29

[491] Der Amtmann von Ebersbach saß im Armstuhl vor seinem Schreibtisch zurückgelehnt, so daß sein Schlafrock von Damast mit großen Blumen auseinandergefallen war und die lange goldbordierte Weste nebst dem goldenen Uhrgehänge über dem stattlichen Leibe sehen ließ. Er war bis zu den seidenen Strümpfen und den Silberschnallenschuhen herab so vollständig angekleidet, daß er nur den Schlafrock wegzuwerfen und in den Tressenrock zu schlüpfen brauchte, um eine Staatsvisite zu machen[491] oder zu empfangen. Dieser Voraussetzung widersprach jedoch sein Haarbeulel, der, entweder nachlässig gebunden, oder infolge unruhiger Bewegungen des Kopfes wieder aufgegangen, in trauriger Unordnung über die Lehne herabhing und seinen Puder auf den Boden verstreut hatte, dabei aber vollkommen zu dem Gesichte seines Trägers stimmte, in dessen Zügen der äußerste Verdruß zu lesen war.

Die Amtmännin trat in der Hausjacke und Morgenhaube herein. »Schauderhaft!« rief sie und beeilte sich, den anarchischen Haarbeutel wieder in die Schranken der Ordnung zurückzubringen. Dann legte sie die Hand auf die Stuhllehne und blickte ihren Gatten aufmerksam an. »Du bist nicht gut bei Laune, mein Schatz«, begann sie endlich.

»Man kann nicht immer bei Laune sein, mein Schatz«, erwiderte der Amtmann, dem die Verbesserung seines Kopfputzes unbequem gewesen sein mochte, obgleich er dabei stillgehalten hatte.

»Und dein Gesicht«, fuhr sie fort, »nimmt neuerdings eine gewisse blaurötliche Färbung an, die mir Besorgnis einflößt. Du solltest dir mehr Bewegung machen, du steckst noch so tief in den Wintergewohnheiten. Der Schnee ist weg, das Wetter macht sich leidlich: soll ich dir nicht deine Jagdstiefeln bringen lassen?«

Der Amtmann wendete sich unmutig ab. »Du könntest mich ebensogut vergiften, Sibylle«, sagte er, »als mir einen solchen Rat geben.«

»Ich kann dich nicht kapieren, Daniel!« erwiderte sie befremdet und scharf, denn sie war dieses Tones[492] von ihrem Manne ungewohnt. Als Leute, die mit der Zeit fortgeschritten waren, liebten beide die von ihren altmodischen Eltern ihnen in der Taufe beigelegten Vornamen nicht sonderlich und pflegten sich deshalb nur dann bei diesen Namen zu nennen, wenn sie von einer etwas stechenden Laune gegeneinander befallen waren.

Der Amtmann, der das Nachgeben mehr durch die Leitung als durch das eigene Beispiel seiner Frau gelernt hatte, dämpfte seinen Ton ein wenig und sagte erläuternd: »Du scheinst nicht daran zu denken, daß der vermaledeite Bursche, der Sonnenwirtle, in den Wäldern haust. Sonst sollte mich der Winter nicht von der Jagd abgehalten haben. Mein ganzer Chagrin rührt ja einzig und allein von diesem Lotterbuben her.«

»Er hat noch niemand angefallen«, sagte die Amtmännin. »Er holt sich hie und da Viktualien, wo er sie findet. Das ist alles. Und du kannst ja Mannschaft genug mitnehmen.«

»Du bedenkst gar nicht, daß er auf mich eine spezielle Pike hat«, versetzte der Amtmann.

»Ich halte ihn nicht für so rachsüchtig«, erwiderte sie. »Bei seiner Kühnheit, Stärke und Verschlagenheit hätte er sonst hier, wo er doch manchen haßt, schon das größte Unheil anrichten können.«

»Wer steht dir dafür, daß es nicht noch geschieht?« rief der Amtmann. »Solang seine Konkubine in Göppingen gefangen sitzt, wird er sich hüten, die Strenge des Gesetzes gegen diese Geisel herauszufordern. Wenn sie aber einmal frei ist, und ewig[493] behalten kann man sie nicht, weil sie nichts Erweisliches pecciert hat, so wird er schon die Hörner herausstrecken. Ich seh es kommen, daß er das Handwerk, wenn's im kleinen nicht mehr geht, ins große ausdehnt und sich in den Orden der Jauner aufnehmen läßt.«

»Nun, diese gibt's wenigstens in unserer Gegend nicht.«

»Sie sind überall und nirgends: wenn sie heute ausbleiben, so sind sie dafür morgen da. Diese politischen Blutigel, die sich auf mehrere Tausende belaufen mögen, scheinen eine inexstirpable Landeskalamität zu sein. Sie kosten der Gesamtheit der verschiedenen Dominien in Schwaben jährlich Hunderttausende von Gulden, teils an Erbetteltem und Gestohlenem, teils an Unkosten, die gegen sie aufgewendet werden müssen. Ich glaube auch nicht, daß man eher mit ihnen fertig wird, als bis statt der ohnmächtigen General streifen des schwäbischen Kreises einmal das ganze Land in Masse wider sie aufsteht, sie auf einen Punkt zusammentreibt und alles über die Klinge springen läßt. Und ich habe eine Ahnung, dieses Scheusal von einem Menschen wird sie uns noch auf den Hals ziehen, um sein Mütlein an uns zu kühlen.«

»So benutze die Zeit, eh sie kommen, zu einer Erholungsreise, wenn dir kleinere Ausflüge nicht zusagen.«

»Hat sich was zu reisen!« rief er ärgerlich. »Dieser Auswurf der Menschheit hält mich ja wie einen Hund an der Kette fest. Alles zittert vor ihm:[494] wenn ich fortginge, so liefe mir der ganze Flecken nach. Und dennoch könnte ich mich bemüßigt sehen, ein wenig nach Stuttgart hinabzufahren und unseren Gönnern in der Regierung aufzuwarten, um den üblen Insinuationen des Vogts zu begegnen, der seine Angst vor diesem Cartouche an mir Unschuldigem auslassen will und mich unaufhörlich mit Vorschriften tormentiert und mit Vorwürfen überhäuft. Fürwahr, der hat den Titel Expeditionsrat nicht umsonst. Er expediert einen Erlaß um den andern daher und wird den Flecken, wenn es so fortgeht, noch an den Bettelstab expedieren, aber der ganze Stoß« – er warf bei diesen Worten den Haufen der vor ihm liegenden Ausschreiben unwillig durcheinander – »hat bis jetzt keinen Hund aus dem Ofen gelockt.«

»Er ist seinerseits in der nämlichen üblen Lage wie du«, bemerkte die Amtmännin, »wenn der Wildfang sich sehen läßt, so schreit der ganze Flecken zusammen, dann bist du genötigt, einen Bericht nach Göppingen zu schicken, und das nötigt dann wiederum den Vogt, sich den Kopf zu zerbrechen, um auf den Bericht mit irgendeiner neuen Maßregel zu dienen. Auf diese Weise macht man sich gegenseitig das Leben sauer.«

»Und wie!« rief der Amtmann, der in seiner Erbitterung über den Vorgesetzten die vorübergehende Aufwallung gegen seine Frau vergaß und wieder zutraulich wurde. »Ich mag von den Wischen aufschlagen, welchen ich will, immer ist ein Stich für mich darin.«[495]

Er gab ihr einen der Erlasse, und sie las halb mit Lachen, halb ärgerlich: ›Wohledler, vielgeehrter Herr Amtmann! Ich vernemme, daß die Anstalten, welche der Herr Amtmann bis dahero zur Beifahung des von der Festung echappierten Böswichts Friedrich Schwanen gemachet, nicht die beste gewesen und daß dardurch nur große Kosten gemachet, in der Hauptsach aber nichts gerichtet werde, wie es auch der Effekt selbst gegeben, da es zumalen gut gewesen wäre, wann die Haussuchung unterblieben und dagegen das Müllerische Haus ex improviso überfallen worden wäre.‹

