Verregnete Liebe

[171] Gelb glänzt auf nassen Trottoiren

Der Gaslaternen Widerschein,

Elektrisch Licht mit wunderbaren

Blauweißen Strahlen leuchtet drein.


Tief unter einen Schirm gebogen,

So irren wir die Straß' entlang,

Umbraust von Regensturmes Wogen –

O Maiengrün und Vogelsang ...


O Blumenduft und Liebesrauschen –

Ein Stelldichein im Waldesgrün,

Ein ungestörtes Küssetauschen ...

Nur so kann Liebe stark erglühn.


Wie heiß ersehnt war diese Stunde

Seit langer Zeit von dir und mir –

Nun gehe ich mit stummem Munde

Schüchtern – verlegen neben dir.


Es peitscht der Westwind deine Wangen –

In Blick und Worten liegt kein Herz,

Der Regen tötet mein Verlangen,

Der nasse Mund spricht kalten Scherz.


Langweile schleicht mit stummen Schritten

Um uns herum – ich wag es nicht,

Den ersten Kuß mir zu erbitten

Mit naßgeregnetem Gesicht.


Die Uhr schlägt neun – »Du mußt schon gehen?«

»Ich schreibe, wann ich kommen kann!«

Wir werden nie uns wiedersehen –

Der Regen nur ist schuld daran!

Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 171-172.
Lizenz:
Kategorien: