ich zu Diensten.«

»Es hat wohl eine Zeit gegeben«, sagte er, »wo mir dieses verachtete Handwerk gut genug gewesen wäre; aber jetzt bin ich freilich dazu verdorben. Du hast[615] keinen Begriff, von was ich mich losreißen muß. Du sagst selbst, du seiest von Kindesbeinen an hinausgestoßen gewesen und habest dich gegen die Welt wehren müssen. Aber denk dir einmal, du seiest der Sohn des vermöglichen Sonnenwirts in Ebersbach, der nicht zu rauben braucht, weil er Geld genug hat, und seiest von einer liebevollen, sorgsamen Mutter, die alle Tage zu dir sagt: ›Mein Kind, fliehe die Sünde!‹ zur Frömmigkeit und Rechtschaffenheit erzogen – dann wird's dir nicht so leicht werden, den Rock völlig zu wenden, und wenn du auch schon lang eingesehen hättest, daß Frömmigkeit und Rechtschaffenheit in dieser Welt nur Lug und Trug sind. Ihr unterscheidet ja selbst zwischen den Deutschen und den – anderen.«

»Ich bin auch zur Hälfte deutsch«, erwiderte sie. »Mein Vater Schettinger, den die deutschen Mordhunde vor zwanzig Jahren in Weingarten umgebracht haben, ist so gut ein Deutscher gewesen wie sie und wie du.«

»Nun, vielleicht ist's auch eine Zeitlang nachgegangen«, versetzte er.

»Du kennst deine eigenen Landsleute nicht«, sagte sie. »Komm, ich will dir sie zeigen. Wir haben noch Zeit genug, zu den anderen zu stoßen.«

Sie winkte ihm und flog zur Linken den Berg hinunter. Er eilte ihr nach. Als sie im raschen Laufe unten angekommen waren, sagte sie, weiter eilend: »Du mußt dir's aber gefallen lassen, daß ich dich für meinen Mann ausgebe, sonst findest du da, wo ich dich hinführe, keinen Kredit.«

»Das will ich gern annehmen!« rief er lustig, ihr[616] nacheilend. »Du und keine andere müßtest mein Weib sein, wenn ich nicht schon eins hätte. Aber flieg nicht so, damit ich mein Recht auch ausüben kann.«

»Laß das!« sagte sie, da er den Arm um sie zu schlingen suchte, »dazu ist jetzt keine Zeit. Den Arm kannst du mir geben, so, damit wir wie ein Ehepaar aussehen. Verheiratete Leute sind bekanntlich nicht so zärtlich miteinander, du scheinst mir das bereits aus eigener Erfahrung zu wissen.«

Nachdem sie eine Strecke im Walde zugeschritten, erreichten sie einen der vielen dort hin und her zerstreuten Höfe. Derselbe war ihm nicht unbekannt, denn er hatte ihm bei seinem Wilderersberufe mehr als einmal günstige Aufnahme gewährt. Wie erstaunte er aber über die Freudenbezeugungen, mit welchen seine Begleiterin von der ganzen Familie aufgenommen wurde! Wie horchte er hoch auf, als er hier, weit unverblümter, denn in ihrem eigenen Kreise, von dem Gewerbe seiner neuen Freunde reden hörte! Die Leute drückten ihre Freude aus, seine Begleiterin wieder verheiratet zu sehen, und bestürmten sie mit Fragen, ob ihr neuer Mann auch so viel Geschick zeige als der vorige. Sie prangte mit ihm und seinen Taten und bezeigte sich so glücklich in seinem Besitz, daß ihm das Herz flammte, während zugleich die letzten Reste bürgerlicher Ehrbarkeit sich in ihm empörten, ohne in dem verwandten bürgerlichen Kreise, der ihn umgab, eine gleichartige Stimme zu finden. Im Gegenteil sah er bald ein, daß er, was er früher nie geahnt, hier erst in die rechte Gaunergegend gekommen sei, denn die Frau des Hauses zählte ihm geläufig eine[617] Menge berüchtigter Namen her, die zu verschiedenen Zeiten das Jahr über in dieser von vielen Herrschaften und Kondominaten zerschnittenen Landschaft ihre Heimat fanden. Solange er ein bloßer Wilddieb gewesen, hatte er hier kein Vertrauen gefunden; jetzt erst sprach sich der Haß gegen die Obrigkeit und gegen die von Glück und Gunst getragene Minderzahl der Mitbürger offen vor ihm aus, und seiner unbelehrten Seele drängte sich mehr oder minder klar die Wahrnehmung auf, daß das Volk so weit gekommen sei, den Druck der Herrschaften und der höheren Bürgerklassen durch Raub, Diebstahl und Diebeshehlerei zu bekämpfen! Das angebliche Ehepaar verließ den Hof, ungestüm von den Leuten aufgefordert, ihnen auch wieder einmal für billiges Essen und billige Kleidung zu sorgen.

