Die Nacht im Winter

[176] Auf breiter Berge steiler Treppe

Rauscht sturmdurchflüstert stolz dahin

Die schwarze Riesenseidenschleppe

Der Nacht, der kalten Königin.


Von tausend Flittern ist durchflimmert

Ihr Kleid, sonst allen Schmuckes bar,

Ein schmaler, heller Halbmond schimmert

Im reichen, bläulichschwarzen Haar.


Zwei kühle Silbergletscher leuchten

Aus ihrem schwarzen Kleid hervor,

In ihrer kalten, eisig feuchten

Umgebung manches Herz erfror.
[176]

Vornehm und stolz – kein Zug von Wonne

Spielt in dem Antlitz kalt und tot –

Wer kennt die rote, heiße Sonne,

Die hinter jenen Gletschern loht?

Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 176-177.
Lizenz:
Kategorien: