21

[311] Von der ›Sonne‹ war aller Friede und alle Freude gewichen. Beinahe täglich gab es zwischen Vater und Sohn stachlige Reden, Wortwechsel, Geschrei und heftige Auftritte, und wenn Handlungen vermieden wurden, die das letzte Band der Liebe in einer Familie zerreißen, so kam dies bloß daher, daß der Sonnenwirt die entschiedene Erklärung seines Sohnes, ein herabwürdigendes Schimpfwort gegen Christinen werde ihn zu den äußersten Schritten treiben, sich zu Herzen genommen hatte. Auch würde er der Achtung, welche der Mann dem Manne durch[311] unbeugsames Beharren auf seinem Willen und seiner Wahl einflößt, schwerlich in die Länge widerstanden und vielleicht würde mit der Zeit seine mürrische Einsprache die Eigenschaft einer jener unangenehmen Gewohnheiten angenommen haben, die man auszurotten oder wenigstens unschädlich zu machen vermag. Gibt es ja doch Eltern, die noch immer über die Heirat eines Kindes brummen, während sie schon die Enkel auf den Armen tragen. Aber die Sonnenwirtin war mit Aufbietung aller ihrer Mittel bemüht, die mildernde Kraft der Zeit und der vollendeten Tatsache zu bekämpfen und keine gelindere Wendung des Zwiespaltes aufkommen zu lassen. Man konnte darüber streiten, ob ihre Stelle – denn sie galt in ihrer Umgebung für eine vorzügliche Wirtin – von Christinen jemals würdig ausgefüllt werden könne, ein Zweifel, der sie wenig kümmerte, außer insofern sie ihn als ein Mittel gegen diese Heirat brauchen konnte; was jedoch für sie als unzweifelhaft feststand, war die Gewißheit, daß sie sich mit dieser Schwiegertochter nimmermehr vertragen würde. Sie war in ihrer Verfolgung gegen sie zu weit und zu offenkundig vorgegangen, als daß sie, nach ihrer Sinnesart, eine Versöhnung je für möglich halten konnte. Nach menschlicher Berechnung mußte sie dereinst ihren Mann geraume Zeit überleben, und wenn sie jetzt diese Heirat seines Sohnes gütlich oder durch Ertrotzung zustande kommen ließ, so glaubte sie, da der Sonnenwirt dann nicht leicht zur Abfassung eines seinem Sohne feindseligen Testamentes zu[312] bringen war, voraussehen zu müssen, daß ihr nach seinem Tod das Schicksal bevorstehen würde, von dem jungen Paare aus dem Hause getrieben oder, was noch schlimmer, im Hause mit Füßen getreten zu werden. Friedrich konnte ihr vielleicht vergeben, Christine aber nie; diese Überzeugung mußte sie deshalb hegen, weil sie sich sagte, daß sie an Christinens Stelle ebenso handeln würde. So trieb sie denn täglich den Keil tiefer, um das Band zu sprengen oder gar die Enterbung des Stiefsohnes durchzusetzen. Sie ging oft ins Pfarrhaus und Amthaus, um dort die herrschende Ungunst zu schüren und dann ihrem für Eindrücke von oben empfänglichen Manne wieder zu berichten, was man daselbst über die ungleiche Partie spreche; auch war sie nicht sparsam, ihm Drohungen und Schmähungen, die sein Sohn ausgestoßen, anmaßende und verletzende Reden, die Christine geführt haben sollte, zuzutragen. Hierbei war ihr der Fischer, der sie fleißig mit der faulen Ware seiner Berichte versorgte, von großem Nutzen, und er selbst zog aus dem Familienzerwürfnis nicht geringen Gewinn.

Da die Sonnenwirtin sowohl ihren Mann als seinen Sohn sehr genau kannte, so wußte sie auch bessere Regungen, die eine endliche Ausgleichung des Zwistes hätten herbeiführen können, zu ihren Zwecken auszubeuten. So war es ihr gar nicht unwillkommen, als ihr Mann eines Tages zu ihr sagte: »Es ist mir doch nicht lieb, daß er mich drum ansieht, als ob ich ihm sein Mütterlich's vorenthalten wollt. Wenn der dumm Bub absolut in sein Unglück rennen will,[313] so weiß ich am End nicht, ob ich ihn halten soll. Es ist mir nur um die ›Sonne‹ Ich hab mich eben in Gedanken ganz drein hineingelebt, daß er einmal eine Posthalterserbin heiratet und die ›Sonne‹ vollends recht in Flor bringt.«