»Sapperment!« rief der Amtmann dazwischen, »wenn der Einfaltspinsel von Fischerhanne ihm hinterbracht hätte, der Schurke stecke drin, so würde er eben auch Haussuchung gehalten haben, bis er ihn gefunden oder – nicht gefunden hätte. Was hilft mich's aber, das Haus zu überfallen, wenn ich ihn nicht drinnen weiß.«

›Es wolle dahero‹ – fuhr sie fort zu lesen – ›der Herr Amtmann die bisherige nächtliche Patrouille abgehen lassen und dagegen ein paar vertraute Mann als Spionen bestellen, die etwan Nachbarn von dem Müllerischen Haus und in der Stille auf des Schwanen Aus- und Eingang Achtung geben, und alsdann in tempore davon Anzeige machen lassen. Da mir auch ferner bekannt, daß sich der Schütz fast täglich berausche‹ – »das ist wahr«, bemerkte sie dazwischen – ›mit versoffenen Leuten aber nichts zu richten, sondern durch deren Ungeschicklichkeit alles, zumal bei einem solchen Böswicht, verraten[496] seie, so wolle der Herr Amtmann ihne Schützen zur Nüchternheit ermahnen und ihme dabei bedeuten, daß, wann ich noch ein einigsmal höre, daß er sich voll trinke, ich ihne ohne weiteres abschaffen werde.‹ »Mein Gott!« bemerkte sie, »was schreibt der Mann mesquin! Dein Geschäftsstil atmet zwar auch nicht gerade Rosen und Lilien, aber mit dieser Diktion da verglichen, liest er sich wie ein französischer Roman.«

»Den Schützen habe ich tüchtig abgekapitelt«, sagte der Amtmann. »Bei einem solchen Geschäft könnte übrigens der Solideste aus der Art schlagen lernen, geschweige der alte Zapf von Haus aus. Da er noch von allen am meisten vertragen kann, so wird er dazu gebraucht, in den Wirtshäusern umherzuspionieren, ob man's nicht irgendwo in der Stille mit dem Verbrecher halte. Da muß er nun überall pro forma seinen Schoppen trinken – ich selbst hab ihm schon Geld dazu gegeben – und so kommt er gewöhnlich in einem Sarras und rapportiert, der Spitzbub sei just vor ihm dagewesen, er habe ihn aber nicht mehr angetroffen.«

Die Amtmännin nahm sich die Freiheit, in den Ausschreiben zu kramen und einzelne Stellen halblaut zu lesen. ›Um den Flecken Posten ausstellen‹, las sie, ›sämtliche Metzger mit ihren Knechten dazu beordern, mit Gewehren in Händen, wozu insonderheit des Schwanenwirts zu ziehen.‹

Sie blickte den Amtmann fragend an. »Freilich!« lachte dieser, »weil der Sonnenwirt Schwan heißt, so schreibt er immer: der Schwanenwirt.« – Er[497] nahm einen Erlaß aus dem Fache und deutete auf eine Stelle. »Sieh, so schrieb er damals, als der Fleckenschaden nach Hohentwiel verurteilt wurde: ›Es ist dem Schwanenwirt zu bedeuten, daß er cum venia ein paar Schuh und etliche Kleidung schicken, übrigens aber sich getrösten solle, daß sein boshafter Sohn ihme künftighin in seinem Leben keinen Verdruß mehr machen werde.‹«

»Darin ist er kein Prophet gewesen«, sagte die Amtmännin lachend. Sie las weiter: ›Dafern sie etwas Verdächtiges vermerken, die Hunde laufen lassen, und mit Behutsamkeit anhetzen.‹ »Das ist wirklich komisch!« rief sie, und beide brachen in ein schallendes Gelächter aus. ›Verspreche mir übrigens wenigen Effekt‹, las sie weiter und setzte hinzu: »Ich auch.«

»Natürlich«, sagte der Amtmann, »schon deswegen, weil der abgefeimte Schurke mit allen Hunden im Flecken auf dem besten Fuße steht. Ich weiß nicht, was er für Jaunerkünste dabei anwendet.«

Die Amtmännin griff nach einem anderen Schreiben und las: ›Bei der geringsten Spur wiedermalen Sturm schlagen lassen‹ –

»Das ist nonsens!« rief der Amtmann. »Das tu ich nicht. Das brächte mir den Flecken vollends bei der ganzen Umgegend in Mißkredit. Sie kämen ja, weiß Gott, mit Spritzen angefahren, wenn sie die Sturmglocke hören würden, und wenn sie dann erführen, daß es sich um den einzigen Höllenbrand handelt, so wäre des Gelächters kein Ende.«

›Allen Burgern‹, las sie weiter, ›bei hoher und Leibesstraf[498] injungieren, sich ohne Widersetzlichkeit dem Streif zu unterziehen, welcher Veranstaltung der Herr Amtmann auch herzhaft vorangehen und zu hoffentlich mehrerer Autorität selbsten beiwohnen solle.‹

»Sehr obligiert!« bemerkte der Amtmann und sah halb spöttisch, halb wehmütig nach dem Fenster, um welches milde Sonnenstrahlen spielten, die nach der Wintergefangenschaft zum Genuß der Freiheit einluden.

»Du solltest ihn auf eine Jagdpartie bitten«, bemerkte die Amtmännin. »Was schreibt er denn da? Das scheint mir lateinisch zu sein: ›more solito negligiret‹.«

»Er wirft mir vor«, sagte der Amtmann im höchsten Unmut, »als hätte ich die Sache in gewohnter Manier gehen und liegen lassen. Das ist nicht nur eine Unwahrheit, das ist eine hämische Kalumnie. Er hat's nötig, dergleichen Reprimanden einfließen zu lassen. Wer die Sache auf eine negligeante Art behandelt, das ist er. Das eine Mal hat mir der Postillon geklagt, er sei abends vor sechs Uhr in Göppingen eingetroffen, habe aber zwei Stunden warten müssen, bis er vorgelassen worden sei. Ein andermal hab ich den Expressen um zwei Uhr von hier abgefertigt und den Bescheid erst nachts nach neun Uhr erhalten. Ich habe mir aber alle diese more-solito-Negligenzien in margine notiert, damit ich mich gegen ihn rechtfertigen kann, wenn er mich zu Stuttgart ins schwarze Register bringen will.«

»Da haben sie jetzt an andere Dinge zu denken«,[499] sagte sie. »Wie ich höre, beginnt der landschaftliche Ausschuß sehr schwierig zu werden und wird ihnen wenig Zeit lassen, sich mit kleineren Händeln abzugeben.«

»Nein, nein!« rief der Amtmann. »Das verstehst du nicht, so spitzfindig du bist. Gerade dann sind sie am aufgelegtesten, einen einzelnen Beamten als Sündenbock zu massakrieren, um zu beweisen, daß die Schreier unrecht haben.«

»Da würd ich doch zuerst trachten, mich mit dem Vogt in eine bessere entente zu setzen«, sagte sie. »Ein Vorgesetzter behält gar zu leicht das letzte Wort. Ich kann ihn durchschauen und gebe dir völlig recht: hinter dem ganzen bruit von Regieren und Ordonnieren steckt nichts als die Angst vor diesem Teufelsbraten, dem Sonnenwirtle. Es ist ihm nicht wohl, solange er seine Chloe in Verwahrung hat.«

»So soll er sie ins Henkers Namen laufen lassen!« polterte der Amtmann, der in seinem Ärger sich nicht bewußt war, wie sehr dieser Rat seiner kaum zuvor ausgesprochenen Besorgnis widersprach. »Wenn ich vorausgesehen hätte«, seufzte er dann, »daß mir die Vereitelung dieser einfältigen Heirat solch maß- und zahllose Inkommoditäten zuziehen würde, ich hätte selbst den Brautführer oder wenigstens den Vermittler beim Sonnenwirt gemacht. Vielleicht wäre der Bursche doch noch eingeschlagen.«

»Sie würden nie füreinander gepaßt haben«, versetzte die Amtmännin mit entschiedenem Tone. »Sie ist zu schwerfällig für ihn, und hoch hinaus hätt er jedenfalls immer gewollt.«[500]

»Wenn er's nur schon so hoch gebracht hätte, wie ich's ihm wünsche!« seufzte der Amtmann.

»Bei alledem«, fuhr die Amtmännin fort, »hat die unüberwindliche Anhänglichkeit an diese Person, die eigentlich das Unglück seines Lebens ist, etwas Chevalereskes. Ich muß oft denken: Schade um den Menschen! Unter anderen Umständen würde vielleicht etwas Importantes aus ihm geworden sein. Gestehen wir uns nur: ein Bursche, der einen ganzen Flecken samt Amtmann und Vogt im Schach hält, der sich nicht bloß in der Nacht, sondern am hellen Tag, wenn's ihm konveniert, im feindlichen Lager blicken läßt, in die Wirtshäuser sitzt und allen aufgewendeten Maßregeln zum Hohne in keine Schlinge geht, der ist kein gewöhnlicher Mensch, der hat etwas von einem coeur de lion an sich.«

»Wenn meine Frau Gemahlin jünger wäre«, bemerkte der Amtmann beißend, »so könnte mich nahezu der Argwohn befallen, sie wünschte seine Christine zu werden, damit dann zwei hochstrebende Geister beieinander wären. Falls du übrigens Lust hast, den Löwen in seiner Höhle zu besuchen, so will ich nicht eifersüchtig sein, andererseits aber auch keine Verantwortung übernehmen.«

»Es fragt sich, ob die Gefahr so groß wäre«, erwiderte sie scherzend.

Man hörte einen Hufschlag, und bald darauf trat der Amtsknecht in das Zimmer und übergab ein Schreiben mit den Worten: »Von Göppingen durch Expressen.«

»Schon wieder!« seufzte der Amtmann verzweiflungsvoll.[501] Er erbrach das Siegel und las seiner Frau, nachdem der Diener sich entfernt hatte, das amtliche Schreiben vor: ›Wohledler, insonders‹ »et caetera«. ›Da ich vernemme, daß der Erzböswicht Schwan immerhin um Ebersbach herumschwärme und den Flecken in Sorgen und Ängsten setze, als wolle der Herr Amtmann, um einen Versuch zu machen, ob er nicht durch Finessen wiederum zur Hand zu bringen, dessen Vater, den Sonnenwirt‹ – »endlich schreibt er doch einmal den richtigen Titel« – ›auf den Abend zu sich berufen und ihm in der Stille die Anleitung geben, daß er des Nachts die alte Müllerin zu sich in ein besonderes Zimmer kommen lassen und simulieren solle, als wann er aus großer Angst sich resolviert, seinem Sohn die versprochene vierhundert Gulden, und zwar zweihundert Gulden bar, zweihundert aber, wenn er in Pennsylvanien wirklich angekommen, zu geben, ihro auch wirklich, um es ihm zu bringen, etlich Gulden behändigen, und täglich heimlich vor die Kinder essende Waren zu schicken, und mit dem Geld guldenweis zu geben, um ihn sicher und in die Wirtshäuser der Nachbarschaft schwärmend und ihne vollsaufend zu machen, kontinuieren solle, was sich aber so ein als andernfalls von Zeit zu Zeit darauf ergebe, um die Messures‹ – beide lachten – ›darnach nemmen zu können, dem Herrn Amtmann zu hinterbringen. Sollte durch diesen Modum der Böswicht nicht zur Hand gebracht werden können, werde ich inzwischen auf etwas anderes raffinieren‹ – »raffinier du und der Teufel!« bemerkte der[502] Amtmann – ›und nicht nachlassen, bis ich dessen habhaft geworden. Unterdessen ist alles möglichst geheimzuhalten. Mit göttlichen Schutzes Erlassung verharrend‹ »et caetera«.

»Das Raffinement ist übrigens doch nicht so gänzlich aus der Luft gegriffen«, bemerkte die Amtmännin, welche aufmerksam zugehört hatte. »Und zwar könnten wir vielleicht noch einen Schritt weiter gehen. Daß er seine Kinder bei der Großmutter fleißig besucht, obgleich es bis jetzt nicht gelungen ist, ihn daselbst aufzuheben, darüber kann nach seinem ganzen Temperament und Charakter kein Zweifel sein. Nun käme es nur darauf an, ob man nicht das alte Muster, statt sie durch einen zweifelhaften Versuch mißtrauisch zu machen, ins Komplott ziehen sollte.«

»Meinst du?« fragte der Amtmann überrascht.

