Der Greis und die drei jungen Leute

[200] Ein Achtzigjähriger pflanzte Bäume.

Drei Jünglinge der Nachbarschaft erklärten

Sein Tun für unverständige Narrenträume

Und lachten mit bezeichnenden Gebärden.

Sie riefen hin zum greisen Arbeitsamen:

»Was schafft Ihr da, in aller Götter Namen?

Es ging noch an, zu bauen, doch – zu pflanzen?

In Euren Jahren? Wollt Ihr noch erleben,

Daß Früchte Euch vom Baum zu Füßen tanzen?

Gott müßte Euch ein Patriarchenalter geben!

Was pflegt Ihr Sorge um zukünftge Zeit,

Die nicht mehr Eure ist? Gedenkt in Ruh

Der Irrtümer Eurer Vergangenheit.

Der Zukunft Sorge kommt uns Jungen zu.«

Der Greis erwiderte: »Nicht mehr als mir.

Gleichmäßig spielt der dunklen Parze Hand

Mit eurem wie mit meinem Lebensband.

Wir alle weilen nur ein Weilchen hier,

Und was wir tun, ob ich es tu, ob ihr,

Ist alles nur von flüchtigem Bestand.

Gibt's einen Augenblick denn, der uns schwört,

Daß noch ein zweiter lebend uns gehört?

Urenkel werden danken meinen Händen,

Wenn diese Bäumchen ihnen Labsal spenden.

Was klagt ihr, daß ich andern zum Vergnügen

Mir Mühe mache! Seht, ich müßte lügen,

Gestände ich nicht gern und freudig ein:

Lohn ist mir jene Hoffnung schon allein,

Sie ist schon Frucht; ich koste sie. Wer weiß,

Ob ich das Morgenrot nicht manchen Tag[201]

Noch über euren Gräbern zählen mag.«

Wie wahr gesprochen hatte doch der Greis!

Ertrunken ist der erste der drei Jungen,

Der plante, nach Amerika zu wandern,

Bereits im Hafen. Und die beiden andern

Hat gleichfalls jäh der Tod umschlungen:

Der zweite wollte Kriegesruhm erwerben

Und mußte früh durch eine Kugel sterben;

Der dritte stürzte von dem Baum herab,

Den er im Garten sich zum Pfropfen wählte.

Der Greis beweinte sie, und auf ihr Grab

Schrieb er die Lehre, die ich hier erzählte.

Quelle:
Lafontaine, Jean de: Fabeln. Berlin 1923, S. 200-202.
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