Der Pfau, der sich bei Juno beklagt

[41] Der Pfau beklagte einst bei Juno sich:

»Göttin, nicht ohne Gründe murre ich.

Die Stimme, die du mir verliehen hast,

Mißfällt der Welt durch ihren rauhen Schall;

Dagegen singt so süß und hell die Nachtigall,

Wie es zu diesem armen Wesen gar nicht paßt;

Der Frühling lauscht nur ihr und ehrt nur sie allein.«

Juno, die Göttin, sprach darauf, von Zorn erfaßt:

»Neidvogel du, was fällt dir ein,

Die Nachtigall um ihre Stimme zu beneiden,

Du, dem um seinen seidenweichen Hals

Ein ganzer Regenbogen spielt,

Daran sich aller Augen weiden;

Du, dessen Schwanzgefieder ebenfalls

Bei Göttern selbst Bewunderung erzielt

Durch Farbenschmuck, wie ihn kein Juwelier

Jemals erschuf für eine Königszier?

Kein Vogel unterm Himmel kann wie du

Gefallen wecken! Gleiches gaben wir

Nicht jedem Tier; wir wiesen jedem Eignes zu.

Die einen haben Größe oder Kraft,

Der Falke ist geschwind, der Adler voller Mut,

Der Rabe hat Propheteneigenschaft,

Vor künftigen Übeln warnt die Krähe,

Und keiner ist, den ich mit seinem Gut

Und seinem Amte unzufrieden sähe.

Mit Neid und Klagen ist mir niemand je gekommen.

Schweig still, sonst wird zur Strafe dir dein Schmuck genommen!«

Quelle:
Lafontaine, Jean de: Fabeln. Berlin 1923, S. 41-42.
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