Der goldene Hahn

[346] Ich hatte einen schönen Traum

Von einem grünen Buchenbaum;

Der Traum, der war so lang und breit,

Wie eine kleine Ewigkeit.


Ich ging allein im grünen Wald,

Viel Brommelbeeren fand ich bald;

Ich hab' mich auf und ab gebückt,

Die Brommelbeeren abgepflückt.


Mein Herz auf einmal stille stand,

Das Körblein fiel mir aus der Hand;

Ich hörte singen den gold'nen Hahn,

Der kündet junges Sterben an.


Was fang' ich an in meiner Not?

Ich höre meinen eig'nen Tod;

Wer den gold'nen Hahn hört ganz allein,

Sein Grab wird bald gegraben sein.
[346]

Du junges, junges Jägerblut,

Nimm mich in deine treue Hut;

Die Brommelbeeren im Körbelein,

Die soll'n dir nicht verwehret sein.


Die Brommelbeeren will ich nicht,

Du allerliebstes Angesicht;

Will küssen deinen roten Mund

Im grünen Wald eine Viertelstund'.


Eine Viertelstund' ist nicht lang noch breit,

Es ist ja keine Ewigkeit;

Küß ihn ein Stündlein oder zwei,

Und wenn du willst, noch lieber drei.


Da stand ein grüner Buchenbaum,

Da hatt' ich einen schönen Traum;

Drei Stündlein lang, drei Stündlein breit,

Und durch und durch voll Süßigkeit.


Im grünen Wald der goldne Hahn,

Der singt und singt, soviel er kann;

Sing' du nur hin, sing' du nur her,

Ich fürchte mich kein bißchen mehr.

Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 346-347.
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