»Sie werden sich um ihn reißen«, bemerkte sie, »er ist ein guter Brocken, verschreit wie er ist.«

»Ach was!« entgegnete er, »das wär bald vergessen, wenn er nur einmal nicht mehr so üherzwerch wär. Aber ich geb allmählich die Hoffnung auf, daß er wird wie ein anderer Mensch. Er hat eben gar keine Ehr im Leib. So einem Lumpenmensch zulieb auf sein Eigentum verzichten wollen und eine Zukunft in die Schanz schlagen, um die ein anderer tausend Stunden weit auf'm Kopf lief – ich kann's nicht begreifen. Aber wenn er mit Gewalt vom Herren zum Knecht werden will, so kann ich ihn nicht anders machen. Des Menschen Will ist sein Himmelreich.«

»Ja«, sagte sie, »man kann freilich am End nicht wissen, was unser Herrgott mit ihm vorhat. Was einmal Gottes Will ist, da kann man nicht wider den Stachel lecken. Und wenn er nun einmal durchaus drauf versessen ist, sich mit seinem Mütterlichen abfinden zu lassen, wie er sagt, und dir und andern als Knecht zu dienen, unter der Bedingung, daß du ihm seine herzige Hirschkuh gibst, so wär grad jetzt eine gute Gelegenheit vorhanden, wo man sie miteinander hineinsetzen könnt. Du weißt ja, des Küblers Häusle will kein Mensch, und sein Weib sitzt im Elend da und tät's schier umsonst hergeben.«[314]

»Ja, die hat auch nicht geruht, bis sie ihn unter dem Boden gehabt hat, und jetzt hat sie das Nachsehen. Das Häusle, ja, das wär freilich billig zu haben, sie wird noch lang vergeblich auf einen Käufer warten, und das Wasser geht ihr an den Hals. Aber meinst du, er werd keinen Abscheu davor haben? Das Haus ist doch arg verschrien, neben dem, daß es klein und schlecht ist.«

»Was, der? Das ist ja ein Aufgeklärter. Der macht sich nichts draus, und wenn der Teufel selber drin gehauset hätt.«

Friedrich schien auch anfangs mit dem Vorschlage nicht unzufrieden zu sein, als er, wie dies in solchen Fällen häufig geschieht, aus dem Munde der Nachbarsleute erfuhr, mit welchem Gedanken sein Vater umgehe. Aber eine Unterredung mit Christinen änderte seinen Sinn.

»So!« rief sie, als er ihr den Plan mitgeteilt, »ich soll in ein Haus ziehen, wo sich einer den Hals abgeschnitten hat und als Geist laufen muß!«

»Dummes Geschwätz!« erwiderte er, »der Küblerfritz schläft ruhig im Kirnberg draußen und ist froh, daß er vor seiner bösen Ripp Ruh hat. Der lauft nimmer.«

»Das mag sein, wie's will, aber mir graust's davor. Und das Haus ist eben einmal unehrlich. Was meinst, was die Leut sagen werden, wenn wir drin wohnen? Da wird's heißen: die beiden hat man hineingesetzt, weil das Haus für jedermann sonst zu schlecht gewesen ist und weil man glaubt, daß es mit ihnen ein gleiches End nehmen wird.«[315]

»Du hast den rechten Zipfel erwischt«, sagte Friedrich. »Jetzt seh ich auf einmal in die Sach hinein. Das ist ein giftiger Gedank von der Frau Stiefmutter, und der ganz Vorschlag soll gar nichts als ein Pasquill auf mich sein.«

