Rosenmund und Bramarbas.


Rosenmund und Bramarbas

[127] Ein angesehener und begüterter Mann auf dem Lande, der mit seinem Nachbar in immerwährender Feindschaft lebte, hatte zwei Söhne. Den einen hatte die Mutter Rosenmund geheißen, weil er so hübsch und so freundlich aussahe, und so gutmüthig, wie er denn auch wirklich ward; den andern hatte der Vater seines grimmigen Aussehens wegen, Bramarbas geheißen, denn er dachte, der müßte eine gewaltige Kriegsgurgel werden, die 10,000 mit einem Streich niederhiebe, und wenigstens General oder wohl gar Korporal werden müsse. Und in der That wurde er auch ein gewaltiger Held, der nicht 10,000 sondern wohl gar 100,000 niedermachte, nur freilich nicht mit dem Schwerdt, sondern mit dem Maule, aus dem er es hervor gurgelte, was er Alles noch thun, und wie er es anfangen wollte!

Da er doch eigentlich mit dem Maule oder mit der Gurgel keine Mücke todtschlug, so hätte man ihm seine Prahlhansigkeit schon können nachsehen, aber daß er hämisch und tückisch war, selbst gegen den gutmüthigen Bruder, das war schlecht und teuflisch.

Rosenmund war der Freund von dem Sohne des Nachbars, der eben so gut und liebenswürdig war, als er selbst. Beide lebten in rechter Liebe und Eintracht, und kümmerten sich wenig um die Händel der Väter. Aber Bramarbas machte den Bruder beim[128] Vater verhaßt, und sagte, daß derselbe dem Nachbar Alles hinterbringe was im Hause vorgehe. Darüber wurde der Vater sehr ungehalten, und faßte einen Haß gegen den Rosenmund, und als nachmals Bramarbas dem Vater weiß machte, sein Bruder sei vom Nachbar überredet, den Vater zu vergiften, glaubte es der Vater, und schlug den armen Jungen ganz blutig, stieß ihn zum Hause hinaus, und drohte ihn ganz todt zu schlagen, wenn er sich wieder erblicken würde lassen.

Da ging Rosenmund weinend in die Welt, und wußte nicht wohin, denn er kannte die Welt noch nicht, und seufzte: »was soll ich nun anfangen?«

Am Abend war er in einen Wald gekommen, und vor Ermattung fiel er in der Höhle die er gefunden hatte, und wo er auf einem Mooslager sich hinlegte, in einen tiefen Schlaf.

Am andern Morgen, eben als er erwachte, stand eine Dame vor ihm, die ihn gar freundlich ansahe, und ein weißes Pferd an der Hand führte. Die fragte ihn, ob er nicht eine weiße Hindin (Hirschkuh) von sechs weißen Windspielen verfolgt, hätte vorüber laufen gesehen?

»Ach lieber Gott nein!« antwortete er sehr betrübt. Die Dame, der sein unschuldiges Gesicht gefiel, und seine Bekümmerniß weh that, fragt ihn, was ihm denn fehle, er sollts ihr doch offenbaren.

Da erzählte der arme Jüngling Alles treuherzig und traurig, und sagte: »Nun hab ich keinen Menschen mehr, der sich mein annimmt, denn die Mutter darf es nicht, weil der Vater so böse auf mich ist. Nun weiß ich nicht, was ich soll anfangen, denn Niemand kann mir ja helfen!«

»Die Unschuld findet überall Hülfe, mein junger Freund, sagte zu ihm die freundliche Jägerin, wie du gleich sehn sollst. Bewahr sie dir nur, und sei wahr und gut. Nimm diesen Ring, und laß ihn nicht abhanden kommen. Steck ihn an deinen Finger. Drehst[129] du den Diamant desselben einwärts, so bist du unsichtbar; steckst du den Ring an den Goldfinger, (der nächste am kleinen Finger) so scheinst du der Königsprinz in dem Lande, wo du dich aufhältst, und an Gefolge und Bedienten, und an Geld und Gold soll dir es nicht fehlen, steckst du ihn an den kleinen Finger, so bist du wieder, was du eigentlich bist. Gebrauche die Gabe mit Vorsicht und Gerechtigkeit, und Güte!«

Sie schwang sich auf ihren weißen Zelter, (leichtes Pferd) und war ihm pfeilschnell aus den Augen.

Wie leicht wär es Rosenmund nun gewesen, sich an seinem Bruder zu rächen; aber dazu war er viel zu edel. Er machte sich aber mit seinem Ringe unsichtbar, ging in des Vaters Haus, und zeigte sich dann sichtbar der geliebten Mutter, der er Alles erzählte, und durch des Ringes Kraft, die derselbe am Goldfinger hatte, erschien er hieraus als der Königssohn vor dem Hause der Aeltern mit vielen prächtigen Pferden und Dienern.

Sein Vater erschrack, da er den Prinzen in seinem Hause sahe, und war in großer Verlegenheit, und kam in noch größere, als der Prinz nach seinem zweiten Sohn fragte, den er eben so wohl als den ältesten mit an seinen Hof nehmen wolle. – »Er ist nicht hier, sagte der geängstete Vater, der jetzt wußte, wie sehr Unrecht er dem jüngern Sohne gethan hatte. Er ist nicht hier. Ich hatte ihn eines Fehlers wegen vielleicht etwas zu hart gezüchtigt, da ist er mir entlaufen.«

»O! hättet ihr doch erst Güte versucht, wenn er wirklich Unrecht gethan hatte, das wäre väterlicher gewesen, antwortete der Prinz. Indessen gebt mir denn nur den Aeltesten mit, ich möchte gern etwas aus ihm machen.« – Der Vater gab ihn gern hin.

Der wahre Königsprinz war vor einiger Zeit mit einer Flotte zur See gegangen, um auf einer entlegenen Insel Krieg zu führen, aber sein Schiff war vom Sturme an unbekannte Küsten verschlagen,[130] wo es zertrümmert, und der Prinz von einem wilden Volke gefangen genommen wurde. Am Hofe betrauerte man ihn als todt. Jetzt nun kam Rosenmund in Gestalt des wahren Prinzen an den Königshof, und König und Königin fielen vor Freuden fast in Ohnmacht, und umarmten ihn viel hundert Mal, und das ganze Land jauchzte und jubelte, und die Feste und Freudenfeuer dauerten an acht bis vierzehn Tage, denn es hatte alle Welt den Prinzen sehr lieb gehabt, weil er so sanft und gut war, wie Rosenmund auch.

Eines Tages nun ließ Rosenmund den Bruder zu sich kommen, und sagte: »ich weiß, wie übel du an deinem Bruder gethan hast, der dir niemals etwas Leides hat zugefügt; ich weiß Alles auf das genaueste, und du wirst selbst fühlen, was du verdientest.«

Da fiel Bramarbas ihm zu Füßen, gestand in der Angst Alles, und bat um Gnade. Rosenmund antwortete: »ich verzeihe dir gern, obwohl du gar sehr schwer gefehlt hast, und dein Bruder, der mein Liebling ist und den du gleich sehen sollst, auch, und zwar von Herzen; aber sorge daß du gut wirst, und warte hier.«

Rosenmund ging hierauf in ein Nebenzimmer, und kam in wenigen Augenblicken in seiner wahren Gestalt, mittelst der Eigenschaft des Ringes, zum Bruder wieder zurück. Dieser fiel ihm mit heuchlerischer Reue und mit erlogenen Thränen um den Hals, bat um Verzeihung, und entschuldigte sich, so gut als er nur konnte.

