Der Mann, die Frau und der Dieb

[174] Ein Ehemann war sehr verliebt,

Verliebt in seine eigne Frau.

So war er glücklich – doch sein Glück war lau,

Weil es der Dame nicht beliebt,

Mit Herzensblick ihn zu erfreuen,

Mit Lächeln oder gutem Wort;

Sie schien den armen Mann zu scheuen,

Und nahte er sich zärtlich, lief sie fort.

Er fühlte wohl, daß dies nicht rechte Liebe wäre.

Ich glaub's: er war ja nur ein Ehemann!

Er weinte heimlich manche Zähre

Und schmückte nicht des Liebesgotts Altäre,

Und Hymen schien ihm ein Tyrann.

Denn wenn die Liebe nicht verklärt

Die Freuden, die der Gott gewährt,

So ist die Ehe ein trübseliges Gespann. –

Da unser Weibchen also so beschaffen

Und nie dem Gatten freundlich tat,

Vielmehr ihn ferne hielt mit allen Waffen,

Beklagte er einst nachts sein Zölibat,

Als sacht ein Dieb ins Zimmer trat,

Um gute Beute zu erraffen,

Ein Dieb, der unser armes Weibchen so erschreckte,

Daß es in Angst zum Gatten lief

Und sich an seiner Brust versteckte.

Der aber rief beseligt aus:

»Freund Dieb, so greife denn recht tief

In Truhen und in Kasten

Und trage, was du willst, nach Haus,

Denn ohne dich müßt ich noch lange fasten!«[175]

Ein Dieb ist keine scheue Maus,

Auch dieser machte einen guten Schnitt,

Und wohl die halbe Wohnung mußte mit.


Und das, was die Geschichte lehrt,

Ist, daß die Furcht ein starker Trieb,

Der Widerwillen oft schon aus dem Felde hieb.

Zwar trifft's auch zu, daß Furcht die Liebe überwindet,

Doch manchmal ist's auch umgekehrt,

Wie dies ein andres Beispiel kündet:

War einer so in Lieb entbrannt

Zu seinem Weib, daß er mit kühner Hand

Das Haus in Flammen legte,

Um alle Sehnsucht, die er hegte,

Zu stillen und durch Rauch und Brand

Die Liebste auf dem Arm zu tragen.

Ich schätze solche Tat, und ich muß sagen,

Daß ich an der Erzählung stets Gefallen fand:

Echt spanisch klingt's, und scheint die Tat auch toll,

Ist sie doch groß und wundervoll.

Quelle:
Lafontaine, Jean de: Fabeln. Berlin 1923, S. 174-176.
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