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[326] Heu und Frucht waren eingetan, und alles ging seinen gewöhnlichen Gang, nur in Friedrichs Heiratsangelegenheit wollte keine Bewegung kommen. Alles, was er bisher getan hatte, um dieselbe ins Werk zu setzen, war wie ein Schlag ins Wasser gewesen. Längst hatte er seine Supplik an die Regierung eingereicht und als Minderjähriger um Heiratserlaubnis gebeten. Damals war er sehr vergnügt von Göppingen zurückgekommen und hatte Christinen erzählt, der Vogt, dem er die Schrift zum Beibericht gebracht, habe ihm zwar scharfe Vermahnungen gegeben, aber den Ausspruch getan, wenn ein Bursche sein Mädchen ehrlich machen wolle, so müsse man ihn eher aufmuntern als abschrecken. Er hatte also nicht mit Unrecht darauf vertraut, daß die höhere Behörde sein Anliegen nicht aus dem engen Gesichtskreise der Fleckenregierung betrachten werde. Leider aber wurde der Vogt bald hernach auf ein anderes Oberamt versetzt, und sein Nachfolger ließ[326] die Schrift liegen. »Da braucht's nichts als Geld«, sagte Friedrich, »man muß eben seine Schreiber schmieren, damit sie ihm die Sach im Andenken erhalten; wenn nur das Geld nicht so rar wär!« Die Zeit rückte immer näher, wo sein Kind unehlich zur Welt kommen sollte, um nach der herrschenden Meinung sein Leben lang einen Makel zu behalten, und Christine jammerte darüber so, daß sie oft mit ihren Klagen seine eigene Verzweiflung betäubte. Ihr Vater war bettlägerig geworden; zwar verdienten seine herangewachsenen Söhne über die Sommerszeit durch Taglohn so viel ins Haus, daß er nicht wie früher bei dem Pfarrer um Unterstützungen nachsuchen mußte, aber bei jedem Bissen ließ sich die Armut mitschmecken, und Christine, die nach dem ordnungsmäßigen Gang der Dinge, statt dem elterlichen Hauswesen zur Last zu fallen, einem eigenen hätte vorstehen sollen, wurde von den Ihrigen scheel angesehen. Sie machte sich ihnen schon dadurch als eine Bürde fühlbar, daß sie durch Arbeiten wenig und zuletzt nichts mehr zur Erhaltung der Familie, der sie doch zehren half, beitragen konnte. Macht man ja doch nicht bloß in jenen Kreisen des Lebens, welchen man das Vorrecht der Roheit zugesteht, die Erfahrung, daß die Not die Zartheit der Gesinnungen leicht verwischt und der gefährlichste Prüfstein für alle Liebe und Freundschaft ist. Christine hatte ein Recht, ihr Elend am Halse des einzigen auszuweinen, der ihr zu Trost und Hilfe verpflichtet war, und sie machte von diesem Rechte fleißigen Gebrauch; auch war[327] es natürlich, daß die Beschwerden eines Zustandes, der selbst eine im Schoße des ungetrübten Glückes lebende Frau zur Schwermut reizen kann, das oft von den notwendigsten Hilfsmitteln entblößte Mädchen maßlos unglücklich machten. All dieser Jammer stürmte auf Friedrich herein, der dem Gefühle seiner Hilflosigkeit bald in stumpfem Hinbrüten, bald in Ausbrüchen einer wahnsinnigen Wut gegen die herzlose Zähigkeit der Welt den Lauf ließ. Auf den Schwager, dem er einst vertraut hatte, konnte er schon längst nicht mehr rechnen; derselbe hatte sich von ihm losgeschält und ihm erklärt, er wolle es nicht durch Parteimachen für eine Sache, die er von Anfang an getadelt, mit seinem Schwiegervater verderben, auch hatte er seiner Frau untersagt, sich ihres Bruders ferner anzunehmen.

Um diese Zeit lief die Sonnenwirtin eines Tages ins Amthaus, um der Amtmännin zu erzählen, daß ihre älteste Tochter, die Krämerin, wenn der Herr Amtmann sie nur vernehmen wollte, Greueldinge von dem ungeratenen Bösewicht aussagen könnte. Der Amtmann versammelte, von seiner Frau angetrieben, seine beiden Urkundspersonen und ließ die Krämerin rufen, welche weinend vor ihm erschien. »Ihr Bruder«, gab sie zu Protokoll, »habe drei Gulden gefordert, damit er sein Memorial und Bericht zu Göppingen bekomme. Darauf habe sie ihm gesagt, sie wolle nicht zum Vater gehen, weil sie wisse, daß er sich bloß darüber erzürne; er solle seinen Pfleger schicken. Nun habe er aber angefangen zu toben: er sehe wohl, daß er's verloren habe, morgen wolle[328] er einen Rausch trinken und sein Messer schleifen, in seines Vaters Haus hingehen und das Geld fordern, und wenn er's nicht gebe, ihn niederstechen, und wenn seine Mutter etwas sage, ihr's auch so machen. Dann habe er Geld genug und nehme alles, was vorhanden sei. Dieses alles habe er mit einem recht unmenschlichen und bestialischen Grimm und Eifer ausgesprochen; das Donnerwetter solle ihn in die Ewigkeit hinüberschlagen, wenn er das nicht tue; weshalb ihr so angst geworden, daß sie nicht ruhig habe zum heiligen Abendmahl gehen können.«