»Es ist dir Alles vergeben mein Bruder, sprach Rosenmund, und soll auch Alles vergessen werden; aber ich bitte dich sehr, ändere deinen Sinn, du wirst nicht glücklich mit ihm!«

Die Brüder trennten sich, nachdem Bramarbas tausend Mal des Bruders Großmuth gepriesen hatte, und Rosenmund nahm wieder die Prinzengestalt an; aber in seiner wahren Gestalt kam er mehrmals zu seinen Aeltern, und beschenkte sie mit vielem Golde, welches er überreichlich vom Könige bekam.[131]

Es entstand ein gewaltiger Krieg mit einem benachbarten gleich mächtigen Reiche. Rosenmund machte sich unsichtbar, und ging an den Hof des feindlichen Königs, wo er alle Rathschläge hörte, und Alles vernahm, wie man den Feldzug führen wollte. Da ward es ihm denn leicht, allen Anschlägen der Feinde zuvor zu kommen, zumal da ihm der König die Oberfeldherrnstelle übergeben hatte. Er verwirrte alle Unternehmungen der Feinde, er schlug sie daher, wo er sie nur sahe, und brachte bald einen sehr rühmlichen Frieden zu Stande.

Jetzt dachte nun König und Königin daran, den herzgeliebten vermeintlichen Sohn mit einer liebenswürdigen Prinzessin eines benachbarten, auch mächtigen Königs zu vermählen.

»Wenn du das thätest, so wäre es Betrug, dachte Rosenmund, und nimmer könnt' daraus Gutes erfolgen. – Der rechte Prinz muß herbei!«

Mit solchen Gedanken ritt er auf die Jagd, tief in den Wald hinein, und traf die Fee, seine Wohlthäterin, und erzählte ihr Alles was sich zutrug, und wie er den rechten Prinzen so gern den Aeltern möcht wieder bringen.

»Ich habe mich nicht in der betrogen, mein Sohn, sprach die Fee; du bist gut, und du wirst es bleiben. Geh an den Strand des Meeres, hinter dem Walde, da wirst du ein Schiff finden, das dich leicht und sicher und schnell zum Königssohn soll hin und wieder zurückbringen.« – Die Fee verschwand.

Rosenmund ging an den Hof zurück, und unter dem Vorwand, daß es ihm in einem benachbarten Reiche nicht ganz richtig scheine, zog er fort, ging zu Schiffe, und kam gar bald an die Insel, wo der rechte Kronprinz die Kühe mußte weiden. Er nahm ihn schleunigst auf sein Schiff, und brachte ihn in wenigen Tagen an den[132] Hof seines Vaters, wo Rosenmund seine wahre Gestalt nun wieder annahm.

Rosenmund eröffnete dem Könige nun Alles, wie es vom Anfange an sich hätte begeben, und gab ihm seinen echten Sohn wieder, der so lange ein Viehhirte gewesen war. Da ward der König und die Königin gar höchlich verwundert und erfreut, und den Sohn und seinen Erlöser drückten sie ans Herz, und sagten zum Rosenmund: »du sollst auch unser Sohn sein, aber der Bramarbas soll an den Galgen.«

Aber der Bruder bat sehr für ihn, und der König ließ ihm seine Dienste am Hofe.

Rosenmund aber, der wohl gesehen hatte, es sei selten einmal bei der Hoheit viel Frieden und Glück, selbst nicht an dem Hofe dieses guten Königs, wo sie sich heimlich einander neideten und verfolgten, kehrte in die Stille seines Landlebens zurück zu den Aeltern, und lebte mit ihnen vergnügt und froh, indem der Vater ihn auch recht liebgewonnen hatte, weil er so gut war, und von des Königs Güte mehr hatte mitgebracht, als sie Alle lebenslang brauchten. Der Prinz besuchte ihn fleißig, und war ihm mit treuer Liebe zugethan, und hätte ihn so gern wieder mit an den Hof genommen, er aber blieb wo er war.

Den Zauberring wäre aber Rosenmund auch gern wieder los gewesen, und ging deshalb fast täglich nach der Höhle, wo er zuerst die Fee hatte getroffen. Er traf sie endlich wieder, und gab ihn der Fee mit tausend herzlichem Danke zurück.

»Warum willst du ihn nicht behalten, fragte die Fee, mein Rosenmund?«

»Ach! sagte er, ich habe ja durch ihn schon Alles was ich bedarf, um zufrieden zu sein. Was soll ich denn mehr? – – Ich fürchte, ich könnte ihn einmal schlecht anwenden, denn Zeit und Stunde sind nicht immer sich gleich, und das Menschenherz ist gar veränderlich.[133] Ich könnte wohl einmal auf den Gedanken kommen, damit zu schaden.«

»Du bist mein Liebling, sagte die Fee, du bist weise geworden, weil du immer gut warst, und hast nicht unrecht. Sei zufrieden und froh!«

Die Fee nahm den Ring, und sagte, sie wolle ihn Jemand geben, der durch denselben seine Strafe finden solle. Güter und Gaben wären nur in der Hand des Guten wohlthätig, in der Hand des Bösen würden sie gefährlich, und brächten den Bösen zuletzt selbst ins Verderben.

So sagte die Fee, und gab den Ring dem Bramarbas. Sie eröffnete ihm, das sei der Ring, dem Rosenmund all sein Glück verdanke, und den er nun nicht mehr haben wolle. »Nimm ihn, sprach sie, und mache einen guten Gebrauch davon.« So sprach sie und verschwand.

»Schönen Dank für die köstliche Gabe, du dumme Fee, sprach der Bramarbas. Hätt' ich den Ring zuvor gehabt, ich hätt' ihn keinem Andern gegeben, und von mir soll ihn nun und nimmermehr jemals Jemand bekommen, und will ich schon Gebrauch davon machen. Da ich den Ring habe, soll mirs nicht fehlen!«

Es fehlte ihm dennoch. – Wenn man sicher, hochmüthig und bösartig ist, so geht man am Ende doch unter.

Bramarbas wollte sich großen Reichthum und Gewalt durch seinen Ring verschaffen, und dachte wohl gar daran, wie er König werden könnte.

Er schlich unsichtbar überall herum, er ermordete die Reichen und nahm ihr Geld, und wollte zuletzt den Thronerben auch ermorden, um selbst König zu werden; er ging ungesehen in den Staatsrath, hörte Alles, und entdeckte es den Feinden des Landes. Der König und seine treuen Räthe sahen sich verrathen und verkauft, und wußten nicht woher, und von wannen es kam? Aber da der[134] Bramarbas täglich auf unbegreifliche Weise reicher und reicher wurde, und frecher und unverschämter dazu, so vermuthete man, er habe vielleicht dem Bruder den Ring entwendet, und sei der Anstifter alles Unheils.

Man stellte einen gescheuten, aber unbekannten Menschen an, der sich beim Bramarbas als den heimlichen Gesandten eines benachbarten Königs ausgab, und ihm unermeßliche Summen versprach, wenn er alle Staatsgeheimnisse verrathen wolle.

Er verrieth dem Angestellten Alles, aus Geldgier und Schadenlust, und da ihm der Angestellte Vorsicht und Klugheit empfahl, meinte er höhnisch, die sei denn eben nicht nöthig, weil er diesen Ring habe, dessen Kraft und Tugend ihn ganz sicher stelle, wie er übermüthig ausprahlte.

Uebermuth thut selten gut. – Der, den man angestellt hatte, berichtete Alles getreulich.

Man ergriff unversehens den Bramarbas im Bette, man zog ihm den Ring ab, und hing ihn nach Verdienst und Würden an den Galgen, und Jedermann sprach: »dem geschieht Recht!«

Aber als es Rosenmund erfuhr, trauerte er gar sehr, und seufzte bei sich selbst: »hätt' ich es doch nur gewußt, vielleicht hätt' ich dich können losbitten, und vielleicht wärst du auch besser geworden!«

Aber das half nun nichts mehr, denn er war einmal ordentlich und tüchtig gehenkt, und außer Rosenmund klagte kein Mensch um ihn.

Quelle:
Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, anmuthig und lehrhaftig [1–]2. Band 1, Leipzig [ca. 1819/20], S. 127-135.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon