5. Szene.

[42] Weigelt. Dann Leopold. Später Minna.


WEIGELT nachdenkend. Sie meint, es sieht Jeder, daß er mir liebt – ich weiß nicht, manchmal kommt es mir vor – Ach was, das sind dumme Gedanken, wer wird sich mit sowas quälen!

LEOPOLD tritt von links ein.

WEIGELT Leopold bemerkend. Da is er ja. Geht auf ihn zu. Guten Morgen, Junge. Du hast aber heute lange geschlafen?

LEOPOLD gähnend. Ja, ich war müde, ich bin spät nach Hause gekommen.

WEIGELT. Du siehst auch 'n bischen blaß aus. Du bist doch nich unwohl?

LEOPOLD. Nein.

WEIGELT. Am Ende strengst du dir zu sehr mit arbeiten an?[42]

LEOPOLD. Nein.

WEIGELT. Aber warum bist du denn so blaß?

LEOPOLD. Mein Gott, man sieht nicht einen Tag wie den andern aus. Ist das Frühstück noch nicht da?

WEIGELT. Minna wird es gleich bringen. Etwas verlegen. Gucke mal, Leopold, da sind 'ne Masse Rechnungen gekommen.

LEOPOLD sich nachlässig auf einen Sessel werfend. So?

WEIGELT. Möchtest du sie nich einmal durchsehen? Gibt ihm die Rechnungen.

LEOPOLD die Rechnungen oberflächlich prüfend. Ja – das hat alles seine Richtigkeit. Die Rechnungen sind ja aber noch nicht quittiert?

WEIGELT rasch. Du hast sie also schon bezahlt?

LEOPOLD erstaunt. Ich? Wie käme ich dazu? Seit wann führe ich die Kasse?

WEIGELT. Na, ich dachte bloß, weil ich dir doch vorgestern Tausend Mark gegeben habe –

LEOPOLD. Als Taschengeld. Verlangst du etwa, daß ich von meinem Taschengeld auch die notwendigsten Bedürfnisse bestreite?

WEIGELT. Nee, nee, das Allernotwendigste nich; aber – Die Rechnungen nehmend. sieh mal, ein Spitzenüberwurf und Brillantarmbänder, das is doch eigentlich – Stockt verlegen.

LEOPOLD. Was? Das sind kleine Präsente, die man notwendigerweise machen muß, wenn man sich in der eleganten Welt bewegen und sich nicht lächerlich machen will.

WEIGELT begütigend. Na ja, du mußt das ja besser wissen, ich meinte auch bloß –

LEOPOLD trommelt unruhig mit den Fingern auf dem Tisch herum.

WEIGELT. So, da kommt der Kaffee.

MINNA durch die Mitte mit einem Kaffeebrett, auf dem Tassen, Kanne u.s.w. und eine Zeitung liegt; sie serviert das Frühstück auf dem Tisch rechts. Guten Morgen, junger Herr.

LEOPOLD verdrießlich und kurz. Guten Morgen.

MINNA bei Seite. Der scheint bei schlechter Laune zu sein. Aha! Die Rechnungen! Der Alte muß aber doch 'rausrücken. Ab durch die Mitte.


Weigelt und Leopold sitzen an dem Tisch rechts und frühstücken.


WEIGELT essend. Leopold, wer war denn das Mädchen, mit die du gestern Mittag nach'n Tiergarten fuhrst?

LEOPOLD. Welches Mädchen?[43]

WEIGELT. Sie trug lange blonde Locken, so viel ich in der Geschwindigkeit sehen konnte. Ihr habt mir ja beinah übergefahren.

LEOPOLD. Die Dame war ein sehr achtbares Mädchen, meine Freundin.

WEIGELT. Das heißt, wenn du sagst Freundin, denn meinst du – Schelmisch drohend. Du Schwerenotsbengel! Das is wohl die, die schwarze Spitzen und Brillanten trägt, he?

LEOPOLD. Lieber Vater, das ist heute schon das zweite Mal, daß du dich in sehr auffallender Weise über meine kleinen Depensen mokierst. Es scheint demnach, als ob meine Besorgnisse nicht unbegründet wären?

WEIGELT. Besorgnisse? Was hast du für Besorgnisse?

LEOPOLD lauernd. Ich fürchte, daß es mit deiner Kasse schlecht bestellt ist?

WEIGELT ausweichend. Na, na, es wird wohl noch reichen. Freilich – Gutmütig. Du nimmst mir das nicht übel, Leopold – ein bischen viel gibst du aus.

LEOPOLD ärgerlich. Da haben wir's ja.

WEIGELT. Du wirst doch nu bald 'ne Anstellung bekommen.

LEOPOLD höhnisch. Eine Anstellung! Und wenn ich nun auch wirklich Assessor würde, was vorderhand noch gute Wege hat –

WEIGELT. Azessor! Siehste, Leopold, das würde mir riesig freuen – erstens die Ehre, und denn das Gehalt. Was kriegst du denn da?

LEOPOLD. Nach und nach vielleicht so viel, daß ich meinen Nachtwächter fürs Türaufschließen bezahlen kann.

WEIGELT verblüfft. Ach, du spaßt wohl? Da stände sich ja ein Nachtwächter besser, als –

LEOPOLD. Allerdings, wenn du wünschest, daß ich von einem Assessorgehalt existieren soll, dann wäre es besser gewesen, du hättest mich, anstatt jura studieren zu lassen, geehrt, wie man mit dem Pechdraht hantiert.

WEIGELT ein Stück Semmel im Mund, verschluckt sich vor Schreck und würgt an dem Bissen. Ach, der Bissen ist mir in die unrechte Kehle gekommen.

LEOPOLD. Gerade heraus, lieber Vater, wenn deine Mittel nicht dazu ausreichen, dann hättest du mich nicht an ein unabhängiges Leben gewöhnen, mich nicht in dem Gedanken lassen sollen, daß ich der Sohn eines reichen Mannes[44] sei. Jetzt wird es mir schwer fallen, meinen Gewohnheiten zu entsagen.

WEIGELT. Das verlange ich ja auch gar nicht.

LEOPOLD. Ich weiß es aber, daß deine Vermögensverhältnisse durchaus nicht so glänzend sind, wie du mich glauben machen möchtest. Warum hast du dein Haus am Kurfürstendamm verkauft?

WEIGELT. Warum? Weil – weil mir die Gegend da draußen am Grunewald zu unsicher war. Du weißt doch, jede Woche is einer angefallen und abgemurkst worden –

LEOPOLD. Wenn du wenigstens bei dem Verkauf die dreitausend Mark gerettet hättest, welche du unnützerweise Clara an den Hals geworfen hast.

WEIGELT vorwurfsvoll. Leopold! Clara ist deine Schwester.

LEOPOLD. Sie hat sich von uns losgesagt, deine Großmut war hier ganz überflüssig. Wenn ich aber den Verkauf des Hauses auch gelten lassen wollte, das Schlimmste ist, daß du auch dein Geschäft aufgegeben hast. Es war doch sehr einträglich, du hattest eine große Kundschaft – und dann bist du doch am Ende noch ein Mann in den besten Jahren, so rüstig und kräftig – ich begreife gar nicht, wie du dich so ganz ohne Arbeit wohl fühlen kannst.

WEIGELT eine Tasse in der Hand, hat während Leopolds Rede wiederholt versucht, dieselbe an den Mund zu bringen und daraus zu trinken. Es gelingt ihm indessen nicht, er läßt die Tasse zitternd hin und her balanzieren, sie fällt zu Boden und zerbricht.

LEOPOLD. Was gibt's denn?

WEIGELT sich mit dem Rockärmel über die Augen fahrend. Nichts nichts. Mir ist bloß was in die Augen gepflogen, und – und da habe ich die Tasse fallen lassen. Bückt sich auf die Erde und hebt die Scherben auf.

LEOPOLD. Es war notwendig, daß wir uns einmal ohne Rückhalt aussprachen. Und da dies nun geschehen, will ich dir auch sagen, daß ich meinerseits schon Mittel und Wege gefunden habe, die Situation zu klären.