Seit diesem Augenblicke sprach Friedrich von dem Gegenstande ganz anders. Die wilden Reden, die er gegen die Nachbarn, wenn sie denselben berührten, fallen ließ, wurden seinem Vater alsbald wieder hinterbracht, und die Stiefmutter sorgte dafür, daß sie eher gemehrt als gemindert wurden. Hieraus erfolgten neue Auftritte zwischen Vater und Sohn, die sich um so bitterer entluden, da die Verachtung, die der letztere gegen den Urheber seiner Tage hegte, seit er ihn auf der Zumutung betreten hatte, sein Mädchen mit ihrem Kinde im Stich zu lassen, durch den seinem Gefühl nach in herabwürdigender Absicht gemachten Vorschlag, das Haus des Selbstmörders zu beziehen, noch geschärft worden war. Auch wurde er in seiner Auffassung dieser elterlichen Absicht durch die öffentliche Meinung im Flecken bestärkt, obgleich dieselbe, nach der Weise einer unter jahrhundertlangem Drucke lebenden Bevölkerung, sich nur heimlich zu seinen Gunsten aussprach. Einer um den andern ließ sich verlauten: »Es ist doch nicht recht vom Sonnenwirt, daß er seinen eigenen Sohn in die Hütte des Halsabschneiders setzen will, aber ich will nichts gesagt haben.« Gleichwohl war ein halbes Dutzend von denen, die so gesprochen hatten, nachher gleich bei der Hand, um über die unbesonnenen Reden des Jähzorns, die[316] er bei solchen Anlässen ausgestoßen, Zeugnis gegen ihn abzulegen.

Es war wieder einmal Kirchenkonventssitzung, und die Mitglieder, die etwa insgeheim Freude am Skandal hatten, konnten diesmal ihre Lust wirklich büßen. Vor dem Konvent standen der Sonnenwirt als Kläger und sein Sohn als Beklagter. So weit hatte es die Stiefmutter durch ihre Verhetzungen gebracht. Beide wurden konfrontiert. Der Pfarrer als Vorsitzender des Gerichts hielt dem Sohn in Beisein des Vaters vor: »Sein Vater klagt wider Ihn, daß, nachdem er, wiewohl ungern, sich erklärt, daß er Ihm die Christina Müllerin, mit der Er sich vergangen habe, lassen wolle, und vermeint, er könne bei Ihm dadurch etwas Gutes zuweg bringen, so sei Er nur immer ärger, brauche gegen ihn die allerschnödesten und schimpflichsten Reden, stoße allerhand gefährliche Drohworte gegen ihn, Seinen Vater, wie auch gegen Seine Mutter und andere Leute aus, also daß er niemals in seinem eigenen Haus sicher sei.«

»Kann mein Vater sagen, daß ich mich an ihm vergriffen habe?« wendete Friedrich ein.

»Schweig Er still«, befahl der Pfarrer, »ich werde die Punkte der Ordnung nach vornehmen.« Er kramte, durch die Einrede etwas aus dem Konzept gebracht, eine Weile in seinen Notizen und fuhr dann fort: »Pro primo, so sagt Sein Vater, Er habe Geld von ihm gefordert, und da er Ihm gesagt, Er habe ja erst ein Jahrmarktstrinkgeld von ihm bekommen, sechzehn Batzen, warum Er es vertrunken? So habe Er gesagt, Er habe recht getan, und[317] wenn Er ein größeres Trinkgeld bekommen hätte, so hätte Er's auch vertan. Ist dem so?«

»Ich muß mich wundern«, sagte Friedrich, »daß mein Vater so elende Händel vor Kirchenkonvent bringt. Er weiß wohl, daß ich mehr Geld von ihm verlangt hab und nicht zum Trinken; statt dessen hat er mich mit einem Trinkgeld abfinden wollen, und dem hab ich dann mit guten Freunden sein Recht angetan und hätt's mit einem größeren auch so gemacht, weil mich ein Lumpengeld nichts geholfen hätt.«

»So sagen alle Verschwender«, bemerkte der Vormund halblaut.

»Item«, fuhr der Pfarrer fort, »wie Er erfahren hat, Sein Vater wolle Ihm des Kühlers Häusle kaufen, habe Er gesagt, der Donner solle ihn erschlagen, wenn er's Ihm kaufe, so zünde Er es an, sollten auch der Nachharn Häuser mit verbrennen, und wenn Sein Vater Ihm nicht dazu helfe, daß Er das Weib bekomme, so wolle Er noch einen größeren Tuck tun. Das gibt nicht bloß Sein Vater an, sondern ich kann Ihm eine stattliche Reihe von Zeugen stellen, die ich habe kommen lassen und die mir solches bezeuget haben.«