Nachdem der Amtmann das Protokoll aufgenommen und die Angeberin entlassen hatte, sagte einer der beiden Gerichtsbeisitzer: »Es wird doch nötig sein, daß man den Frieder auch verhört.«

»Wozu?« versetzte der Amtmann. »Ich weiß schon zum voraus, was der sagen würde, der Advokat. Ich schicke eben einfach den Bericht nach Göppingen, und wenn von dort wieder nichts kommt, wie auf die Kirchenkonventsverhandlung, so kann mir's gleichgültig sein. Wiewohl, der neue Vogt wird es vielleicht mit dergleichen komminatorischen und kalumniösen Redensarten etwas schärfer nehmen. Vielleicht läßt er auch die Sachen ad cumulum zusammenkommen; denn mir ahnt's, daß noch mehr bevorsteht und daß ich noch weitere Protokolle und Berichte schreiben muß.«

Indessen schien es doch, daß Friedrichs Drohungen nicht auf unfruchtbaren Boden gefallen seien, denn unerwartet gab ihm sein Vater, der etwa unruhig geschlafen haben mochte, das Geld zu seiner Werbung[329] in Göppingen, und bald hatte er es dahin gebracht, daß seine Supplik bei der fürstlichen Regierung lag. Nachdem aber seine Angelegenheit diesen Schritt vorwärts getan hatte, erfolgte wieder ein langer Stillstand, und jeder vorüberfliehende Tag mehrte ihm das Gewicht der Klagen Christinens, die in der Ungeduld ihres Jammers meinte, wenn sie nur einmal rechtmäßig die Seinige wäre, dann würde allen anderen Sorgen auf immer abgeholfen sein.

Abermals liefen die Weiber im Flecken zusammen und erzählten sich von gräßlichen Reden, die er ausgestoßen haben sollte; ja man legte ihm die Versicherung in den Mund, er wolle den nächsten besten, der ein paar Gulden im Sack habe, über den Haufen stechen, um mit dem Geld nach Stuttgart gehen zu können. Allein ungeachtet dieser rohen Worte waren und blieben die Straßen sicher vor ihm, und er gelangte auf diesem Wege so wenig in den Besitz des unentbehrlichen Geldes, als er es diesmal von der unstet hin und her schwankenden Gesinnung seines Vaters herauszubekommen vermochte.

Christine riet ihm, sich in dieser Verlegenheit an die Bäckerin zu wenden; sie selbst hatte nicht das Herz dazu. Mit der Geduld, welche eine fortwährende Vereitelung eines fieberhaft betriebenen Planes manchmal einflößen kann, begab er sich zu Christinens Base, deren Krankheit soweit fortgeschritten war, daß sie den ganzen Tag regungslos im Lehnstuhle saß, und sprach sie um ein Darlehen an. Die[330] Bäckerin, die der leidvollen Entwickelung des Liebesverhältnisses stets mit großer Teilnahme folgte, antwortete schmerzlich seufzend: »Ich tät's gewiß gern, aber der Mein läßt mir den Schlüssel zum Geldkästle nicht über, und Ihr wisset ja selber, wie b'häb er ist.« Sie sprachen noch miteinander, als der Knecht des oberen Müllers in die Stube trat. Er hatte im Vorbeigehen durch das Fenster Friedrichs Anwesenheit bemerkt und kam herein, um einen Schoppen mit ihm zu trinken. »Da, der Peter könnt vielleicht aushelfen«, sagte die Bäckerin, »der hält sein' Lohn zusammen und hat doch auch zur rechten Zeit wieder eine offene Hand; was gilt's, der tut sein Sparhäfele auf?« Der Knecht ließ sich erklären, um was es sich handle, und sagte, jawohl, die paar Gulden gebe er gerne her. Friedrich konnte sich ohne Beleidigung nicht weigern, sie anzunehmen, und doch drückte es ihn, daß er, der Sohn des reichen Sonnenwirts, zu einem Knechte, obwohl es sein guter Bekannter war, durch ein Darlehen von erspartem Lohne in Verpflichtung und Abhängigkeit treten sollte; und zwar drückte es ihn um so mehr, weil er wußte, daß der Knecht selbst, bei seiner gutmütigen aber beschränkten Sinnesart, sich über diese Betrachtung nicht erheben konnte.

Da er aber nun einmal die Mittel in der Hand hatte, seine Sache in Stuttgart zu betreiben, so versäumte er es nicht, davon schleunigen Gebrauch zu machen. Christine war ihm an dem Abend, wo sie ihn zurückerwartete, einige Schritte vor den Flecken entgegengegangen. An derselben Stelle, wo sie auf beschneitem[331] Wege einst von ihm Abschied genommen, saß sie nun unter einem Baume, von welchem schon einzelne herbstlich rote Blätter zu fallen begannen, und erhob sich, als sie ihn die Straße daherwandern sah. Er war sehr befriedigt von dem Erfolge seiner Reise und erzählte ihr, man habe ihm versprochen, die Resolution auf sein Memorial solle ihm auf dem Fuße nachfolgen. »Du weißt ja«, sagte er, »schmieren und salben hilft allenthalben. Ohne Trinkgeld richtet man in Stuttgart nichts aus. Aber sie brauchen's auch redlich. Das ist dir ein Wohlleben in den Tag hinein, daß ich dir's gar nicht beschreiben kann. Ich möcht nur wissen, wer das ganz Nest verhält, ich glaub, das Land muß sie eben verhalten, denn schaffen sieht man keinen Menschen, als höchstens die Wirte und die Putzmacherinnen. Schon am frühen Vormittag liegen die Männer im Wirtshaus oder spielen in den Kaffeehäusern, und denk nur, die Weiber, hab ich mir sagen lassen, laufen des Nachmittags zueinander in die Kaffeevisit und bleiben bis abends acht Uhr und drüber beieinander sitzen, und mit was meinst, daß sie sich die Zeit vertreiben? Mit Kartenspielen, und das so hoch, daß erst vorgestern eine, wie ich gehört hab, mehr als hundert Gulden verloren hat. Und dabei treiben sie einen Luxus, daß es nicht zum sagen ist: Atlaskleider tragen sie und goldene Uhren, goldene Armbänder, eine Menge Ringe mit kostbaren Steinen, und Perlen um den Hals anstatt der Granaten.«

Christine seufzte.

»Und der Herzog vollends«, fuhr er fort, »der lebt[332] wie der Vogel im Hanfsamen. Er ist grad so alt wie ich, hab ich mir in Stuttgart sagen lassen. 's ist doch eine konfuse Welt. Ich muß bei ihm einkommen und meine Minderjährigkeit wegsupplizieren, damit ich heiraten und ein Hauswesen führen kann: und er ist im gleichen Alter, höchstens ein Jahr älter, und ist schon zwei Jahr verheiratet und regiert seit sechs Jahr ein ganz Land, daß es blitzt und kracht.«

»Versteht er denn sein Handwerk?« fragte Christine.

»Was weiß ich? Aber herrlich und in Freuden lebt er, und anderen verbietet er, was ihm selber schmeckt. Denk nur, ich hab auch die Herzogin gesehen. Aber die ist schön, und noch so jung, aber mächtig stolz. Mich wundert's nur, daß sie die ** leidet, die er neben ihr hält, und was meinst, die baden im Burgunderwein.«

»Pfui«, sagte Christine, »da möcht ich nicht davon trinken.«

»Oh, es gibt Leut, die ihn nachher kaufen, weil man ihn natürlich wohlfeil haben kann. Und vor acht Tagen hat er in Ludwigsburg ein Feuerwerk geben und hat dabei für fünfmalhunderttausend Gulden in die Luft aufgehen lassen. Man spricht noch heut in Stuttgart in allen Wirtshäusern davon, aber sie schimpfen, weil's in Ludwigsburg gewesen ist. Ich hätt's doch auch sehen mögen.«

»Ich nicht«, sagte Christine. »Es ist sündlich, das Geld so hinauszuschmeißen. Rechne nur auch einmal aus, wie lang arme Leut davon hätten leben können. Aber ich kann dir auch eine Neuigkeit[333] sagen: Denk nur, dein Vater hat uns heut eine Schüssel Mehl geschickt.«

»So, mein Vater? Es ist zwar nicht viel, aber es freut mich doch an ihm. Hat er sie dir geschickt?«

»Nein, er hat eben sagen lassen, da schick er's. Es ist mir um der Meinigen willen lieb, denn du hast keinen Begriff davon, was ich von ihnen schlucken muß. In deiner Gegenwart lassen sie's nicht so heraus, aber du wirst doch auch selber schon gemerkt haben, was wir ihnen wert sind. Besonders meine Mutter und mein Hannes, die haben gemeint, sie werden Ehr und Vorteil von uns ernten, und statt dessen haben sie mich eben immer noch auf'm Hals. Meine Mutter hat gleich zu brotzeln und zu backen angefangen, du weißt ja, wie sie ist; sie hat gesagt, sie mach's für meinen Vater, aber der hat nichts davon gessen, und dann hat sie's für sich behalten und hat denkt: selber essen macht fett.«

»Hab noch die paar Tag Geduld«, sagte er. »Jetzt kommt ja die Resolution, und dann hat alles Jammern ein End! Dann werden wir zusammen getraut, und das ist die Hauptsach, wenn's auch ohne Kränzle und am Mittwoch geschieht. Der Mittwoch ist auch ein Tag. Und wenn ich mein Mütterlich's hab und Händ und Füß für meine eigene Haushaltung regen kann, dann will ich dich schon wieder rausfüttern, dich und dein Kind.«

»Ja«, sagte Christine, »und unser Herrgott wird weiter sorgen.«

Quelle:
Hermann Kurz: Der Sonnenwirt. Kirchheim / Teck 1980, S. 326-334.
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Der Sonnenwirt. Eine Schwäbische Volksgeschichte

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