»Natürlich müßte man da sehr reserviert zu Werke gehen. Wenn es aber gelänge, so dürften der Herr Vogt und Expeditionsrat alle ihre erlassenen Nasen wieder einziehen, und sollte ihnen dero hohes Haupt darüber zu einem Gebirg anschwellen. Über die Hauptfrage kann vielleicht am besten der Schwanenwirt, wie der gestrenge Herr sich sonst auszudrücken beliebt, Auskunft geben.«

»So sende nach ihm.«

»Auf den Abend.«

Während sie sprach, klopfte es schüchtern an die Türe. »Herein!« rief der Amtmann gebieterisch im Gefühl seiner Amtswürde und der erlittenen Störung. »Ah!« sagte er, als die Türe aufging, »wenn[503] man den Teufel an die Wand malt, so erscheint er auch sofort.«

Der Eintretende sah aber keinem Teufel, oder wenigstens, wenn das Bild auf ihn passen sollte, einem armen Teufel ähnlich, nicht nach seiner äußeren Erscheinung, denn diese zeigte den wohlhabenden Bürger und Meister, wohl aber nach seinem niedergeschlagenen, sorgen- und kummervollen Aussehen. Es war niemand anders als der Sonnenwirt selbst. Er war alt, grau, dünnhaarig und gegen seine Oberen womöglich noch demütiger geworden. »Wenn's der Herr Amtmann nicht ungütig nehmen«, begann er nach einer tiefen Verbeugung und angelegentlicher Erkundigung nach dem beiderseitigen Wohlbefinden, »so hätte ich eine Beschwerde wider den Kreuzwirt anzubringen. Es ist doch arg, wenn sich ein rechtschaffener Burgersmann von seinem Mitbürger und Mitmeister so unrechte und ungebührliche Sachen sagen lassen soll, wie der Kreuzwirt in dem Brief da schreibt.«

Der Amtmann überflog den Brief, den ihm der Sonnenwirt reichte, und las halblaut murmelnd einzelne Stellen ab: »›Es will hiermit Unterzogener gegen den Sonnenwirt Schwanen nicht allein seine Grausamkeit erinnern, die er vor etlichen Jahren durch seinen eigenen Sohn an meiner Person ausüben lassen.‹ – Das alte Lied!« bemerkte der Amtmann dazwischen.

»Er behauptet immer, er sei damals zum Krüppel geschlagen worden«, sagte der Sonnenwirt, »und es ist doch alles nicht wahr.«[504]

»›Solch gottloses Anstiften‹«, las der Amtmann weiter, »›legt sich desto glaublicher wirklich an Tag, da der Vater aus einer sonderbaren Rachgier mich noch obligieren will, Post zu reiten, da ihme doch bekannt, daß ich weder mir noch den Meinigen etwas zum Nutzen schaffen kann, so sucht er dannoch mir aufzubürden, was er zu tun schuldig. Es ist bekannt, daß nicht allein die Metzger wegen seines übel erzogenen Sohnes viele Posten prästieren müssen, sondern auch neben diesem mußte die ganze Burgerschaft wegen einer solchen schönen Frucht nicht allein fatigieret werden, sondern auch noch großen Schaden leiden. Der Schwan hat immerdar nach einer Post getrachtet – – – jetzt hat er das Postreiten, aber nicht nach seinem Sinn – – – eigennützige Konzessionen im Metzgerhandwerk – – – durch Geld und Arglist seinen Mitmeistern das Brot aus dem Mund genommen‹ –. Ein unverschämter Kalumniant!« unterbrach sich der Amtmann, »was die Obrigkeit anordnet, das soll ihr durch Geld und Arglist abgedrungen worden sein?«

»Das murmelt er beständig an alle Nachbarn hin, wie mir erzählt worden ist«, sagte der Sonnenwirt.

