9. Szene.

[146] Körner allein, dann Hasemann.


KÖRNER. Ihre Frau Gemahlin ist wohl nicht zu Hause? Nein, die Frau Gemahlin tanzt, läßt sich bewundern. O ja, schön ist sie, sehr schön. Das Bouquet betrachtend. Und meine Veilchen verschmäht sie.

HASEMANN durch die Mitte, immer noch im Schuppenpelz. Körner, bist Du allein?

KÖRNER sich umwendend. Was, Anton? Ich denke, Du bist verreist?

HASEMANN mit trübseliger Miene. Stelle Dir mal so'n schauderhaftes Pech vor – ich habe den Zug verpaßt.

KÖRNER. Trotz Deiner Vorsorge?

HASEMANN. Ja, aber es ist eine Hinterlist von der Bahn dabei. Denke Dir, ich bin schon um 7 Uhr auf dem Perron, es war noch kein Mensch da, selbst die Schaffner nicht. Ich mache mir selber ein Coupé auf und schließe wieder zu und mache mir's drinnen recht bequem. Ich sitze wohl eine halbe Stunde so, dann bin ich ein bißchen eingedrusselt und fühle plötzlich, wie sich der Zug in Bewegung setzt, Ich wundere mich noch, daß der Schaffner das Billet nicht verlangt, aber denke, er wird wohl unterwegs kommen. Nach einer Weile hält der Zug an – ich sehe eine Menge Laternen und denke, was kann denn das für 'ne Station sein? In Großbeeren hält der Zug nicht und für Trebbin ist es noch zu früh. Ich mache also das Fenster auf und frage einen Weichensteller, wo wir sind. Na, auf dem Güterbahnhof, sagt er: aber wie kommen Sie denn in den Wagen? – Na, ich will doch nach Holzdorf, sage ich. – Ach, Unsinn! sagt er, das ist ein Güterzug, der hier bis morgen früh liegen bleibt. – Nun kannst du dir meinen Schreck denken. Ich springe raus aus dem Coupé, packe meine Sachen zusammen und laufe längs den Schienen zurück nach dem Bahnhof. Ich höre schon läuten, falle über meinen Koffer, raffe mich aber wieder auf, und als ich auf dem Perron ankomme, dampft gerade der Zug an mir vorbei. Ist dir schon so'n Pech vorgekommen?

KÖRNER zerstreut. Freilich, – es ist unangenehm, indessen –

HASEMANN. Ich kann nun erst morgen früh fahren. Meine Sachen habe ich auf dem Bahnhof gelassen, und die[147] Nacht möchte ich – wenn du nichts dagegen hast – hier bleiben; denn wenn ich jetzt nach Hause komme, dann habe ich zu allem Aerger noch die Redensarten von meiner Frau anzuhören und von dem naseweisen Ding, der Fränze. Du hast gewiß ein Zimmer, wo ich die Nacht kampieren kann?

KÖRNER deutet nach rechts. Mein Arbeitszimmer steht Dir zur Verfügung, ich will Dir gleich ein Bett zurecht machen lassen.

HASEMANN. Nein, laß nur, ich lege mich aufs Sofa, das genügt vollkommen für die paar Stunden. Ich werde drinnen meinen Pelz ablegen, dann plaudern wir noch ein bißchen. Ist Dir's recht?

KÖRNER. Gewiß.

HASEMANN nach rechts gehend. Apropos, wo ist Rosa?

KÖRNER. In einer Gesellschaft; sie muß aber bald kommen.

HASEMANN. Es ist mir ganz lieb, daß sie nicht zu Hause ist. Du brauchst ihr auch nicht zu sagen, daß Du mich diese Nacht beherbergst. Na, ich komme gleich wieder. Ab rechts.

KÖRNER. Ist es nicht töricht, daß ich meiner Unruhe, meiner Angst Herrschaft über die ruhige Überlegung einräume? Wer zwang sie, mir ihre Hand zu reichen? Und konnte sie mir freiwillig ihre Hand geben, wenn ihr Herz nicht frei war? Gewiß, ich bin ein Tor und tue Unrecht, mit Argwohn sie zu kränken und mich zu quälen.

HASEMANN von rechts, ohne Pelz. So, ich fühle mich ordentlich erleichtert. Zwölf Stunden so'n Pelz spazieren führen, das ist'n Stück Arbeit.

KÖRNER. Willst du was genießen?

HASEMANN. Ich danke dir, ich habe von 6 Uhr ab auf dem Bahnhof immerzu genossen, bloß um nicht hungrig zu werden in der Nacht. Es war, wie gesagt, alles so schön präpariert – na, reden wir von was anderem, ich habe mich schon genug geärgert. – In welcher Gesellschaft ist denn Rosa?

KÖRNER. Bei einer Kommerzienrätin. Deine Frau begleitet sie.

HASEMANN. Hm! Hm! Das ist was für Mutter'n. Na, und du?

KÖRNER. Ich – ich fühle mich in diesen Gesellschaften nicht behaglich.

HASEMANN. Dann sollten sie eigentlich deiner Frau auch nicht behagen. Aber das geht mich ja nichts an, Ihr lebt doch sonst glücklich zusammen, will ich hoffen?[148]

KÖRNER argwöhnisch. Wie kommst du auf diese Frage?

HASEMANN. Man sieht Euch so selten zusammen, Ihr führt gewissermassen so 'ne Separat-Ehe, – da ist die Frage doch ganz natürlich.

KÖRNER. Es ist wahr, man sieht meine Frau oft in Gesellschaften ohne mich, aber ich will nicht, daß sie die Zerstreuungen entbehrt, welche ihr Vergnügen machen; und es ist sehr freundlich von ihr, daß sie mich von der Pflicht entbindet, Kreise aufzusuchen, die mir nun einmal nicht zusagen.

HASEMANN. Ja, das ist sehr freundlich von ihr. Aber vielleicht wäre es noch freundlicher, wenn sie diese Kreise auch nicht aussuchte.

KÖRNER. Wer hat sie denn daran gewöhnt, daß sie an Aeußerlichkeiten, an Vergnügungen dieser Art Gefallen findet? Ihr habt sie doch danach erzogen.

HASEMANN. Reden wir nicht von der Erziehung – die hat meine Frau gemacht, ich war nie damit einverstanden. Uebrigens ist das ganz egal. Da sie sich doch einmal entschlossen hat, deine Frau zu werden, solltest du den Mann nicht bloß zu Hause spielen, sondern auch wo anders.

KÖRNER. Das klingt ja gerade, als bereutest Du es, mir deine Tochter gegeben zu haben?

HASEMANN. Warum bist Du denn so gereizt? Ich bin doch an der Geschichte sehr unschuldig.

KÖRNER ironisch. Also hat deine gütige Fürsprache wohl nicht viel dazu beigetragen, wenn Rosa heute meine Frau ist?

HASEMANN ruhig. Nein, durchaus nicht; denn mir hatte sie ja ganz entschieden erklärt, sie wolle nicht.

KÖRNER. Was wollte sie nicht?

HASEMANN. Dich heiraten.

KÖRNER. Wann?

HASEMANN. Wann? Na, an demselben Tage, als du mich batest, bei ihr anzufragen und ihr euch dann hinterher auf eigene Faust verlobt habt.

KÖRNER. An jenem Tage hat Rosa dir erklärt, sie wolle nicht meine Frau werden?

HASEMANN. Na freilich.

KÖRNER. Das ist nicht wahr.

HASEMANN. Du, ich muß sehr bitten – Lügen ist nicht meine Passion.[149]

KÖRNER sehr aufgeregt. Und warum hast du mir das damals nicht gesagt?

HASEMANN. Mein Gott, es war mir unangenehm; und als ich nachher etwas angesäuselt nach Hause kam und euch in Glückseligkeit schwimmen sah, da schwamm ich mit. Mir konnte es doch am Ende nur lieb sein, jedenfalls lieber, als wenn aus der Geschichte mit dem Baron was geworden wäre.

KÖRNER. Also auch das ist wahr?

HASEMANN. Meine Frau behauptet es, ich weiß es nicht.

KÖRNER. Deine Frau – natürlich – die liebe Schwiegermutter! sie geht ihr ja nicht von der Seite.

HASEMANN. Was willst du damit sagen?

KÖRNER. Mich wußte sie mit gleißnerischen Schmeichelworten einzulullen, um bei ihr desto leichteres Spiel zu haben.

HASEMANN. Ich frage, was das heißen soll?

KÖRNER. O, war ich denn mit Blindheit geschlagen?

HASEMANN. Das scheint so, und mit Taubheit auch. Werde ich nun endlich erfahren, was diese Szene bedeuten soll?

KÖRNER. O ja, das sollst du bald erfahren. – Eilt an das Fenster rechts. Ein Wagen hält – sie ist es. Ich bitte dich, laß mich allein.

HASEMANN. Kommt Rosa nach Hause?

KÖRNER. Ja; laß mich allein mit ihr.

HASEMANN. Es scheint mir richtiger, wenn ich gerade jetzt –

KÖRNER energisch. Geh! Ich habe mit meiner Frau zu sprechen, allein zu sprechen – hörst du? Ich will es.

HASEMANN. Na ja, aber ich möchte bitten, daß du dich ein wenig moderierst – ich werde nicht leiden, daß du ihr etwas tust, verstehst du? Beiseite. In der Nähe bleibe ich jedenfalls. Ab rechts.


Quelle:
Adolph L’Arronge: Gesamt-Ausgabe der dramatischen Werke. Berlin 1908, S. 146-150.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Wette, Adelheid

Hänsel und Gretel. Märchenspiel in drei Bildern

Hänsel und Gretel. Märchenspiel in drei Bildern

1858 in Siegburg geboren, schreibt Adelheit Wette 1890 zum Vergnügen das Märchenspiel »Hänsel und Gretel«. Daraus entsteht die Idee, ihr Bruder, der Komponist Engelbert Humperdinck, könne einige Textstellen zu einem Singspiel für Wettes Töchter vertonen. Stattdessen entsteht eine ganze Oper, die am 23. Dezember 1893 am Weimarer Hoftheater uraufgeführt wird.

40 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon