Die Schlangen

[164] Gott Apollo, gib mir Töne,

Daß ich diese stolze Schöne

Nach Gebühr besingen kann,

Deren ellenlange Zöpfe

Dieses frommen Nestes Köpfe

Ziehn in ihren Blondhaarbann.


Diese semmelblonden, langen

Graziösen Riesenschlangen

Haben auch mein Herz berückt,

Ich gesteh, es war abscheulich,[164]

Im Konzerte hab' ich neulich

Taub nach ihr nur hingeblickt.


Wie der Schlangenzwilling wehte,

Wenn der blonde Kopf sich drehte,

Heiliger Antonius!

Jetzt versteh' ich deine Qualen,

Als besucht dich dazumalen

Jener fesche Genius.


Bibel, Geißel, Totenköpfe

Helfen nichts, wenn blonde Zöpfe

Ihnen keck den Krieg erklärt.

Und ich bin kein Heiliger, leider,

Trage keine härnen Kleider,

Bin nicht dürr und abgezehrt.


Darum tu ich dir, du Holde,

Dir und deinem Kopfhaargolde

Krieg und Kampf zu wissen kund,

Deinen Lippen, deinen warmen,

Ärmelknappen, weichen Armen,

Deinem scharfgeschnitt'nen Mund.


Erste Schlacht – je eh'r, je besser,

Kämpfen will ich bis aufs Messer,

Horch, die Trommel wird gerührt,

Sterbend werde ich verbluten

Oder du von Liebesgluten

Krank mir an das Herz geführt.


Oktober 1890


Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 164-165.
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