»Nun?« fragte sie auf dem Rückwege.

»Es ist mir, als ob neben der Welt, die ich bisher gekannt habe, noch eine andere Welt herginge und als ob diese Welt die wahre wäre«, antwortete er.

»Du kannst in dem Tal da«, erwiderte sie, »von Hof zu Hof, von Ort zu Ort hinuntergehen, du triffst vertraute Leute genug, lauter Deutsche und keine Vagabunden, lauter seßhafte Leute.«

Er sprach lange kein Wort. Was er gehört und gesehen, hatte sich ihm offenbar tief eingeprägt, und sie hütete sich wohl, die stille Arbeit dieses Eindrucks zu stören.

»Du hast also schon einen Mann gehabt?« fragte er nach einem langen Stillschweigen.

»Ich hab ihm den Laufpaß gegeben«, antwortete sie,[618] »weil's ihm an Kopf und Herz gefehlt hat; nachher hat er sich in ungeschickte Diebereien eingelassen, die ihn an den Galgen gebracht haben. Wenn mir je wieder einer gefiele, so würd ich ihn vor einem solchen Schicksal zu bewahren wissen.«

Er schwieg. Die Entdeckung, daß sie Witwe sei, war ihm nicht sehr nach seinem Sinn, und doch mußte er sich gestehen, daß dieses Weib durch Schönheit und Geisteskraft einen mächtigen Zauber auf ihn auszuüben beginne.

»So, jetzt bist du aus dem Ehejoch entlassen!« sagte sie, als sie den Fuß des Berges wieder erreicht hatten, und flog lachend hinan, da sie sah, daß er sich Mühe gab, sie einzuholen.

»Mir ist's nicht so eilig mit der Scheidung!« rief er hinter ihr drein und gab sich alle Mühe, an ihre Seite zu kommen, aber sie war immer einige Schritte voraus.

»Und mir pressiert's nicht mit dem Heiraten!« rief sie, als sie die Höhe erreicht hatte, lustig gegen ihn hinab, und ihre Stimme spielte dabei so leicht und ruhig, als ob die Anstrengung ihren Atem gar nicht bewegt hätte; aber ein sprühender Blick aus ihren schwarzbraunen Augen strafte ihre Worte Lügen.

Mit einem heftigen Ansatz hatte er die letzte Höhe vollends erstiegen und wurde dort von einem derben Gelächter männlicher Stimmen empfangen. Bettelmelcher und Schwamenjackel lagen auf dem Boden und erwachten soeben aus einem Schlafe, den sie sich zur Erholung von der überstandenen Nachtwache gegönnt hatten.[619]

»Es scheint, Freund Schwan hat eine neue Hochzeitsreise gemacht!« rief Bettelmelcher.

»Und gleichfalls mit einer Christine«, antwortete er lachend, »aber mit einer schwarzen.«

»So, sie hat dir ihren Namen gestanden?« rief Schwamenjackel. »Da muß es mit der Vertraulichkeit schon ziemlich weit gekommen sein.«

»In der Tat«, sagte die Zigeunerin Christine, »wir sind Mann und Weib miteinander gewesen, aber nur vor den Leuten.«

»Wo ist denn mein Weib«, fragte Schwan.

»Auf und davon!« antwortete Bettelmelcher. »Der Eifersuchtsteufel hat sie ergriffen. Obgleich ich mein Äußerstes aufgeboten habe, sie zu unterhalten, hat sie sich doch nicht fesseln lassen. Sie hat mir nicht einmal bekannt, wo sie zu finden sei. Ich geh dahin, wo ich herkommen bin, hat sie gesagt, und weg war sie. Vermutlich denkt sie, du werdest wissen, wo du sie suchen müssest.«

»Dummes Zeug!« sagte er ärgerlich.

»Neuigkeiten!« rief eine bekannte Stimme von weitem, und der scheele Christianus kam, den anderen wohl nicht unerwartet, von der entgegengesetzten Seite herbeigeeilt. »Es hat eine Soldatenmeuterei gegeben im Lager bei Geislingen, der Herzog von Württemberg ist heut früh selbst hinaufgefahren und hat achtzehn erschießen lassen.«

»Eine Meuterei!« rief der Bürgerssohn von Ebersbach, »das ist ja was Unerhörtes im württembergischen Militär.«

»Du hast eben in den letzten Wochen nicht viel erfahren,[620] was im Land vorgeht«, sagte der Zigeuner. »Es ist ja schon neulich ein Aufruhr in der Kaserne zu Stuttgart ausgebrochen und mit Mühe gedämpft worden.«

»Was Teufels!«

»Dein Herzog«, sagte die Zigeunerin, »hat seine Soldaten an die Krone Frankreich verkauft, gegen den König von Preußen, und nun wollen sie nicht ziehen.«

»Ja«, setzte ihr Bruder hinzu, »man ist den Leuten nachts in die Häuser eingebrochen und hat sie aus dem Bett gerissen, um die Regimenter vollzumachen, aber in Stuttgart sind sie alle wieder auseinandergelaufen. Darauf hat ein General, ich weiß nicht, wie er heißt, einen Generalpardon ausgeschrieben, und auf diesen haben sich eine Menge Ausreißer gestellt; aber der Herzog ist auf die Nachricht aus dem Feld zurückgeeilt, hat den Pardon nicht gehalten und viele von ihnen henken lassen. Jetzt ist der Teufel bei Geislingen wieder losgegangen, und da hat er heut vor den Toren anderthalb Dutzend erschießen lassen. Es ist ein Schrei der Wut im Lande.«

»So hält man Wort! So geht man mit den Leuten um!« rief Schwamenjackel.

»Das geschieht in deinem gepriesenen Württemberg«, sagte seine Führerin.

»Und uns heißt man Spitzbuben!« setzte Bettelmelcher hinzu.

»Ich besorge nur, die Gegend könnte für uns unsicher werden«, bemerkte Christianus. »Gewiß haben sich viele Deserteurs in die Waldungen da herum geworfen,[621] und nach diesen wird jetzt vom Militär gestreift werden.«

»Ich glaube nicht, daß uns das in Verlegenheit bringen wird«, versetzte Christine. »Der Herzog muß eilen, sein Volk außer Lands zu bringen, denn wenn er mit ihnen liegen bleibt, so laufen sie ihm wie Quecksilber davon. Auf alle Fälle ist es aber gut, wenn wir auch nicht lange mehr dableiben; es sind ohnehin bloß noch ein paar Tage bis zum Schorndorfer Markt!«

»Also nur nichts aufgeschoben!« sagte der Zigeuner.

»Ja, ich möchte gleich über das nächste Nest da herfallen und ihnen die Hundeseelen austreiben!« rief Schwamenjackel, seinen kurzen dicken Stock gegen das an dem Bergkegel vor ihnen liegende Dorf schwingend.

»Das laß du bleiben!« lachte Bettelmelcher. »Das ist das Dorf Hohenstaufen, wo sie seit alter Zeit große Freiheiten haben und wie Männer zusammenstehen. Wenn du einen angreifst, so hast du gleich den ganzen Schwarm auf dem Hals. Das ist in den edelmännischen Ortschaften anders: dort wohnt meist Bettelvolk, das sich die Haut voll lacht, wenn einem vermöglichen Nachbar ein Malheur passiert.«

»In den alten Schlössern mag man doch sicherer gewohnt haben«, bemerkte der Zigeuner, nachdenklich auf die Steintrümmer blickend, die den naheliegenden Gipfel des Berges bedeckten und die Abendsonne durch ihre Risse und Lücken scheinen ließen. »Das mag wohl auch schon lang her sein. Wer hat wohl vorzeiten hier gehauset?«[622]

Diese Frage war jedoch selbst dem gelehrten Bettelmelcher zu hoch. »Ich weiß es nicht«, sagte er, »vermutlich Räuber, die, wie es in den alten Zeiten Mode war, von ihrem Berg ins Tal hinunterspähten und die vorbeiziehenden Kaufleute überfielen.«

»Blitz! das war kein übles Geschäft!« rief Schwamenjackel: »da kann man auf einen Zug einen guten Fang tun. Möcht wohl auch einmal dabei sein.«

»Gelt, wenn die reichen Augsburger und Ulmer auf die Frankfurter Messe ziehen?« fragte Bettelmelcher.

»Oho!« lachte der Ebersbacher Bürgerssohn. »Da laß dir nur die Lust vergehen. Ich hab's oft mit angesehen, wie die mit ihrem Geleite das Filstal herunterziehen. Von Ulm werden sie an Württemberg überliefert und von einer stattlichen wohlbewaffneten Mannschaft in die Mitte genommen. Da könntest du dir die Zähne ausbeißen.«

»Ja, ja, so ist es immer!« bemerkte der Zigeuner. »Den großen Dieben ist nicht beizukommen.«

»Es gibt auch mittlere«, versetzte Bettelmelcher. »Komm«, sagte er, den neuen Freund bei der Hand nehmend, und führte ihn auf die andere Seite des Berges. Die übrigen folgten und sammelten sich um sie. »Du siehst das Dorf da drunten, links über Wäschenbeuren hinaus?«

»Wohl, das ist Börtlingen.«

»Dort«, fuhr Bettelmelcher fort, »wohnt ein Schultheiß, den du in dein Gebet einschließest, sooft du über die Falschheit der Welt fluchst. Er ist ein Heuchler, ein Kopfhänger, ein Wucherer, und das ist die beste Seite an ihm, denn er hat brav Geld. Von seiner[623] Lieblosigkeit gegen seine Nebenmenschen kann ich selbst Zeugnis ablegen, denn ich hab einmal bei ihm gebettelt, was die beste Gelegenheit zum Auskundschaften ist, und bin von ihm mit dem Bescheid weggewiesen worden, ich sei ein fauler Tagdieb, solle sehen, daß ich was zu arbeiten bekomme. Bist du dabei, wenn wir ihm heut nacht einen Besuch machen?«

»Ich halte mein Wort«, erklärte Friedrich mit entschiedenem Ton, die Stirn zusammenziehend.

»Das Haus steht in den Gärten, es sind nur drei Personen drin, er, seine Frau und seine Magd. Wenn man alert drauf losgeht, so ist wohl beizukommen. An Händen fehlt es nicht, für den Fall, daß im Dorf Lärm entstehen sollte. Wir sind unsrer sieben Genossen, und einige Vornehme darunter, die du noch nicht kennst. Ich darf dir nur einen verraten, das ist der Amtmann von Adelberg –«

»Was?« rief der Angeworbene lustig lachend. »Den Börtlingern bricht ihr eigener Amtmann ein? Das geht ja noch über den Pfarrer von Dinkeltheim. Geh, es wird auch wieder ein abgedankter sein.«

»Es ist der abgekommene Amtmann Hallwachs von Adelberg, den man wegen eines Rests oder so was abgesetzt hat. Du wirst ihn mit eigenen Augen sehen.«

»Gleichviel, ich hab's einmal versprochen und bin dabei, wenn auch der Amtmann von Ebersbach selber dazu käme.«

»Um zehn Uhr heut nacht wollen wir im Walde beim Wäschenschlößchen zusammenkommen und von dort den Zug antreten«, sagte Bettelmelcher zu den anderen. »Ist's euch recht?«[624]

Alle drei riefen: Ja! Der scheele Christianus zog den Hut über das blinde Auge herab und machte sich zum Aufbruch fertig. »Ich will vorher noch ein wenig schlafen«, sagte er. Bettelmelcher und Schwamenjackel sprachen die gleiche Absicht aus und redeten ihrem dritten Genossen zu, der Ruhe mit ihnen zu pflegen. Dieser aber erwiderte, er habe noch einen Gang zu tun.