»›Dieses Postrittprästieren‹«, las der Amtmann weiter, »›zeugt von seines Herzens heimlicher Bosheit; der Sohn zeugt vom Vater; da dieser damals im Beisein meiner sagen dörfen, sein Sohn habe mir recht getan, so möchte ich nun wissen, ob er auch recht getan, da er vor etlich Jahren seines Vaters Haus bestiegen, sich noch rühmte, wie künstlich und[505] geschickt er wäre, jedoch ein schlechtes Jubiläum von den Zuschauern erhielte, sondern von männiglich als ein erschreckliches Exempel angesehen wurde‹ – und so weiter. Dummes Zeug! Ich werde den Briefschreiber für seine unverständigen Lästerworte um einen kleinen Frevel strafen. Ist Er damit zufrieden?«

»Aufzuwarten, Herr Amtmann, ich sag meinen gehorsamen Dank«, antwortete der Sonnenwirt und verbeugte sich.

»Hat Er ihn denn zum Reiten beordert?«

»Da der Herr Amtmann befohlen haben, daß ein für allemal auf jeden Tag in der Woche ein berittener Mann als Expreßpostillon parat sein solle, so hab ich als Obermeister dem Kreuzwirt den nächsten Ritt auferlegt.«

»Da er eine wenig erbauliche Figur zu Pferd machen wird, so ist er dieser Prästation zu entlassen«, verfügte der Amtmann.

»Wenn's der Herr Amtmann nicht ungnädig nehmen wollten«, wagte der Sonnenwirt einzuwenden, »es ist auch das eine von meinen vielen Sorgen und Verlegenheiten. Die ganze Metzgerzunft wird mir aufsässig wegen des beständigen Reitenmüssens, so daß ich nächstens nicht mehr weiß, wem ich den Tag ansetzen soll. Sie klagen, es koste sie so gar viele Zeit und bringe sie im Verdienst zurück. Ein mancher kommt gar nicht mehr zu mir zur Zech, und das ist mir ein empfindlicher Verlust.«

»Es ist aber auch keine geringe Last für die Leute«, sagte der Amtmann. »Darin hat der Kreuzwirt[506] recht, daß Sein entarteter Sohn dem Flecken einen horrenden Schaden zufügt. Wenn alle leiden müssen, so darf Er am wenigsten zurückstehen. Es wäre vielleicht doch gescheiter gewesen, Er hätte fünfe grade sein lassen und die Mariage zugegeben.«

Der Sonnenwirt fühlte sich wie zu Boden geschmettert. Derselbe Mann der Autorität, der sich so durchgreifend gegen diese Heirat erklärt und seinen Arm zu ihrer Hintertreibung hergeliehen hatte, machte ihm jetzt Vorwürfe, daß er seinem Sohne nicht den Willen gelassen habe. Er sah den Amtmann mit einer flehenden Jammermiene an, verstummte aber unter der Bürde, die ihn niederdrückte.

Die Amtmännin kam ihm zu Hilfe und erinnerte ihren Mann, daß, wenn sein Vorwurf begründet wäre, er ihn nach seinem eigenen Geständnis ebensogut und noch stärker treffen würde als den Sonnenwirt.

»Ach Gott!« sagte dieser, dankbar für den Beistand, »wenn Sie erlauben, Herr Amtmann und Frau Amtmännin, ich hab überhaupt schon lange Zeit keine gute Stunde mehr in meiner Familie. Seit mein Sohn amtlich für einen Erzböswicht erklärt worden ist und jetzt natürlich nichts mehr an mir erben kann, wenn ich ihn auch einsetzen wollt, seitdem ist der Hader zwischen meinem Weib und meinen Tochtermännern los. Sie liegt mir immer an, ich soll ein Testament zu ihren Gunsten machen, und das müssen die beiden anderen, der Chirurgus voran, gemerkt haben.«

»Sie hat ja keine Kinder«, bemerkte der Amtmann.[507]

»Wohl 'geben, aber sie hat Verwandtschaft, die sie auf die ›Sonne‹ bringen möcht.«

»Da würde ich vor allen den Chirurgus bedenken«, riet der Amtmann. »Der Mann hat savoir vivre, gibt einen gewandten Wirt und wäre wohl am meisten geeignet, die ›Sonne‹ im Flor zu erhalten.«

Der Sonnenwirt versprach, diesen guten Rat in Erwägung zu ziehen, gegen welchen die Amtmännin keine Einsprache tat. Als er sich empfehlen wollte, hieß ihn der Amtmann noch bleiben und unterredete sich mit ihm über den Hauptzweck, wegen dessen er ihn hatte rufen lassen wollen. Er teilte ihm den Inhalt des oberamtlichen Schreibens mit und forderte ihn auf, sich zuvörderst darüber auszusprechen, ob die Hirschbäuerin wohl dazu zu bringen wäre, einen Verrat an ihrem Schwiegersohne zu begehen.

»Die ist eine Schmotzampel an Leib und Seel«, antwortete der Sonnenwirt, »die verkauft ihren Herrgott, wenn sie nur Geld sieht. Das ist auch ein Grund gewesen, warum ich meinen Sohn nicht hab in die Familie heiraten lassen wollen.«

»Mir kommt da ein guter Einfall«, sagte der Amtmann. »Ich hatte neulich in alten Akten und Urkunden zu stöbern und machte dabei zufällig die Entdeckung, wie es mit dem Leibeigenschaftsverhältnis der Hirschbauernfamilie bewandt ist. Der erste des Namens hat das Haus als eine Art Wildhüter zu Lehen erhalten mit der ausdrücklichen Bedingung, Jagd auf die Wilderer zu machen. Da nun gar kein Zweifel sein kann, daß Sein Sohn neben[508] anderen ähnlichen Beschäftigungen auch diesem ehrsamen Gewerbe obliegt, so könnte man es ihr als eine Servitut auferlegen, daß sie die Hand zu seiner Beifahung zu bieten habe, widrigenfalls die Herrschaft berechtigt wäre, sie von Haus und Hof zu jagen.«

»Für den Notfall«, erwiderte der Sonnenwirt, »kann diese Drohung nichts schaden, aber sie wird kaum vonnöten sein. Auf den Abend will ich das alt Weib zu mir kommen lassen und hoff, in kurzem dem Herrn Amtmann erwünschte Antwort zu bringen.«

Er wünschte einen glückseligen Tag und ging, ohne sich zu fragen, ob das Vorhaben, das er der Hirschbäuerin gegen ihren Schwiegersohn zutraute und um dessenwillen er sie verurteilte, ein anderes sei als das Vorhaben, das er gegen seinen eigenen Sohn bereits auszuführen im Begriffe war.

Auch der Amtmann und seine Frau dachten an eine solche Vergleichung nicht. »Wenn der Sonnenwirt die ›Sonne‹ dem Chirurgus zuwendet«, sagte der erstere lachend, »so stirbt die Sonnenwirtin, sobald sie etwas vom Testament erfährt, am Gallenfieber.«

»Das wäre dem Mann je eher je lieber zu gönnen«, versetzte die Amtmännin. »Er hat nicht zum besten mit ihr gelebt, und sie ist auch in der Tat, so wie man sie näher kennenlernt, eine herzlose, neidische, maliziöse Kreatur.«

Der Himmel weiß, womit die sonst so kluge Sonnenwirtin es bei der gestrengen Frau verschüttet haben mochte.

Schon am nächsten Morgen ritt eine Staffette nach[509] Göppingen mit der Meldung des Amtmanns an den Vogt, daß alles sich nach Wunsch anlasse, und mittags hatte der Amtmann vom Vogt die Weisung, er solle, da die alte Müllerin versprochen habe, den Bösewicht in ihr Haus zu locken, genügsame Mannschaft mit Gewehr und Prügeln dahin verstecken und denselben achtzehn Gulden, der Müllerin aber, wenn der Fang mit ihrer Beihilfe gelungen sein werde, – zwei Gulden als Belohnung ausbezahlen.[510]

Quelle:
Hermann Kurz: Der Sonnenwirt. Kirchheim / Teck 1980, S. 491-511.
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