»Es sind vermutlich die nämlichen, die mich aufgesteifet haben, ich soll mir's nicht gefallen lassen«, antwortete Friedrich. »Was ich im Zorn gesagt hab, weiß ich nicht mehr. Die Reden, die der Mensch im Zorn führt, muß man nicht auflesen, sondern liegen lassen, dann sind's Funken, die schnell wieder auslöschen. Man hat mich schon viel böse Reden führen[318] lassen. Schon damals, wie ich als ein junger Bub vom Gaul heruntergeschossen worden bin, hat man zur Entschuldigung nachher gesagt, ich hab dem Flecken mit Mord und Brand gedroht, und letzten Winter ist wieder so ein Geschrei gangen, und ist beidemal kein wahr's Wort dran gewesen. Dasmal wird's vielleicht auch nicht viel besser sein. Sollt ich aber je im Weindampf von den sechzehn Batzen, die mir mein Vater hier vor Konvent vorrechnet, ein solches Wort haben ausgehen lassen, so ist's von da bis zur Tat noch ein weiter Weg. Mein Vater hat mir des Küblers Häusle noch nicht kauft, und ich hab's noch nicht anzünd't. Wenn jedes unnütz Wort, das einer im Zorn fallen läßt, bei Kirchenkonvent angebracht würd, so stünd am End der ganz Kirchenkonvent da, wo ich jetzt steh.«

»Frecher Bub«, fuhr sein Vormund auf, »du solltest froh sein, daß dein Vater hat für dich sorgen wollen. Des Küblers Häusle ist noch viel zu gut für dich.«

»So klein und schlecht es ist«, sagte Friedrich, »so wär ich für meine Person damit zufrieden gewesen. Aber der Herr Vetter weiß wohl, in welchem Geruch das Häusle bei dem ganzen Flecken steht, und daß ich mit meiner Christine nicht hineinziehen kann. Ja, wenn mir die Herren den Küblerfritz im Wald wieder ausgraben lassen und lassen ihn auf'm Kirchhof in ein ehrlich's Grab legen, dann will ich in sein Häusle einziehen. Das wär zudem ein Werk, das die Herren verantworten könnten, denn was er auch mit Gottes Zulassung getan hat, er ist fürwahr kein schlechter Mensch gewesen.«[319]

»Natürlich!« rief der Vormund, »gleiche Brüder, gleiche Kappen.« – Der Anwalt und der Heiligenpfleger brachen in ein Gelächter aus, das sie erst nach einem Blick auf den Pfarrer und Amtmann wieder dämpften.

»Der Herr Vetter zeigt den richtigen Weg an«, versetzte Friedrich. »Wenn ich in das Häusle einzög, so tät mich mancher, wie jetzt der Herr Vetter, dann den neuen Kübler heißen. Nun bleib ich zwar dabei, daß er besser gewesen ist, als man ihn ausgibt, aber darum will ich doch nicht mit meiner Christine in dem Häusle wohnen und so angesehen sein wie der Kübler mit seinem Weib. So wird's gewiß jedem andern auch gehen, und daran können die Herren abnehmen, ob's mein Vater ehrlich mit mir meint, wenn er sagt, er woll mir das Häusle kaufen. Wiewohl, ich glaub gar nicht, daß der Gedank in seinem Kopf gewachsen ist.«

»Item«, hob der Pfarrer wieder an, »soll Er gesagt haben, Sein Vater henke sein Geld lieber an die Stallmägde, als daß er Ihm helfe.«

»Das ist verlogen!« fuhr Friedrich auf. »Mein Vater sollt sich schämen, daß er sich solche Flöh in die Ohren setzen läßt, da er doch recht gut wissen könnt, woher sie kommen.«

»Item«, fuhr der Pfarrer fort, »habe Er mit Gewalt von Seinem Vater Geld haben wollen, daß Er Dispensation wegen Seiner Minorennität bekomme.«

»Ja, das hab ich von ihm haben wollen«, fiel Friedrich ein, »und deswegen ist mir das Trinkgeld, mit dem er mich hat abspeisen wollen, viel zu wenig gewesen.[320] Ich weiß nicht, wie's mein Vater und mein Pfleger miteinander haben: wenn ich von dem einen Geld will, so schickt er mich an den andern. Das aber weiß ich, daß ich das Recht hab, meine Minderjährigkeit abzukaufen, damit ich nicht mehr bei meinem Vater um Heiratserlaubnis zu betteln brauch; und wenn ich die Dispensation mit meinem eignen Geld bezahl, so wird niemand, hoff ich, was dawider haben.«

»Er soll dabei gesagt haben, wenn Er nur Geld habe, so brauche Er keinen Pfarrer und keinen Amtmann dazu. Summa Summarum klagt Sein Vater, Er folge ihm nicht, schaffe ihm nichts, gehe nur müßig, sei in der Nacht draußen, und erst am Sonntag habe Er gesagt, der Teufel solle das Geschäft holen, Er wolle ihm keine Arbeit mehr tun, er helfe Ihm ja nicht. Es bittet anbei sein Vater, weil er vor Ihm niemals, weder Tag noch Nacht, sicher sei, so möchte man ihm Sicherheit verschaffen vor Ihm und Ihn also verwahren, daß Er sich an niemand vergreifen und niemand schaden könne.«

»Mein Vater ist kein Mann, wenn er das behauptet«, erwiderte Friedrich. »Ich hab noch nie in meinem Leben Hand an ihn gelegt, ich hab mich nicht einmal, seit ich aus den Bubenjahren herausgewachsen bin, soviel ich auch Ursach hätt, an meiner Stiefmutter vergriffen. Vom Schaffen sag ich gar nichts.«

»Wie kannst du sagen, dein Vater sei kein Mann!« rief der Vormund.

»Er ist kein rechter Mann, ich behaupt's noch einmal.[321] Er hat mir zugetraut, ich werd mein Mädle betrügen und mein leiblich's Kind verleugnen. Das tut kein rechtschaffener Mann. Dann ist er in der Hand meiner Stiefmutter wie ein Rohr, das im Wind hin und her schwankt: das eine Mal sagt er, er gebe nie seinen Konsens zu meiner Heirat, das andere Mal will er mir des Küblers Häusle dazu kaufen.«

»Hat Er das vierte Gebot ganz vergessen«, rief der Pfarrer, »daß Er im Beisein Seines Vaters und vor uns so verächtliche Reden wider ihn ausstößt und den kindlichen Respekt ganz hintansetzt? Aber freilich, Er macht's der Obrigkeit auch nicht besser, Er sagt ja, wenn Er Geld habe, so brauche Er keinen Pfarrer und keinen Amtmann, um Seinen Kopf durchzusetzen.«

Friedrich warf einen Blick ingrimmiger Verachtung auf den Pfarrer. »Der Herr Amtmann«, sagte er, »wird wohl wissen, daß seine Macht nicht über die ganze Welt reicht und daß auch noch eine Obrigkeit über ihm ist. Was aber Sie, Herr Pfarrer, anbelangt, so haben Sie meinem Schwäh'rvater mit Drohungen das Versprechen abgepreßt, daß er seiner Tochter und mir die Einwilligung verweigere. Sie nennen das, was zwischen zwei jungen Leuten vorgeht, die einander lieb haben, eine böse Tat. Ist ein Seelsorger nicht dazu da, daß er böse Taten in der Gemeinde gutmachen hilft? Ist er nicht dazu da, daß er die Gefallenen wieder aufrichtet? Ist er nicht dazu da, daß er den unterstützt, der den guten Willen hat, das Geschehene ungeschehen oder doch[322] wenigstens wett- und ebenzumachen? Sie wissen von Amts wegen, daß ich geschworen hab, meiner Christine mein Wort zu halten und sie zu heiraten, und Sie wollen dahin arbeiten, daß ein Schaf aus Ihrer Herde mit Gewalt meineidig gemacht werden soll? Sie schärfen von der Kanzel und in der Kinderlehre die Pflichten zwischen Eltern und Kindern ein, und Sie muten einem Vater zu, daß er seine Tochter soll zur ** werden lassen?«

Er wollte fortfahren, aber der allgemeine Tumult übertäubte ihn. Mit Ausnahme des Amtmanns, der behaglich sitzen blieb, war der ganze Konvent aufgestanden und donnerte auf den frechen Redner hinein. Besonders heftig eiferte der Pfarrer, dessen kleine, magere Gestalt sich seltsam von dem wohlbeleibten Umfange seines weltlichen Mitbeamten neben ihm unterschied. Da er in dem Geschrei der übrigen Mitglieder, welche ihn gegen die Lästerungen des Angeklagten in Schutz nehmen zu müssen glaubten, mit seiner Stimme nicht durchdringen konnte, so setzte er sich schnell wieder, ergriff die Feder und schien sich heftig schreibend im Protokoll Recht verschaffen zu wollen.

Als der Tumult verstummte, sagte der Amtmann zum Pfarrer: »Haben Sie auch im Protokoll angemerkt, Herr Pfarrer, wie rechtfertig er ist?«

»Jawohl, Herr Amtmann«, antwortete der Pfarrer mit großer Befriedigung und zeigte ihm das Protokoll. »Sehen Sie, hier steht's schon geschrieben: ›Bei aller seiner äußersten Bosheit will er immer noch recht haben.‹«[323]

»Ich hoff, es ist noch eine Gerechtigkeit über uns«, versetzte Friedrich. »Ebersbach ist noch nicht die Welt, ich will mich schon vor dem Herrn Vogt und Spezial verantworten, Euer Protokoll und Bericht, Ihr Herren, ist nicht nötig.«

»Schweig Er nur jetzt still«, sagte der Amtmann ruhig. »Sein Maß wird nachgerade ziemlich voll sein. Übrigens bin ich der Meinung, Herr Pfarrer, daß der Kläger zum Schluß aufgefordert werden solle, zu erklären, ob er denn seinen Konsens zu der Heirat noch nicht geben wolle.«

»Jawohl«, sagte der Pfarrer, »die Frage ist der Form wegen notwendig, und ich stelle sie hiermit an den Herrn Sonnenwirt.«

Der Sonnenwirt war bestürzt darüber, daß die beiden Vorgesetzten, deren Ansichten er doch hauptsächlich bis jetzt gefolgt war, sich gegen ihn einer Fragestellung bedienten, die ihn gleichsam im Stiche ließ. Er kratzte sich hinter dem Ohr und stotterte endlich: »Ich weiß nicht, was ich tun soll, ich sehe eben nichts anderes voraus, als daß es sein Verderben ist.«

»Gut«, sagte der Pfarrer. »Es können nunmehro beide abtreten, und wird das alles ans Oberamt berichtet werden.«

Vater und Sohn gingen miteinander vom Rathause fort und nach Hause, ohne unterwegs ein Wort miteinander zu reden.

Sie waren nicht mehr weit von der ›Sonne‹ entfernt, als eine Stimme über ihnen rief: »Herr Sonnenwirt, schämt er sich nicht, Seinen Sohn vor Kirchenkonvent[324] zu verklagen, wo die alten Weiber hinlaufen?«

Sie blickten in die Höhe. Es war der Invalide, der sich seit langer Zeit zum erstenmal wieder am Fenster sehen ließ.

»Auch wieder einmal unters Gewehr getreten?« rief Friedrich hinauf.

»Und Er«, sagte der Invalide zu ihm, »hätt's auch nicht so weit kommen lassen sollen. Ich hab's Ihm schon einmal gesagt.«

»Damals war's schon zu spät«, lachte Friedrich. »Auf Wiedersehen!«

Sein Vater war, ohne dem Invaliden zu antworten, vorausgegangen. Unter der Haustüre wartete er auf ihn. »Willst du dein Mütterlich's nehmen und nach Amerika gehen?« sagte er zu ihm.

»Ich will mit meiner Christine drüber reden«, antwortete Friedrich und machte sich unverweilt auf den Weg.

Nach einer halben Stunde kam er heim und brachte die Antwort. »Sie will nicht«, sagte er, »sie erklärt, sie wolle sich in Ebersbach nicht nachsagen lassen, sie habe so unrechte Dinge getan, daß sie habe nach Amerika gehen müssen, wo bloß die schlechten Leute hinwandern. Ihr Wahlspruch sei: Bleibe im Lande und nähre dich redlich.«

»Es steht geschrieben, das Weib soll dem Mann folgen«, sagte der Sonnenwirt.

»Das müßt sie auch, wenn mir's Ernst wär«, erwiderte Friedrich. »Aber ich bin mit mir selber nicht im klaren, wie's mit dem Amerika ist, ich[325] weiß nicht, ob's Balken hat oder ob ich drin schwimmen kann. Wenn ich allein wär, ging ich schon; so aber laß ich's auf die Christine ankommen, weil ich selber nicht weiß, was besser ist.«

»Da siehst du's: sie hängt wie ein Radschuh an dir und hindert dich überall am Fortkommen.«

»Und wenn sie mir jetzt schon ganz verleidet wär – ich hab ihr mein Wort gegeben, und das halt ich ihr.«

Quelle:
Hermann Kurz: Der Sonnenwirt. Kirchheim / Teck 1980, S. 311-326.
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