»Denk doch dran, daß du die ganze Nacht aufgewesen bist«, sagte die schwarze Christine zu ihm. »Gönn dir doch ein wenig Schlaf.«

Bettelmelcher witzelte über diesen Zuspruch.

»Oh, ich weiß wohl, wo er hingeht!« rief sie.

»Die Liebe brennt heiß«, sagte Bettelmelcher, »aber das Feuer der Eifersucht ist noch weit größer.«

»Ich eifersüchtig?« rief sie und war mit einem Sprung verschwunden. Man hörte sie den Berg hinunter lachen.

»Um zehn Uhr stoß ich zu euch«, sagte er zu den drei Männern, welche hierauf gleichfalls den Berg hinabstiegen.

Er wählte einen Fußweg, der, ohne das unter dem Gipfel liegende Dorf zu berühren, am Hohenstaufen hinführte und nach dem Walde hinablief. Unterwegs mußte er von Zeit zu Zeit unwillkürlich stehenbleiben und nach dem Orte hinblicken, der diese Nacht der Schauplatz einer Tat sein sollte, welche sich, das fühlte er wohl, von allen seinen bisherigen Übertretungen stark unterschied. Das bedrohte Dorf lag, von Obstbäumen umgeben, wie im Schoße des Friedens zwischen waldigen Anhöhen, und der Rauch aus den[625] Schornsteinen stieg nach dem blauen Abendhimmel empor. Es war ein Bild vertrauensvoller Ruhe, die nicht ahnte, daß ein Ungewitter der grausamsten Art, von Menschen gegen Menschen entladen, im Anzuge war.

Er eilte am Berge hinab, durchmaß rasch den Wald und befand sich mit Anbruch der Nacht auf dem Hofe, wo er die blonde Christine, jetzt nicht mehr die einzige Christine, wußte. An dem langen Wege, den er heute ohne der Rast zu bedürfen, gemacht, konnte er am besten die innere Unruhe ermessen, die ihn trieb.

Man war eben im Begriff, zu Bett zu gehen, als er eintrat. Christine war da, wie er vorausgesetzt hatte. Er zahlte das schuldige Kostgeld, welches mit freundlichen Augen angenommen wurde. Die Gegenwart der Familie ließ keine vertrauliche Unterredung aufkommen. Christine war heiter, aber ihre Laune schien ihmerzwungen zu sein.

»Komm mit mir«, sagte er, »ich bin da, um dich zuholen.«

Sie entschuldigte sich mit Müdigkeit.

»Dann muß ich allein wieder fort«, entgegnete er.

»Gehst zu deiner Zigeunerin?« fragte sie.

»Versteht sich«, antwortete er.

»Bist ein Kerle wie ein Pfund Lumpen!« rief sie in ihrer volkstümlichen Scherzweise und bemühte sich zu lachen.

Die Frau vom Hofe ging gleichfalls in diesen Ton ein und neckte sie, daß sie als neuverheiratete Frau schon mit ihrem Manne eifere.[626]

»Wenn's so steht«, sagte er endlich, »so muß ich mich deiner doch versichern.« Unversehens hatte er ihre Mütze, Halstuch und Schürze weggenommen, die sie neben sich auf die Bank gelegt. Sie schrie und griff danach, aber er war schon entsprungen. »Gute Nacht!« rief er unter der Türe: »wenn du deine Sachen wieder willst, so weißt du, wo du sie finden kannst und mich dazu.«

Quelle:
Hermann Kurz: Der Sonnenwirt. Kirchheim / Teck 1980, S. 602-627.
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