9. Szene.

[30] Clara. Weigelt.


WEIGELT reißt die Mitteltür auf und wirft sie, ärgerlich eintretend, hinter sich ins Schloß. Solche Unverschämtheit is noch nich dagewesen!

CLARA. Wie?

WEIGELT. So lange ich Hauswirt hin, is mir das noch nich passiert.

CLARA. Was ist denn geschehen, Vater?

WEIGELT ohne auf sie zu hören. So'n Mensch! So'n verhungerter Amtsrichter, den ich für lumpige 350 Taler die ganze halbe vierte Etage bewohnen lasse – so'n Mensch untersteht sich, mir so zu kommen.[30]

CLARA. Du warst auf dem Gericht?

WEIGELT. Ja, ich war auf dem Gericht.

CLARA erwartungsvoll. Nun?

WEIGELT die Fäuste ballend. Abgewiesen bin ich mit meine Klage.

CLARA bei Seite. Gott sei Dank!

WEIGELT. Ich hätte nich das Recht, zu exmistieren. Höhnisch. Ich als Hauswirt nich das Recht, zu exmistieren! Na, wenn das Mode würde, da möchte ja der Deibel Hauswirt sein.

CLARA beruhigend. Aber lieber Vater –

WEIGELT. Und die Gründe, die Gründe – das is das Schönste! Es wäre erwiesen, daß der Kachelofen in Müllers Wohnung so miserabel is, daß man nich drin heizen kann, also könnte es ihm auch kein Mensch verwehren, wenn er einen eisernen Ofen brennt. So'n Quatsch! Und das soll ich mir ruhig gefallen lassen? Drohend. Na warte!

CLARA. Du solltest doch bedenken, lieber Vater –

WEIGELT. Setz' dir mal hin und schreibe.

CLARA. Aber –

WEIGELT ärgerlich. Schreibe, sage ich.

CLARA setzt sich an den Tisch links und nimmt aus der Schublade Papier, Tinte und Feder. An wen soll ich denn schreiben?

WEIGELT. Das wirst du schon hören. So soll ihm noch kein Mensch die Wahrheit gegi – gegei – gegogen haben. Also, fange mal an. Diktiert. »Mein Herr! Sie haben heute vor das öffentliche Amtsgericht die Unverschämtheit gehabt –« In den Brief sehend. Wo steht Unverschämtheit?

CLARA. Hier.

WEIGELT. Is es auch deutlich?

CLARA. Ja. Aber?

WEIGELT. Weiter! Diktiert. »die Unverschämtheit gehabt, mir in Gegenwart eines gewöhnlichen Hofmieters in meine Autorität –« In den Brief sehend. Wo steht Autorität?

CLARA. Hier.

WEIGELT. Is jut. Diktiert. »– in meine Autorität zu blamieren. Das kann natürlich nich so hingehen. Zuerst kündige ich Ihnen hiermit; bis dahin aber werde ich Ihnen zeigen, was ein richtiger Wirt zu bedeuten hat. Ihren Chambreganisten erlaube ich nich mehr, der muß' raus.«

CLARA. Geht das auf Herrn Mehlmeyer?[31]

WEIGELT. Ja.

CLARA. Aber was hat dir denn der arme Pianist getan?

WEIGELT. Was, Pianist! Er paukt, daß man es drei Straßen weit hört. Aber ganz egal, er muß 'raus. Schreibe weiter. Diktiert. »Im übrigen werden wir uns vor das Kammergericht weiter sprechen.« So, nu werde ich unterschreiben. Gib her. Will Clara die Feder fortnehmen.

CLARA. Nein, Vater, den Brief kannst du nicht abschicken.

WEIGELT. Warum nich?

CLARA. Du beleidigst damit den Herrn Amtsrichter.

WEIGELT. Das will ich ja grade.

CLARA. Bedenke doch, sein Urteilsspruch – mag er dich auch im Augenblick verletzen – kommt einer armen Familie zu gute.

WEIGELT. J, sieh mal! Die Bagage ist dir wohl mehr an's Herz gewachsen, als dein eigener Bruder?

CLARA. Allerdings, wenn es Sich nur um eine Befriedigung seiner Launen handelt –

WEIGELT. Willst du vielleicht wieder auf Leopold schimpfen? Drohend. Du, du weißt, das vertrage ich nich. Er is mein Herzensjunge, und er wird seinen Pferdestall kriegen, darauf verlaß dir. Nach dem Briefe langend. Nu gib her.

CLARA abwehrend. Du bereitest dir selber große Unannehmlichkeiten, wenn du den Brief absendest.

WEIGELT. Das ist meine Sache. Her damit!

CLARA steht auf, energisch. Selbst auf die Gefahr hin, dich böse zu machen – ich kann es nicht zugeben. Sie zerreißt den Brief.

WEIGELT starrt sie eine Weile verblüfft an. Ah! Du unterstehst dir?! Tritt einen Schritt näher auf Clara zu und holt wie zum Schlage aus.

CLARA weicht zurück und streckt abwehrend ihre Hände Weigelt entgegen.


Quelle:
Adolph L’Arronge: Gesamt-Ausgabe der dramatischen Werke. Berlin 1908, S. 30-32.
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