WEIGELT. Ganz aufrichtig, Leopold, das verstehe ich nicht.

LEOPOLD. Die Sache ist sehr einfach. Da ich auf eine ausreichende Unterstützung von dir nicht mehr rechnen kann, so habe ich mich entschlossen, ein Opfer zu bringen.

WEIGELT erfreut. Du willst dir mehr einschränken?

LEOPOLD unwillig. Nein, das ist es eben, was du[45] nicht begreifst – ich kann meine Lebensgewohnheiten nicht ändern, und – ich will es auch nicht.

WEIGELT. Wie meinst du denn das mit dem Opfer?

LEOPOLD. Das beste Auskunftsmittel ist eine reiche Partie – ich werde mich verheiraten.

WEIGELT. Was du sagst! Du bist also verliebt?

LEOPOLD. Durchaus nicht. Aber das Mädchen, welches ich heiraten will, ist bis über beide Ohren in mich verliebt.

WEIGELT nachdenklich. So, so. Dann ist also sie eigentlich das Opfer.

LEOPOLD. Nein, meine Freiheit ist es, die ich in den Kauf gebe. Ich habe bereits bei Herrn Schwalbach um die Hand seiner Tochter angehalten; er hat mir zwar noch keine bestimmte Zusage gemacht, aber Emilie ist sein einziges Kind, sie liebt mich, und ich wüßte nicht, was er an mir auszusetzen haben sollte.

WEIGELT. Nee, das wüßte ich auch nicht. Also Schwalbach heißt er. Was ist er denn?

LEOPOLD. Er ist Kaufmann, sehr reich; er hat mir versprochen, dich heute zu besuchen – jedenfalls, um das Nähere über die Heirat mit dir zu besprechen. Sei klug, Vater, und vor allen Dingen laß ihn nicht merken, daß es mit unsern Finanzen schlecht bestellt ist. Du handelst nicht nur in meinem, sondern auch in deinem eigenen Interesse, wenn du dafür sorgst, daß die Hochzeit bald, sehr bald stattfindet. Ich will mich jetzt ankleiden. Guten Morgen. Vater. Wendet sich nach links.

WEIGELT. Leopold!

LEOPOLD sich umwendend. Hm?

WEIGELT. Du hast heute so sonderbar mit mir gesprochen, wie noch nie –

LEOPOLD. Lieber Vater, wenn du über das, was ich dir gesagt habe, ruhig nachdenkst, wirst du mir für meine Offenheit Dank wissen.

WEIGELT. Das wäre möglich, aber –

LEOPOLD. Hast du mir noch etwas zu sagen?

WEIGELT. Ja. Holt tief Atem, als ob er etwas sagen wollte, hält wieder inne und spricht in verändertem Ton. Ich wollte bloß fragen, ob man sich auf den Mielisch, den du mir empfohlen hast – du weißt doch, zum Vorlesen und Briefeschreiben, weil meine Augen so schwach sind – ob man sich auf den Menschen auch verlassen kann?[46]

LEOPOLD. Gewiß, gewiß. Was veranlaßt dich zu dieser Frage?

WEIGELT. Na, er kommt mir seit einiger Zeit so sonderbar vor.

LEOPOLD bei Seite. Oho, das wird bedenklich, da heißt's auf der Hut sein! Laut. Du kannst ganz unbesorgt sein, Mielisch ist ein sehr zuverlässiger Mensch.

WEIGELT. Na, dann bin ich ja beruhigt.

LEOPOLD. Vergiß nicht Herrn Schwalbach. Nicht wahr, du wirst ihn nicht eher fortlassen, als bis der Tag der Hochzeit bestimmt ist?

WEIGELT. Laß mir man machen.

LEOPOLD Weigelt die Hand reichend. Und du bist mir nicht mehr böse?

WEIGELT. Mein Leopold, mein Junge! Wie werde ich dir böse sein! Nimmt Leopolds Kopf zwischen beide Hände und küßt ihn herzlich.

LEOPOLD geht rasch nach links ab.


Quelle:
Adolph L’Arronge: Gesamt-Ausgabe der dramatischen Werke. Berlin 1908, S. 42-47.
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