Drittes Bändchen

Ich glaube fest, daß selbst Philosophen, ja auch Frauenzimmer, eben so begierig gewesen seyn würden, wie ich es war, die neuere Fortsetzung der Einsiedler-Geschichte unserer Wattines durch Emilie zu hören. – Mich dünkt, daß diese Erzählung dadurch das Ansehen einer denkwürdigen Medaille bekommt, welche bey einer besondern Gelegenheit geprägt wurde. Der innere Gehalt ist durchaus von gleichem Werthe, – aber beyde Seiten wurden auf verschiedene Art, in Beziehung auf die Geschichte bezeichnet. –

Wattines Arbeiter fragte mich den zweyten Abend, wann ich wieder zu seinem Herrn zu[1] kommen gedächte? es fiel mir etwas auf, aber ich vermuthete, daß Wattines, welcher nun ganz hergestellt war, eine Feldarbeit vorhabe, warum er es wissen wollte: der Mann sagte auch, des Nachmittags erwarteten sie mich bald, – das war mir lieb, weil Scriba, bey welchem ich speiste, gerne früh vom Tisch aufstand. – Ich machte mich also zu meinen Wattines, fand ihn in einer ungewöhnlichen Jacke an seinem Tische sitzend, einen Band der schönen Ausgabe des Büffons vor sich, Emilie aber eifrig beschäftigt, an etwas vor ihr hängendes zu arbeiten.

Die Loghouses sind nicht helle genug, daß jemand, welcher von der freien Luft eintritt, sogleich alles unterscheiden kann. So sah ich nach einigen Minuten erst, daß Wattines strickte, Emilie ein halb graues Wämschen trug, und Antonette in dem kleinen Schifchen lag, in welchem Carmil nach der Insel gebracht wurde, und es zu seiner Schlafstätte[2] hatte. – Beyde lächelten über mein staunendes Kucken; Wattines sprach zuerst, und sagte: kommen Sie, Freund! und sehen eine kleine Wiederholung eines unserer auf der Insel verlebten Tage: als Carmil nicht größer wie Antonette war, Emilie für mich webte, und ich bald etwas vorlas, bald fleißig strickte.

Ich kannte die einsame Hütte, in welcher sie wohnten, Wattines hatte mir die Plätze gezeigt, welche sie da einnahmen, nun waren sie mit ihrer damaligen Beschäftigung und Kleidung, selbst mit dem Stücke Leder um ihre Füße, auch in einer Holzhütte lebend vor mir. Dieser Austritt, welcher für das feine, leicht strömende französische Blut nichts als eine Theaterscene zu seyn schien, bewegte und durchdrang mein teutsches Herz auf das innerste. Trauer und Hochachtung erfüllten meine Seele, sie bemerkten es beyde dankbar, und es schien ihnen leid, ihre Rolle zu gut gespielt zu haben. – Ich dachte mitten[3] in dem Schauer, mit welchem ich ihr Leben von diesem Zeitpunkte durchblickte, und ihre Vorstellung so rührend fand:

Ach sie sind wie der Schauspieler der Alten, welcher bey einer Trauerscene, den Aschenkrug seines einzigen Sohnes umfaßte, also den Jammer eines Vaters so eindringend spielen konnte, wie diese guten Menschen die Erinnerungen ihrer Kummertage. Nachdem sagte ich, näher zu ihnen tretend: Sie haben mich, meine würdigen Freunde mit einer für Sie ehrenvollen, und für mich äußerst wehmüthigen Scene überrascht, von welcher ich den Eindruck niemals vergessen werde. – Gott erfülle die Wünsche, welche mein Herz für Sie macht. Wattines stand auf und umarmte mich, indem er sagte: daß er des Wohlwollens meines Herzens für sich und die Seinigen ganz versichert sey. – Emilie setzte mit sehr sanftem Tone, sich anmuthsvoll gegen mich beugend, hinzu:[4]

Unser Herz ist gewiß auch dankbar dafür. Nun schwiegen wir alle einige Zeit, Emilie arbeitete fort und rief mir dann zu: Wollen Sie nicht meine Weberei näher sehen?

Ich betrachtete sie nun aufmerksam, und sah zu, bis wirklich eines Fingersbreit fertig war. Wattines nahm munter sein Strickzeug, indem er sagte: ich will auch meine Kunst zeigen. Nun sprach aber Emilie, als er wegging, um noch seinen Arbeitern nachzusehen, und ich meine Hochachtung für ihren mühvollen Fleiß bezeigte: die mechanischen Künste, welche das Bedürfniß in unserer Einsamkeit uns lehrte, gingen langsam und mit wankenden Schritten voran, es war ganz anders mit den Saamen, welchen wir der Erde anvertrauten, denn diese folgte nach ewigen Gesetzen, der Bestimmung ihrer Wirksamkeit. Thau, Sonnenblicke und Regen, finden in der Erde weniger Hindernisse, als die Versuche der Handarbeit für den ungeübten[5] Menschen. Wir hatten nur Erinnerungen, wie Träumende, keine Modelle, keine Werkzeuge, keine Helfer die Rath gaben, unsre Anstrengungen zu erleichtern, oder uns durch Beyfall zu belohnen. – Wattines sagte einmal: er sey wirklich unter der Hand des Schicksals, in der Lage der russischen Soldaten, welche man auf den Marsch zu allen Arbeiten commandirt; ein Rad des Wagens geht entzwei, da giebt der Officier dem nächsten Manne den Befehl: schaffe ein neues Rad! ich kann das nicht, sagt der arme Mann, das sollen Schläge dich lehren, ist die Antwort: nun fängt der Mensch zitternd und ungewiß die Arbeit an, denkt dabey nach, und so entwickelt sich sehr oft ein äußerst nützliches Talent unter dem Zwange der Furcht vor Schmerzen, wie bey mir, unter den Gesetzen des Mangels. – Ehe ich etwas darüber sagen konnte, faßte Emilie den von den Indianerinnen von Maisblättern geflochtenen[6] Korb, und fragte: ob ich da nicht in dem Verschlingen der Blätter viel dichtere und nettere Arbeit bemerkte, als sie bey ihrem Gewebe hervorbrächte? – Ich erwiederte: wie viele Jahre mögen die Sqwas schon daran gelernt haben; – aber wie viele Tugenden haben Sie auf Ihrer Insel geübt!

Mit Würde und Ernst antwortete sie: – ach Gott war unsere einzige Hoffnung und Stütze. Die Lehre von seiner Allgegenwart, seiner Allwissenheit, wirkten auf unsere moralischen Gefühle, welche um so schneller zu einer mehr als gewöhnlichen Höhe kamen, weil wir mehr und inniger, als andre Menschen überzeugt waren, daß wir das Wohlwollen des höchsten moralischen Wesens, nur durch moralisches Betragen erhalten konnten. Religiöse oder politische Heuchelei, durch welche man sich selbst und andre durch äußerlichen Schein verblendet, half auf unserer Insel zu nichts, alles mußte wahr seyn, wie[7] die Natur um uns und Gott über uns. Und gewiß, Wattines und ich waren von ganzer aufrichtiger Seele, was wir seyn sollten.

Nun schwieg sie, nach einem nur der allerkürzesten Blicke, wenn ich so sprechen kann, gen Himmel, und dem eben so schnellen Niedersenken ihres Auges zur Erde, einige Minuten stille, während welchen sie ihre Weberei aufwickelte, das Strickzeug des Wattines ordnete, beydes in den Oneida-Korb legte, in der Kammer verwahrte, und in der gewöhnlichen Kleidung wiederkam, heiter und sehr gefällig sagte:

Ein Gang in den Garten wird Sie nicht ermüden, und es ist nicht zu kühl, den Rest des Tagebuches zu füllen. – Ich war es zufrieden, und sie sagte mit schönem dankbarem Ausdruck der Stimme und Mienen: – der Sommer war sehr schön, bis lange nach der Reise unserer Erndte, welche sehr reich war, da[8] lasen wir am Ufer des See's die Naturgeschichte des Schwans und anderer Wasservögel. Hier fiel ich ein, da hätten Sie auch die von den Alcyonen lesen sollen, welche im höchsten Sturme ihre Schwungkraft nicht verlieren, wie Wattines und seine Gemahlin mitten im größten Unglücke, sich in Geist und Character über alles erhoben. – Die holde edle Frau staunte, lächelte, erröthend und mit dankbarer Verbeugung gegen mich, sagte sie äußerst bewegt:

Nein, die so schön angezeigte Geschichte lasen wir nicht, – aber die von Fischen und Muscheln, wodurch unser Herz eine desto größere Verehrung für den Schöpfer fühlte, Ach oft, wenn wir die Anstalten bewunderten, welche er, selbst für die Erhaltung der Würmer und Insecten gemacht hatte, gaben wir uns die Hand, blickten auf unsern, in seiner Grube, mit Steinen, Gras, Käfern und Muscheln spielenden Carmil, und sagten:[9] O, der für die Käfer und Würmer sorgte, wird unser Kind nicht vergessen.

Ich frug, was sie unter Carmils Grube verstehe, und hörte, dieses Hülfsmittel bey Kindern habe sie in dem kleinen Dorfe der Oneidas gesehen, welche um junge Kinder, die noch nicht fest gehen können, vor dem Fallen und andern Beschädigungen zu bewahren, an der Seite ihrer Hütte, oder wo die Mütter arbeiten wollten, eine runde Grube machten, welche dem Kinde bis unter die Arme reichte, innen legten sie Gras, ringsum Steine, Holzästchen, eine große Muschel mit Essen, womit sich die Kinder auf allen Seiten im Spielen unterhalten, bis die Mütter wieder für sie sorgen können. Die holde Frau führte mich zugleich auf ihren Lieblingsplatz im Garten, wo sie mir eine solche Grube zeigte, welche für Antonette bestimmt war, wenn die Mutter im Freien arbeiten wollte, und Emilie beschäftigt sich viel mit der Nadel,[10] seitdem sie auf dem festen Lande die kleine Colonisten-Familie haben, welche jede grobe Haus- und Küchengeschäfte besorgt, wie Wattines durch den Mann bey seiner Feldarbeit einen fürtrefflichen Gehülfen hat, welcher wie seine Frau und Tochter, es für Pflicht der Liebe gegen ihre gute Herrschaft, und auch als Ehre ansehen, eben so fleißig und eben so geschickt zu arbeiten als sie selbst. Manche der andern Colonisten nehmen einen Umweg nach ihren Feldern, um bey Wattines Anlagen vorbey zu kommen, und ihn arbeiten zu sehen. Sie staunen dann über seine Aemsigkeit, und schätzen ihn aufrichtig.

Ja, da sie seine Herkunft, und sein Unglück kennen, so hat der vortreffliche Anbau der Insel, und dieß, was sie auf seinen Feldern, in seinem Hause und Garten beobachten, ihren Begriffen von Vorzügen des Adels, die schönste Wendung gegeben; indem sie nun überzeugt sind, daß Wattines Gewandheit,[11] und der Geist der Verschönerung, welcher alles was er berührt, auszeichnet, ganz eigentlich dem gebornen Adel gegeben sey. Einige der Colonisten freuen sich, daß er nun auch Feldarbeit versuchen mußte, aber die besten von ihnen bedauren und bewundern ihn. Ich sagte es den Wattines, es freute beyde, und Emilie sagte erröthend und vor sich hin lächelnd: also keimte die in unserm Vaterlande ausgerottete Idee der Classe des Adels, in den Wüsten von Onotaga, in den Gemüthern der neuen Bewohner wieder in die Höhe.

Nun fiel ich mit der Bemerkung ein: daß der Adel der Seele niemals seine Wirkung verliere. – Indessen bin ich von Carmils Grube hinweg gekommen, wo ich doch so etwas artiges von Emilien horte, indem sie bey meinem Lobe dieser einfachen mütterlichen Erfindung sagte: sie hätte diesen Gruben noch etwas zu danken, denn als Wattines unsers Carmils Freude und Begierde nach Käfern[12] und Papilions bemerkte, behauptete er, es sey Trieb der Geselligkeit, etwas sich ihm näherndes, wie er sich bewegendes um sich zu haben, und fieng an, Käfer um ihn zu sammeln. Hier machte mich aber Mutterliebe und Muttersorge ein Vorurtheil überwinden. Da ich diese Insecten nie liebte, aber meinen Carmil seine Freude nicht nehmen wollte, las ich mit Eifer die Naturgeschichte dieser Geschöpfe, um zu wissen, ob etwas für Carmil zu besorgen seyn könnte, und fand dadurch eine neue Quelle von Kenntniß und Freude für mich selbst.

Ich sagte ihr nun auch von der Freude, welche die edelmüthige Güte ihres Gemahls, durch seinen Unterricht, in der Seele meines guten Zimmermanns und in meinem Herzen verbreitete. – Sie versicherte mich, mit dem schönen Tone des edlen Stolzes, in welchem eine rechtschafne Frau von dem Geiste und Verdiensten ihres Gatten spricht: daß[13] ihr wirklich großmüthig gesinnter Wattines sich glücklich fühle, Gutes zu thun, und ein so lange Jahre ruhendes Talent wieder zu üben; denn der Mangel des Papiers auf der Insel und das Entbehren des Vergnügens der Zeichenkunst, hätte ihn lange und tief geschmerzt. Ich bemerkte es, sagte sie mit Seufzen, an der Miene seines so sanft männlichen Gesichts, wenn er manchmal auf der Insel Gebäude, Festungswerke oder Gartenanlagen mit einem Stock in den Sand zeichnete, sie still denkend eine Zeitlang ansah, dann mit Lebhaftigkeit wieder auslöschte. Wenn ich darüber jammerte, machte er den Boden wieder glatt, und stellte etwas anderes vor. Ich will ihm sagen, er soll Ihnen die Arbeiten seiner Reißfeder zeigen, welche er machte, seitdem er wieder das Vergnügen genoß, etwas Papier zu besitzen. Ach, Papier war auch das erste, wornach er sich in dem Magazine der Colonie umsah, das erste, was[14] er mit eben dem Eifer suchte, mit eben dem kleinen Zittern der Freude in der Hand hielt, wie ich Leinewand und Nähzwirn zu Hemden für meine Kinder; – aber, setzte sie hinzu, ich muß Ihnen bey dieser Gelegenheit auch von einer edlen Feinheit der Empfindung meines Wattines erzählen, welche mich äußerst rührte: – niemals zeichnete er in unsern Sandgrund bey der Hütte, Gegenden oder Gebäude, welche mir bekannt waren; nur Erinnerungen von Phantasten, von italienischen Gebäuden, schroffen Felsen, oder einen Gegenstand, wozu das Lesen einer Poesie oder deutlichen Beschreibung den Anlaß gab. – Diese Bilder in dem Sande waren oft angenehmer Zeitvertreib in Sommerabenden, so wie er einmal den muntern Gedanken faßte, einige Minuten ehe die niedergehende Sonne eine Seite des Ufers beleuchtete, mir die die Stellung einer Bildsäule der Flora mit einem Blumenkranze in der Hand zu geben,[15] und dann meinen Schatten abzeichnete, indem er sagte: diese Statue der Flora sey auch über Lebensgröße, wie jetzo mein Schatten mich über die natürliche Höhe zeigte. – O wie oft, in wie vielen Stellungen, mit und ohne unsere Kinder, zeichnete der gute liebe Wattines mich auf diese Art! – Einst sagte er, ach Emilie, wenn ich so glücklich gewesen wäre, wieder auf eine unbewohnte Insel verbannte Grieche, hier einen weißen Marmorbruch zu finden, ich weiß, die Liebe hätte auch mich zum Bildhauer gemacht. – Lächelnd fuhr sie fort: wenn Sie einmal unsere Insel ganz nahe an dem Ufer des See's umgehen wollen, so finden Sie noch ein Denkmahl der Kunst, der Liebe, und wie Sie oft sagten, von der lebhaften, leicht beflügelten Einbildungskraft des französischen Ritters an dem See Oneida, von dem letzten Jahre unsers einsamen Aufenthalts. – Hinter dem obern Busche, unweit unserer Hütte, gegen[16] den Endtenfang, hatte Wattines die Erde aus dem kleinen Keller, welchen er den zweyten Frühling grub, gegen den Abhang aufgeschüttet: die immer wirkende Natur, entwickelte in dieser an frische Luft und Sonne gebrachten Erde, die in ihrem Schooß versteckten Graß- und Pflanzenkeime, oder die Winde trugen sie in Menge herbey; denn im folgenden Jahre war dieser Abhang ganz grün bedeckt. Wattines legte nahe an dem Ufer, wo vieler Sand angeschwemmt war, eine Art Vestungsbau, mit einem kleinen Graben an, welches ich für lebhaftes Andenken alter Studien und Beschäftigungen ansah; denn der liebe Mann sagte, er wolle mir einen Begriff von dieser Art Arbeit geben. Nun hatte er schon weiter oben eine Bank angelegt, von welcher ich ihn graben, Linien ziehen und alles ordnen sehen konnte. Einen Nachmittag als Wattines schwimmen wollte, ging ich mit Carmil dahin, welcher in dem[17] von seinem Vater für ihn gezognen Laufgraben wohl besorgt war, hin- und hergehen, und dem Schwimmen des Vaters zusehen konnte, welcher auch mit ihm spielte, bald sich näherte, ihn mit Wasser bespritzte, und dann sich wieder entfernte. Ich hatte erst gearbeitet, dann ein paar Bouquette von Wiesenblumen zusammen gebunden, welche ich Carmil gab, um sie Wattines zuzuwerfen, – gegen Abend legte ich meine Arbeit zusammen, rollte sie mit Wattines Weste zu einem Pack, legte mich auf die Bank, und stützte mit einem Arme mich auf das Paquet, ihm noch ruhig zuzusehen; als er mit der neigenden Sonne gegen das Ufer und die Bank zurückkam, bat er mich diese Stellung zu behalten. Ich lachte, wollte wissen warum? und stand auf, Carmil zu holen.

O Emilie! diese Stellung muß ich nach dem Umrisse deines Schattens in den Rasen eingraben, morgen kommen wir wieder her,[18] und da werde ich mit vielem Vergnügen diese Idee ausarbeiten. – Es war mir unmöglich zu errathen, was er damit sagen wollte, aber den zweyten Tag mußte ich seinen Bitten nachgeben, und mit Carmil um die nehmliche Stunde hin, mich wieder auf eine Rolle legen, und als mein Schatten sich auf dem grünen Hintergrunde ganz deutlich zeigte, raufte er mit dem größten Eifer das Gras aus dem innern Umrisse, an dem kleinen über die Bank erhabenen Hügel, und änderte mehrere Tage so lange daran, bis es wirklich in einer gewissen Ferne das Ansehen hatte, als als ob eine weibliche Gestalt längst der Anhöhe auf der Bank liege. Diese Phantasie dünkte mich äußerst neu, Wattines sagte aber, daß es eine Erinnerung von seiner Reise durch England sey, wo er bey einem Dorfe, die Colossalgestalt eines Pferdes auf diese Art an der Seite einer schönen Anhöhe eingegraben sah, und hörte, daß es alle Jahre ein große[19] Fest für die jungen Bauersleute sey, den Umriß des Pferdes von dem Grase zu reinigen, damit es ja recht weit gesehen werden könnte, welches bey dem kalkartigen Boden sehr leicht seye. Er hätte diesen vortheilhaften Grund nicht gefunden, hoffte aber doch, die Dame seines Herzers sichtbar zu machen.

Nun pflanzte er einige Gesträuche näher an den Abhang, grub den Umriß tiefer, vergrößerte und ründete die ganze Gestalt, machte auch den Zusatz, sie den rechten Arm ausstrecken zu lassen, als ob sie nach einem überhängenden Ast des Gesträuches greifen wollte; und um das Ganze weiß zu halten, damit es sicher von ferne gesehen werde, besteckte er es ganz enge mit Muscheln und weißen Kieselsteinen, machte zu den Füßen des Bildes eine Vertiefung, welche einen Wasserkrug vorstellte, wozu er die wenigen, von dem Wasser angeschwemmten Steine verwendete. Mehrere Wochen gingen hin, bis dieser Einfall[20] das gewünschte Ziel erreichte, und ich muß bekennen, daß das Ganze wirklich bey anfangender Dämmerung oder bey Mondschein, einen außerordentlichen Eindruck machte. Wattines hoffte auch, daß künftige Schiffer auf dem See Oneida, sich freuen würden, die weiße Frau zu sehen, weil es klares Wetter anzeige, wenn die Ufer der Insel helle seyen, munter setzte er hinzu:

Die Gestalt meiner Emilie wird den Stoff zu künftigen Feen- und Nymphengeschichten geben, meine Liebe für dich, Anfang zu schönen Mährchen und zur Bildhauerkunst der Bewohner der Grafschaft Onotaga werden, welche dann meinen Namen auch aufbehalten werden, wie die Griechen den von der Töpferstochter Dibutade verewigten, welcher man die Entstehung der Zeichenkunst zuschreibt. Vielleicht erzählen die Oneidas einmal: die da liegende weiße Frau, sey zweymal zu ihren Großmüttern übergeschwommen,[21] ihre Wochen zu halten; nachdem aber verschwunden, bis man sie in einer schönen Nacht, auf einer Moosbank an dem Ende der Insel schlafen sah, wo sie aber durch das Plätschern der Ruder neugieriger Schiffer geweckt, das Gesträuche herunter ziehen und sich verstecken wollte, aber aus Schrecken und Angst vor den rauhen Fischern in Stein und Muscheln verwandelt wurde.

Als ich über diese scherzhaften Träumereien lächelte, sagte Wattines ganz ernsthaft: Meine Emilie! wenn wir zurück gehen zu den Griechen der ersten alten Zeit, so war diese Art Vorstellung und Ideen der Anfang ihrer Dichtkunst und ihrer Geschichte. Wer weiß also, was die Imagination der künftigen Poeten dieses Landes aus der einfachen Erzählung der Fischerfamilien des See's Oneida, für schöne Heldengedichte machen werden, da sie schon an Halbgötter glauben, welche mit Erlaubniß des großen Gottes, der[22] in Süden wohnt, die Dinge dieser Welt besorgen. Sie verehren schon Sonne und Mond, halten den Donner für die Stimme der obersten Gottheit, beten, bringen Sühnopfer. Sind sie nicht auf dem Wege, einst eine schön zusammenhängende Mythologie, einen Homer und Ossian zu haben? – Vielleicht haben wir in der Hütte der Indier durch die Blumengewinde und Kränze des kleinen Mädchens, die Sage von einer Flora oder Venus gestiftet. Einer der größten griechischen Geschichtschreiber, Thueydides sagte, daß man in den Sitten der noch rohen und sogenannten barbarischen Völker den Character der ersten Griechen kennen lernte; so wie man gewiß auch in den Bildern, welche die auf ihre Macht und Größe so stolzen Römer von andern Nationen darstellten, den Zustand und die Gesinnungen sehen konnte, in welchen sie sich selbst, bey dem Anfange ihrer berühmten Stadt befanden. –[23]

Ich wurde, setzte Emilie hinzu, sehr aufmerksam und blickte nachsinnend auf Wattines hin, er bemerkte es und sagte lächelnd: Ja, meine Emilie! wie die Römer uns Gallier kennen lernten, betrachteten sie uns als Barbaren; denn sie hatten schon weiche Bett-Polster und Throne, als unsere Fürsten noch auf zusammen gebundenen Heubündeln saßen; und als sie das erstemal nach Britannien kamen, trafen sie die Bewohner der glücklichen Insel, wie die Engländer in den neuern Zeiten die nordamerikanischen Wilden fanden; denn Newtons und Bacons Landsleute wußten damals auch noch nichts von Ackerbau, bemahlten ihren Körper, und deckten sich im Winter mit den Fellen wilder Thiere. Bedenke nun, meine Emilie, was Gallien und Brittannien seitdem geworden sind.

Die Natur machte keinen so großen Unterschied in der ursprünglichen Anlage, nur[24] das Verhängniß schaft Aenderung, durch die Verschiedenheit der Umstände.

Der nackte, arme, rohe Mensch, hat alle Leidenschaften des gebildeten. Er liebt das Spiel, ist stolz unter seines gleichen, und so arm als er ist, liebt er den Putz und ist eitel. –

Hier, meine Freunde! sagte ich mir, ist Urbild eines Franzosen von einem ihrer besten Landsleute aus dem Gedächtniß gemahlt. Urtheilen Sie auch von meinem Staunen, als ich zugleich darin einen Theil des Auszugs erkannte, welchen ich in meiner Brieftasche habe und mit mir führe, weil ich ihn aus Betrachtungen nahm, welche über die Geschichte wilder Nationen, und das Vergleichen mit civilistrten Völkern gemacht wurden, und äußerst auf mich wirkten. Ja ich bekenne noch mehr, daß diese Betrachtung eine der größten Triebfedern meiner Reise nach Amerika wurde.[25]

Emilie setzte ihre Erzählung fort, indem sie sagte: Wattines sprach mit mir auch von den Verdiensten der Wilden, daß sie bey armer Sprache beredt sind, wie ihre Liebe und ihr Haß alle Energie zeigen. Auf der Jagd der listigsten Thiere bemerkt man in ihnen eine Feinheit, eine Urtheilskraft und einen Scharfsinn, welche ein Schüler des Locke, in Aufsuchung der tiefsinnigsten Wahrheit und Wissenschaft nicht vollkommner zeigen könnte; und diese Klugheit finden sie auf dem Wege der Natur, welche ihnen oft mehr Größe der Seele giebt, als alle unsere Schulen und Gesetze nicht geben können; weil diese Größe aus den innern Gefühlen des Herzens kommt, nicht aus buchstäblichen Lehren stießt. Denn ach! was bringt Religion und Philosophie hervor, wenn das Herz nicht damit übereinstimmt?

Emilie mußte, während sie sprach, eine ungewöhnliche Bewegung in meinen Zügen[26] bemerkt haben, auch blickte sie mich fragend an. Ich sagte, indem ich mein Taschenbuch vornahm, mit einer Art Entzücken, wie ich mich glücklich fände, auf einem Puncte der Sympathie mit ihrem Gemahl zu stehen, da ähnliche Betrachtungen mich nach Amerika führten, um Natur und Kunst an ihren Gränzen zu vergleichen. – Ich las ihr dann einen aus dem Mereure de france 1783 gemachten Auszug vor, und fragte, ob sie nicht einen Grund übereinstimmenden Geschmacks und Ideen darin fände, weil diese Gedanken sich so tief in Ihres edlen Wattines Seele prägten, um sie ganz aus dem Gedächtnisse zu wiederholen, ihren Einfluß auf mich aber durch meine Reise nach dem See Oneida bewiesen hätten? Sie sagte mit gefälliger Miene, ja, schwieg aber gleich wieder und sah mit einem Ausdruck von Staunen und Trauer vor sich hin. Ich war nun auch stille, endlich sagte sie: Vergebung für mein langes[27] Schweigen! es kam zum Theil von einer Betrachtung in dem Innern meiner Seele, über Wattines und Sie. – Meine Blicke hefteten sich fragend auf ihr Auge, als sie hinzu setzte: ich sagte mir, ach, mein Carl ist hier, weil er bey der unglücklichen Revolution, die allercultivirteste Nation in Barbarey zurücksinken sah, und Sie, weil Sie das Erheben aus der Unwissenheit und Rohheit beobachten wollten. Gott sey Dank! sagte sie mit gefalteten Händen, daß ich an der äußersten Gränze von beyden, in der Rindenhütte einer Indianerin die Menschenliebe fand, welche einem Kinde das Leben erhielt, dessen Großväter in dem Wohnsitze des feinsten Geistes und der schönen Künste, wegen dem Stande ihrer Eltern ermordet wurden.

So natürlich diese Rückerinnerungen bey jedem Anlasse in Emiliens Seele emporstiegen, so sehr bedauerte ich den Gedanken der Sympathie mit Wattines, indem ich damit die[28] traurigen Gefühle in der guten Frau hervorrief; aber als Wattines selbst kam, und sie ihm von meiner zufälligen Bemerkung sagte, so bezeugte er eine Art von Freude darüber, als ob ich die Beweise einer nahen Verwandtschaft vorgelegt hätte. Vielleicht war dieses die Wirkung eines moralisch wahren Gefühls, indem man sicher behaupten kann, daß Uebereinstimmung der Ideen eine Verbindung der Seelen andeute. Wattines wollte nun den in meiner Brieftasche verwahrten Auszug mit mir lesen, und ich mußte ihm eine Abschrift versprechen. Ich bewunderte die Lebhaftigkeit mit welcher er das Lob der griechischen Mythologie auffaßte und ausrief:

O wie wahr ist alles, was der Mann von dem gefälligen und einnehmenden Geiste der griechischen Einbildungskraft erzählt, welche heute noch Dichter und Künstler beseelt, und nach verflossenen Jahrtausenden, noch so wohlthätig für mich war, daß ich durch sie[29] nicht nur Tage lang meinen Kummer vergaß, sondern auch durch den Geschmack der Zierlichkeit, welchen der Genius von Griechenland bis auf uns verbreitete, so glücklich war, meiner Emilie angenehme Stunden zu geben: nicht allein durch meine Anstalten in Elysium, sondern auch, weil ich kleine Blumenbeete, wie Kränze um den Fuß dieses oder jenes einsam stehenden Baumes oder artigen Busches anlegte, wo ich wußte, daß Emilie betend oder nachdenkend hin ging, dann auch den eingeschlafnen Carmil hinlegte, oder nicht weit von unserer Hütte unsere Obstbäume mit Wünschen und Seegen besuchte, da ich nahe dabey einige Waldbäume von der Natur so gestellt fand, daß ich nur einiges Gesträuch zwischen ihnen wegzuräumen, die untern Aeste abzunehmen, und ein paar umschlingende Pflanzen an ihnen aufzuziehen hatte, um einen grünen Tempel der Gottheit des Hanns vor mir zu haben. Wie glücklich, sagen Sie[30] selbst, wie höchst glücklich war es für Emilie und mich, daß unser Herz nicht allein das Ganze der Wunder und Schönheiten der Natur mit dankbarer Verehrung ihres und unsers Schöpfers liebten; dann aber auch in unserer eigenen noch blühenden Jahrszeit des Lebens, bey den kleinen Wiesenstücken der Insel an Naväen, und bey den schön aufgewachsenen tausendfachen Blumen an der Griechen ihre Blumengöttin dachten. Wir dankten dennoch unserem erkannten Gott, mit frommer Verehrung für jedes Körnchen Mais und Gerste, für jedes Blatt unseres Gemüses; – aber die holden Phantasien der griechischen Dichter, welche zuerst ländliche Arbeit und die einsame Hütte der Liebe besangen, dieser, den Griechen allein zuerst bekannt gewordene Geist, der alles mit einer gefälligen und wohlthätigen Anmuth beseelt, dieser begleitete und lenkte unsere Spatziergänge und unsere Gefühle, machte uns lächeln[31] und an den Frühling der Welt und die guten Kinder der Natur denken, wo Gesetze und Ordnung noch keine Stuffenfolge unter den Menschen gemacht, und den bösen niedern Neid noch nicht geweckt hatten. Ich wollte den edeln gefühlvollen Wattines nicht an der Reihe dieser Ideen stehen lassen, sondern ihn sobald möglich ablenken, doch denken meine Freunde gewiß noch nicht, daß ich hiezu das Andenken an einen Mönch und einen Pabst zu Hülfe nahm. Ich bin gewiß, meine Base lächelt, über diese seltsame Mischung mit griechischem Genius, Haynen und Nymphen einen düstern Kloster und den Vatican. Mich dünkte, daß Wattines sich entschuldigen wollte, so vielen Werth auf mythologische Bilder und Ideen zu legen, auch vielleicht vermuthete, ich hätte von ihm lauter ernsthaft moralische Vorstellungen gefordert, weil poetische Ideen in seiner Lage zu tändelnd[32] seyen. – Alles dieses wollte ich in den guten Mann verscheuchen, und sagte ihm: daß er mache, daß ich die Fabeln und die Dichtkunst der Griechen aufs Neue segne, da dieser liebenswürdige Genius seine bittre Einsamkeit versüßte; so wie er dem schätzbaren Ganganelli in seinem Kloster erschien, und ihn liebreich tröstete; wie es ein kleines Gedicht anzeigte, welches er zu der Theorbe gesungen haben soll. Da ich es nur in der Uebersetzung kenne, sagte ich Wattines den mir stets interessanten Inhalt des Liedes, so gut als möglich in seiner Sprache, weil mich dünkte, Gefühle verstehen sich leichter, als gelehrte Gedanken. –


Lichtgeist! der vor Gottes Throne

Anmuth über Engel gießt,

und durch den auf jeder Zone

eine Schönheitsquelle fließt.[33]


Aus dem Gitter meiner engen Zelle

seh ich oft den Wiederschein von dir,

plötzlich wird die dunkle Clause helle

und den ganzen Himmel zeigst du mir.


In des Himmels weiter Ferne

und hier auf der nahen Flur,

Folget Glanz im Abendsterne,

und dort Blumen deiner Spur.


Lieg ich einst auf jenem Todeshügel

den dein Fuß auf ewig flieht,

o! dann wehe mit dem Purpurflügel

bis auf meinem Grab ein Blümchen blüht.


Wattines faßte den Sinn dieses Liedes so richtig, daß er gerührt wurde und sagte: edler Mönch, unglücklicher Pabst! dein Herz verdiente ein besseres Schicksal; – aber wäre Europa noch, was es vor zehen Jahren gewesen, und ich hätte diese Anecdote in Versailles gehört, so würde ich einen Urlaub von drey Monaten erbeten, und die[34] Reise nach Rom gemacht haben, um diese Verse in ihrer Ursprache, mit der Theorbe begleitet, singen zu hören; – denn, sagte er nach einigem Schweigen: nun liegt Ganganelli vergiftet in der Peterskirche begraben, und ich wohne hier. Der Geist seines Gedichts soll aber neben dem Bilde seines Lebens und seiner schönen Briefe in meinem Gedächtnisse bleiben.

Ich war unendlich erfreut, unserer Unterredung diesen Ton gegeben zu haben. Wattines folgte nun seinen Geschäften, und ich ging die Erlaubniß zu benützen, meine Fragen bey Emilien fortzusetzen, denn ich wollte ihr ganzes Leben auf der Insel kennen, zog also die Noten der Frau Vandek aus meiner Brieftasche, und ordnete meine Blätter und Fragen. Mit Verehrung muß ich sagen, daß Madame Wattines stets in gelassenem ruhigen Tone und gleichmüthig von ihrem erlittenen Jammer sprach, während[35] ich sehr oft mit Schauer an die 4 Jahre zurück dachte, welche die vortreffliche Frau auf der öden Insel verlebte: – oft auch segnete ich in dem Grunde meiner Seele, die Liebe des Schönen und zierlichen, durch welchen die schätzbaren Wattines so viel kleinen freundlichen Trost, Zerstreuung und Vergnügen fanden. Gärtnerey, Poesie, Blumen, ja die Zeichenkunst, alles ist mir werther, und auf gewisse Art heilig geworden, indem ich sie alle als gute untergeordnete Wesen ansehe, welche nach der Weisung des Oberherrn unserer Schicksale, die arme Wattines stützen, sanft erheitern, und an dem Zauberfaden angenehmer Gefühle, von den traurigen Aussichten ihres einsamen labyrinthischen Pfads ablenken sollten.

Ich arbeite viel in Wattines Garten, wenn ich bemerke, daß Emilie mit ihren Kindern, oder mit sich selbst allein seyn möchte, wie sie auch freimüthig bekennt,[36] daß alleinseyn ein Bedürfniß für sie geworden sey, und daß sie Mühe hatte, sich ohngeachtet ihrer Freude, Europäer zu sehen, an die Erscheinung vieler Leute zu gewöhnen. Nur für Carmil hatte ich Sorge auf der Insel, für Carmil liebte ich das feste Land und die Verbindung mit Menschen. Er schien so glücklich mit Käfern und andern Insecten, mit den kleinen Fischen am Ufer, denn die ruhige Schönheit und das stille Verdienst der Blumen und Pflanzen konnten für den muntern, immer in Bewegung lebenden Knaben nicht seyn, was sein Vater und seine Mutter darin fanden. Als ich bemerkte, wie sehr ihn der Gesang der Vögel anzog, suchte ich meine Stimme wieder hervor, und Wattines machte eine Art Flöte, auf welcher er nach einiger Uebung recht artige Liedchen und Tänze spielen konnte. Ja der gute Wattines machte einen Versuch, die erste Leyer nachzuahmen, wie[37] er sie in den Kupfern der Idyllen des edlen sanftmuthvollen Geßner sah, aber es mangelte nun an Verschiedenheit des Draths, doch spannte er sieben Sayten auf, und brachte auch da für Carmil gefällige, und für mich durch ihre Einfachheit äußerst rührende Töne hervor.

Ich sagte Emilien da aus vollem durchdrungnen Herzen, o, was für ein schätzbarer und großer Beweiß sind Sie und Ihr Gemahl, von dem Werthe des wahren Geistes und wahrer moralischer Stärke!

Ach, erwiederte sie, unser Glück war, daß nur Abschen vor Bosheit und Niederträchtigkeit uns von Menschen entfernt hatte, diese Gesinnung konnten wir dem Himmel zeigen, daurender Haß gegen unsere Verfolger, hätte uns keine ruhige Ergebung in unser Schicksal, keine Hoffnung auf Gottes Beystand einflößen können. Wahr ist es,[38] Fleiß und Nachdenken stützten uns auch, wir sind jetzo um so viel glücklicher in allem, ja in Wahrheit die glücklichsten aller Colonisten; denn diese haben keine völlige Abgeschiedenheit von Menschen, keinen so gänzlichen Mangel aller Hülfe empfunden, können also nicht sagen, wie viel ein guter Nachbar werth ist. – Wattines scherzte manchmal über die Wünsche des Alleinseyns der Liebenden, welchen alle andre Gesellschaft zu viel und zuwider ist. – Wir liebten uns, aber gewiß, ohne moralische Gefühle, ohne edle Kenntniß und ohne Arbeit, würde unser Elend unaussprechlich gewesen seyn. – O, schätzen Sie meinen Wattines für alles was er that und ist! so viel Feuer! so sehr an große Welt gewöhnt, und auf der Insel Taglöhnerarbeit, bey armer Nahrung, dann so viele Ueberwindung und Opfer zur Stütze und Erheiterung für mich, und doch bey jedem Anlasse so schöne[39] liebenswürdige Ideen, welche ihm bey seinen Griechen selbst ein Verdienst gegeben haben würden. Eines Abends, da wir vom Belvedere mit unserm Knaben nach der Hütte zurückgingen, und Wattines, um mir und Carmil allen Raum zu lassen, sich näher an den Bäumen und Gesträuchen hindrängte, also keinen Schatten machen konnte, ich aber die vor uns sich hinstreckenden schönen Gestalten der Baumschatten mit vielem Vergnügen bemerkte, sagte er so unerwartet schmeichelhaft:

Ich bin glücklicher als du, meine Emilie! denn ich sehe die Schatten von zwey Engeln neben mir hinwallen, indem er auf die Stelle deutete, wo mein Umriß, und der von unserm Carmil hinschwebten. – Er übte sorgsam die Fähigkeit, schöne Bilder und Gedanken zu schaffen, damit selbst seine mühvolle Feldarbeit in meinen Augen immer in neuer Gestalt als Spiel der ergötzenden Gärtnerey[40] erscheinen möge, wie er im dritten Jahre des Aufenthalts auf der Insel, unser Sonnenblumenfeld längst dem Endtenfange hin, äußerst sorgfältig umarbeitete, in Felder und Gänge abtheilte, Linien zog, welche sich zwischen zwey kleinen Wegen immer durchkreutzten, wo er dann kleine Grübchen machte, und mir sagte, unserm Carmil das Körbchen von Maisblättern zu geben, welches ich von den Indianerinnen hatte. Wattines nahm das Maß Saamenkörner mit zu dem Felde, füllte Carmils Körbchen, und zeigte ihm, wie er in jede Grube ein Körnchen werfen solle. Der liebe Knabe war erst zwey Jahre, faßte es aber sehr leicht, trat nicht aus dem von seinem Vater angewiesenen Weg, und übersah kein Grübchen; gleich als ob der Geist der geometrischen Ordnung mit ihm geboren wäre. In der Mitte des Ganges pflanzte Wattines eine Laubhütte von Bohnen, für Carmil,[41] welcher dann, als unsere Blumen ganz aufgeschossen waren, zwischen den Reihen der hohen Stengel, wie in einer Allee hin und her gehen, und über das von seinem guten Vater gemachte Geländer hin, dem Schwimmen und Plätschern der Endten zusehen konnte. Vandek und seine Frau haben es noch gesehen, das liebe mit Blumen besetzte Feld, fanden es schön, staunten aber sichtbar darauf hin, als ob sie die Menge der Sonnenblumen für überspannte Einsiedlerideen, oder übertriebene Phantasie der Vaterliebe hielten; aber am Ende freuten sie sich des Gedankens von Sonnenblumenöhl, welches ich ihnen zu kosten gab, und bey diesem Anlasse das lang entbehrte Glück, andern zu nützen, wieder genoß; denn die vortrefflichen Vandek setzten sich vor, diese Pflanzung bey der Colonie, als etwas sehr vortheilhaftes einzuführen; doch wußte die liebe Frau die Thränen nicht zu begreifen, welche[42] bey dieser Aeußerung ihres Mannes meine Augen netzten, aber als sie mich die Hand meines Wattines fassen sah und sagen hörte: O mein bester Freund! wir aus unserer armen Hütte, einer ganzen Colonie Dienste leisten, – da umarmte sie mich, weinte auch die schöne Thräne des Mitgefühls, und schätzte von da an eine Eigenschaft meines Herzens, welche sie täglich ausübt; denn niemand kann wohlthätiger seyn, als diese würdige Frau und ihr Mann es sind. – Das schmeichelhafte Lob, welches sie unserm Oehle gegeben hatten, weckte oder reitzte vielmehr meine Eigenliebe, zu sagen: ich hoffte mich noch durch eine andre Einsiedlerkunst mit Frau Vandek zu verbinden; wenn sie eine glückliche Bienenjagd gemacht haben würden, wollten wir eine Honigweinfabrik anlegen, wovon ich alle Vortheile wüßte und geübt hätte. Beyde lächelten darüber, aber ich füllte nun die Tassen in welchen sie[43] mir wieder Thee und Milch zu kosten gegeben hatten, mit einer Probe Honigwein, und erhielt neben der Freude, sie dieses Getränke loben zu hören, einen schönen Beweis der Güte ihres Herzens, denn sie segneten die Stunde, in welcher ich den Versuch dieser kleinen Brauerey machte, weil uns in diesem angenehmen Weine eine Art von Erquickung zufloß.

Nun kam ich wieder mit meinen Fragen über das letzte Prüfungsjahr hervor, indem ich beynahe eilte, darüber wegzukommen, da mir der Gedanke ihres langen einsamen Wohnens auf der Insel ganz peinlich wurde, so daß ich sehr vergnügt war, als Frau Wattines sagte:

Ich will Ihnen das immer auflebende und wieder hinschwindende Bild der Hoffnung auf die Ankunft unserer Fischer nicht wieder vorzeichnen, denn sie würden nur die tiefer eingegrabenen Züge eines innern Jammers[44] sehen, welchen wir uns beyde zu verbergen suchten; noch viel weniger kann ich, sagte sie mit holder schöner Verwirrung, von meinem zweiten Ueberschwimmen nach den indischen Hütten erzählen, nur glaube ich sagen zu dürfen, daß mir hier die Pflicht, Mutter zu seyn, durch das Schicksal zehnfach erschwert wurde. – Ich kam wieder sehr glücklich auf unsere Insel zurück, aber der tägliche Anblick unserer zwey liebenswerthen Kinder, wirkte unendlich auf Wattines und mich: tausendmal sagten wir im letzten Herbste in unsern Herzen, was soll aus ihnen werden, wenn eines von uns ihnen fehlt? Aber am Ende des langen traurigen Winters sagten wir uns traulich und offen, daß, wenn wir im künftigen Jahre noch einen einsamen Frühling durchleben sollten, wir den Sommer mit unsern Kindern auf einem kleinen Floß zu den Oneidas gehen, und durch sie den Weg nach einer europäischen Pflanzung suchen wollten,[45] wo wir wohl jemand treffen würden, der mit Wattines nach unserer Insel zurückreiste, um sich mit uns zum Anbau zu vereinen, oder Mittel treffen würde, unsere kleine Habe wegzubringen, und uns zu einem Güthe bey Nachbarn zu helfen, auch den Rath und Nachricht von unserm liebreichen Quäker schaffen würde. – Dieser fest gefaßte Entschluß verschönerte die trüben Tage, milderte die Strenge des Winters, und verscheuchte meinen Kummer, wenn ich mir sagte:

Es ist der letzte Winter in dieser Einöde. Meine Kinder werden unter Europäern wohnen, werden Freundschaft, Güte und Kunstfleiß kennen lernen, werden auch arbeiten müssen, aber nicht so mühsam wie ihre Eltern, weil sie durch hundertfaches Handwerkszeug erleichtert, sich alles geschwinder und besser werden verschaffen können, und in Mangel erzogen, nie mit glänzendem Glücke bekannt, werden sie keine schmerzhaften Vergleiche mit[46] dem Vergangnen zu machen finden, also auch diesen Theil des Kummers ihrer Eltern nicht zu überwinden und nicht zu tragen haben. Felder umgraben, ansäen, Blumen pflanzen, Fische fangen, könnte sich Carmil schon von seinem guten Vater erinnern, wie er die Schwester von der Mutter tragen, ihn dabey liebkosen und das Essen zubereiten sah. Eine Holzhütte war ihm von Jugend auf bekannt, sie würde auch an einer andern Stelle sein Auge nicht schmerzen, und mein Herz wußte von nun an, daß meine Kinder bessere Nahrung, Kleidung und Hülfe haben würden, als ihr Vater und ich. Diese Ueberzeugung machte mich nun die süßen Mutterfreuden ungestört genießen; denn wie oft wurde das so natürliche Vergnügen, an Blüthe der Gestalt und der Fähigkeiten unserer Kinder in den bittersten Schmerz verwandelt, wenn Mutterliebe, Muttersorge mir dabey sagten: zu was blühen sie hier, diese Blumen? was[47] soll aus ihnen werden? war ihnen ihr Vater und ihre Mutter nicht mehr schuldig, als das arme physische Leben? ist es nicht Pflicht, sie so weit zu führen, wie Naturtrieb die jungen Thiere von den Alten führen läßt, bis sie Stärke und Kenntniß haben, sich selbst zu besorgen? O was lag für ein eisernes Gewicht in der Frage: bin ich, ist Wattines sicher, daß wir die lieben Unschuldigen in dieser Einöde so weit führen werden? Wie traurig war es, die auf den Bäumen um unsere Hütte ausgebrüteten Vögel glücklicher zu achten, als meine so liebenswerthen Kinder! – Wie oft sagten es unsre Blicke, wenn wir die Alten bemüht sahen, den ersten Flug der nun ganz flück gewordenen Jungen zu leiten, und sie dann ihrem Schicksale in der weiten Luft übergaben; wie oft bemerkte ich, daß die Frage nach dem Glück unserer Kinder Wattines Herz durchdrang, wenn ich ihm etwas von ihrer Liebenswürdigkeit erzählte, oder[48] wenn er eines an meiner Brust liegen sah, mich und sein Kind küßte, Thränen in den Augen hatte, seufzte und sich entfernte. – O mein Herz trug viel unnennbares Weh, und Wattines viele harte Arbeit, von welcher er, um meine Empfindlichkeit zu schonen, niemals sprach, aber seit dem seligen Entschlusse, unsern Kindern auf das wenigste europäische Nachbarn zu geben, waren wir beyde ruhiger in unserm Innern. Wir empfanden den unendlich hohen Werth des Zeugnisses unserer Herzen, eine Pflicht erfüllt zu haben. Unsere Insel wurde dadurch verschönert, und unser Inneres glücklicher. Wir konnten wohl zur Strafe unseres Eigensinns, noch länger einsam leben, aber unsere theuren geliebten Kinder! warum diese?

Mich dünkte in diesem Augenblick das Wörtchen wir, Inbegriff der liebenswürdigsten Edelmüthigkeit, und schönster Ausdruck der ganzen Sprache zu seyn, indem die vortreffliche[49] Frau so getreu die Hälfte des übereilten Entschlusses ihres Gatten auf sich nahm, und so gelassen die Strafe des Eigensinnes anerkannte. Sie, welche als zärtlich erzogenes Frauenzimmer, als Mutter, der Liebe mehr geopfert, zu Erfüllung der Pflichten der Natur mehr gethan hatte, als Wattines, und nicht der leiseste Ton der Klage, nicht die kleinste Mine entfernte sie von dem gegemeinsamen Geständniß: »wir könnten wohl zur Strafe unseres Eigensinns noch länger einsam leben, aber unsere Kinder

Wie schön eignet sie hier ihrem Manne die Hälfte ihres Nachdenkens für ihre Kinder zu! – Wie verehrungswürdig war sie mir! Sie bemerkte aus einen meiner auf sie gehefteten Blicke, daß ich im Begriff war etwas darüber zu sagen, und wich meiner Lobesergießung durch den schnell einfallenden Gedanken aus:

Mein Herz wollte aber diesen Entschluß[50] mit einem Festtag feiern, und dieses bey den Urnen, – aber nicht heimlich, weil es meinen Wattines wieder geschmerzt hätte, sondern ich bat ihn um einige Blumen, welche Carmil in seinem Körbchen, Antonette in ihrer Decke zu den Füßen der Denkmähler ihrer Großeltern, als ein Dankopfer bringen sollten, weil sie ihnen so gute Eltern gebildet hatten. Mein gütevoller Wattines war es sehr zufrieden, und brachte uns den Morgen nachher eine Menge lieblicher Blumen, verließ uns mit zärtlichen Küssen, eilte zu seiner Arbeit, und ich auf meine Wallfarth, wo ich mit äußersten, aber süßem Staunen die zwey Aschenkrüge mit Blumengewinden geziert erblickte, welche um den obern Theil der Urnen gehängt, die Inschriften zu beyden Seiten umfaßten. Ich näherte mich innigst gerührt, und sah noch Thränen meines Carls auf dem Aschenkrug seiner Eltern glänzen. – Die meinigen vermischten sich damit, und da[51] meine Antonette unruhig wurde, ging ich zu der Urne unserer Mütter, ließ die Blumen zu ihren Füßen fallen, setzte mich, um mein Mädchen zu stillen, und sagte dann zu Carmil, seine schönen Blümchen bey dem Denkmahle der Väter auszustreuen, und ließ ihn die Namen küssen. Was ich da bey den Erinnerungen an die besten Eltern fühlte, kann ich nicht aussprechen, aber es war unendlicher Dank damit verbunden, weil die Idee in meiner Seele lag, daß die Fürbitte unserer Eltern, Wattines bewegt habe, sich zu der Abreise von der Insel zu entschließen. Ich rufte Gott und sie für meine Kinder an, Antonette schlief auf meinem Schooße. Wattines kam, setzte sich mit dem zärtlichsten Gefühle zu mir, und wünschte, daß einst unsere Kinder für uns gesinnt seyn möchten, wie wir für unsere Eltern.

Meine Freunde kennen mich, und sagen sich gewiß bey dem Lesen dieser Scene, daß[52] ich bey der Erzählung sicher eben so gerührt war, als Wattines selbst. Dieses ist auch so; doch beschäfftigte ich mich sogleich mit der Vorstellung, daß dieser Auftritt unter den Händen eines gefühlvollen Künstlers, ein äußerst schönes Bild werden könnte. – Frau Wattines sah mich von tausend Gefühlen durchdrungen, und schien zu bereuen, meine Empfindungen so sehr bewegt zu haben. Sie schwieg einige Zeit, lächelte dann etwas vor sich hin, nachdem auch gegen mich und sagte:

Es ist in Wahrheit eine sonderbare Sache um die Verbindung und das Wecken der Ideen, denn da ich so eben von dem dicht mit Bäumen besetzten Platze sprach, welcher den heiligen geliebten Denkmählern gewidmet war, kam mir bey Erinnerung unsers Rückweges längst den zur Seite frei stehenden Stämmen, eine Phantasie von Wattines in das Gedächtniß zurück, welche ich Ihnen als einen neuen Beweis vorlegen will, daß Einsamkeit[53] die Einbildungskraft lebhafter Menschen auf mancherley Art beschäftigt. – Die Vermuthung, daß die feindenkende Frau meine Ideen von dem mit so rührenden Farben gemalten Bilde der Wallfarth zu den Urnen abziehen wolle, gab mir um so viel mehr Aufmerksamkeit, auf die Art, wie sie es anfangen würde, und ich bat sie angelegen, wenn das Erzählen sie nicht ermüde, so wünschte ich den Anlaß zu ihrem Lächeln zu hören: ich wüßte wohl, setzte ich hinzu, daß unsere Seele sehr schnell die entferntesten Gegenstände mit einander verbände, und diese Uebergänge in einer Seele wie die Ihrige, würden mir immer äußerst wichtig seyn. Ihr Erröthen und die kleine Verlegenheit, in welche sie kam, zeigten mir aufs neue, daß ich richtig urtheilte, als ich die Besorgniß in ihr dachte, ich möchte am Ende zu viel Antheil an ihr nehmen! welches sie vermeiden und also einen zu gefühlvollen Eindruck verwischen[54] wollte. Sie sagte mit Ruhe und gefaßtem Tone: Sie legen zu viel Werth auf eine vorübergehende Idee, von dem leicht hin- und herschwankenden Geiste einer Frau; aber Sie sollen es wissen: als Wattines unsere Obstbäume pflanzte, fällte er mehrere von den Wildstämmen, welche den ersten die Mittagssonne benahmen, die welche in einiger Entfernung stehen blieben, konnten sich aber um so mehr ausbreiten. Eines Tages, da Wattines seine Obstbäume besorgte, und ich unser kleines Vesperbrod, den schottischen, in Honigwein gelegten Brodkuchen brachte, und auf die Rasenbank neben ihm mich setzte, jeden Bissen seines hart erworbenen Abendbrods segnete, so wie ich Antheil an der Freude nahm, welche er über den Wachsthum der guten Fruchtbäume äußerte, ich aber bey Betrachtung der prächtigen Wald-Stämme wünschte, daß die Obsttragenden auch so stark und dauerhaft werden möchten,[55] Wattines mich aber ganz darüber belehrte. –

Endlich aber sagte mein theurer Carl: er habe in einer Ruhestunde diese Bäume als Sinnbild des menschlichen Geistes betrachtet, wie unser geliebter Bernardin de St. Pierre das Bild des menschlichen Schicksals darin erblickte, und sagte:

»Alle Aeste und Zweige unsers Lebens sind sterblich wie der Stamm selbst es ist. Unser Glück, unser Ruhm, unsere Freundschaften, unsere Liebe, alle Gegenstände unserer liebsten Neigungen vergehen und verfallen sehr oft vor uns. – Wie oft scheinen glückliche Umstände einer Familie zu glänzen, wie der weit verbreitete, den Wald verschönernde Gipfel einer mächtigen Eiche, welche unerwartet vom Donner zerschmettert fällt.« Diese Erinnerung war mir nicht lieb, und ich sagte zu Wattines: Bester Mann! deine[56] Betrachtung wird doch nicht so düster seyn wie diese?

Nein, aber vielleicht nicht so nahe bey der Wahrheit. Meine Träumerey entstand aus der Erinnerung, daß unsere großen Gelehrten in der Encyclopädie sagten: alle unsere Ideen und Kenntnisse erhält unser Geist durch die Sinne: also durch sinnliche irdische Hülfsmittel, des Fühlens und Sehens, wie Bäume, welche nach dem Gesetze der Natur aus der Erde stammen, von ihr festgehalten und ernährt werden, die Kraft des Erhebens und Ausbreitens durch sie bekommen, durch die Wurzeln unaufhörlich Säfte und Kräfte sammeln, und diese in dem freien Luftraum in Aesten, Zweigen, Blättern und Früchten, in tausendfacher Richtung und Biegungen zeigen, weil sie in der Luft sich frey und willkührlich ausbreiten können, ihre Bewegung aber nur durch zufällige, schwache oder starke Erschütterung[57] erhalten. – Ist es, dachte ich, nach dem Grundsatze der Gelehrten und dem Stammbaume der Wissenschaften nicht eben so? Da sie durch die Sinne, also durch die mit unserer Erde verbundenen Wesen entstehen, und durch sie unterhalten werden? – Erheben und verbreiten sich die Ideen der Menschen nicht in dem unermeßlichen Spielraume der moralischen Welt des Denkens, bald in mächtigen fruchtbaren Aesten großer und nützlicher Wissenschaften, bald in tausend größern und kleinern Zweigen der Dichtkunst, wohl auch in Tändeley und Phantasien? Sind die Werke des Geistes nicht auch zufälligen Meinungen, oder Erschütterung fremder Gewalt unterworfen?

Ich lächelte nun auch, und stimmte mit Frau Wattines ein, daß die Einsiedler sehr oft Erscheinungen und Träume für wahr halten, und überhaupt ihre Denkkraft einen besondern Gang nehme; – doch ist Wattines[58] Vergleich, da er sich auf seine geliebte Encyclopädie gründet, nicht so schief, besonders da er ihn nur seiner Frau in einer Erholungsstunde vorlegte, und gewiß niemals bey einer Akademie damit auftreten wird. Wie sehr wünsche ich über diese und alle andre in meinen Blättern enthaltene Gedanken und Bilder, etwas von den Bemerkungen und Noten meines theuren Freundes zu hören. Aber es wird noch viele Zeit hinfließen, ehe ich dieses angenehme Glück meines Geistes genießen kann. Leben Sie indessen Beste beyde wohl, und wünschen Sie, daß auch ich leben möge. Mit einem innigen Gefühle von Freude sage ich, die Tage an dem See Oneida haben auch nur 24 Stunden, wie in unserm Vaterlande, und gehen bey nützlicher Arbeit eben so geschwind zu Ende, doch machen mich die Nachrichten aus Europa wünschen, daß der so schnelle Lauf der Zeit, doch bald, sehr bald, alle gute Leidende, mit den schönen[59] Vers unseres edlen Haller einstimmend sagen lasse:


ja, ja die Zeit trägt auf geschwinden Flügeln,

das Unglück weg, und unser Wohl heran,


und mein Herz wiederholte leise:


geliebte Luft! auf väterlichen Hügeln

wer weiß, ob ich dich nicht bald schöpfen kann;


denn ich fühle, der Schwabe liebt sein Vaterland, wie der Schweizer.

Meine nächsten Fragen betrafen den dritten Winter, welchen die guten Wattines auf der Insel verlebten. Sanft sagte die edle Frau:


Es war alles einförmig, wie die zwey ersten Jahre, und Gewohnheit hatte mit ihrer wohlthätigen, sanft wirkenden Macht, schon vieles versüßt und erleichtert. Gewiß erheiterte[60] auch der Gedanke, im künftigen Sommer wegzuziehen oder Leute zu uns zu nehmen, unsere trüben Stunden, wie eine Trennung dichter Regenwolken, durch den Anblick des blauen Aethers, an die wiederkommende Sonne denken und ihr entgegen lächeln macht. Sie wissen, daß Lesen und Arbeit unsere einzige Stütze war. Die zwey ersten Winter wollten wir nur die Naturgeschichte ganz kennen, – als mein Carmil da war, wiederholten wir die von dem Menschen und seiner Seele, indem wir dadurch in den Stand gesetzt wurden, unsern Sohn um so besser zu erziehen, und ihn um so glücklicher zu machen. Nun da das Bild von Wiedervereinigung mit Menschen vor unsern künftigen Tagen schimmerte, so bat mich Wattines, die Wiederholung der historischen Geopraphie mit ihm zu theilen. Sie können leicht denken, daß ich gerne einwilligte, aber ich glaube auch, daß es Ihnen nicht möglich ist, sich die Summe[61] der glücklichen Gefühle zu denken, welche mein Herz und mein Geist in unserer Holzhütte genoß, wenn mein edler theurer Carl mir kurze Auszüge mittheilte, welche als Abbild des Ganzen in seiner Seele waren, indem er mich auf den Character aller großen und kleinen Nationen alter und neuer Zeiten aufmerksam machte, mir das Entstehen, die Dauer und den Zerfall der Verbindungen, Regierungsarten, Fürstenthümer, Monarchien und Republiken bekannt machte, und mit eben so viel Empfindung als Kenntniß in dem mir so lieben Gang seiner Ideen, mir in einer Betrachtung sagte: alle Millionen Menschen, welche in den verflossenen Jahrtausenden auf unserer Erde lebten, erhielten von der Natur die nehmlichen Gefühle für körperliches Wohl und Weh, wie wir, wurden von der nehmlichen Erde getragen, von ihren Früchten genährt, von der nehmlichen Sonne beleuchtet; alle Keime der Leidenschaften unserer[62] Seele, alle Fähigkeiten des Geistes wurden mit mütterlicher Hand unter sie wie unter uns ausgestreut; – alle Menschengeschlechter hatten einen gleichen Antheil an Tugenden und Fehler. – Weißheit und Thorheit flossen durch alle Jahrhunderte der Geschichte der Menschheit, wie Wasser durch alle Gegenden der Erde; alle vor uns lebenden genossen den Wechsel der Jahrszeiten, Blumen im Lenz, Korn-Erndten im Sommer, Früchte im Herbste und tiefe Ruhe im Winter. Ein Philosoph behauptete, daß Tugend, Wissenschaft, Glück und schöne Kunst die Menschheit durchwandeln, wie die Jahrszeiten unsere Erde, – und Wattines erzählte mir nun auch die Geschichte des Geistes der Kenntnisse und moralischer Begriffe. Mir war der Wechsel der Jahrszeiten in dem Gebiethe der Seele äußerst unangenehm, denn die Idee des Winters der Menschheit, der jeden Anbau des Verstandes[63] deckt, jede Quelle der Wissenschaften stocken macht, schmerzte mich noch mehr als die begränzten Einsichten unserer Oneidas. Wattines sagte, ich will also dieses Gleichniß nicht weiter führen, besonders da die Naturgeschichte der Erde beweißt, daß das irrdische Paradies nur einmal unter dem Monde erschien, und mit der Unschuld verschwand. – Unter allen Himmelsgegenden fand einer der größten Seefahrer nur durch ein Ungefähr auf der kleinen Insel Tinian, den Ueberrest eines Landes, wo immerwährender Frühling herrscht, viel merkwürdiger ist, daß sie unbewohnt war, diese liebliche Insel, auf welcher der englische Admiral Ansen, und alle Leute seiner Flotte, ihre verlorne Gesundheit und ihre Heiterkeit wieder fanden. Ich fragte ob Tinian jetzo in der Gewalt von Großbrittannien sey? nein sagte er, sie ist auch noch nicht bevölkert, die schöne wohlthätige Insel, und dieses wie man sagt, aus[64] gemeinsamen Neide der Seemächte, weil Tinian zu klein ist, um von ihnen allen Colonisten aufzunehmen, so kamen sie zum Besten der Menschheit überein, die Natur ungestört in dem schönen Besitze zu lassen, damit immer nothleidende Schiffer sicher seyn könnten, auf Tinian Erquickung und Ruhe zu finden.

Dieses machte mir Freude, sagte Emilie, dadurch behält die liebe Insel ganz den schönen Character des Frühlings, der allen Menschen Wohlthat und Freude ist. Der Nahme Tinian, dünkte mich für eine blühende Gegend geschaffen, und ich wünschte die Nation zu kennen, in deren Sprache die sanfte Benennung entstand. – Lange war meine Seele nicht so angenehm bewegt, als bey der Idee von dieser Insel, indem mein Herz sagte: Tinian ist also für das physische alles was man wünschen kann, wie reine Tugend und Weißheit alles für das wahre Glück der[65] Seele sind. – Wattines fand mein Gleichniß wahr, und setzte hinzu: man sucht aber den stillen sichern Hafen nur, wenn die Schiffe durch Stürme beschädigt sind, und die ruhige Weißheit, wenn uns die Leidenschaften unglücklich gemacht haben. Wir waren nun beyde einige Momente stille, bis Wattines mit etwas bewegter Stimme sagte:

Wie soll ich nun meiner Emilie alles erzählen, was man durch Anson von der lieben Insel weiß, welche dich so sehr anzieht? Wie könnte ich gleichgültig bleiben, mein Bester! bey ewigem Frühling, bey Zuflucht gegen Stürme und Krankheit. – o, sage mir ja alles, was du von Tinian weißt. – Nun hörte ich, daß dieser reitzende Garten der Erde einst von Menschen voll schöner Gefühle bewohnt war; denn Admiral Anson traf in einem Dickigt von Bäumen und Sträuchen noch einige schwanke Pfeiler, welche oben mit Blumenkörben von vortrefflicher Bildhauerarbeit[66] besetzt waren. – Anson wurde dadurch begierig noch mehr Entdeckungen zu machen, aber es fand sich nirgends eine andre Spur von Gebäuden, nirgends Einwohner, die etwas erklären, oder nach alten Sagen ihrer Vorzeit erzählen konnten. – Tinian beschäftigte nun meine ganze Seele, diese Insel dünkte mich der höchste Theil eines großen, in das Meer versunkenen Eylandes zu seyn. Die schönen Pfeiler mit den Blumenkörben umfaßten vielleicht den Vorhof eines ofnen, dem guten Gott der Welt geweihten Tempels, welcher von allen Seiten, jeder an der Seite des Berges und in der Pläne wohnenden Familie, sichtbar gewesen seyn mußte, gegen welchen die guten Menschen bey Auf- und Niedergang der Sonne, ihre Augen mit einem Dankgebet erhoben; und gewiß lehrte jede Mutter ihr Kind auf dem Arme, seine Blicke nach dem schönen Berge zu richten, und seine Händchen dabey zu falten. Wie oft mag eine[67] in blühender Wiese knieende Mutter ihre betenden Hände, über denen des vor ihr stehenden Kindes geschlossen haben, von dem Urheber der Sonne, der Erde und des Meers, Glück und Leben für das geliebte Kind zu erflehen: gewiß flüchteten bey dem ersten Weichen des Bodens unter ihren Füßen, viele nach dem geliebten Berge, sahen den Untergang der andern, und zitterten für sich. Gewiß viele wurden gerettet. Wo sind ihre Nachkommen? – Wattines antwortete mit traurigem Ernst:

Vielleicht hat Begehrlichkeit und Neid der benachbarten Insulaner, mit dem kleinen geretteten Ueberreste des Volks von Tinian um den Besitz des schönen Berges gestritten, und sie völlig ausgerottet. – Und dieser Neid, sagte ich, hinderte gewiß auch, daß man nichts von der Tugend und den Verdiensten dieser einst so glücklichen Tinianer hörte. Nur der Geist des schönen Geschmacks, und[68] der Genius der Kunst, haben vereint die letzten Fußtapfen der guten würdigen Bewohner von Tinian bewahrt, und den Staub dieser, von der ganzen Welt vergeßnen, edlen Menschen, nährt noch Pflanzen, welche Kranke heilen und erquicken, Tinians ewigen Frühling verschönern, und den Wuchs der schattenden Bäume vergrößern; auch ruht stets noch ein Theil des Segens der genesenen erheiterten Seeleute auf ihrer Asche, der reine, nie getrübte Himmel fließt über sie, ihre Seelen sind bey ihrem Schöpfer und – hier fiel Wattines mit der liebreichen Anmerkung ein, ihr Andenken wird von dem edelsten Herzen, mir so vieler Theilnahme gefeiert, wobey er zärtlich nach mir blickte. – Unbedachtsam erwiederte ich diesen Blick mit dem Wunsche, ach, wenn unser Carmil auf Tinian erzogen würde! – plötzlich erschien nicht nur in Gesichtszügen und Augen, sondern in der ganzen Gestalt meines Carls ein Ausdruck von[69] Ernst und Schmerz, der mich staunen machte. Erst waren seine Augen zur Erde geheftet, dann erhob er sie mit der Thräne des innern Unmuths benetzt gegen mich, reichte mit der Hand über sein Buch nach mir, und sagte:

Bekenne theure Emilie! daß dieser Wunsch für Carmil nur ein kleiner Umweg für die erregten Wünsche deines eignen Herzens war. Tinian ist dir mehr als unsere Insel geworden. – Vergiß aber doch nicht, daß die Bewohner Tinians aus dem Schooße des ewigen Frühlings verschwanden, und daß wir auf Oneida mit Carmil ruhig leben. –

Ich starrte ihn an, und da er bey der zuletzt ausgesprochenen Sylbe meine Hand nur einen Moment drückte, und die seine sogleich zurückzog, warf ich meine Arbeit weg, umarmte ihn und sagte an seinem Halse weinend:

O Gott sey Dank für den Entschluß des Wegziehens, denn die Einsamkeit dieser Insel wirkt[70] trauriger auf meinen edlen Carl als auf mich, sein ofner, gütevoller Character wird mißtrauisch, selbst auf seine Emilie, wird ungerecht gegen sich selbst. Sage Lieber! wie sollte ich mit einer Idee meines Kopfs, oder mit einem Gefühle meines Herzens einen Umweg nehmen? Verdient dein Character und deine Liebe nicht alles Vertrauen meiner Seele, und würde mir nicht das Bild deines scharfsinnigen Geistes immer zeigen, daß alle meine Feinheit ganz platt vor deinem Auge liege? – Daß ich unserm blühenden Carmil einen immerwährenden Frühling wünschte, sagt nicht, daß ich Elysium vergaß, welches deine Liebe hier für mich schuf.

Wattines wurde überzeugt, daß ich gerecht für ihn dachte, und diese Betrachtung besänftigte ihn ganz: sie war ihm leid die Strenge, mit welcher er eine kleine Phantasie meines mütterlichen Herzens beurtheilt hatte. – Mir war dieser kleine Auftritt[71] sehr viel zur Beleuchtung eines neuen Theils in Wattines Character und Lage.

Ich dankte mit Emilien dem Himmel, daß er sie aus dem peinlichen einsamen Leben zog, denn als der Enthusiasmus der Reue und der Trauer, die holde Emilie hieher gebracht zu haben, nur einen Augenblick einem Zweifel gegen ihre Gesinnungen Raum gab, so wankte eine Stütze des in Wahrheit kunstvollen Gebäudes ihrer Glückseligkeit, und mir wurde auf der andern Seite wegen Emiliens Bemerkung, über den Einfluß von Oneidas Einsamkeit bange; aber sie wußte ihren Ideen und Ausdrücken so schnell eine liebliche Wendung zu geben, daß sein Verstand und sein Herz eben so umfaßt wurden, als er selbst von ihren Armen umschlungen ward. Ich erkannte den hohen Werth der Feinheit des Gefühls einer mit einem Hitzkopfe verbundenen Frau, denn wie viel vermag da sanftes Schweigen und Klugheit, den schicklichen[72] Moment zu einer liebreichen Unterredung zu finden. Ich wünsche diesen Geist jedem Frauenzimmer, wie ihn Frau Wattines hat; aber ich konnte ihr diese Betrachtungen nicht mittheilen, und auch nicht länger auf diesem Gegenstande verweilen, sondern ich zeigte ihr auf einmal einen großen Unmuth über Englands Barden, daß noch keiner die Geschichte von Tinian zu dem Gegenstande eines Gedichts wählte, wo der Poet einen so reichen und edlen Stoff vor sich hat; den Character des Seehelden Anson, dann Sturm, Melancholie der Seeleute, und endlich die Entdeckung des herrlichen Tinians. Engländer haben so viele Empfindung für Natur und große, schöne Charactere, müssen wir nicht sagen, daß Madame Wattines ganz nahe bey dem Entwurfe eines entzückenden Gedichts war? Bild des fruchtbaren, mit Einwohnern und Wohlthaten der Erde versunkenen Landes, nur die Anhöhe mit dem Tempel gerettet.[73] – Die Mutter welche ihr Kind beten lehrt. – Zwey Schutzgeister welche in Ueberresten schöner Kunst, das Andenken der ersten Besitzer dieser Insel aufbewahren. –

Emilie verließ mich auf einige Zeit, und ich dachte an unsers schätzbaren Professors Jacobi in Freyburg nicht genug bekanntes, nur zu kleines Werk: Nessir und Zulima, worin man wirklich in ein moralisches Tinian versetzt wird; einfache, wahre, schöne, gut und glücklich machende Begriffe von allem, was der Menschheit am meisten angelegen seyn kann erhält. – Frau Wattines kam mit einer heitern, doch sehr aufmerksamen Miene zurück, nahm ihre Arbeit wieder und sagte:

Warum haben Sie meine Geschichte von Tinian mit einem Ausfalle auf die englischen Poeten abgebrochen? – Ich sagte ihr von dem Ernst meiner Unzufriedenheit, daß ich Tinian noch nie besungen fand, – lächelnd[74] antwortete sie: ich glaube an diesen Unwillen, aber gewiß ists doch auch, daß Sie nichts weiter fragen wollten, weil die Idee des kleinen Zwistes zwischen Wattines und mir vor Ihnen stand. –

Ich war wegen ihrem scharfen Auge etwas betreten, sagte aber freymüthig: wer sollte da weiter fragen? Lebhaft und mit freundlichem Tone erwiederte sie: ein Freund sollte es, der Wattines und mich als gute Menschen kennt, die wohl manchmal auf dem Wege ihres Lebens ein paar Schritte von einander abweichen, aber sich immer wieder einholen, und zurufen, um Hand in Hand weiter zu wandeln, Blumen zu pflücken, oder sich bey beschwerlichen Stellen zu wechselseitiger Stütze zu dienen.

Ich konnte mich nicht enthalten zu sagen: verehrungswürdige Frau!

Warum dieser große Ausruf bey einer so erstaunend einfachen Gelegenheit? Geht in[75] Ihrem Teutschland das eheliche Leben so ganz ohne Mißverständnisse hin? hat man nie Anlaß dem Manne zu sagen: Vereine mit der Obergewalt edle Güte! und der Frau zuzustüstern, sey sanft und klug? muß man letzteres nicht bey Freunden und Bekannten beobachten, so lange wir und sie keine Engel treffen? Aber ich will meine durch Wattines unterrichtende Gespräche verkürzten und verschönerten Winter wieder vorsuchen, da wir gerade auf einen Beweiß kommen, daß die Eigenschaften der Engel sich selten mit irdischen Wesen vermengen. Mein Carl ließ mich bey dem so äußerst angenehmen Vorlesen der historischen Geographie, in dem Character aller Zeiten, das ungleiche Maß der Talente und Glücksgüter, der Tugenden und der Künste bemerken. Meine Emilie, sagte er, bedauerte in der Borkenhütte der freien Indier, die so sehr engen Gränzen ihrer Kenntnisse, hier, indem er die Charte[76] von Europa ausbreitete, in diesem, auf seine allgemeine Cultur so stolzen Welttheile, leben unter dem Scepter moralischer und politischer Gesetze, Halbwilde, an welchen man nichts zu achten scheint, als ihre körperlichen Kräfte zum Kriegsdienst und Landbau. – Er zeigte mir Provinzen aller Mächte von Europa, über welche weder Philosophen noch Politiker und Theologen sprechen dürfen, deren Europa so viele hat, sie, für welche unsere Könige so viele Ehrenstellen, so viele Belohnungen bereitet hatten: und, zeigten sich nicht in Frankreich, in Paris, tausend und tausend Verwilderte, Rohe, Grausame, Unwissende, wie in irgend einem Stamme der wildesten Nordamerikaner? Sie wissen, setzte Emilie hinzu, daß Wattines die Erinnerung des an dem jungen Grafen Büffon begangenen Mordes nicht ertragen konnte, und daß er voll edlen Schmerzes und Unmuths uns verließ, um sich unter Gottes freiem[77] Himmel wieder zu sammeln; eben so eilend verließ er bey diesem Punkte seiner Betrachtungen, mich und unsere Hütte. Ich sah aus unserer kleinen Fensterscheibe, wie er den Weg durchlief, welchen er sich zum Wasserholen von der Hütte zu dem See, in dem so viele Schuhe hohen Schnee gebahnt hatte. Die Luft war kalt aber heiter, die Bäume mit gefrornem Duft übersilbert, und die Sonne beleuchtete meinen Carl und seinen Weg. Ich betete für ihn, und er kam ziemlich gefaßt zurück, laß in der Encyclopädie den Artikel Gesetz, nahm dann die Lebensbeschreibung unsers großen Montesquieu, – aber dieß erinnerte ihn an das Werk von dem Geist der Gesetze, und daß 34 Jahre nach dem Tode dieses Mannes alle Gesetze mit Füßen getreten wurden. Die Seele meines theuren Wattines war düsterer, als der einbrechende Abend, doch konnte er die Idee von Montesquieu nicht verlassen, und las in[78] einem Bändchen seiner Briefe, welche ihn endlich zerstreuten. Nun bat ich um das Vorlesen einiger Blätter im Bernardin de St. Pierre, welchen Wattines besonders liebt, und dessen Art die Natur zu betrachten, unserer Lage und unsern Gefühlen nah und sympathetisch war, also immer am meisten auf uns wirkte, so wie die Natur stets sanfte Wehmuth, die Menschengeschichte aber, meist bittre Gefühle in Wattines Seele goß. – So wechselte der Gang unserer Tage und Empfindungen mit nöthiger Arbeit, mit Besorgung des so schön aufwachsenden Carmils, zwischen ungerufnen Erinnerungen, und mit Nachdenken aufgesuchter Beschäftigung unsers Geistes.

Sie können nicht glauben, meine Freunde! wie diese Unterredung meine ganze Seele mit Theilnahme und Hochachtung erfüllte. Ach, wie oft zitterte ich, bald für das Glück der Zufriedenheit, bald für das Leben dieser außerordentlichen[79] Menschen, in ihrer eben so außerordentlichen Lage. Wie gütig wurden sie durch die Vorsehung vor sich selbst gerettet; denn sollte der so viel Schönes erschaffende Enthusiasmus der Liebe und des Heldenmuths in Wattines zu Mißtrauen, in seiner Frau zu Aengstlichkeit geworden seyn, – gütiger Himmel! was für eine Verwandlung, was für Jammer auf ihr Leben! – Ich war froh in diesen Ideen gestört zu werden, denn ich gerieth da in einen traurigen Ton.

Nun hatte sich Wattines erinnert, daß er mich auf die Insel führen, und dort etwas von seinem Lieblinge St. Pierre mit mir lesen wolle, ich freute mich sehr, mit ihm allein überzufahren, denn da ich auch rudern und steuern gelernt hatte, so konnte ich ihm vorschlagen, daß wir auf unserer Seefarth abwechseln wollten. Ich speiste mit ihnen zu Mittag, welches schon nach englischer Gewohnheit etwas spät ist, und setzten sodann[80] über den See. Wattines schien entzückt, seine geliebte Insel wieder zu sehen, und mich dünkte, daß in seinen Blicken auf das Ufer, auf seine ehemalige Wohnhütte, seine Felder und Obstbäume ein Ausdruck von Liebe und Freude des Wiederdaseyns herrschte, welche mich innig rührte. Ich sagte zu ihm: ich verehre Ihre Anhänglichkeit an diesen Boden. Er antwortete mit sanfter Stimme und ernster Miene:

Wie undankbar wäre mein Herz, wenn ich ihn nicht liebte und segnete, den Boden, der mich aufnahm und beynahe vier Jahre mit Frau und Kinder nährte. – Nun gingen wir stille miteinander gegen die Seite des Belveders, durch einen etwas engen, an dem Ufer hinlaufenden ungleichen Weg. Ich vermuthete, daß er mich zu den Gräbern führen wollte, von welchen Emilie mir gesagt, und wovon ich seit dem ersten Besuche auf der Insel ein Bild in dem Gedächtnisse behalten[81] hatte; nämlich zwey schmale Blumenbeete und zwey Moosbänke zu ihrer Seite. Urtheilen Sie aber, wie ich staunte, auf einer zwischen zwey Bäumen sich vordrängenden stumpfen Pyramide eine runde, halb von den Zweigen der Pappeln bedeckte kupferne Tafel zu erblicken, welche wie die zwey Blumengräber und das Gebüsche umher, zur Hälfte beleuchtet war. Ich trat wirklich bey der unerwarteten Erscheinung in dem Halbdunkel etwas zurück, besonders da ich bey einem Blicke nach dem See mich der Veranlassung zu diesen Gräbern erinnerte. Wattines stand neben mir und sah vor sich hin, ich drückte seine Hand und sagte:

Hier wollten Sie ruhen? Er antwortete: O, mein Freund! was würde aus mir geworden seyn, wenn ich Emilien hier begraben hätte. Er setzte sich dabey, wie unter der Last dieser Vorstellung ermattet, auf die eine Bank nieder, ich wandte mich von ihm ab, und ging[82] zwischen den zwey in Blumenbeete verwandelte Ruhestätten gegen die Pyramide, welche in der Mitte stand, und fand wahrlich in englischer und französischer Sprache folgende Inschrift:


Zwey junge treue Gatten, von der Classe des unglücklichen französischen Adels, flüchteten sich, nachdem der Convent von Paris ihre Verwandte ermordet hatte, 1791 im May auf diese unbewohnte Insel, bauten Felder an, bereiteten diese Gräber, und hofften auf Gottes Güte.

Emilie und Carl von Wattines


Sie wissen meine Freunde, daß ich gerne bey Denkmählern welle, und vermuthen, daß mich dieses besonders anziehen mußte. Ich blieb auch von tausend Gefühlen durchdrungen lange dabey stehen. Jugend, Schicksal,[83] Verdienste und Sorgen dieser guten Menschen umschwebten mich: Wehmuth, Wünsche, theilnehmende Freundschaft und Bewunderung wechselten in meiner Seele. – O wie ganz anders war der Gedanke des Todes hier, neben den ofnen Gräbern dieser zwey Edlen in der gänzlichen Einsamkeit, als Todesideen, welche in großen Kirchen und eigen erbauten Capellen, bey Marmor und Wundern der Bildhauerkunst mich an mein eignes Sterben und Staubwerden erinnerten. Die Stille umher, die Blumen und Pflanzen in den Grabbeeten, ein Blick auf den schönen, jungen, abgehärmten Wattines, der auf der Bank saß, welche er aus der Erde formte, die aus Emiliens letztem Ruhebette ausgehoben war, auf welches seine Augen geheftet waren. Ach, alles dieses wirkte sehr auf mich. Ich kam mit der Thräne der Rührung im Auge zu dem lieben Manne zurück, setzte mich neben ihn und umarmte ihn[84] schweigend. Nach einigen Minuten sagte er, mich bey der Hand fassend:

Nicht wahr! sie finden natürlich, daß ich wünschte unsere kleine Geschichte zurück zu lassen? Es ist so traurig, ganz, ganz vergessen zu seyn. –

Ich erwiederte: Sie haben recht, aber ich danke Gott, daß er durch Colonisten zu Hülfe kam, und ich hoffe er thut noch mehr.

Seufzend sagte er: ich wünsche es, beten Sie meiner guten Kinder wegen, um mein und Emiliens Leben. – Innigst, gewiß innigst, theurer Wattines.

Nach einer Pause von etlichen Minuten fragte ich: wo haben Sie denn die Platte zu dem Denkmahl bekommen? nun lächelte er und sagte: ich brachte sie mit aus Philadelphia.

Ich sah mit einer Miene voll Zweifel nach ihm. Er wiederholte aber:[85]

Ja, mein Freund! ich brachte sie mit, aber in einer andern Gestalt, welche Sie den Abend sehen werden. – Es dauerte lange bis die arme Inschrift fertig war, und ich das Mittel gefunden hatte, sie mit einiger Sicherheit zu befestigen, indem ich sagte: nachkommende Besitzer dieser Insel, finden hier keine Ruinen von Gebäuden und prächtigen Denkmählern alter, kunstvoller Bewohner, wie auf den Inseln Griechenlands; aber mit dem guten Träumer Bernardin de St. Pierre hoffte ich, edle Seelen der künftigen Colonisten, würden bey diesem einsachen Denkmahle der Liebe und des unverschuldeten Unglücks, das melancholische Vergnügen des Anblicks eines Grabes genießen. Ich nahm es weg, als wir auf das feste Land zogen, und brachte es heute sehr früh herüber, damit Sie meine Phantasie sehen sollten; – aber wir sind, fürchte ich, etwas zu ernsthaft geworden, und, (indem er ein Buch aus der Tasche zog)[86] diese versprochenen Blätter werden uns nicht ermuntern.

Ich erwiederte, warum? dieser Ernst hat wirklich seinen Anmuth. Sie müssen gesehen haben, daß Todte und Gräber mir werth sind; lesen Sie mir immer die Blätter, deren Inhalt Ihnen so werth ist. – Ich achtete es für meine Pflicht, dem guten Wattines diese Bitte zu machen, denn er hatte mit so vieler Achtsamkeit auf meine teutschen Grabgeschichten gehorcht, warum sollte ich nicht zeigen, daß die Ideen von seinem geschätzten Landsmanne, mir auch angenehm seyn würden. Er las mir also eine Betrachtung über das Vergnügen bey Gräbern vor.

»Es giebt kein Denkmahl, welches mehr Eindruck macht, als Gräber, und es ist merkwürdig, daß der größte Theil civilisirter Völker die Gräber ihrer Voreltern zum Mittelpunkt ihrer Frömmigkeit, und zu einem Theile[87] ihrer Religion machten. Die Gräber der Voreltern sind bey den Chinesen die Hauptzierde ihrer Vorstädte und ländlicher Hügel. Indische Stämme, weichen man sagte, zieht anderswo hin, antworteten: können wir den Gebeinen unserer Eltern sagen, steht auf! und zieht mit uns in andre Länder?«

»Gräber haben Young und Geßner die rührendsten Bilder gegeben, – selbst Wollüstlinge kommen manchmal zu diesen natürlichen Gefühlen zurück, und erbauen in ihren Gärten künstliche Gräber. Woher kommt dann dieses Trauergefühl mitten in dem Genuß des Vergnügens? Ist es nicht von der Empfindung, daß etwas nach unserm Leben besteht? denn es ist nicht die von der Kürze des Lebens, und daß wir in ein Grab verschlossen werden, – dieses würde ihre Phantasie empören, und die meisten von ihnen fürchten den Tod. – Nein, das Anziehende der süßen Trauer bey einem Grabe, entsieht aus den zwey entgegen gesetzten[88] Gefühlen, unserer wenigen Dauer auf Erden, und unserer Unsterblichkeit.«

»Dieser stille Gedanke ist es, welcher sich bey dem Anblicke dieser letzten Wohnung der Menschen in unserer Seele erhebt. – Ein Grabmahl ist wie ein Gränzstein zwischen dieser und jener Welt; es zeigt das Ende des Gewühls des Lebens auf Erden; ist Sinnbild der ewigen Ruhe, und giebt das Gefühl einer unaufhörlichen Glückseligkeit. Diese Ueberzeugung ist um so stärker, je tugendvoller der Verstorbene war. Dieser Gedanke ist so richtig, daß gewiß niemand die Asche des Nero, selbst in einer silbernen Urne, in einem Garten haben möchte, und hingegen die von Socrates, sollte sie nur in einem irdenen Topfe seyn, gewiß gerne verwahren würde. Gräber verdienstvoller Personen flößen uns Verehrung ein. Man wird bey dem kleinen Hügel gerührt, welcher die Asche eines liebenswürdigen Kindes verschließt, indem man[89] an seine Unschuld denkt,« und ach! setzte er seufzend hinzu, ein Blick auf das Grab einer schönen, tugendvollen jungen Frau! – »Erz und Marmor geben da keinen Werth, ein einfacher Grabhügel erhält mehr Thränen als Trauergerüste. Der bey einem bemoosten Grabe des Dorfkirchhofs stehende Eibenbaum rührt mehr als Pyramidenbaue und Grab, bleiben auch in Verbindung mit der ganzen Natur: der Aufgang der Sonne, das Rauschen der Luft, die Abendröthe und das Dunkel der Nacht, die härteste Arbeit, der niedrigste Stand erlöschen dieses Gefühl niemals; man erinnert sich, daß zwey Jahre lang ein Neger nach dem Tode seiner Frau, in seinen Ruhestunden ihr Grab mit seinen Kindern besucht und dabey geweint habe. –«

O denken Sie, was dieses Bild für mich war, sagte Wattines, wenn ich mit Emilien und Carmil hieher kam, und wußte, daß sie zum zweytenmal Mutter werden sollte, und[90] ich sagen mußte: ach die Schwangere, die Gebährerin giebt von ihren Lebenskräften mehr als der Mann bey dem Graben des Feldes; wenn ich nun, wie dieser arme Neger, mit zwey Kindern bey dem Grabe ihrer Mutter weinte! –

Ich antwortete ihm hier nur mit einem Blicke, und durch Erwiederung des Drucks von seiner Hand; denn was hätte der größte Redner in diesem Moment sagen können? – Er nahm aber sein Buch wieder, und machte, indem er auf eine Linie deutete, die Anmerkung:

Hier hat St. Pierre ganz die Lage gemahlt, in welche das Schicksal mich brachte; denn er sagt: die erste Wirkung des Unglücks macht unsere Seele starren, die zweyte zermalmt sie. – In der ersten Bewegung erhebt sich der gute Unglückliche zu Gott, mit der zweyten wird er zu dem Gefühle des Mangels aller körperlichen Bedürfnisse hinunter gebogen.[91] – Eine Stimmung, in welcher ich den Weg von meiner Hütte hierher oft zurück legte. –

Ich konnte es begreifen, und mein Herz wünschte des edlen Salis Gedicht an die Wehmuth mit dem schätzbaren Wattines lesen zu können, es schien als ob Wehmuth in meinen Zügen sich ausdrückte, weil mir Wattines in seinem schönen männlichen Tone sagte:

Ich besorge, daß ich ihr theilnehmendes Herz mit den Trauerideen des meinigen plagte. – Lassen Sie mich von dieser Stelle nur noch etwas von meiner Emilie erzählen. – Sie machte es wie alle gefühlvolle Seelen, welche das beste immer ohne Zeugen zu thun wünschen, und ich belauschte sie gerne, besonders wenn ich was vorzüglich Nachdenkendes oder Zärtliches gegen unsre Kinder bemerkte. In einer solchen Stunde, nach unserm Frühstücke, war ich bey der Pyramide, hier zwischen[92] den Bäumen, kurz nachdem Emilie von ihrer zweyten Reise nach den indischen Hütten zurück war; sie glaubte mich lange bey meiner Fischerey, und kam mit unserer, in ein Tuch gewickelten Antonette und Carmil an der Hand hierher, legte die kleine neben die Moosbank meines Grabes, faßte aber da knieend Carmil in ihre Arme, zeigte ihm die Blumen, dann den zwischen den Bäumen so klar blinkenden Himmel, faltete seine Händchen und lehrte ihn beten: guter Gott! der du die Sonne und die Blumen machst, lasse meine Eltern leben, und gieb mir meines Vaters Geist. – Nun zerfloß sie in Thränen, faßte sich aber, dem sie traurig anstaunenden Carmil zu Liebe, und zeigte ihm wo er Blumen pflücken solle. Ich war äußerst bewegt, bemerkte aber doch, daß sie Carmil zu den Blumen ihrer Ruhestätte gewiesen hatte, und fragte sie einst bey dem Bekenntnisse sie belauscht zu haben, nach der[93] Ursache dieser Abtheilung zwischen der Stelle des Betens, und des Geschenks der Blumen. – Sie antwortete mit Zärtlichkeit: mein Herz wünschte das blühende Sinnbild deines Lebens länger dauren zu sehen als meines. –

Ich hoffe, sagte ich, Sie edle beyde! sollen diese Blüthen noch oft sehen. Wattines dankte mir, legte sein Buch hin, und forderte mich auf ihm zu helfen, die Platte seiner Inschriften loszumachen, indem es Zeit wäre wieder nach Hause zu schiffen. – Ich wollte Hand anlegen, sah ihn aber lächelnd sich wenden, zur Seite einen Stock ausziehen, nachher hinter die Pyramide gehen, Erde abwerfen, und der Platte einige Stöße mit dem Stocke geben, so daß sie vorwärts rückte, und am Ende eine flache drey Zoll hohe, und 1 1/2 Schuh weite gelbkupferne Schüssel mit zwey Handhaben vorkam, auf deren umgekehrten Bodenseite die Inschrift eingegraben war, das[94] ganze in dem obern Theile der Erdpyramide eingeschoben, und der Stock zur Seite durch die Handringe gesteckt, dann alles mit Erde gefüllt und gedeckt war, so daß man nicht leicht diese Erfindung errathen konnte.

Ich äußerte Wattines meine Bewunderung, er sagte: dringende Noth und heftige Begierden machen immer erfinderisch; und so endigte dieser Tag mit einem neuen Beweise, des immer thätigen, und so leicht in tausend Gestalten erscheinenden Geistes der französischen Nation. – Ich speißte bey Wattines zu Nacht, und hörte, daß sie allein um ihrer Kinder willen Verbindung mit Europäern wünschten.

Den folgenden Tag fragte ich nach dem Reste des letzten einsamen Frühjahrs, weil sie den Sommer zu ihrem Abzuge bestimmten, und Wattines zu den Oneidas gehen, ihnen seine Hütte und seine Felder empfehlen, und[95] sie nur ersuchen wollte, ihnen den Weg zu den nächsten europäischen Colonisten zu weisen. »Hoffnung und Ungewißheit kämpften in unsrer Brust, bey jedem Blicke auf dem schönen Wachsthum unsrer Felder, und auf unsere Bücher, sagte Frau Wattines, welche wir nebst allem andern auf einige Zeit dem Zufalle überlassen mußten.« Beynahe waren sie entschlossen noch länger zu bleiben, als mitten in diesem Hin- und Herwanken Vandek erschien, und ihr Herz mit Freude überströmte. Emilie weinte und zitterte noch, als sie davon erzählte, ja weder Wattines noch sie vermochten mir einen deutlichen Begriff von ihren Gefühlen zu geben. – Wattines sagte:

Der ungewöhnliche Ton der Stimme, mit welchem Emilie rief, Carl! Europäer! machte mir die Worte unverständlich, und ich sah eifrig nach ihr, allein um die Ursache dieses durchdringenden Tons zu erforschen; aber ihre ausgehobne Hand deutete, und ihre[96] Blicke waren auf den nehmlichen Ort geheftet, da sah auch ich den vortrefflichen Mann, der sich uns näherte, und von der Stunde an so viel väterlichen Antheil an uns nahm.

Nun schwiegen beyde, Emilie faßte sich zuerst, und sagte gegen mich: O, glauben Sie, daß mein Herz den weisen, gütigen Vandek die ganze Ewigkeit hindurch danken wird!

Sie kennen, meine Freunde, die Geschichte der Entdeckung aus den ersten Blättern meines Tagebuchs, nach der Erzählung des guten Vandek, welcher aber nicht sehen konnte, daß Wattines an dem äußersten Rande des Wassers einen Baumstamm umfaßt hielt, und seinem kleinen Kahne nachsah, so weit sein Auge reichen konnte. – Vandek wußte nicht, daß Wattines wie ein Betrunkener zu Emilien zurückkam, welche er mit ihren Kindern dem Ufer zueilend fand, und ihm zurufen hörte: Wattines, zeige mir den[97] Weg, welchen unser guter Engel nahm: konntest du ihn landen sehen? Ich konnte ihn nicht begleiten, meine Füße wankten zu sehr. – Vandek sah sie nicht fließen die Thränen der Freude und des Danks zum Himmel. Er hörte den Segen nicht, welcher ihm bis an das Gestade nachfolgte; – aber Gott sah uns, Gott hörte uns, sagte Emilie. – Wir umarmten uns und unsere Kinder, und waren nahe dabey, Bücher, Hausrath und Kleidung zu küssen, welche wir seit vielen Tagen mit innerer Trauer des Verlassens angesehen hatten; nun sicher behalten und in glücklichern Tagen genießen würden. Die Gefühle, und die Unterredung dieses Abends sind in Wahrheit unbeschreiblich, jedes von uns wollte schönere, edlere Züge in Vandek gesehen haben. Wir, welche unsere Hütte und unsere schlafenden Kinder des Abends niemals verließen, schlossen unsere Thüre und eilten noch an das[98] Ufer, um zu sehen, ob wir Lichter oder Nachtfeuer der Colonisten entdecken könnten. Es war gut, daß ein, mehrere Tage anhaltender, Regen das Außenbleiben von Vandek rechtfertigte, denn bey schöner Witterung würde meine Seele von Jammer durchdrungen gewesen seyn. Die wenigen Minuten, wo der Regen aufhörte, war eines von uns am Ufer. – Gewiß man empfindet sie nicht zweymal die Bewegung des Herzens, welche schon der Anblick des zu uns rudernden Kahns, und der Anblick einer europäischen Frau in mir hervorbrachte; wie diese Frau meine Sprache redete, und meine Kinder so theilnehmend umarmte. Ich kann es nicht ausdrücken das Gefühl, welches der Gedanke mir gab: meine Kinder, Wattines, ich, haben nun Freunde, Nachbarn, Hülfe zu hoffen. – Was wurde die Vorstellung, Milch, Leinwand, Brod, Salz! – Niemand, ach niemand kann ohne Erfahrung sich einen Begriff[99] von dieser Empfindung machen. – Ich dankte Gott für die Aussicht auf dieses so lang entbehrte, so unerwartete Glück. – Ich sprach nun mit ihr von den Noten, welche Frau Vandek über ihren Character und über ihre Leiden gemacht habe, und erzählte ihr auch von der Achtung, welche die fleißige, Haußhalt verständige Holländerin für die Ordnung und die Arbeiten der Frau Wattines in der Hütte auf der Insel bezeigte. – Es freute Emilie, und lächelnd sagte sie: ich habe sie also recht wohl angewendet, die Mühe, unsere Hütte und kleinen Haußrath auf das möglichste zu ordnen, als ich wußte, daß eine Niederländerin auf unsere Insel kommen würde. –

Ich bat jetzo, daß sie mir den ganzen Vorrath ihrer Arbeitswerkzeuge weisen solle, indem ich wisse, daß sie wie Reliquien geordnet und aufbewahrt würden. – Lebhaft erwiederte sie:[100]

Ja, es sind mir heilige Ueberreste von Geist, Liebe und Tugend meines Mannes; denn diese drey Eigenschaften mußten vereint seyn, um bey dem höchsten Kummer und Leiden hervorzubringen und auszurichten, was er vier Jahre hindurch für Frau und Kinder that.

Ihr Ton und etwas in ihrem Aeußern machte mich unruhig, und ich ersuchte sie, mir eine Frage zu erlauben, – ganz gerne, antwortete sie, vor sich hinsehend: ich besorge, etwas gesagt zu haben, daß Ihnen mißfiel. – Sie erröthete ein wenig, sagte aber sehr sanft: ich bekenne, der Ausdruck, daß ich die Arbeitswerkzeuge von Wattines wie Reliquien aufbewahrte, deuchte mich Spott, und verwundete mein Herz.

Ich fühlte nun auch, daß diese gesuchte Wendung, bey einer ganz einfachen Idee, in Wahrheit unschicklich war, und die liebe[101] Frau doppelt beleidigen konnte, um so mehr da sie von einer Kirche ist, welche die Reliquien verehrt, und daher dieses unbesonnene Gleichniß, in dem Munde eines Protestanten wirklich Spott wurde, gewiß auch alles was Emilie und ihr Mann, in den harten Prüfungsjahren ihrer Einsamkeit ertragen und erfunden hatten, keine zweydeutige Benennung verdiente. – Ich war unaussprechlich unzufrieden mit mir selbst, denn wenn man sagen wollte: Frau Wattines sey durch lange getragenes Weh zu empfindlich geworden, so hätte man unrecht. War es nicht eine Pflicht ihres Herzens, alles mit Dank und Liebe zu umfassen, was ihr Mann mit so viel Sorgfalt und Beschwerde verfertigte? und ich fühle mit Schmerzen, daß ich ohne Verstand, und sehr ungerecht gehandelt hatte. Ich stand in dem kleinen Kämmerchen neben Emilie tief schweigend, und in dem Moment, wo ich eine Entschuldigung[102] herstammeln wollte, erschien Wattines. Meine innere Demüthigung wurde nun mit Verlegenheit gemischt, welche ich etwas verbergen wollte, und mich gegen das kleine Fenster wandte, wo meine Augen gerade auf die Insel trafen, wo das ganze Bild von dem Leben dieser Edlen vor mir stand, mich rührte, und meine Blicke mit wehmuthsvoller Ehrerbietung bald auf Wattines, bald auf die verschiednen Werkzeuge heftete. Der schätzbare Mann schwieg einige Zeit, bemerkte daß mein Auge auf rund gebogne Stücken Drath geheftet waren. Er faßte den Drath und sagte: Ihnen allein, mein Freund! darf ich die Idee mittheilen, daß ich hier an die großen und kleinen Zirkel denke, welche beseelte und unbeseelte Wesen dieser Erde, von Anfang ihres Entstehens, bis zu ihrem Ende neben einander durchlaufen. –

Ich sah auf ihn und lächelte, er sagte[103] aber: ja mein Freund! nicht wahr? Eisentheilchen verbanden sich in dem Innern der Erde zu Erz, dieses wurde ausgegraben, geschmolzen und zu Drath verarbeitet, da kaufte ich ihn zu Gitter eines Vogelhauses; aber die Gesetze der Noth, welche nach dem alten Sprichwort Eisen bricht, änderten, wie es auch oft mit Menschen geschieht, die erste Bestimmung dieses Draths, machte ihn theils zur Gitterflechte, für unsere schottitische Brodkuchen, theils zu großen und kleinen Stricknadeln, zum Band für meine Oehlpresse, und zwey lange Stücke wurden Nähnadeln, mit welchen Emilie eine Art Gewebe hervorbrachte, endlich wurde ein Theil zum Vogelbauer für meinen Carmil verbraucht, und werden wohl hier in Rositheilchen aufgelöst, vielleicht neben der Asche meiner Kinder liegen, mit dem Ganzen vereint werden, damit die ersten wieder neue Eisenerze, die andre aber Pflanzen nähren, welche zum[104] Dienst des Lebens nachfolgender Menschengeschlechter berufen seyn mögen.

Ich sagte zu ihm: Sie haben Ihren Drath in eine zusammenhängende Kette artiger Betrachtungen eingeflochten.

Er hob das Wörtchen artig aus, indem er fragte, warum sagten Sie nicht geradezu phantastische Betrachtungen. – Ich antwortete ernst, weil es mir nicht in den Sinn kam, und wirklich Ihre Ideen mehr als Phantasien sind.

Nun faßte er den Vogelkäfich, und sagte munter: es hätte mir nicht mißfallen, denn ich habe selbst den Gedanken eines Vogelkäfichs für die Insel Oneida als Phantasie geachtet, nur da ich den vielfachen Nutzen meines Draths bemerkte, sagte ich mir: in der großen Welt dient Phantasie nur zu Verschönerung des erfundenen Nützlichen, auf meiner einsamen Insel ist eine meiner[105] Phantasien Grundlage einer vielfachen Wohlthat für meine Familie geworden. –

Mein Herz freuet sich, wenn ich Wattines bey einem freyen Gange seiner stets regsamen Einbildungskraft, mit einer Art von besonderer Zufriedenheit in dem Felde des Denkens herum wandeln sehe. Ich faßte den Faden von dem labyrinthischen Wege seiner Gleichnisse auf, und lenkte das Gespräch mit erneuten Kennzeichen der Theilnahme, auf die Betrachtung ihres so ausgezeichneten Schicksals, Wattines fand es sehr gut und sagte:

Sie haben recht, wir wurden zu dem Zustande der Probe berufen, zu was Liebe, Religion, Verstand, Erziehung und die dem Menschen gegebenen Kunstfähigkeiten dienen. Denken Sie in wie kurzer Zeit wir von einem äußersten Ende zu dem andern geführt wurden, in Philadelphia noch alles sahen, was Pracht, Reichthum und[106] Wohlleben bey Menschen vermögen; auf der Insel Oneida, völlige Einsamkeit und Mangel; bey Indier, Naturmenschen und ihre zufriedne Armuth, gegen die wir in unserer Hütte uns reich dünken konnten; hier fiel Emilie ein: es war aber sehr gütig von der Vorsehung, daß sie uns durch das einfache Denken und Handeln eines Quäkers zu dem noch einfachern Naturleben vorbereitete, – und sagte ich, Sie durch arme Colonisten wieder zu gesellschaftlichen Verbindungen zurückführte. – Emilie erwiederte, und dieß zu meinem ewigen Dank gegen Gott, durch die Hand eines weisen, tugendhaften Mannes wie Vandek ist. Seine Erscheinung wirkte auf meine Seele, wie der Regenbogen nach geendigter Sündfluth auf Noah, weil er die Befriedigung des strafenden Schicksals zeigte, –

Sagen Sie, meine Freunde! ist diese Frau nicht immer auf dem schönen Pfade[107] edler frommer Gesinnungen, kann meine ehrerbietige Bewunderung ihres vortrefflichen Geistes und Characters nur im mindesten zu viel oder zu tadeln seyn? – Wie sehr wünschte ich, gleich mit der Colonie hierher gekommen, und mit Vandek das erstemal auf die Insel gereist zu seyn, gewiß dann wäre alles aufgezeichnet worden, was mit Wattines seit ihrer Verpflanzung auf das feste Land vorging; denn wie viel äußerst interessantes hätte man bemerken können, als Wattines wieder einmal Nachrichten von Europa hörte, begierig und ängstlich nach Frankreichs Begebenheiten fragte u.s.w. aber sie schrieben wenig auf, nur weniges hatte dem Vetter des schätzbaren Vandek besonders merkwürdig geschienen, wie zum Beyspiel die Aeußerung, als Emilie mit tiefem Kummer ihres Herzens ihren Mann fragte, wodurch wurde denn unser französischer Nationalconvent so grausam und blutdürstig? – warum[108] wurde keines von diesen tausend und tausend Schlachtopfern gerettet? sagte Wattines, ach meine Emilie! ich habe einst eine traurige Betrachtung darüber gelesen, welche mir nun ganz in das Gedächtniß zurückkommt, und vielleicht damals durch den Geist meines Schicksals so tief in die Seele geprägt wurde, weil er wußte, daß ich einst diese Beleuchtung des tiefsten, schwärzesten Abgrunds des menschlichen Herzens nöthig haben würde. – Der Aufsatz sagte: »wenn der auf seine Vorzüge stolze und mächtige Mensch, aus Leidenschaft oder Uebereilung jemand unglücklich macht, oder verurtheilt, und es vor Zeugen that, so würde er selbst bey dem Gefühle, daß er unrecht und grausam handle, fortfahren, würde seinen Verstand verwenden, zu beweisen, daß der arme Unglückliche seine Leiden verdiene, würde immer härter, immer grausamer werden, um die Zeugen glaubend zu machen: daß ein[109] Mann von seinem Geiste und Character nicht so handeln würde, wenn es der Verurtheilte nicht verdiente,« – und so verwandelt Stolz und Rachbegierde selbst das Mitleid der fremden gefühlvollen in Beyfall der Grausamkeit. Dieser unseelige Geist der stolzen Eigenliebe verwandelte die Hälfte der sonst so liebenswürdigen Bewohner Frankreichs in gefühllose Tieger. –

Emilie weinte da sanft auf Frau Vandeks Brust gelehnt, und sagte: ach meine Freundin! wie glücklich sind die Verstorbenen! Wattines las mit Eifer in den Heften fort, und traf die Nachricht der Verbindung des spanischen Hofes mit der jetzigen Regierung in Frankreich. Seine erste Bewegung soll unaussprechlichen Schmerz gezeigt haben, wobey er ausrief: Bourbon, gegen Bourbon! O Menschen! nachher aber sagte er mit bitterm Lächeln: aber da war schon lange voraus gegangene Sympathie, und sehr natürlich[110] daß die Spanier den Neufranken alle Grausamkeiten des Fanatismus der Freiheit vergaben, da sie schon so lange an die Unmenschlichkeit des religiösen Fanatismus der Inquisition gewöhnt sind, und der Pariser Convent hat noch einen Vorzug der Redlichkeit, vor der Regierung zu Madrit, denn unsere französischen Oberherren verläugneten zuerst den Glauben an den Gott der Güte und Gerechtigkeit, ehe sie ihre barbarischen Grundsätze ausübten: sie schlossen die Kirchen, verbannten die Lehrer der christlichen Religion, welche Sanftmuth und Wohlthätigkeit predigten, und erst nachher folgten sie den Eingebungen ihres bösen Geistes. Die Spanier hatten christlichen Gottesdienst, und den Namen Christi, neben der quälenden Inquisition. –

Er ging auch mit ringenden Händen aus der Stube des Vandeks; und suchte Milderung seines Jammers in der stillen weiten[111] Einöde eines ausgerotteten Stück Waldes, unweit Vandeks Feldern. – O wie erneute sich hier mein Wunsch, von alle diesem Zeuge gewesen zu seyn, alle Ideen bemerkt zu haben, welche sich nach einem 4 Jahre gedauertem Schweigen empor drangen, also den hohen Werth erster Ergießung seiner wahren Gefühle hatten; denn nun werden meine Fragen über seine jetzige Lage und über die Menschen um sie her, nicht mehr so freymüthig beantwortet, als die, welche ihr Leben auf der Insel betrafen; denn mit ernenten europäischen Verbindungen ist, zugleich die kluge Besorgniß, daß sie zuviel sagen möchten, in ihre Seele zurück gekommen, und verhindert alle Eröffnung über Denken und Sitten ihrer neuen Freunde. Mir ist es ehrwürdig, daß sie nur in dem ganz innern ihres Hauses, mit sich, ihren Kindern und hie und da einer Speise ächt französischer Art behalten, und in allem andern, wie[112] Vandek und Scriba leben. – Wattines arbeitet auf dem Felde, wie jeder andre Colonist, nur daß bey allem was er vornimmt, mehr Geist, Leichtigkeit und Gewandheit sichtbar ist, wodurch aber auch bey den jungen Leuten, welche nur ein wenig Anlage hatten, ein schöner Wetteifer geweckt wurde, welcher, neben den Einfluß von Vandeks Lehren und Lebensart, diese anwachsende Colonie als äußerst schätzbare Menschen zeigen wird.

Die Predigt, welche Vandek bey vollendeter Ansaat der neuen Felder hielte, war das schönste Stück Beredsamkeit des Herzens, so ich jemals hörte, und wahre Einsegnung der Saamenkörner; ich bin auch überzeugt, kein Colonist verließ die Kirche, ohne Gott um Erfüllung dieses Segens zu bitten. Ich beobachtete den Ausdruck der Physiognomien aller Zuhörer, niemand zeigte eifrigere Wünsche als Wattines, und niemand innigere Gottesfurcht als seine Frau. Nach der Predigt[113] gingen die meisten Zuhörer nach ihren Feldern, um diesen, wie ich behauptete, die Fürbitte ihres gütigen Lehrers zu überbringen. – Vandek, Wattines und Scriba durchwanderten langsam die Straße längst dem See; ich blieb zurück, und schlich in eine Ecke von Wattines Garten, wo ich alle bemerken konnte, und dachte: wie sonderbar ist das menschliche Schicksal! Wer würde vor zehen Jahren dem Holländer Vandek gesagt haben: jetzo gehst du unter den Schatten der Bäume an des prächtigen Amsterdams Canälen, zwischen Kauffartheyschiffen und einer Menge zierlicher Gebäude, welche mit allem erfüllt sind, was Reichthum von dem Geiste der Kunst, und von den Wundern der Natur in allen Welttheilen sammeln konnte; aber 1796 wirst du an den Ufern des noch nie beschifften See's Oneida, zur Seite einiger von rohen Baumstämmen und verflochtenen Baumästen gebauten Hütten, nach deinen frisch[114] bearbeiteten Aeckern eilen, auf welchen die Hoffnung des Wohlstandes deiner Kinder keimen wird. – Wer hätte damals dem schönen glücklichen Wattines und seiner blühenden Braut, die schreckende Aussicht gezeigt, daß sie, statt des reitzenden Wechsels zwischen Lille, Paris und Versailles, dem Schicksale für eine unbewohnte Insel danken würden, wenn ihr guter König und ihre geliebten Verwandten ermordet, alle Großen verjagt, umher irrend, nichts mehr würden helfen können, Wattines alsdann vier Jahre lang die Erde seiner einsamen Insel bearbeiten, und am Ende durch die Hand eines, von Unglück verfolgten, teutschen Kaufmanns, in Nordamerika, wieder zu gesellschaftlicher Verbindung zurückkommen würden?

Innere Trauer und Ernst erfüllten mein Herz, und ich war froh, mir selbst entzogen zu werden, weil ich bey dem Kaufmanne zu Mittag speiste. Ich achte ihn glücklicher als[115] alle andre, auch hat er wirklich die schönste Rolle. – Er bahnte allen übrigen den Weg zu neuer Hoffnung von Glück und Zufriedenheit des Lebens, alle seine Entwürfe sind gut durchdacht, seinen Colonisten und ihrer Lage angemessen, welches nicht bey allen neuen Anstalten beobachtet wird. – In dem Gange der Unterredung äußerte Hr. S. den Wunsch recht genau bemerken zu können, welche Wendung die so verschiedenen Grundsätze des Vandek und Wattines am Ende nehmen würden. Ich behauptete, daß er beyde als vollkommne Muster guter Familienväter und Landwirthe, die Zierde seiner Colonie nennen könnte. – Hr. S. gab es zu, zeigte mir aber eine Sorge in Ansehung des Characters, Geburt und Geist von Wattines, indem dieser auf der Insel allein nach Willkühr seiner Ideen und Gefühle lebte, wo Bedürfniß der Lebensmittel, die einzige Art von Gesetzen war, welche seinen Gehorsam forderten. Diesen Forderungen[116] unterwerfe man sich in jedem Stande und jeder Lage: daß alles was Wattines aus Liebe für Frau und Kinder that, mit süßer, natürlicher Freude verbunden war, und er in seiner Familie, keinen Gedanken und keine Leidenschaft fand, welche den seinen entgegen standen, sie in ihrem Gange hindern oder stoßen konnten; jetzo aber, da er wieder mit Vielen und verschieden Gesinnten leben müßte, wo der Name Colonist, jedem gleiche Rechte und gleiche Pflichten gebe, alle aber aus so verschiedenen Gegenden unsers Europa kamen, also verschiedene Erziehung und Gewohnheiten mitbrachten, wodurch leicht eine Gelegenheit entstehen könnte, in Wattines das Gefühl angebohrner Vorzüge zu erwecken, und eine unfreundliche Leidenschaft zu reitzen. – Ich sagte hier freymüthig, daß ich das sicherste Verwahrungsmittel gegen diese Gefahr, in dem Festhalten und Einprägen der englischen Grundgesetze sähe: Freyheit zu lassen,[117] mit sich und seinem Eigenthume zu thun was man will, nur nichts gegen das gemeine Beste und gegen andre. Dieses würde alle und jeden glücklich machen, wobey ich wirklich versichern konnte, daß Wattines nie dagegen fehlen würde. Ich ersuchte daneben den Hrn. S. um stillen Schutz für das vorzügliche Verdienst, um es nie dem Neide und Widerwillen gewöhnlicher Menschen auszusetzen, und war sehr froh, die Versicherung geben zu können, daß Wattines niemals eine andre Beschäftigung annehmen würde, als was mit Ingenieur und Bauwesen in Verhältniß stünde, im übrigen aber nur als fleißiger Landmann und Lehrer seiner Kinder leben, und arbeiten wollte. – Dienste zu leisten sey ihm heilige Pflicht vor Gott, und Vergnügen für sein Herz. – Mehr wollte ich nicht zu seinem Besten sagen, weil man oft durch zu viel Gutes rühmen schadet; und da ich schon bemerkt hatte, daß Wattines mehr beobachtet[118] wird als andre, so freute mich ein Zug von Klugheit, welchen er mit einem artigen Plane zu dem Besten unsers Zimmermanns, und Verschönerung der Anlage verband. Da noch kein Steinbruch und keine Ziegelbrennerey im Gange ist, und man Holz genug hat, so soll der Zimmermann sein Haus nach der Gewohnheit in der Ukraine bauen, wo auch die Steine fehlen, aber das Holz alles so behauen und bearbeitet wird, als ob es Quaderstücke des besten Steines wären, welche dann mit Oehlfarbe angestrichen, sehr schöne Gebäude darstellen. Wattines wollte sein Haus nicht zuerst auf diese Art unterscheiden, weil er sich in nichts auszuzeichnen sucht. Bey dem Baumeister sieht es als Lockspeise aus, einem reichen Colonisten die Begierde nach einem so schönen Hause zu geben, und also etwas mehr zu verdienen als bey einem Loghouse. – Diesen Winter will Wattines zu einer solchen Bekleidung seiner wirklich[119] stehenden Gebäude, selbst Hand anlegen, da er in allem die Bahn des männlich thätigen Lebens so lebhaft und eifrig befolgt. Jagd freut ihn, aber seine Meyerey noch viel mehr, doch tief, sehr tief hat der Kummer, wie unsere Karschin sagte, mit diamantnem Pfluge Furchen in sein Herz gegraben; denn als er mir den Plan von dem Bezirke seiner Felder, Gärten und Waldung vorgelegt, und mir alles auf dem freyen Platze seines Hofes zeigen wollte, sagte seine Frau: er solle doch die Zeichnung seines väterlichen Hauses mit dazu nehmen, und es mir auch weisen. Hier bemerkte ich, daß er mit einem Zuge des innersten Schmerzens gegen die Thüre des kleinen Kämmerchens ging und die Rolle holte. Die mit Antonette auf dem Schooße da sitzende Emilie, reichte, da er vorbey wollte, mit der Hand nach ihm, küßte seine Hand, blickte mit so wahrer Zärtlichkeit ihn an, daß sein schönes Auge auch lächelte, als er einen Kuß[120] auf ihre Stirne und ihre Hand drückte, dann aber mit mir dem Hofe zueilte, wo ich ihm den zu Wäsche und Weiberarbeit bestimmten Tisch, näher zu den Bäumen tragen half. um dort seine Papiere auszubreiten. Der Zufall schickte es, daß das Bild von dem prächtigen Wohnsitze seiner Voreltern, und das gerade von ihm daneben gelegte Blatt, mit der Zeichnung seines Loghouses, in dem Moment von der Sonne beleuchtet wurden, als er mit seinem Bleistifte in der Hand auf das erste deutend sagte: hier Wohnung des Vaters, – und, indem er das zweyte berührte, mit einer etwas geänderten Stimme und einem unterdrückten Seufzer hinzu setzte, hier die des Sohnes. Bey den über alles verbreiteten Stralen, ergriff er schnell das Bild des Schlosses von Wattines, hielt es mit ausgestrecktem Arme gegen die Sonne, indem er mit einem mir auf immer unvergeßlichen Tone sagte: O, du sahest[121] den schönen Wohnsitz meiner Voreltern gründen und diese Hütte bauen, du reiftest die Saaten ihrer durch Gerechtigkeit und Güte glücklichen Pächter so viele Jahrhunderte, o reife auch die, welche die Hand ihres unglücklichen Enkels hier in dieser fernen Gegend ausstreute! – Ich war äußerst gerührt, umfaßte ihn und sagte: Edler, schätzbarer Mann! der Gott der Sonne sieht Sie, Ihre Leiden und Ihre Tugend, gewiß lohnt er Sie! –

Innig blickte er mich an und antwortete seufzend, ach mein Freund! ich wünsche nichts für mich, aber für Emilie und meine Kinder. Nun eilte er nach seiner Gewohnheit hinweg, nach irgend einer einsamen Ecke zwischen Bäumen und Gesträuchen, damit er durch schnelles Gehen, durch die Bewegung der Luft, durch das Eindringen, Anstreifen und den Widerstand der kleinen verwachsenen Aeste in dichten Gebüschen einen Theil der Empörung seiner Seele und seines Blutes verliere, bis er[122] sich am Ende etwas ermüdet umsieht und Freude fühlt allein zu seyn, keinen Menschen zu erblicken, nur von seelenlosen Geschöpfen umgeben zu seyn. Einst sagte er, in diesen Momenten bin ich nicht einmal ein guter Grieche der schönen alten Zeit, da ich in einer solchen trüben Stunde, selbst die sanft auf mich wirkenden Gestalten und Farben der Pflanzen nicht sehen wollte, einen dastehenden Baum umklammerte, und mein Gesicht mit geschloßnen Augen gegen seine Rinde andrückte, und wirklich eine Wohlthat darin empfand, als die Idee der Lehre von Dryaden vor mir erschien, und mich von dem umarmten Baums fliehen machte; aber dann folgen ganz andre Gefühle: ich bedaure niedergestampfte Pflanzen, zerrißne Zweige, suche meinen Rückweg, freue mich der sich erweiternden Aussicht, und des fernen Horizonts, und eine, das Weh meiner Seele mildernde, Thräne füllt mein nun zum Himmel erhobnes betendes Auge, und[123] langsam, halb erschöpft, halb beruhigt komm ich zurück.

Wer, meine Freunde! kann diesen Ausdruck der schmerzvollen Rückerinnerung tadeln? Die Zeit wird das Gefühl davon schwächen, aber nie ganz erlöschen. – Wattines kam auch jetzo bald und erheitert wieder zurück, drückte mir die Hand und sagte: ich hoffe, Sie finden meine etwas lebhafte Erinnerung doch nicht ungegründet? ich antwortete: gewiß nicht, ja noch mehr, ich finde sie gerecht und natürlich.

Dieß schien ihm zu gefallen, und er sprach nun ganz gelassen von allem, was seine verlornen Güter und seine Familie betraf. – Ach, er verlor viel, sehr viel, der gute Wattines! – Mein Abend war dem Vandek versprochen, welchem ich die kleine Scene von Wattines erzählte, dieser sagte mir, indem er einen Pappendeckel öfnete, und einige Quartblätter aushob: ja, ja, es wird noch[124] oft unruhige Momente seiner Seele geben, ehe alles so ganz in einer daurenden Stimmung seyn wird, wie er einst hoffte, und sich damals bey meinem Lobe seiner Gelassenheit gegen mich äußerte, indem er hier schrieb:

»Gütiger Vandek! Sie loben meine Gleichmüthigkeit, meine Ruhe bey dem Andenken dessen was ich war, hatte und verlor, ach, das Unglück und die Einsamkeit, welche mich in moralischen Gefühlen und Ideen Hülfe suchen machte, zeigte mir auch den wahren Werth aller Dinge dieser Erde; das Schicksal meiner Verwandten und tausend andrer schätzbaren Menschen verbietet mir zu klagen; Nachdenken und Ergeben heißt mich den Mangel des gewohnten Wohlstandes durch ausübende Tugend meiner Lage ersetzen. – Der Himmel hat mir unendlich viel Gutes gethan, da er mir in Ihnen einen Freund gab, der älter und weiser als ich, doch auch durch überfließenden Eifer für das, was er seinem[125] Vaterlande das beste zu seyn achtete, auch den Schauplatz dieses standhaften Eifers verlassen mußte. – Unsere Erinnerungen von Menschen, die unter alten Gesetzen aufwuchsen, unsere Erfahrung des gewaltsamen Abänderns, können hier unsere Beobachtung über Fähigkeiten, Leidenschaften und Neigungen der menschlichen Seele zum Besten unserer Kinder berichtigen helfen. – Ich wurde beraubt, Sie opferten alles auf. Unsere Lage, unsere Miteinwohner und die Natur lehren uns, glaube ich, wahres Wohl und Weh bestimmen. Mich dünkt, wir werden unser Glück gründen, wenn Geduld und unser Fleiß eben so wirksam und anhaltend bleiben, als der Unmuth war, durch welchen wir hierher getrieben wurden.« – Vandek fuhr fort: Sie sehen hierin den edlen raschen jungen Mann von philosophischer Moral und schöner Kenntniß beseelt, welche seinen Gesichtspunkt bald glänzend bald trübe[126] machen. – Seine Frau zeigte sich ganz anders, schön freute sie sich, wieder bey Menschen zu wohnen, und sagte zu meiner Frau: ach wie viel Glück ist durch Ihre Ankunft auf mein Leben verbreitet! Ich bin wieder unter denkenden Menschen, genieße Freundschaft, Mittheilung der Gefühle, Theilnahme an mir, und dabey das edle Vergnügen, hier und da Gutes zu thun; denn ich litte auf der Insel, selbst durch die Wirkung der besten Grundsätze. – Meine geliebte Mutter hatte die Pflichten der Wohlthätigkeit und Nächstenliebe so tief und so früh in meine Seele gegraben, daß wohlthun in meinem Herzen nicht nur zu den Ideen der Tugend gehörte, sondern mit den Gefühlen des süßen innerlichen Glücks verbunden war. Ach dieses Glück fehlte mir nun ganz; ich fühlte mich nur glücklich durch das geduldige Tragen dieses Mangels, weil er dadurch ein Verdienstopfer wurde. In solchen Stunden empfand ich[127] den stärkenden Einfluß der Religion, stand nach Weinen und Gebet, wenn Wattines beym Fischen war, von meinen Knieen auf, ging mit ausgebreiteten Armen auf den freyen Platz vor der Hütte, von welchem ich einen großen Theil des über mir fließenden Himmels sehen konnte, der mir dann, mit innigst empfundener Wahrheit der Wohnsitz meines Gottes war, zu welchem ich einst berufen werden sollte, wenn ich nach dem Willen unsers Urhebers alles Gute gethan haben würde, wozu mir mein Schicksal den Fingerzeig gab. Diese Gedanken, welche mich beruhigten, machten mich meine Erziehung und meine Religion segnen; riefen mir aber die schreckliche Handlung des Nationalconvents zurück, welcher dem Volke alle Religion genommen hat, so, daß diese armen Geschöpfe keine große Triebfeder zum Guten in glücklichen Tagen, keinen heilig wirkenden Trostgrund in Unglück sahen. – Dieses schmerzte[128] mich aus Menschenliebe, selbst in meiner Entfernung von meinem Vaterlande, wie mich ehemals in dem vollen Genusse meiner glücklichen Tage schmerzte, wenn ich einen Leidenden wußte, dem Nahrung, Kleidung und Arzeney fehlte. –

Vandek setzte hinzu, Frau Wattines erfüllt nach dem Zeugnisse meiner erfahrnen Frau, ihren häuslichen Cirkel mit allen Verdiensten der guten Mutter und Hauswirthin, läßt sich aber gerne in gesellige Gespräche ein, von welcher mein Vetter noch eines aufzeichnete, weil es ihm so voll Kenntniß und Herzensgüte schien.

Die zwey Freundinnen redeten einen Nachmittag von ihrem Vaterlande und seinen Vorzügen und Gewohnheiten; da mußten wohl Vergleiche zwischen Europa und Amerika vorkommen, natürlich beyde sich an die traurigen Ursachen erinnern, welche sie an den See Oneida führten. Nehmen Sie aber,[129] was hier in der Seele von Frau Wattines vorging, als sie ganz ernst sagte: wir bewohnen nun diesen Theil der Erde, welcher Amerika heißt, wir wissen was Europa in Geist und Künsten ist, wir haben erfahren, was ein Theil unserer Landsleute für uns wurden, und gewiß wir klagten oft über unser Schicksal; aber was für ein Loos traf Nord- und Südamerika durch die Hände der Europäer, welche so stolz auf die Namen Christ und Philosophen sind? – Fielen nicht die ursprünglichen Bewohner des südlichen Theils, die mir so lieb gewordenen Kinder und Verehrer der Sonne, in die Gewalt des moralischen Ungeheuers, der Inquisition, welche sie durch Feuer, das von Gott zum Besten aller Geschöpfe gegeben worden, zu den grausamsten Mitteln gebrauchten, ihre Gold- und Herrschsucht zu vergnügen? Vergaßen die Spanier nicht, daß Mexico auch ein Theil von Gottes Erde ist, seine Bewohner auch[130] aus der Hand unsers anerkannten Gottes kamen: daß ihre Kenntnisse, ihre Moral und Künste auch Gaben unsers gemeinsamen Schöpfers waren? – Ach, die guten Mexicaner mißbrauchten das Gold ihres Vaterlandes nicht, wie die Europäer ihr Eisen, um Mordgewehre zu verfertigen, und weit entfernte Gegenden aufzusuchen, zu unterjochen und elend zu machen. Armes, unglückliches Pern! um des Goldes deiner Berge willen, vergaßen deine Ueberwinder jede Tugend und jedes menschliche Gefühl, raubten der Hälfte deiner Bewohner Glück und Leben, und verdammten die andern in den finstern Tiefen deiner Gebirge, nach Gold- und Silberadern zu graben, wo sie ihr ganzes jammervolles Leben hindurch das doppelte Weh fühlen, des tröstenden Anblicks ihrer geliebten Sonne beraubt zu seyn, und immer das Gold, die unselige Ursache ihrer Leiden, für ihre Peiniger aufzusuchen. Ich hole für Sie, meine Freundin,[131] den Auszug der Erziehungsgrundsätze der Mexicaner, Sie sagen dann, ob Ihnen nicht das Verhängniß dieser Menschen doppelt traurig seyn wird. – Nun war sie fort, und kam wieder mit den versprochnen Papieren:


Unterricht eines Mexicaners für seinen Sohn.


»Mein Sohn, du kommst von dem Leibe deiner Mutter, an das Licht der Sonne, wie das Huhn aus dem Ey, und bist jetzo wie diese bestimmt in die Welt zu fliegen. Ich weiß nicht, wie lange mir Gott das Kleinod gönnen will, welches ich in dir besitze; aber ich werde ihn stets bitten, dich zu schützen. Er hat dich erschaffen, du bist sein Eigenthum. – Er ist dein Vater und liebt dich mehr, als ich dich nicht lieben kann; wende deine Gedanken nach ihm, bete morgens und Abends zu ihm; verehre das Alter; verachte niemand; sey niemals taub bey den Bitten der Unglücklichen und sage ihnen Worte des[132] Trostes, – Ehre deine Eltern, erweise ihnen Gehorsam und Dienste, und meide das Beyspiel böser Söhne, welche wie unvernünftige Thiere handeln, ihre Eltern gering achten, und sich weder bessern noch belehren lassen, und auf ihrem eignen Wege dem Unglücke oder wilden Thieren zum Raube werden. – Spotte nie weder des Alters, noch der Unvollkommenheiten der andern; verachte niemand der fehlt, sondern hüte dich, den Fehler zu begehn, der dir mißfällt. Geh nirgend hin, ohne daß du gerufen bist, und menge dich nie in fremde Dinge. – Bemühe dich in deinen Reden und Handlungen deine gute Erziehung zu beweisen. – Lege bey einer Unterredung niemals die Hand auf einen andern. Sprich nie zu viel, und unterbreche niemals das Gespräch eines andern, auch wenn es thöricht wäre, wenn du nicht verpflichtet bist, ihn zu bessern; mußt du dieses, so bedenke was du sagen willst: rede nicht mit Stolz, damit die[133] Ermahnung gut aufgenommen werde. – Spricht jemand mit dir, so höre ihm aufmerksam und in einer anständigen Stellung zu; spiele nicht mit deinen Füßen, und nimm die Ecke deines Mantels nicht in den Mund; spucke nicht zu oft aus und blicke nicht viel hin und her; stehe nicht von deinem Sitze auf, denn alles dieses ist gegen gute Erziehung. – Bey Tische iß nicht begierig, und zeige keinen Widerwillen gegen eine Speise. Kommt jemand unerwartet zu deinem Essen, so theile gerne mit ihm was du hast, und wenn du mit jemand sprichst, so starre ihn nicht zu fest an. – Wenn du außer Haus gehest, so gieb acht, niemand zu stoßen, sondern weiche dem entgegen kommenden aus. Gehe nie einem ältern vor, als wenn es nöthig ist oder dir befohlen wird. Wenn du mit Alten zu Tische bist, iß und trink nie früher als sie; sondern betrage dich ehrerbietig, damit du ihr Wohlwollen erhalten mögest. Wenn[134] sie dir etwas geben, nimm es mit Dankbarkeit: ist das Geschenk groß, so werde deßwegen nicht eitel oder toll vor Freude: ist die Gabe klein, verachte sie nicht, um den Geber nicht zum Misvergnügen zu reitzen. Wenn du reich wirst, sey nicht übermüthig, und blicke nicht mit Verachtung auf den Armen, sondern besorge, daß dir die Götter den Reichthum, welchen sie dir schenkten, um des Stolzes willen wieder nehmen würden. – Ernähre dich von deinem Fleiße; dein Essen wird dir besser schmecken. Ich, mein Sohn, habe dich bis jetzo durch meine Arbeit erhalten, und ohne fremde Beyhülfe alles Nöthige angeschafft, mache es auch so. Erzähle nie eine Unwahrheit, denn es ist eine gehässige Sünde; wenn es nöthig ist, einem dritten mitzutheilen, was ein andrer dir sagte, so setze nichts zu und sage die einfache Wahrheit. Rede von niemand Böses, werde kein Neuigkeitsträger, und säe nie Zwietracht,[135] wenn du zu jemand geschickt wirst, und die Botschaft mißfällt, sage nicht wieder was dem Menschen im Zorne entfiel, sondern suche alles zu besänftigen: scheine das Böse nicht zu hören, und vermeide Mißverständnisse zu vergrößern; denn es würde dich gereuen. Bleibe auf dem Marktplatze nicht länger als nöthig ist, denn auf diesen Plätzen ist die größte Gefahr für die guten Sitten, – Wird dir eine Stelle angetragen, ergreife sie nicht zu schnell, als ob du glaubtest daß andre nicht so viel Verdienst hätten als du, sondern zeige bescheidnen Zweifel in dich selbst, so wirst du mehr geschätzt werden. – Lebe niemals sittenlos; denn die Götter werden dich mit Schande strafen. – Halte dich von den Mädchen entfernt, du bist noch jung mein Sohn! warte bis die Götter dir deine bestimmte Gattin zeigen. Verbinde dich nicht ohne die Einwilligung deiner Eltern, es möchte dir Unglück bringen. – Raube niemand nichts,[136] spiele nicht; du machst sonst deine Eltern und dich selbst elend, wenn du gegen ihre Lehren handelst; wenn du aber tugendhaft bist, so wird dein gutes Beyspiel den bösen beschämen und bessern. – Nun nichts mehr, mein Sohn, ich habe alles gesagt, was die Pflicht eines Vaters fordert, ich wollte mit diesen Rathschlägen deinen Verstand stärken, verwirf sie nicht, denn das Glück deines Lebens hängt daran.«


So unterrichteten die Mexicaner ihre Söhne überhaupt, und jeder Vater sprach noch von den besondern Pflichten jedes Standes. – Nun folgen die


Lehren der guten mexicanischen Mütter.


»Meine Tochter! du bist aus den besten Säften meines Lebens entstanden, ich habe dich mit meiner Milch genährt, mit vieler Müheerzogen, und mit äußerster Sorge so weit gebracht, als du nun bist. Dein Vater hat deinen Verstand bearbeitet und polirt, wie[137] einen Smaragd, damit du in den Augen aller Menschen, als ein Kleinod erscheinen mögest. Befleißige dich immer gut zu seyn, denn wer würde dich sonst zu seiner Frau wünschen? du würdest von allen verworfen werden. Das Leben ist ein Mühe- und Dornenvoller Pfad, und wir müssen uns bestreben, die Güter zu verdienen, welche uns die Götter geben sollen; also dürfen wir nicht träge und nachlässig bleiben, sondern eifrig und fleißig in allem seyn. Liebe die Ordnung und bemühe dich, eine gute Haushaltung zu führen. Gieb deinem Manne Wasser für seine Hände und backe gutes Brod für seine Hausgenossen. Wohin du deine Schritte wendest, gehe eines bescheidnen und gesetzten Ganges, ohne zu eilende Schritte, oder laut mit den Bekannten zu lachen welche du antriffst, oder deine Blicke gedankenlos hierhin und dahin zu werfen. Sorge, daß dein guter Ruf nicht besudelt werde; gieb aber allen,[138] welche mit dir sprechen, höfliche Antwort. Sey fleißig in Spinnen und Weben, in Säumen und Sticken; denn durch diese künstlichen Arbeiten, wirst du deine Nahrung und Kleidung erwerben. – Schlafe nicht zu lange. Suche nicht immer den tiefen Schatten, sondern gehe in die freye Luft und ruhe dort; denn Weichlichkeit bringt Müßiggang und andre Laster mit sich. – Bey allem was du thust, denke an die Verehrung der Götter und an die Freude deiner Eltern. Wenn dich dein Vater oder deine Mutter rufen, bleib nicht stehen, bis du ihre Stimme zum zweytenmale hörst, sondern gehe gleich hin, wo du etwas zu ihrem Vergnügen thun kannst, damit deine Langsamkeit sie nicht erzürne. – Gieb niemand eine rauhe Antwort, zeige niemals einen Mangel an Gefälligkeit; kannst du das, was man fordert nicht ausführen, so mache eine bescheidene Entschuldigung. Wird eine andre Person gerufen, und kommt nicht[139] gleich, so komme du, höre was man verlangt, und verrichte es auf das beste: betrüge niemand; denn die Götter sehen alle deine Handlungen. – Lebe mit allen Menschen in Frieden, zeige allen ein aufrichtiges und anständiges Wohlwollen; so wirst du auch bey allen beliebt seyn. – Sey nicht geizig mit den Gütern, welche du hast, und nicht begierig nach dem, was du siehst, das andern gegeben wird. Gieb dem Neide niemals eine Stelle in deinem Herzen; denn die Götter theilen ihre Güter nach ihrem Gefallen. – Wenn du kein Mißvergnügen erfahren willst, so gieb auch den andern keines. – Hüte dich vor jeder Vertraulichkeit mit Männern. Horche nicht auf verführerische Wünsche, und auf strafbare Begierden deines eignen Herzens, oder du wirst den Vorwürfen deiner Familie ausgesetzt seyn, und dein eignes Gemüth beflecken, wie Morast das klareste Wasser trübt. Meide die Gesellschaft sittenloser Lügnerinnen[140] und Müßiggängerinnen, oder du wirst von ihrem Beyspiele wie durch eine ansteckende Krankheit ergriffen, – Wenn du spatzieren gehen willst, warte auf die Gesellschaft deiner Familie, gehe nicht leichtsinnig aus geringen Ursachen aus dem Hause, und laß dich nicht viel auf der Straße sehen, oder auf Plätzen, wo dein Unglück bereitet werden kann. Erinnere dich, daß das Laster, wie ein vergiftetes Kraut den Tod bringt, wenn man es nur kostet; wenn es aber in die Seele gedrungen ist, so ist es schwer zu vertreiben. Triffst du auf der Straße einen artigen jungen Mann, zeige ihm keine besondre Aufmerksamkeit, sondern vermeide seinen Anblick und gehe weiter: sagt er dir etwas, horche nicht, folgt er dir, wende deine Augen von ihm; er wird dich mehr lieben und in Frieden gehen lassen. – Tritt nie ohne dringende Ursache in ein fremdes Haus, damit ja niemals etwas Nachtheiliges von dir gesagt[141] werden könne; wenn du aber zu einem Verwandten gehst, so zeige dich gegen alle höflich, bleibe aber keinen Augenblick müßig, ergreife sogleich eine Spindel, oder nimm eine andere Beschäftigung vor. Wenn du verheyrathet wirst, verehre deinen Gatten, gehorche ihm, und befolge alles was er verlangt. Vermeide ihm zu mißfallen, zeige ihm niemals eine üble Laune, sondern alle deine Zärtlichkeit; auch wenn er arm ist, und von deinem Vermögen lebte. Wenn er Dinge von dir fordert, welche dir unangenehm sind, zeige ihm dein Mißvergnügen nicht sogleich, sondern richte seine Befehle aus, und mache deine Vorstellung für die Zukunft, auf eine sanfte liebenswürdige Art. Empfange seine Freunde mit Achtung, und erweise ihnen alle Höflichkeit: ist dein Mann unbesonnen, so befleißige dich der Ueberlegung in allem was du thust: geht er leichtsinnig mit seinem Vermögen um, so ermahne ihn mit aller Güte und[142] besorge seinen Nutzen auf das beste. Bezahle alle, welche für dich arbeiten, zu rechter Zeit, und hüte dich, daß niemand durch deine Nachlässigkeit schaden leide. – Fasse, meine Tochter, diese Vorschriften in dein Herz: ich bin alt und kenne die Welt; ich bin deine Mutter und liebe dich; wenn du gegen meinen Rath lebst, so ist dein Unglück deine eigne Schuld.«

Vandek setzte nun hinzu, daß Frau Wattines sagte: ich will, meine Freundin, von diesen einfachen Rathschlägen nicht erst sagen, daß sie beweisen, daß die Mexicaner civilisirt waren, wie wir Europäer; denn die Lehren des Vaters zu allgemeiner Güte und Höflichkeit, beweisen es, so wie der Unterricht der Mutter zu klugem Betragen bey dem Liebhaber und Ehemann in jede unserer Familien passen würde, – müssen wir meine Freundin nicht sagen: gewiß waren unter den Gemordeten, unter denen in die Goldgruben[143] Gestoßenen viele tausende, welche nach den Grundsätzen dieses Vaters und dieser Mutter erzogen wurden. Ach was litten diese an Leib und Seele! Was für ein Anblick für Gott, Engel und Heilige, in der Verschiedenheit des Gebrauchs, welchen die Mexicaner von ihrem Golde, und die Europäer von ihren Wissenschaften machten! Wie traurig ist es zu sagen: die aus der heißen Region von Spanien gekommenen Christen, quälten die Amerikaner in Süden durch Feuer zu Tode, verachteten ihre moralischen Gefühle, und unterdrückten jede Kenntniß ihres Geistes. Die aus den kältern Gegenden angelandeten Engländer und Holländer jagten sie aus den freundlichen Ebnen in die Wälder zu wilden Thieren, und ließen sie mit vieler Gleichgültigkeit unwissend. – Raynals Geschichte der beyden Indien zeigte mir auch Franzosen und Portugiesen eben so ungerecht, eben so grausam. – O, wenn Thränen, welche ich über das Schicksal[144] der guten Indier und Africaner vergoß, etwas zur Erleichterung ihres vielfachen Jammers beytragen konnte, so haben sie gewiß Linderung gefühlt. – Ich betete für sie, in meinen noch glücklichen Tagen, als ich meinem Oncle das schöne wichtige Werk vorlesen mußte, und mich damals in meiner Seele schämte, daß auch Franzosen ihre Obermacht in Kunst und Geist, so hart und treulos gegen diese guten Kinder der Natur gebrauchten.

Ach wie weit war ich in den Jahren 1787 und 1788 entfernt, zu vermuthen, daß so bald eine Zeit kommen würde, wo ich das ungerechteste Betragen eines Theils Franzosen gegen Franzosen, und den Martertod meiner nächsten Verwandten beweinen, und froh seyn würde, in Amerika's einsamen Gebüschen einer Insel, weit von meinem Vaterlande zu wohnen, und Gott danken würde, daß die Hütte einer armen Indianerin mich aufnahm, mein und meines Sohnes Leben rettete, welches[145] ich mir in Paris nicht versprechen konnte, da ich zu der nun so sehr verachteten Classe des Adels gehörte. Ach gewiß, meine Freunde! setzte sie hinzu, der Haß verblendet den Geist mehr, als die Liebe niemals gethan hat, diese wendet unsere Gefühle und unser Denken nur von der Klugheit und Sorge für unser eignes Wohl ab, der Haß aber entfernt uns von Güte und Gerechtigkeit: Liebe giebt Stärke zum Tragen, Haß die zum Niedertreten: – Liebe übersieht alle Fehler, Haß jede Tugend: – Liebe opfert sich selbst so gerne, Haß sucht Opfer seiner Rache. – Das Herz des guten Menschen muß auch einen Widerwillen gegen die Falschen und Bösen haben, aber er verfolgt sie nicht, er flieht nur ihre Gegenwart, wie Ihr Mann und mein Carl die Europäer flohen.

Finden Sie nicht, meine Freunde! daß Frau Wattines immer in allem einen sehr schönen Character zeigt? war es nicht schön[146] daß ihre gefühlvolle Seele das Weh der Mexicaner eben so lebhaft fühlte, als ihr eigenes? – und, sagen Sie nicht auch mit mir, daß die Familie der Vandeks sehr schätzbar ist, da sie die Züge des fremden Verdienstes so gerne sammelt und bekannt macht? wie ich sogleich noch eine Note abschreiben kann. –

Einmal, da Frau Wattines ihren Carmil mit den Kindern der Vandeks spielen sah, drückte sie ihr die Hand und sagte:

Liebe Freundin! ist es Ihnen nicht ein süßer Trost in dieser Einsamkeit, daß unsere Kinder nichts als das Beyspiel ihrer guten Eltern zum Vorbilde ihres Lebens und ihrer Sitten haben? Erzählen Sie einmal meiner Tochter von den Tugenden der Mädchen ihres Vaterlandes, ich will den Ihrigen von den Verdiensten junger Personen unseres Geschlechts in Frankreich erzählen, aber nie nichts von Leidenschaften, nie, sondern von abwechselndem Fleiße, Heiterkeit, Kenntniß,[147] Güte und dem Geschmack am Schönen. – Ja das wollen wir, sagte Frau Vandek, für unsere Töchter thun, denn unsere Knaben werden durch ihre Väter zu männlichem Sinn und Kraft des Denkens gebildet. –

Ich wünsche, sagte Frau Wattines, daß unsere Männer einen kurzen Auszug des Besten aus den Gesetzen machten und hier einführten. – Frau Vandek erwiederte lächelnd: Ihr Wunsch wird schon zu der Hälfte erfüllt, denn Vandek macht wirklich einen Auszug aus der Moral, welcher gewiß gerne befolgt werden wird, weil alles ganz einfach diesem Leben und Pflichten angemessen, nicht übertrieben und nicht überladen seyn wird. Frau Wattines erwiederte lebhaft:

O, unsere Kinder werden es gerne annehmen, denn ihre Seelen sind, wie der Boden dieses Aufenthalts, noch neu, und wie dieser gerne Saamen auffaßt, werden ihre reinen Seelen Ideen annehmen und zur Vollkommenheit[148] bringen. Mögen diese einfachen Vorschriften nur so lange ungestört wirken, als der Bau unserer Stadt dauern wird; denn unsere jungen Colonisten würden indessen neben der fleißigen Handarbeit an die Befolgung dieser Gesetze gewöhnt, und genössen das Glück des ausübenden Guten.

Einmal fragten die Vandeks unsere holde Emilie; ob sie auf der Insel nie an den Tod ihres Mannes dachte, was sie da für Entwürfe machte? – Die liebe Frau schauderte und sagte: ach! an was für Tage erinnern Sie mich! Nach einigem Schweigen setzte sie sanft nachdenkend hinzu. – Ehe ich Kinder hatte, war dieser Fall so schrecklich in meinen Augen, daß ich nichts vor mir sah, als mein Leben in dem See zu endigen, indem ich fest überzeugt war, daß mir Gott in dieser fürchterlichen Lage, diese willkührliche Erscheinung vor seinem Throne vergeben würde; aber als ich Mutter war, wollte ich Carmil und etwas[149] Kleidung in das Rindenschifchen binden, welches Wattines zu seinem Vergnügen verfertigte, und damit zu den guten Oneidas hinüber schwimmen, welche mich gewiß aufgenommen, und dann zu Europäern gebracht haben würden, welchen ich dann von meinem Schicksale, von meiner Hütte und der Anlage auf der Insel erzählt, und sie gebeten hätte, die kleine Habe meines Waysen zu retten.

Frau Vandek sagte hier, als ich sie weiter fragte: Ach das war eine sehr melancholische Unterredung, und ich bereuete sehr, der lieben Frau Wattines eine so schmerzliche Erinnerung erneuet zu haben: bereuete es um so mehr, da sie mir den nehmlichen Abend einen rührenden Beweis des edelsten fühlbarsten Herzens zurück ließ, indem sie mir, ehe sie nach Hause ging, dieses Papier als Uebung im Englischen gab. –

Vielleicht kennen Sie es, meine Freunde,[150] schon lange, das schöne Stück englischer Phantasie, aber ich kann mir doch das Vergnügen nicht versagen, diesen neuen Beweis von Emiliens Denkart, in meine Blätter zu verweben, ob ich schon sicher bin, niemals nur das mindeste zu vergessen, was eine Familie betrifft, welche die Vorzüge der edlen Menschheit so glänzend zeigt, – Emiliens Papier sagte:

»Ihre Güte, Ihre Theilnahme an meiner Familie und an mir, rufen meinem Gedächtnisse eines der ersten englischen Stücke zurück, welches ich wie aus einer Art von Ahndung, vorzüglich liebte, weil es mir gegenwärtiges und kommendes Schicksal zeigte.


Liebe und Freude.


In der Zeit des goldnen Weltalters schuf Zeus Liebe und Freude, ein Zwillingspaar, und schickte sie von dem Himmel zur Erde. Wo sie hinkamen sproßten Blumen, und verschönerte sich die Natur, aber zu gleicher[151] Zeit verließen die Menschen den Weg der Unschuld und Güte. Asträa floh mit der Freude und ihrem Gefolge die mit Blut besudelte Flur, die Liebe allein blieb zurück. Die Hoffnung, ihre Amme, hatte sie aus dem Haufen der bösen verdorbnen Menschen entwandt, und nach Arkadien gebracht, wo sie unter schuldlosen Hirten auferzogen wurde; aber der erzürnte Zeus vermählte sie mit dem Schmerze, der Brautkranz war von Cypressen und Wermuth, aus dieser Verbindung entsprang eine Nymphe, welche mit ihren beyden Eltern viel ähnliches hatte; Kummerzüge des Vaters, und das süße Liebenswürdige der Mutter. Die Hirtenmädchen versammelten sich um sie, und nannten sie Mitleid. Ein Rothkehlchen baute in der Laube worin sie geboren war, und eine vom Habicht verfolgte Taube floh in ihren Busen. Sie war von etwas ernstem melancholischen Ansehn, hatte aber einen so einnehmenden Blick,[152] das sie, wo sie sich zeigte, geliebt wurde. Ihre Stimme war leise, aber von unaussprechlicher Lieblichkeit. Viele Stunden weilte sie unter hangenden Weiden, am Ufer eines klagenden Stroms, und sang zur Laute. Sie lehrte die Menschen weinen, und oft, wenn die Mädchen zum Abendspiele versammelt waren, schlich sie in ihre Reihen, und nahm ihre weichen Herzen durch schmelzende Hirtengedichte und süß klagende Elegien ein. Auf ihrem Haupte trug sie einen Kranz von den Cypressen des Vaters, und den ihrer Mutter geweyhten Myrthen. Zeus befahl ihr, den Schritten des Schmerzes durch die Welt zu folgen, und Balsam in Wunden zu träufeln. Sie folgte auch mit ofnem, hoch klopfenden Busen, ihr Gewand wurde oft von Dorngesträuchen zerrissen, ihr Fuß blutend von Steinen des rauhen Weges. Die Nymphe ist sterblich, wie ihr Vater der Schmerz; wenn ihr Weg auf der Erde geendet ist, werden[153] sie in einem Grabe verschlossen, und die Liebe wieder mit der Freude vereint.

Ich bitte, meine gütige Freundin Vandek, diese unvollkommne Uebersetzung aufzuheben, weil mein Herz dabey sagte: ach, mit Liebe und Freude folgte ich Wattines auf die Insel, Schmerz und Jammer folgten nach: meine Vandek kam, wie die tröstende Nymphe des edlen Mitleidens und goß Balsam in unsere verwundeten Seelen. Ihr Blick, ihre Stimme waren liebreich, und an ihrer Hand kam sanfte Weisheit und Freundschaft, uns aus den labyrinthischen Gang des Kummers, auf den ebnen Weg geselliger Arbeit und Menschenliebe zurück zu führen. – Treue Liebe wohnte immer in meiner einsamen Hütte, Gott leitete aber die verdienstvollen Vandeks, um uns für alles erlittene Weh zu belohnen, den harten Verlust vieles Guten leichter zu vergessen, und unsere Tugend zu stärken.«

Tadeln Sie mich nicht, meine Freunde,[154] wenn ich sage, daß ich nicht weiß, was ich dem Verhängniß antworten würde, wenn es mich früge: ob ich als Beyspiel eines schätzbaren Reichen, oder wie Wattines, als Vorbild der verehrungswürdigsten Armuth aufgestellt seyn wollte? denn sagen Sie, ist es nicht schön das Bild der Beschreibung, wie Wattines sein Unglück trägt, oder wenn Sie den Ausdruck schön bey einer solchen Last von Jammer unschicklich finden, so müssen Sie doch den großen und wahren Gedanken der Königin Christina von Schweden auf Wattines anwenden lassen; daß eine edle Seele alles adelt was sie thut. Fragen Sie sich aber auch selbst, wie ich mich fragte, und horchen Sie, ob nicht in dem Innersten Ihres Herzens eine Stimme tönen und sagen wird; ja, lieber Wattines auf der Insel Oneida, als einer der Regenten Frankreichs, welche den so guten schuldlosen Ludwig XVI. zum Tode verdammten, und wegen des elenden Neides[155] über Titel und eines Platzes in den Zimmern der Könige, den Adel haßten, und viele tausende von ihnen mordeten, und hundert tausende unglücklich machten.

O, wie viel lernte auch ich an den Ufern des Oneidas. Wie gerne gäbe ich die Hälfte der Heiligen- und Heldennamen, welche man aufzeichnete, für den Namen des weisen Menschenfreundes der Alten, welcher zuerst den schönen Wunsch ausdrückte: der Himmel gebe dir eine gesunde Seele in einem gesunden Körper; denn gewiß meine Freunde, nichts faßt den wahren Werth alles dessen in sich, was man Glück nennt, als dieser so einfache Wunsch, – und diese wahren Güter des Lebens erhielten Wattines und seine Gattin in dem größten Kummer. Zeigten sich nicht beyde in Arbeit, Denkart und Leiden, auf ihrer einsamen Insel, zeigen sie sich nicht heute noch, als zwey durch Erfüllung dieses Wunsches beglückte Sterbliche? – O wüßte[156] ich ihn diesen Namen, so würde ich Sie bitten, ihn dem nächstkommenden Ihrer Sohne beyzulegen; alle welche der Himmel mir schenkte, müßten ihn tragen, und ich führte eine liebliche Gewohnheit der katolischen Kirche in meinem Hause ein, sich dem Schutze und den Eingebungen seines Namenspatrons zu empfehlen.

Sie glauben nicht, mit wie vielem Vergnügen ich heute meine Feder ergreife, da ich einen so vortrefflichen Beweis meiner gestern aufgestellten Gedanken zu bezeichnen habe.

Frau Wattines erzählte uns von einem Spatziergange an den Saatfeldern hin, wo einige Colonisten ihnen begegneten und eine gute Nacht wünschten, Emilie ihnen dankte und sagte: möchten auch meine guten Nachbarn einen erquickenden Schlaf genießen. – Diese gegenseitigen Wünsche, und die Ruhe der Gegend um uns her, flößten äußerst[157] sanfte Empfindungen in Wattines Seele. – Er sah den Leuten nach, blickte überall um sich, und sagte dann:

Nicht wahr, Emilie! man liest oft in den besten Stunden der großen Welt das Lob der Natur, der reinen einfachen Gefühle, bey Schönheit und Anmuth einer stillen ländlichen Gegend, wie oft auch, wenn man alles gekostet hat, was die Kunst- und Lustgärten, was Reichthum und Ueberfluß in Pallästen geben können, eilt man begierig zu dem Anblick der Felder und Wiesen, und besucht die einfache mit einigen Bäumen umgebne Bauerhütte. – Wie entzückte uns einst der in die Gartenhecke verwachsene Rosenstock, und das Beet voll Lilien, welche unsere Pächterin längst ihrem Salat- und Petersilienfelde gezogen hatte. Wie innig wurden wir gerührt, als sie uns sagte: so lang' es weiße Lilien giebt, opfern sie meine zwey Mädchen der allerheiligsten Jungfrau,[158] und bitten sie dabey um ein reines Herz. – Nun schwieg er einige Zeit, hob die kleine, das Gehen übende Antonette auf, küßte sie, und drückte sie an seine Brust, gab sie der Mutter zu küssen, stellte sie dann wieder hin, und sagte: Ich will auch Lilien für dich pflanzen, und deine englische Mutter soll dich ihre Bedeutung lehren.

Nach einer Pause setzte er hinzu: Unser vortreflicher Prinz Conde zu Chantilly, unsere gute unglückliche Königin zu Triauon, und die Gemahlin des Grafen von Provence, bauten zu Ende der prächtigen Gärten kleine Dörfchen, um die durch den Glanz der Höfe ermüdeten Augen an dem kunstlosen Anblick wieder zu stärken, und sich da zu erholen. Ach, Emilie! nicht einmal diese Bauerhüttchen sind ihnen geblieben! – Wir haben einen Pachthof, ruhige wohlmeinende Nachbarn, friedliche Stunden zu Arbeit und Schlaf, können, wenn unsere, dem Leben[159] der Erde nöthige Haus- und Feldarbeit besorgt ist, den Anbau unsers Geistes, durch unsere Bücher fortsetzen, und den edlen Ehrgeitz zu vergnügen suchen, Modell einer verdienstvollen Pächterfamilie zu werden, welche dem Staat durch gute Kinderzucht nützliche Bewohner bildet. – Er umarmte hier seine in sanfte Trauer gesunkene Emilie, und sagte: wir wollen uns, meine Beste! in die Zeiten des Adels der Normandie und der Schweiz versetzen, wo der erste von dem König unterjocht, der andre, wie wir, von dem Volk ihrer großen Güter beraubt wurden, und kaum einen armen Meyerhof erhielten, ihr Brod anzubauen. Die Normandie hat Frankreich, in dessen unterdrückten und verarmten Familien, eine Pflanzschule vortreflicher Seeoffiziere gegeben, in welchen die Namen alter Barone nicht mehr wegen Reichthum und Macht, aber durch Verdienst und Kenntniß neues Ansehen erhielten; wie[160] man von den Schweizerfamilen sagt, daß sie durch Tapferkeit in fremden Kriegsdiensten, und durch Regentenweisheit in ihrem Vaterlande, ihren alten geschätzten Namen neue Verehrung erwarben. Unser Carmil soll hier nie von dem Adel seines Namens sprechen, aber den moralischen Adel der Seele in Wissenschaft und männlicher Tugend beweisen. – Ein, durch seinen Vater angebauter, zu reichem Ertrag und einfacher Naturschönheit gebrachter, Bauerhof, soll sein Erbtheil werden. Die Geschichte seiner Eltern soll er auch finden. Ich werde ihm sagen, daß sein Großvater der Nordamerikanischen Regierung das so schöne Recht erkämpfen half, den Orden des Cincinatus zu errichten – Ich werde ihm von den Ehrenzeichen erzählen, welche seine Voreltern in Europa erworben hatten, und will ihn zu den Tugenden bilden, welche den Namen des Cincinatus verewigten, und unserm Carmil einst[161] gerechte Anwartschaft auf eine Stelle in diesem Orden geben sollen. – Und so, meine Emilie, stehen wir nun zwischen den in der alten Welt niedergerissenen und zu Boden getretnen Vorzügen unsrer Familien, und der aufblühenden Hofnung, in der neuen Welt den Namen Wattines auf der Höhe des edlen nützlichen Verdienstes neu glänzen zu sehen.

Wie innig waren unsre Blicke auf Carmil geheftet, und dann zum Himmel erhoben, welcher uns günstig schien, sagte Frau Wattines; denn nie hatten wir schönere Abendwolken gesehen: die holden jugendlichen Züge unsrer Kinder waren so schön beleuchtet, und die ganze Landschaft glänzte in dem Schimmer der Abendröthe. Wattines sah mit Entzücken auf uns, und sagte dann lächelnd: ich hoffe, daß es zu den Zeiten des Glaubens an Vorbedeutung auch einen jungen Vater gab, welcher in einer so lieblichen Stunde von Verdiensten und Glück[162] seiner Kinder träumte, wie es mir so eben begegnete; war die Mutter eine Emilie, so genoß der alte Grieche oder Römer gewiß eine unaussprechliche Freude bey diesem prächtigen Niedergang der Sonne, weil es ihm Anzeige der Erfüllung seiner Wünsche war. Auf meine Einbildungskraft wirkte es nur halb, indem unsere Lehrsätze jede Deutung verwerfen, und ich jetzt auch alles in einen grauen Nebel sinken sehe. – Dieser Nebel ist mir, sagte Emilie, das Sinnbild des Schleyers, hinter welchem die göttliche Vorsicht, der ich mich und alles was ich liebe überlasse, die Begebenheiten unserer künftigen Tage verbirgt, aber gewiß unsere Wünsche und Entwürfe nicht übel nimmt.

Mit diesen sanft dämmernden Ideen gingen sie nach Hause, und freuten sich, daß der letzte Sonnenstrahl, welcher den ganzen See durchstreifte, noch einen Augenblick auf ihrer Hütte weilte.[163]

Er mußte, sagte die holde Emilie, an der Insel und unserer alten Wohnung vorbey, ehe er den kleinen Theil unsers jetzigen Aufenthalts berührte, und dann an den Wipfeln der hohen Bäume verschwand, welche Wattines, von dem Geist des wahren Schönen geleitet, hatte stehen lassen. Meine Blicke folgten der Beleuchtung des letzten Blatts, und ich dachte tröstend: der erste Lichtstrahl, welcher die Nacht endigt, kommt wie der Hauch des Lebens meiner Seele von dem Himmel, und beyde gehen zu ihm zurück, Mein Abendgebet war durch Wattines Betrachtungen, über das Vergangene, und durch seine Entwürfe für unsere Kinder, inniger geworden. Er seufzte und betete auch ganz leise, aber wir schliefen beyde einen recht erquickenden Schlaf, wie die ganze Natur; denn der schöne Herbstmorgen war nicht heiterer als wir.[164]


Nun hat Wattines Garten seine völlige Eintheilung, und für die ersten Jahre bestimmten Anbau erhalten: alle Arten von Gemüspflanzen finden eine Stelle, alle haben auch schon ihre eigenen Blumen zu Gefährten angewiesen bekommen. Sie nehmen nicht viel Platz ein, und geben bey der großen Ordnung des Ganzen, dem Garten einen Reitz, den kostbare Blumenstücke nicht haben. Als ich mit Wattines davon sprach, antwortete er lächelnd: ich glaube, daß diese Phantasie ein Ueberrest des Eindrucks ist, welchen ein gesellschaftliches Gespräch auf mich machte, worinnen Poeten und Maler den Kunst- und Weingärtner, prosaische Schriftsteller aber, den Weitzen und Gemüsbauer ähnlich gefunden wurden. Die ersten ergötzten und die zweyten nährten. Mein Garten verbindet beydes, und ich kann sagen, meine Gemüs-Felder sind mit Blumen verziert, wie oft ein sehr nützliches prosaisches Werk mit[165] poetischen dazu passenden Auszügen geschmückt wird –

Diese kleine Unterredung war in Wattines Garten. Carmil lief umher und suchte noch alle mögliche Wiesenblümchen zusammen, brachte sie seiner Mutter, legte sie auf ihren Schooß und überstreute Antonettens Bettchen, brachte den Kühen die, von welchen man sagte, daß sie sie liebten, auch wollte er die Bücher des Papa's und das Arbeitszeug der Mama mit Blumen überdecken. Wattines lehrte ihn Bouquete binden, sie auf seinem Hute befestigen, und in die Knopflöcher seines kleinen Westchens stecken, und führte den mit Kinderstolz erfüllten Carmil, so geputzt seiner Mutter entgegen, welche gerade mit einem Blatte Papier in der Hand zu uns kommen wollte. Sie küßte ihren Sohn, lobte die schönen Blumen, und der Knabe hüpfte weg, um sich dem Gesinde und den Nachbarn zu zeigen. Ich sprach von[166] seiner außerordentlichen Liebe zu Blumen. Ein Zug von Besorgniß, und ein Blick voll sanfter Wehmuth nach einigen noch umher stehenden Blumen, war auf wenige Momente in Emiliens schnell von mir gewendetem Gesichte merkbar, und mit gerührter Stimme sagte sie: ach möge Carmils Blumenliebe keine Ahndung seyn, wie es bey mir war.

Wie sollte dieses, bey einer so höchst unschuldigen Sache, zu einer traurigen Ahndung werden können, wie Sie anzudeuten scheinen? sagte ich, sie erwiederte: meine Mutter und meine Wärterinnen erzählten mir immer, daß ich von den ersten Kinderjahren an, eine solche Freude an Blumen zeigte, daß ich mitten in dem stärksten Weinen und Weh, auf dargereichte Blumen lächelte, in dem Blumengarten alles andre vergaß, und nie glücklicher war, als wenn ich mit meiner Puppe, zwischen den hohen Büschen der Gicht-Rosen spielen, und sie dort neben mich setzen[167] konnte. – Sie sehen hierin, setzte sie lächelnd hinzu, die Ursache, warum mein liebreicher Wattines mit so vieler Sorgfalt Gichtrosen um meine Ruhebank pflanzte. – Ich war so Blumen gierig, daß man hätte den Garten verwüsten müssen, um mich zu befriedigen, und die Mägde brachten mich nach den Wiesen, wo sie meine Aermel, mein Brust stück und Schürze mit Blumen besetzen mußten. – Dieser Geschmack blieb mächtig in mir, denn die wildwachsenden Blumen der Insel, und die, welche mein Carl für mich erzog, gossen immer durch die Anmuth ihrer Gestalt und ihrer Bewegung, durch ihre stille bescheidne Verschönerung der Erde und in der Luft verbreitete Wohlgerüche, bey jedem blicke auf sie Besänftigung in mein Herz, und Erquickung in meine Brust. Tausendmal sagte ich mir in unserer Einsamkeit auf der Insel: Gott legte dieses lebhaft wirkende Gefühl für die Schönheit der Pflanzenwelt von[168] Jugend auf in deine Seele, weil er vorhersah, daß ich einst alle andre Freuden des Lebens, alles was Gesellschaft der Menschen geben kann, verlieren, und in dem stillen, süßen Genusse dieser Geschöpfe, einen Ersatz finden würde. – Verzeihen Sie mir jetzo nicht einen Theil, der künftiges Weh ahnenden Sorge, für die erwachsenen Jahre meines Sohnes, wenn ich in seinen kindlichen Tagen, das ganze Bild der meinigen erneuert vor mir sehe?

Sehr gerne, antwortete ich, versprechen Sie mir nur, bey diesem zufälligen Auffinden von Carmils Aehnlichkeit mit ihrer Blumenliebe, auch an ähnliche Züge des heroischen Geistes seiner Eltern, an die in ihm vereinten moralischen Gefühle, und die im Ganzen abgeänderte Lage zu denken. Sie haben in einem Sturme alle Ihre Glücksgüter verloren, aber ihr aus doppelten Ursachen unschätzbares Leben wundervoll gerettet. Dieß,[169] was Sie beyde am meisten liebten, Tugend und Kenntnisse wurden mit Ihnen geborgen: bedenken Sie, was diese hohen Kräfte edler Seelen für Sie bewirkten, und für Ihre Kinder thun werden, und genießen Sie die Freude ungetrübt; sich zu sagen: daß gewiß kein menschliches Wesen unter einem günstigern Einfluß entstand, als Ihr Carmil. – In den Armen der reinen Natur, unter dem Schutze ausübender Tugend, als Frucht der schönsten Liebe! – Alles in ihm verkündet Morgenröthe eines von Gott bezeichneten heitern Tages. Er wird, wie sein würdiger Vater, Blumen und Bäume pflanzen; wie seine verehrungswerthe Mutter, alles Gute und Schöne lieben, und o, glauben Sie meiner Ahndung, er wird durch Sie beyde, als Vorbild des hier aufwachsenden Geschlechts aufblühen, und gewiß das edelste Erdenglück wird sein Loos. – O wie war die Mutter gerührt! mit welchem Ton der Stimme sagte[170] sie mir: Gott erfülle diese Prophezeyhung, und kröne einst dieses vorhergesagte Glück meines Sohnes, durch die Freundschaft eines Mannes wie Sie.

Ich dankte ihr durch eine Verbeugung, und da wir am Ende der hohen Baumalles Wattines und Carmil zurückkommen sahen, und bemerkten, daß er dem Kleinen, die in beyden Ecken angelegten halben Lauben, und einander gegenüber liegende Gärtchen zeigte, welche er für ihn und Antonette bezeichnet hatte, so sagte Frau Wattines: jetzo ist es gerade noch schicklich, meine kleine Uebersetzung aus dem Englischen zu lesen, mit welcher ich in den Garten kam: als der Anblick meines blumigten Carmils mich auf meine Kinderjahre zurückführte.

Indessen waren wir Vater und Sohn nahe genug, um Carmil schon die kleinen Wege durchlaufen zu sehen, und daß Emiliens Stimme Wattines hörbar wurde, als[171] sie sagte: glückliches Kind! mögest du in allem die von der Hand deines Vaters bezeichneten Wege mit so freudigen Schritten durchlaufen, und diese mir so liebe Betrachtung, einst deiner Denkungsart und deinem Glücke angemessen seyn.

Da sie bey dieser kleinen, nicht ohne Bewegung der Seele ausgesprochenen Rede, das Papier auseinander faltete, so werden meine Freunde sehr natürlich finden, daß Wattines und ich auf den Inhalt begierig wurden: es waren wenige aber schön gedachte Zeilen: –


Ueber die Gärtnerey.


»Man hat sie schöne Kunst und üppige Prachtliebe des glücklichen Ackerbaues genannt, mich dünkt sie der anständigste, tugendvollste Zeitvertreib, des mit Reichthum gesegneten Mannes zu seyn. Sie ruft ihm die unschuldige Beschäftigung des ländlichen Lebens zurück, und die Ausgaben, welche er zu Verzierung seiner Gärten verwendet, gewährt[172] ihm die Befriedigung seines Geschmacks am Schönen, und der Neigung zu Aufwand, welche immer mit großen Glücksgütern verbunden ist; ohne ihn der Gefahr auszusetzen, bey dieser Leidenschaft gegen die moralischen Gefühle zu handeln. Liebe der Gärtnerey ist weit von den gewöhnlichen Vergnügungen der Höfe und der großen Welt entfernt; denn sie besänftiget die empörten Leidenschaften der Seele, und jeder Blick in ihrem holden Gebiethe, scheint die zarten reinen Bande zwischen uns und der Natur zu verstärken.«


Diese letzte von Emilie dem englischen Original zugegebne Idee rührte mich, und ich sagte der frommen Frau: Sie werden auch so lange, als die Welt und Menschen, dauern, diese schönen, von Gott selbst im Paradiese geknüpften Bande, aber ich sehe in diesem Gedanken auch den Faden von der edlen sympathetischen Verbindung zwischen Ihnen beyden und Ihrem Lieblinge St. Pierre. –[173]

Wie das? fragte Wattines sehr schnell. Weil mir das schöne wehmuthsvolle Stück in Erinnerung kam, welches Sie mir auf der Insel vorlasen, wo St. Pierre von dem Grabe unter dem Eibenbaume so rührend sagt: unser Staub bleibt da durch Thau und Regen, durch die Stralen der Sonne und des Mondes, durch den Wind, welcher die Grashalme auf unserm Hügel bewegt, in Verbindung mit der ganzen Natur, – und Sie edler gefühlvoller Freund! setzte ich gegen Wattines hinzu, welcher auf der lieben Insel das Gebieth der Verwesung in eine Blumenflur verwandelte, Sie werden meine Bemerkung nicht unrecht angewendet finden. – Wattines drückte meine Hand und sagte:

O nein! mir ist im Gegentheile Ihre Aufmerksamkeit für alles was die Wattines der neuen Welt betrifft, Unterpfand Ihrer Liebe und Ihrer Theilnahme, und nun müssen[174] Sie eine so eben entstandne Bitte meines Herzens erfüllen und hier in der Ecke des Gartens, nahe bey dem von dem Dach meiner Scheune halb bedeckten Platz, neben Carmils Garten, fünf Zuckerahornbäume pflanzen, welche in einem Halbzirkel stehend, unsere Namen tragen sollen. Ihr Friedrichsbaum in der Mitte, Emilie, ich, und unsere zwey Kinder zu beyden Seiten. – Diese von Ihnen gepflanzten Bäume, werde ich besorgen, und Blumen zwischen ihnen pflanzen, dort werde ich mit Emilien mich erinnern, daß Sie unsere Felder, welche man von der Stelle alle sieht, segneten, und unsern Garten anpflanzen halfen; dort soll ein Tisch und Stühle hinkommen, dort mein Carmil das erstemal die Geographie von Deutschland hören, bey Ihrem Namen soll er den Werth der edlen Wißbegierde, und die Eigenschaften eines edlen jungen Freundes kennen lernen, und bey dem Punkt[175] von Carlsruh, wo Sie die erste und endliche Bildung Ihres Geistes erhielten, werde ich ihm den Weg der Kenntnisse bezeichnen, Begriffe von den Ländern geben, welche Sie durchreisten, von Ihrem Aufenthalt bey uns erzählen, und ihm sagen, mit wie viel dankbarer Verehrung Sie sich stets Ihres verdienstvollen Lehrers der Mathematik, und das edle Beyspiel des Denkens und Lebens vom Rath Wucherer erinnerten, und dadurch so schön eine Tugend und Vorschrift des würdigsten der Kaiser befolgten; da Marc-Aurels Leben beweist, wie er noch als Regent des größten Reichs der Erde, das Andenken seiner Lehrer segnete. – So will ich Ihr Andenken feyern. Ihre in der schönen Jahreszeit uns zukommenden Briefe sollen auch hier gelesen werden. – Wenn unsere Felder gut stehen, wenn alles im Garten blüht, will ich Carmil sagen: die Wünsche der wahren Freundschaft wirken noch über Berge und Meere herüber[176] auf unsere kleine Besitzungen. Er soll auch jeden Frühling die Blumen besorgen helfen, welche zwischen den Bäumen gezogen sind, und bald, sehr bald, hoffe ich, soll er die Bedeutung fassen, welche ich damit verbinden werde: daß schöne Kenntnisse und abwechselnde angenehme Unterredungen, uns mit Ihnen – Ihre wohlwollende Güte und Geduld, Sie mit uns verband, wie diese fünf Bäume durch die Blumengewinde verbunden seyn werden. Er soll dort hören, daß ich am Ende Mühevoller Tage in Ihrem Umgange mich erholte, neue Stärke und Heiterkeit des Geistes sammelte, wie der Schatten der lieben Bäume mir in heißen Stunden erquickende Ruhe schafte, und Ihr Zuckersaft bittres Getränk versüßte.

Diesesmal brachte mich Wattines durch das liebliche Gemälde meines mir gewidmeten Denkmals auch zum Fliehen, denn er hatte dadurch meiner Einbildungskraft, meine Abreise[177] und weite Entfernung so vorgestellt, daß ich die Pferde schon gesattelt, und einen Wagen zum Abfahren fertig sah. In dieser Empfindung umarmte ich ihn, ohne ein Wort zu sagen, und verließ ihn eben so eilig, als ob ich die Schmerzen des Abschiednehmens vermeiden und abkürzen wollte. Er hielt mich nicht zurück, weil seine lebhafte Beschreibung eben so sehr auf ihn gewirkt hatte als auf mich. – Ich dachte zu Hause nach, ob ich nicht auch etwas finden könnte, welches Wattines zum fühlbaren Andenken bleiben möchte, und ich glaube einen guten Gedanken auszuführen, bey welchem mein Zimmermann mich unterstützen wird. Da Wattines bey den fünf Bäumen auch einen Tisch und Stühle nannte, so will ich nicht nur die erstern pflanzen, sondern auch diese verfertigen, und dabey, wie er von dem Ankauf seines Eisendraths sagte: es war Phantasie, welche am Ende ernsthaft nützte – so sage ich,[178] in meinem Vaterlande erschien meine genaue Befolgung der Grundsätze des Rousseau, die Schreinerey zu lernen, auch als Phantasie, und jetzo hilft sie hier meinen Freunden, einen Dienst erweisen, und Vergnügen zu machen. Mit dieser Arbeit wird mein Winter sehr angenehm verfließen, denn ich will jedem Stück den höchsten Grad Vollkommenheit geben, der in meinen Kräften steht. – Vielleicht wird dieses Vorhaben zum Beweis, daß die Freundschaft einen Schwaben zu einen eben so geschickten Schreiner machte, als die Liebe einen Holländer zum Maler schuf. Aber ehe ich an diesem Entwurf Hand anlegen kann, werde ich mit der ganzen Colonie an einem Tempel der treuen Liebe arbeiten helfen, wovon ich hier die kleine Geschichte erzählen will. – Vorgestern kam noch eine neue Colonistenfamilie hier an, welche in einem jungen Weber, seiner Mutter, einem Bruder und Schwester besteht. Da es schon[179] spät in der Jahreszeit ist, waren wir alle verwundert, noch Leute ankommen zu sehen. Neugierde führte alles zusammen. Ich ging mit, und sah gerade noch, wie ein ziemlich hübscher junger Mann einer ältlichen Frau mit großer Sorgfalt von dem Wagen half, sich unter den vielen Menschen eifrig umsah, den Hals nach den abgesetzten Häusern ausstreckte, und jemand fragte: wohnt der Becker Illig weit weg? Ja, sagte ich, am obersten Ende der Straße. Er wurde roth, blickte traurig auf die alte Frau, welche er bey der Hand faßte, und zu mir sagte: O lieber deutscher Herr! wollen Sie nicht einen Augenblick bey meiner guten Mutter bleiben, bis ich wieder von dem Becker komme.

Ich will gewiß gleich wieder zurück seyn, sagte er gegen die Frau, sie lächelte unter Thränen, und antwortete liebreich: geh in Gottes Namen – und fort war er wie ein[180] Pfeil, längst der Straße hinauf. Alle sahen ihm staunend nach, die Blicke der Mutter blieben auf ihn geheftet; endlich sagte sie, ihre Augen zum Himmel erhebend: Guter Philipp! Gott helfe dir! dann wandte sie sich zu mir, und fragte: ob der Becker und seine Kinder noch lebten? Bey der Antwort ja, dankte sie Gott mit freudigem Wesen, und gegen ihre Tochter: ach jetzt wird ihm wohl seyn.

Indessen war der Fuhrmann mit dem andern Sohne und einem Colonisten zu Herrn Scriba gegangen, und die Tochter der alten Frau sprach bescheiden und gutartig mit den Leuten umher, bat einen Mann, ihr einen Pack von dem Wagen heben zu helfen, damit ihre Mutter sich setzen könne, bis die Brüder wieder kämen. Die Mutter wollte es nicht, sondern sagte, sie würde ein wenig mit mir sprechen, und kehrte sich etwas ab, als ob sie mit mir dem Sohn nachgehen wollte. –[181] Traulich sah sie in mein Auge, und sagte: Herr! Sie sind gewiß ein guter Landsmann, Ihnen will ich auch sagen, warum mein Sohn so fortlief. Des Beckers älteste Tochter ist schon zwey Jahre seine Braut, da ist es ja natürlich, daß er sie gleich besucht. – Ich fand es auch so, indem ich aber fragen wollte, so rief die Tochter, auf die Straße deutend: Mutter, da kommt Philipp und Suse gelaufen. Wirklich kamen sie, und diese eilte auch entgegen. – Die arme Suse war ganz außer Athem, als sie uns erreichte, und der alten Frau um den Hals fiel, indem sie rief: Mutter, Mutter! Diese hielt das Mädchen umfaßt, und sagte: liebe, liebe Susanna! Der Sohn, äußerst gerührt, nahm eine Hand von Suse, und wiederholte: o gewiß, liebe, liebe Susanna! – Wir alle nahmen Antheil an dieser Familienscene.

Indessen hatte Herr Scriba die Zeugnisse und nöthigen Schreiben gelesen, und kam[182] mit Herrn Vandek, mit den Leuten zu sprechen. Der Becker war nun auch da, und bot der Frau und Tochter sein Haus an. Ich trat auf, und sicherte den zwey Brüdern die Abtheilung meiner Stube, Wattines gab seine Scheune, um ihr Gepäcke dort abzuladen und zu verwahren; andere sagten zum Becker, sie wollten zum Essen beytragen, alle gingen mit der Freude über neue Landsleute beschäftigt nach Hause. Ich besorgte den Schlafplatz der jungen Leute, welche ich, da sie nach dem Abendbrod bey dem Becker zu mir kamen, ausfragte: Warum seyd Ihr nicht früher aus Europa herüber gereist? Treuherzig sagte Philipp: Ach, mein Vater konnte nicht früher sterben, und dann weinte die Mutter so lange, daß viele Zeit hinging, ehe das Haus und Gütchen verkauft wurde. Helfen Sie, lieber Herr, aber doch hier, daß meine Mutter in dem neuen Hause ein gutes Stübchen bekommt, meine Schwester wohnt dann bey[183] ihr, ich und meine Braut in der großen Stube, und mein Bruder will nur ein Winkelchen. Ich versprach ihm, mit dem Zimmermann zu reden, sagte aber nicht, daß mir die Mutter etwas von der Braut gesagt habe, und fragte scherzend: also hat er eine Braut mitgebracht? – Ach nein, so glücklich war ich nicht! Susanna ist schon ein Jahr mit ihren Eltern in Amerika, ich durfte nicht mit, weil mein Vater dem Grabe zuging; aber da meine gute Mutter wußte, daß ich ohne Susanne nicht leben könnte, versprach sie mir, sobald der Vater bey Gott seyn würde, mit uns allen herüber zu gehen. Sie hat Wort gehalten, die gute Mutter, wir sind hier; Susanna und ich wollen ihr auch Wort halten, daß sie bey uns glücklich seyn soll, in gesunden und kranken Tagen, ohne daß sie viel arbeite. –

Meine Freunde erkennen hierin mit mir nach dem alten allgemeinen Zeugniß, einen runden redlichen Schwaben. – Ich wollte[184] nun meine Fragen Schritt vor Schritt fortsetzen: Wo ist denn seine Susanna? – Ey hier in dem hölzernen Dorfe, sonst würde ich nicht hergekommen seyn; aber ich ginge noch viel weiter nach ihr, wenn es seyn müßte, doch danke ich Gott, daß wir da sind. Es ist schön an dem hellen Wasser, es gefällt auch der Susanne recht wohl, und sobald unser Haus fertig ist, wird uns, hat sie gesagt, ein recht braver Geistlicher einsegnen, und wir wollen recht gut haushalten.

Wer sind die Eltern seiner Susanne? – Die braven Beckersleute, welche Ihr gutes Brod backen, und gewiß dabey die besten Kornbauer sind. – Ich habe nie nichts von ihnen gehört, sagte ich. Er staunte, und erwiederte schnell: Das wundert mich, denn er ist der rechtschaffenste Mann, und seine Tochter Suse war immer das schönste Mädchen in unserm Dorfe, schon in der Schule, und dann bey dem Tanz. – Ernsthaft fragte ich: Versteht[185] sie aber auch die Feld- und Hausarbeit von einer guten Landwirthin? – O das werden Sie sehen. Sie ist fleißiger und geschickter, als zehen andere, und immer gut und lustig dabey. – Nun so wird sie eine gute und schätzbare Amerikanerin werden; denn diese sind munter, sehr fleißig, und wie die Engländerinnen in allem reinlich.

Ich konnte alle weibliche Verdienste nennen, Susanne übertraf alles. Sie war über das Meer gegangen, und liebte ihn wie vorher, hatte vielen andern gefallen, wollte aber nur für ihn leben, und ich würde sehen, wie glücklich sie sich in ihrer treuen Liebe fänden. Nun war der erste Zug von Glück, daß unser Zimmermann schon behauene Bäume daliegen hatte, welche heute auf den Platz des neuen Hauses geführt wurden, und alles Hand bot, damit es bald in wohnbaren Stand komme. Die Braut kam Abends mit Mutter und Schwester, uns Kuchen auszutheilen, uns zu[186] danken, zu beweisen, daß sie eine recht artige Hausfrau seyn würde. Sie hatten in der Frühe bey dem Vorsteher als Brautleute sich gemeldet, und als die zwey Mädchen mit Körben voll Kuchen, Philipp und sein Bruder aber ein Faß gutes Bier herbeybrachten, liefen kleine Jungens und Mädchens mit Blättern und kleinen Baumästen um sie her, und riefen: Glück zu, junge Frau! – Glück zu, junger Mann! – und streuten die Blätter und Zweige vor ihnen her. Die alte Mutter fand dieses schön und von guter Vorbedeutung. Der Kuchen und das Bier wirkten auch so stark auf die freywilligen Arbeiter, daß der Zimmermann versicherte, morgen Abend fertig zu seyn, und bat Weiber und Mädchen zu Hülfe bey dem Ausstopfen der Fugen und Lücken, denn kleine Knaben und ganz junge Mädchen rauften Moos dazu. Die Dankbarkeit der neu angelangten Familie war äußerst rührend, da sie sich Glück[187] wünschten, unter so guten Nachbarn zu leben. Ich stand unweit Philipps Mutter, welche mit ihren Blicken bald ihrem Sohn, bald Susannen folgte, welche, während die andern nach dem Vesperbrod noch Balken und Breter tragen halfen, mit einem Rechen die Spähne zusammenraffte, und einer Frau, die ihr zurief: o das Holz ist ja umsonst! antwortete; ich spar' es doch, es ist Gottes Gabe. Da rollten der alten Frau Thränen von den Backen, indem sie zu mir sagte: Lieber Herr! bekommt mein Sohn nicht eine gute Frau? Ich versicherte sie, daß ich es glaubte. Nun sprach sie fort – O ich habe ihr alles von Jugend auf angesehen, sie ist auch mein Pathchen. – Dieses letzte däuchte mich mit dem Tone gesagt zu seyn, als ob sie der alten Sage sich erinnerte, welche in unserm Vaterlande zu Hause ist: daß die Kinder den neunten Theil des Charakters ihrer Taufpathen bekommen.[188]

Philipp hatte so eben einen Balken zu dem innern Theil des Hauses getragen, kam zurück, wieder einen zu holen, bot Susanna vorbeyeilend die Hand, und wollte weiter; die Mutter rief ihn, und streichelte seine Achsel, indem sie fragte: hat dich der Balken nicht zu schwer gedrückt? – Nein, liebe Mutter! er war zu Eurer Stube, und sie wird bald fertig seyn.

Schön war diese Antwort, und schnell war er aus unsern Augen. Die Mutter blickte auf mich, gleich als ob sie sagte: Habt Ihr gehört, wie mein Sohn denkt? Ich erwiederte: Gute Frau! Sie hat recht gute Kinder, ich wünsche Ihr Glück! – Mit Thränen im Auge dankte sie mir, und setzte hinzu: Ja Gottlob! es sind gute brave Kinder, und es freut mich sehr, daß es schon einer von den Herrn in diesem fremden Lande weiß.

Susanna, welche neben ihrer Arbeit immer nach ihrer Schwiegermutter blickte, bemerkte[189] nun, daß sie sich die Augen wischte, ließ ihren Rechen fallen, und kam zu uns gelaufen, faßte die Hand der alten Frau: Mutter, was fehlt Euch? sagte sie sehr sanft, indem sie dabey forschend in ihr Gesicht blickte. Weil die gute Frau fortweinte, und nicht sogleich sprechen konnte, sagte ich: Sey Sie ruhig, gute Susanne, die Mutter weint aus Freude über ihre schätzbaren Kinder. – O das ist recht, erwiederte sie munter, der Mutter die Hand drückend, mir war Angst, es reue Euch, hieher gezogen zu seyn, und das wäre mir und Eurem Philipp recht leid. – Freundlich sagte die alte Frau: Fürchte das nie, liebe Suse! ich bin gern da, und würde noch kommen, wenn ich nicht da wäre. Suse drückte ihr die Hand, und sagte: es soll Euch auch nie, nie reuen, bey uns zu seyn.

Den Moment sah sie einen Mann Breter herbeytragen, und eilte, sie gleich abheben zu helfen. Mich freute, sie arbeiten zu sehen-[190] und von ihrer Schwiegermutter segnen zu hören, eilte auch, von meinem Zimmermann gute Dielen zu begehren, und half sie an der Wand von dem Stübchen der Mutter annageln, die andern überlegten das Dach, alles war fleißig. Wir hatten Donnerstag, am Sonntag sollten die treuen Liebenden getraut werden. Uebermorgen früh wird der Platz vor dem Hof und Garten vollkommen geräumt, und beyde ringsum mit Persimonbäumen bepflanzt seyn. Dieses ist ein sehr nützlicher amerikanischer Pflaumenbaum, mit langen schmalen Blättern, welcher schwarze mittelmäßig große Pflaumen, von sehr süßem Fleisch und drey harten Körnern trägt, die man aber nicht gleich von dem Baum weg genießen kann, sondern einige Zeit liegen lassen muß, nachdem aber dient sie dem Amerikaner, ein schmackhaftes Bier daraus zu kochen, durch Gährung einen Cyder zu erhalten, Branntwein daraus zu brennen, und durch sorgfältige[191] Auswahl eine sehr angenehme Speise bey dem Nachtisch zu haben.

Mein Freund muß diese kleine häusliche Ausschweifung übersehen, weil ich gewiß bin, daß sie meiner theuren Base gefallen wird; denn sie verachtet nicht den Lebenslauf des Armen, welcher nur einfache Freuden, und so vielfache Mühe in sich faßt. Theilnehmend segnet sie seine Arbeit und kärgliche Kost, dankbar erhebt sie ihr Auge zum Himmel für ihr glücklich gefallenes Loos, und betet für die andern. – Sie mag sich bey diesen wenigen Zeilen des Tages erinnern, an welchem sie Grays Elegie auf einem Landkirchhofe mit mir las, und ich sie von dem schönen Gedichte so eingenommen sah, daß ich ihr damals meine ganze Hochachtung widmete. – Sie kannte ihren für ihr ganzes Leben bestimmten Freund noch nicht, sonst würde er vielleicht mit bey dem Spatziergange gewesen seyn, und hätte schon damals die[192] Ahndung haben können, daß Luise W. einst sein edles Herz in allem unterstützen würde, was er für das Beste der Landleute zu thun wünschte. Es war ein schöner, sehr schöner Nachmittag; wir saßen auf der niedern Kirchhofmauer, von welcher man einen Theil der Gegend, und den Ruheplatz der guten Bauern von Ottheim ganz übersieht. Luise hatte die prächtige Auflage von Grays Gedicht in ihrem Arbeitsbeutel mitgebracht, und las sogleich, nach den Gräbern umher blickend:


Nicht die kühle Einladung des Weyrauch athmenden Morgen,

nicht die von dem Dach der Strohhütte herabzwitschernde Schwalbe,

nicht die schwirrenden Töne des Hahns, noch das

wiederschallende Horn, nichts, wird sie

künftig wieder aus ihrem niedern Bette wecken.[193]

Für sie wird der flammende Herd nicht mehr brennen,

keine geschäftige Hausfrau für sie die Abendsorgen erfüllen,

keine Kinder werden mehr laufen des Vaters Rückkunft zu erzählen

oder an seinen Knieen aufklimmen des beneideten Kusses zu genießen.

Oft hat ihre Sichel die Erndte abgemähet,

oft hat ihre gezogene Furche den harten Erdkloß gebrochen,

fröhlich führten sie ihren Wagen auf das Feld

und der Wald bückte sich unter ihren nachdrücklichen Streichen.

Daß doch der Ehrgeitz ihrer nützlichen Arbeiten,

ihrer bäurischen Freuden, und ihres dunklen Schicksals nicht spotte;

daß doch die Hoheit nicht mit einem verachtungs-[194]

vollen Lächeln den kurzen und einfachen Lebenslauf des Armen höre.

Vielleicht liegt in diesem ungeachteten Fleckchen

ein Herz, das ehmals von einem himmlischen Feuer beseelt war;

vielleicht Hände, welche das Scepter der Herrschaft mit Weisheit geführt

oder die lebhafte Leyer zu Entzückung gespielt haben würden; –

aber die Erkenntniß öffnete ihnen niemals ihr großes,

durch die Beute der Zeiten bereichertes Buch, und

kalte Dürftigkeit that ihrem edlen Eifer Einhalt;

doch weit von unedlen Begierden des bethörten Haufens

lernten ihre gemäßigten Wünsche niemals auszuschweifen.

In dem kühlen sichern Thale des Lebens,[195]

setzten sie gleichmüthig und ohne Geräusch ihren Weg fort.

Unzählbare Edelgesteine von den reichsten und heitersten Stralen,

liegen in des Oceans finstern unergründlichen Tiefen begraben;

unzählbare Blumen werden geboren, ungesehen zu blühen und

ihre süßen Gerüche an eine einsame Luft zu verschwenden.


Meine Freunde sehen, daß ich unsers geliebten Gray schönes Gedicht noch ganz im Gedächtnisse habe, noch mehr, ich erinnere mich wie heute, daß eine Thräne in Luisens Auge glänzte, als sie diese Verse las, und daß wir auf dem Rückwege bey einer etwas einsam wohnenden Bäurin einkehrten, bey welcher wir alles so reinlich fanden, sie in dem muntersten Tone und mit vielem Verstande von ihren Arbeiten reden hörten, sehr gutes Brod und Butter bey ihr aßen, und[196] dabey schöne dunkelrothe Nelken auf den Weg bekamen; die Frau wollte nichts von uns annehmen, und versagte es wie eine Art Beschimpfung, als sie Geld in unsern Händen sah. Luise beruhigte sie, und sprach mit dem kleinen 6 Jahr alten Mädchen der Bäurin, welche uns durch einen Heckengang näher zum Amthause führen sollte. Wir dankten, und die Bäurin verbot dem Kinde, ja kein Geld anzunehmen. Luise machte aber die schwarze Schnur, mit dem kleinen goldnen Kreutzgen von ihrem Halse, und band sie der kleinen zum Andenken um den ihrigen, die nun voll Freude davon lief, während Luise mir sagte:

Sie haben bey den vielen schwarzen Kreuzen auf den Gräbern gesehen, daß die guten Leute hier dieses Kennzeichen ihres Glaubens verehren, die Bäurin wird also dieses Geschenk wegen seiner Form gerne behalten. – Ehe wir nach Hause kamen, sagte sie mir auch den Wunsch, immer auf dem Lande zu[197] leben, und wie die von ihrem Vater gepflanzten Bäume, in dem Boden des ihr so lieben Dorfes Ottheim eingewurzelt zu seyn. Sie mag aber wohl um des geliebten Mannes willen alles vergessen haben, was sie mit dem Better gesprochen hatte. Ich will nun die eigene Ursache erzählen, warum ich alles dieses so neu und lebhaft vor mir sahe. Wir haben einen Kranken und befürchten seinen Tod, dadurch wurde der Gedanke geweckt, von einem allgemeinen Ruheplatze zu sprechen. Vandek, Wattines und ich wurden von dem Vorsteher gebeten, eine schickliche Stelle aussuchen zu helfen, diese wurde bald gefunden, und dem Zimmermanne gesagt, durch eine kleine Umpfählung für die Sicherheit des ersten Grabes zu sorgen, damit die Ueberreste unsers Miteinwohners nicht durch wilde Thiere ausgescharrt würden. Während der Vorsteher und Vandek noch mit zwey Leuten über das Ganze sprachen, gingen Wattines und ich[198] stillschweigend neben einander, mir kam der Gedanke, daß ich hier schon mehreren Menschen ihre Ackergüter zumessen sah, und nun auch die Stelle bestimmen half, welche nach unserer schwäbischen Mundart der Gottesacker genannt wird, weil gewiß der erste, welcher sich dieses Ausdrucks bediente, die tröstliche Idee der Auferstehung damit verband, und uns, als die für unsern Schöpfer gemachte Aussaat betrachtete. Diese Idee führte mich zu dem Andenken von Ottheim, zum Spaziergang mit Luise und zu Gray's Gedicht, welches ich in meinen Gedanken den hiesigen Landleuten widmete, und zu Wattines sagte: daß ich wünschte, Grays Elegie möchte einst durch ein eben so edles Mädchen als meine Base, an den Ufern des Oneida bekannt gemacht werden. Wattines antwortete: wünschen Sie zuerst, daß die Bewohner dieser Stadt die Zueignung dieses edlen Bildes verdienen möchten. Vandek, welcher sich[199] uns in diesem Moment näherte, hatte die letzten Worte gehört, und fragte, was für einen Gegenstand Wattines mit dem Beynamen, edles Bild bezeichnete? ich erzählte es. Vandek, welcher mit Grays Gedicht bekannt war, sprach mit Verehrung von dem Geiste welcher darin athmet, und setzte hinzu: wenn alle nachfolgenden Colonisten von dem Gefühle der guten Weberfamilie beseelt hieher kämen, so würde ein Nordamerikanischer Gray gewiß den Stoff zu einem Gesange der ländlichen Tugend finden: er wünsche diesem guten Lande keine bessern Bewohner, und sich keine bessern Pfarrkinder. Wir vereinten unser Lob über das was wir wußten. Vandek erzählte uns aber einen viel schönern Zug. Schon diese Nacht hätte Susanna und ihre Schwägerin der Frau des Kranken zu seiner Wartung beygestanden, diesen Morgen aber, sagte der junge Haußwirth, seine Wohnung würde heute Abend ganz eingerichtet seyn,[200] Susanne und er wünschten auch morgen nach der Predigt getraut zu werden, aber sie wollten nicht die geringste Lustbarkeit anstellen, da in der kleinen Gemeinde eine ganze Familie in Trauer versenkt sey, so würde seine Schwester bey der betrübten Frau bleiben, bis alles vorüber gegangen, und sie wieder im Stande seyn würde, ihre Kinder und Haushalt ruhig zu besorgen: indessen wolle Susanne die Stelle seiner Schwester bey der Mutter vertreten, damit dieser nichts an ihrer Wartung mangeln möge. –

Der vortreffliche Vandek freute sich über die schönen Gefühle der Menschenliebe und der Ordnung, welche sich in der ganzen Anstalt des jungen Mannes so thätig zeigten. – Der Ueberrest meines Abends wurde mir in Wattines Holzhütte noch sehr angenehm gemacht, indem unser Zimmermann noch zu uns kam und erzählte: Susanna und ihr Bräutigam seyen mit ihm überall herum gegangen,[201] hätten auch frey von den Bewohnern gesprochen, und bey Wattines gesagt, dieser Herr und Frau wohnen wie wir, und pflanzen ihren Garten und ihre Felder auch mit Mühe, wir wollen alles nachahmen, was wir mit der Arbeit unserer Hände nachahmen können. Es ist in dem Garten den Sommer gewesen, wie im Paradiese, sagte Susanne, das wolle sie ablernen, weil es nichts koste als Achtung geben; so könnte es ja ein guter Arbeitsmann und seine fleißige Frau auch so machen. – Ich dachte an meine Vorbedeutung, daß Frau Vandek das Beyspiel der Reinlichkeit, Frau Wattines das von gutem Geschmack und Geschicklichkeit in allem geben würde; alles Nette und Angenehme des Milchkellers, werden wir der Holländerin; Mariniren der feinen Fische und gute, mit Gartenkräutern zugerichtete Speisen der Franzosin zu danken haben; und so wird das Beyspiel des Fleißes, und das angenehme Gefühl, welches der Anblick des[202] Schönen und der Ordnung hervorbringt, die Anlage unserer kleinen Stadt beleben, sie wird nicht prächtig, nicht glänzend, aber anziehend seyn, wie von jeher eine reine ländliche Nymphe des friedlichen Hayns und der blumigten Wiesen war, und auf diese Art wird Oneida den vortrefflichen Grundsatz des Amerikanischen Pächters befolgen: daß die Einwohner die Erde durch ihre Gegenwart verschönern, und durch ihre Arbeit bereichern sollen. – Wattines, der Zimmerman und ich, bereiten wirklich noch zwey Spatziergänge an den beyden Enden der jetzigen Gränze der Stadt, am Ufer des See's mit Bänken und Bäumen besetzt. Wird Oneida einmal groß, so können diese Plätze als Nachahmung der englischen Squarres dienen, und bis diese rings umher mit steinernen Häusern besetzt sind, werden Großväter und Enkel der jetztlebenden, die guten Menschen segnen, welche ihre Vaterstadt verschönerten, und[203] ihnen einen erquickenden Erhohlungsplatz verschafften. – Unser Vorsteher hat einen Schiffsbau verständigen Zimmermann begehrt, wodurch die Bewohner der neuen Stadt, bey dem 18 Stunden großen See, durch Abkürzung und Erleichterung der Zufuhr und des Fischens große Fortschritte machen könnten. Vandeks Vetter besorgt den gewöhnlichen Unterricht der Schulen schon sehr gut, und der edle, thätige Wattines, will die jungen Leute schwimmen lehren, weil es ihm äußerst nothwendig dünkt, daß die Bewohner der Ufer einer See es wissen. Sein und Emiliens Beyspiel zeigen den Nutzen, und ihn freut, den jungen Nachfolgern einige Meister in dieser, Leben und Vermögen wichtigen Kunst zu bilden; denn unsere guten teutschen Landsleute hier, sind nur mit dem festen Boden bekannt, und würden bis jetzo noch niemand von dem Ertrinken retten können. –

Wir hatten heute einen sehr schönen Tag[204] und noch schönern Abend, die Vandeks, Wattines und ich aßen unser Vesperbrod ganz im Freyen. Herr Scriba mit seiner Familie kam auch nach unsern schon halb geebneten Spazierplatz, und die lieben Männer besuchten noch vor dem Niedergange der Sonne, die von Wattines zum Schwimmen bezeichnete Stelle. Während er mit den beyden Führern der Colonisten darüber sprach, waren sie ihm schweigend zur Seite, als er endigte, ergriff jeder von ihnen eine seiner Hände: Vandek segnete ihn, Scriba dankte ihm innig für dieses menschenfreundliche Vorhaben, und Vandek sagte mit sanft eindringendem Eifer:

O lieben Sie immer den Boden, auf welchem Sie so viele Tugend übten, vergegeben Sie ihrem Schicksal, welches Sie hier zum Beyspiel des Verdienstes aufstellen wollte, und freuen Sie sich, durch die Stiftung der Schwimmschule einer der Schutzgeister von Oneida zu werden. Mit edler Bescheidenheit[205] erwiederte Wattines: Sie legen mir zu viel Gutes bey, mein würdiger Freund, aber ich verspreche Ihrem Herzen, daß ich den Boden nie verlassen werde, auf welchen ich durch Ihre Hand geleitet wurde.

Ich bemerkte eine Art Feyerlichkeit in Wattines Mine und Stimme, welche mir bedeutend schien, doch konnte ich ihn diesesmal nicht gleich fragen, und mußte mich bis morgen gedulden. Vandek und der Vorsteher waren eben so gerührt als ich. Die allgemeine Unterredung stockte, und endigte sich bald nachher; doch lag etwas äußerst angenehmes in dem Tone, in welchem sie sich gute Nacht zuruften. Der Wohlstand forderte, daß ich mit meinem Hausherrn zurück ging, – und wohl mir, denn ich hörte noch etwas die Menschheit ehrendes von ihm, als ich freymüthig sagte: mich dünkt, die Unterhaltung dieses Abends hat einen ganz ungewöhnlichen Gang genommen. Sie haben nicht unrecht,[206] erwiederte er, aber der Gang war doch gut, und ich hoffe der Grund der Stimmung unseres Freundes Vandek, und der meinige soll Ihnen lieb seyn; denn wir hatten so eben, mit allen Colonisten eine Vorstellung an den Congreß unterschrieben, in welchem wir die Geschichte und die Verdienste der Wattines, nebst unsern Wünschen bekannt machten, daß der vortreffliche Wattines als Ingenieur und Baumeister der Stadt Oneida angestellt werde, und die kleine von ihm angebaute Insel zum Eigenthume erhalte.

Denken Sie sich den ganzen Umfang meiner Freude, über das Glück der Wattines, und die edle Handlung der Bewohner dieses Ufers! Ich umarmte den Vorsteher, segnete ihn und seine Bürger, sagte aber doch auch: o mögen Sie alle es so lebhaft fühlen, wie ich, wie schön es ist die Tugend zu belohnen. Wie herrlich verwalten Sie ihr Amt, mein theurer Freund! Freuen Sie sich, daß die[207] Stiftung der Stadt Oneida, durch Ihre Hand sich so gut gründet, und daß Sie stets als der würdigste Vorsteher verehrt seyn werden. – Er zeigte mir viele Zufriedenheit mit meinen Ideen des Lobes und Vorhersagung von seinem Namen und Thaten, setzte aber hinzu: Vandek und ich zweifelten nicht, daß die Aussicht auf den Besitz der Insel Wattines erfreuen würde, so wie er gewiß auch einen Werth auf unsere Hochachtung und unsere Vorstellung bey dem Congreß legen werde; aber wir wollten ihn vorher auf die Probe stellen, wie er im Innern für uns denkt, und wie er die Wünsche beantworten würde, ihn immer bey uns zu sehen. Mein Herz wurde gerührt da wir ihn gleich auf dem schönen Platze fanden, welchen Oneida ihm zu danken hat, und Sie horten in dem, was Vandek sagte, wirklich den Wunsch von uns allen. – Wattines Antwort war schön, und bewegte mich besonders, da ich von der Betrachtung durchdrungen[208] wurde, es sey ungerecht, den edlen Mann bey uns anfesseln zu wollen, da moralische Schwärmerey ein herrschender Zug seines Characters zu seyn scheint, so ist er fähig, aus Dankbarkeit gegen die innern Wünsche seines Herzens zu handeln. – Mich beruhigte der Gedanke, daß wir ein gewisses Mittel in Händen haben, dieses Uebermaß der Dankbarkeit zu hindern; denn er soll bey der Uebergabe der Insel, der Freyheit versichert werden, mit ihr zu thun was er will. –

Diese Erklärung des Vorstehers machte mir viel Vergnügen, und gewiß nach allem was Sie von unsern Colonisten wissen, werden Sie mit mir sagen: die Stadt Oneida wird unter glücklichen Anzeigen gegründet. – Ich konnte nicht einschlafen, hundert Bilder von der künftigen Gestalt der Insel, Begierde sogleich zu wissen, wie sich Emilie und Wattines bey Ankündigung des Geschenks von dem Congreß benehmen würden, und andre[209] Phantasien erlaubten mir nichts als abgebrochnen Schlummer. Früh war ich auf dem Platze, welcher noch bearbeitet werden mußte. Ich speiste bey Wattines, und in der kleinen Ruhestunde fragte ich nach der Ursache des so feyerlichen Tons seiner Antwort an Vandek, und bekannte freymüthig, daß ich es erklärt wünschte, indem mich dünkte etwas außerordentliches darin bemerkt zu haben. Er lächelte mir zu und sagte:

Ihre genaue Achtsamkeit auf die Bewegungen meiner Seele, ist mir sehr schmeichelhaft, und mich freut, daß alle so sind, daß ein rechtschafner Mann sie ohne Widerwillen betrachten kann. – Ich war gestern in Wahrheit ernsthaft gestimmt, wozu mich der Auszug des Lebens der St. Johns geführt hatte: ich wollte erst nur die Beschreibung der Bienenjagd nachlesen, um ihren Vortheil durch meine Erfahrungen auf der Insel deutlicher und nützlicher zu machen. Das ganze[210] Bild dieser Familie von St. John ist aber so anziehend, daß ich es mit erneuter Aufmerksamkeit las, und über das Schicksal seines Vaters nachdachte, der auch edler Franzose war, durch den Fanatismus der Religion aus seinem Lande nach Amerika getrieben wurde, wie mich der Fanatismus der neuen politischen Regierung durch ihre Grausamkeit hierher jagte. Ich war wie der Vater von St. John, froh, weit von meinen Verfolgern entfernt, Sicherheit des Lebens und Ackerland gefunden zu haben; welches durch meine Arbeit mich und die meinigen ernährt. Schon dieses Gefühl machte mir den Boden lieb, auf welchem ich wohne, dann aber ward ich ganz St. John, wo er sagt: »der Gedanke, daß ich für eine geliebte Frau arbeitete, machte mir mein Haus und meine Felder angenehm, alles wurde mir leicht, wenn sie mich mit ihrer Arbeit in der Hand, auf meinen Acker begleitete, und in dem Schatten eines Baumes[211] sitzend, meine schön gezogne Furchen, die braune fruchtbare Erde, und die Folgsamkeit meiner Pferde lobte. Ich baute mein eigen Feld, liebte, war geliebt, war froh, unabhängig und ohne Schulden, hatte schöne Wiesen, große Baumgärten um meinen Cyder zu machen, 450 hochstämmige Pfersichbäume zu Mastung für meine Schweine, und Brantewein zu brennen, ein gutes Wohnhaus und eine große Scheune. Ich salze alle Jahre 15 bis 20 Centner Speck, und zwölf Centner Rindfleisch ein, gebe bey der Erndte 6 fette Hämmel, und habe Korn, Gemüs, Butter und Käse in Ueberfluß für mich, meine Familie und Gäste. Meine Neger sind treu, gesund und vergnügt. Ich gab ihnen immer den Samstag frey zu ihrer Arbeit, und Land zu Tobak, so viel sie brauchen. Die zwey ältesten verkaufen alle Jahre für 300 fl. Tobak, sie essen die nehmlichen Speisen wie ich, und sind mit dem nehmlichen[212] Tuche bekleidet. Ich habe keinen Prozeß, und kenne den Geist unserer Gesetze hinreichend genug, um meine Geschäfte so zu führen, daß ich den Schutz des Gesetzes zu verehren, aber seine Strenge niemals zu fürchten habe. Als mein erstes Kind geboren ward, öffneten sich neue Aussichten vor meinem Auge, tausend Gegenstände bekamen einen höhern Werth, meine Frau wurde mir schätzbarer, neue Bande knüpften mich an Feld und Haus, die Eigenschaft des Familienvaters, gab mir Achtung für mich selbst, und ich machte das Gelübde, mich niemals von meinen Anpflanzungen zu trennen, im Gegentheil ein neues Stück anzubauen, welches den Namen meines ersten Sohns bekam, und so bey jedem Kinde fortzufahren. Ich lebte nicht mehr für mich, sondern für sie und ihre Mutter. Ich erfand einen kleinen Sitz, welchen ich auf dem Pfluge befestigte, und meinen Sohn damit auf das Feld führte.[213] Die Bewegung der Maschine und der Pferde, machte ihn glücklich, und indem ich dieses Vergnügen mit meiner nützlichen Arbeit verband, ersparte ich der Mutter einige Mühe, und sie gewann Zeit zu andrer Arbeit. Die angenehmen Ausdünstungen der Erde stärkten mich und mein Kind. Wenn jemals Genuß des Glücks eine Pflicht für den Menschen ist, wenn uns jemals der Himmel mit Erquickung segnet, so ist es auf dem Lande im Frühjahre, wenn wir mit gesundem Verstande und reinem Herzen die verschiedenen Auftritte der Natur beobachten, und diese allgemeine Mutter ihre Fruchtbarkeit unter dem Sinnbilde von tausend und tausend Blumen verkündet. In dieser Jahrszeit danke ich dem höchsten Wesen noch viel inniger als in jeder andern, weil der Anblick der Blüthen mir als Versprechen seiner Güte erscheint. Mir ist es leid, daß ich nicht mit der Gabe der Dichtkunst geboren wurde, ich besänge die Najaden von Amerika, die[214] Schönheit unserer Wiesen, die Majestät der Flüsse und den Reichthum unserer Kornfluren. – Oft sang ich mit dem ersten der Vögel, welcher den Morgen begrüßte: wir hatten die nehmlichen Gefühle, von der frischen Luft, den balsamischen Gerüchen und dem neuen Glanze, welchen Aurora über alle Gegenstände verbreitete. War jemals ein Mensch ohne entzückende Bewegung in einem blühenden Obstgarten? Es ist das edelste Fest für unsre Sinne: das Auge wird entzückt, der Geruch vergnügt, und das Ohr ergötzt sich an den Harmonien der Vögel. So zeigt sich die Güte unsers Schöpfers bey dem Anbruche des Tages. Wie begierig würden die Menschen diesen herrlichen Anblick zu genießen suchen, wenn er ihnen nur alle Jahre einmal erschiene. Mit wie vieler Verehrung würden wir ihn betrachten, indem wir gewiß nichts schöners und nichts prächtigers denken können. Auch[215] darin, setzte Wattines hinzu, stimmte ich mit ihm, und konnte mich nicht von dem Gemälde der seligen Tage eines wohldenkenden Pächters trennen, wie er in seiner Laube sagt: O du wohlthätiger Geist der Menschheit, der alle Theile der Natur belebt, Quelle glücklicher Gesinnung und neuer Gedanken, ich höre deine Eingebungen in dem sanften Rausche der Blätter, und in dem erquickenden Hauche des Zephirs! Dir sey die Stunde des süßen Ausruhens geweiht! hier will ich auf deine Lehren horchen, leite mich zu dem Nachdenken, welches uns in Betrachtung der Schönheit der Natur, moralische und menschenfreundliche Gefühle, Zufriedenheit und Sanftmuth lehrt.«

Auf meinem Felde, sagte Wattines, will ich diesen Herbst noch eine solche achteckigte Laube hauen, will sie groß machen, daß einst meint Arbeitsleute sich mit Vergnügen darin sehen, vielleicht auch moralische Empfindungen darin kennen lernen: sie soll auch mit[216] wilden Reben, Geißblatt und Hopfen umpflanzt werden, wie St. John seine Laube beschattete. –

Denken Sie, lieben Freunde! daß mir Wattines hier immer ein Stück von dem Aufsatze des St. John vorlas, und dann mit dem ganzen schönen Eifer seiner Seele Noten dabey machte. Ein Blatt weiter sagte er: Sehen Sie, wie hier in der zweyten Generation das Gefühl für Verdienste des Vaterlandes, schon so innig wirkt, da St. John nach Beschreibung eines amerikanischen, aus den blauen Gebirgen sich erhebenden Gewitters, mit wahrem Stolze, den Nationen von Asien und Afrika zuredet. »Seyd ruhig! glaubt nicht, daß eine zürnende Gottheit auf den Flügeln des Sturms herbeykomme, euch zu strafen: folgt uns, und ihr werdet glauben, daß die Natur immer Gutes will, und daß die Gewitter über euren Häuptern, die Luft reinigen, welche ihr einathmet, und die[217] Erde fruchtbar machen, welche ihr anbaut. Ist es nicht wunderbar, fährt er fort, daß die Bewohner der alten Welt, noch vor den Wirkungen des Donners und des Blitzes zittern, während die glücklichen Amerikaner, welche erst seit gestern da sind, unter ihren aufgerichteten Eisenspitzen ruhig schlafen, und die Gewitter als nöthige und nützliche Lufterscheinung betrachten? – Wie weit war der Erbauer von Boston 1626 von der Vermuthung entfernt, zu denken, daß auf dieser Halbinsel eine der reichsten Städte entstehn, und 78 Jahre nach ihm, dort ein Mann, Benjamin Franklin, geboren würde, welcher sein Genie zu den Wolken erheben, und ihren Blitzen einen abgeänderten Weg vorzeichnen würde! Wie sehr sollten die Griechen diesen Mann verehrt haben, da sie dem Triptoleme und die Ceres vergötterten. – Diese einfachen Ideen und Betrachtungen erfüllen meine müßigen Augenblicke, aber bald wird die Entwickelung[218] der Vernunft und des Characters meiner Kinder, mir eine edlere Beschäftigung darbieten. Schon führe ich sie auf das Feld, leite ihre Gedanken und Gefühle, lege den ersten Saamen der allgemeinen Moral in ihre jungen Seelen. Rechtschaffenheit, Wahrheit, Menschenliebe, Gehorsam gegen die Gesetze, den Geschmack an Landbau und einfachen Sitten. Der Friede und die Einigkeit in meinem Hause, der tägliche Fleiß welchen sie sehen, wird ihnen, hoffe ich, die nehmlichen Neigungen und den nehmlichen Geschmack einflößen, welche das ruhige Glück meines Lebens gründeten.«

Wattines fragte mich nun, ob ich nicht, wie er, in dem Bilde des täglichen Lebens dieses Colonisten, etwas ungemein anziehendes fände? Ich konnte nicht anders als ja sagen, und dabey allen Landleuten diese Grundsätze wünschen. – Jetzo sagte Wattines etwas ernst: ich bin überzeugt, daß Sie in[219] Ihrem Herzen dieses denken, aber wenn Sie, wie ich, Familienvater und Landmann wären, so würden Sie auch stuffenweis mit St. John bis zu dem Enthusiasmus gestiegen seyn, welcher meine Seele durchglühte, als ich unserm vortrefflichen Vandek versprach, ihn nie zu verlassen, den Boden, auf welchen er mich führte; denn mußte nicht Dankbarkeit in meinem Herzen reden? hat nicht Vandek als väterlicher Freund an mir gehandelt? hat er nicht bey dem Vorsteher alles für mich erhalten, und floß nicht aus Vandeks Hand erquickender Trost auf das Leben meiner Emilie und meiner Kinder? Habe ich nicht bemerkt, daß ich, daß meine Familie einen hohen Werth bey Vandek haben? Kann ich an das denken, was er für mich und die Meinigen war, und nicht wünschen, etwas für ihn, für die Seinigen zu thun? – Emilie liebt den Boden wo noch kein Blut floß, der noch nicht von Bosheit und Grausamkeit besudelt wurde.[220] Was wir in Europa liebten ist nicht mehr. – Ich mußte vor meinen Landsleuten fliehen, hier faßten mich fremde in ihre Arme: dort wurde ich meiner Güter beraubt, hier gab mir die schönste Freundschaft einen reichen Ersatz; und, lassen Sie mich, mein Freund! noch ein paar Sandkörner auf die Wagschale legen, dort würde mein Jammer und meine Arbeiten verlacht, hier sah ich Thränen des Mitleides und Verehrung meines Fleißes. Dieses sind starke Bande für das Herz des redlichen Mannes, wie viel mehr, für meine fromme, Gott und der Natur so sehr ergebnen Emilie. – Aller Prunk ist ihrem Herzen zu Staub geworden. Sicherheit meines Lebens und Hoffnung des Unterhalts für unsere Kinder, ist alles was sie von der Erde wünscht, und sie sagt: Gott wollte uns hier haben, bleiben wir, und erfüllen die stille Laufbahn, mit Tugend und Wohlthun. – In Frankreich müßten wir das Brod für unsere Kinder in[221] einer Mördergrube betteln, unter Räubern und Mördern leben. Wir wollen in Oneida werden, was St. John in Virginien ist.

Emilie ging noch weiter, sie wünschte eine Negerfamilie, eine Wittwe mit Kindern, oder auch lauter Waisen auf unserm Gute zu haben, damit nicht Brüder von Brüdern. Kinder von Eltern getrennt würden. Diese Familie wollte sie recht glücklich machen, und ihre Liebe verdienen. Dieser Wunsch keimte schon in ihrer Seele als wir in Philadelphia die Negerschule besuchten, welche ein Abkömmling des, wegen Religionsverfolgung geflüchteten Benezets aus der Picardie errichtete, und Emilie nur bedauerte, so wenig Englisch zu verstehen, indem sie die Stelle einer Lehrerin in der Mädchenschule gesucht hätte, da sie von dem Zeugniß der Fähigkeiten und Folgsamkeit der guten schwarzen Mädchen so außerordentlich gerührt war, daß ich bey dieser Bewegung, bey ihren Thränen und[222] Umarmungen der Negerkinder in die Sorge kam, in meinem ersten Kinde einen sogenannten Negrillon zu erblicken. Sie hätten die Ehrfurcht sehen sollen, welche sie dem Negerarzt Derham erzeigte. Fragen Sie sie nach dem alten Neger Fuller: und bemerken Sie den Eifer, mit welchem sie Ihnen von dem Geiste und dem Gedächtnisse dieses Mannes sprechen wird, der in 2 Minuten die große Rechnung bestimmte, wie viel Secunden in anderthalb Jahren, das Jahr zu 365 Tagen gezählt, verfließen? Es sind, sagte er, 47 Millionen 304 tausend Secunden.

Wie mühsam und fleißig lernte Fuller, ohne daß er lesen oder schreiben konnte, indem die Geschichte seiner Rechenkunst darin bestand, daß einer seiner Nebensclaven ihn bis hundert zählen lehrte, er aber nachdem sich in Berechnung der Körner eines Scheffels Weitzen übte, und am Ende genau wußte,[223] wie viele Körner zu der Ansagt dieses oder jenes Stück Feldes erfordert würden. – Hier sagte Emilie: was würde eine edelgesinnte, menschenfreundliche Herrschaft aus einem solchen Genie, mit solchem Fleiße vereint, gebildet haben! Warum gab ihn das Schicksal nicht in die Hände des vortrefflichen Benezet? was würde Fuller für ihn, wie viel für seine Schule gewesen seyn, der Schüler Beweis der unendlichen Fähigkeiten der Negers, der Lehrer Beweis, daß Europa Herzen voll Güte und Gerechtigkeit hat. Wie würde Fullers edle Seele die Hand gesegnet haben, die seinen Geist in allem angebaut hätte. Er, welcher seiner Herrschaft dankte, weil sie ihn nicht verkaufen wollte. – Ich bekenne, setzte Wattines hinzu, daß es mir Freude machte, als ich hörte, daß die schöne Seele voll Menschenliebe dieses Benezet aus Frankreich stammte; doch vereinte sich mit der gerechten[224] Bewunderung dieses großen Characters, sehr bald die schmerzvolle Betrachtung, daß ich hier, in dem Herzen von Nordamerika, die überfließende Güte eines Franzosen segnen und wünschen muß, daß Frankreichs Adel und Geistlichkeit, in der Nationalversammlung, einen solchen menschenfreundlichen Vertheidiger gefunden haben möchten, als die Negers in der Seele unsers Benezet trafen. Nun schwieg er ernsthaft vor sich hinsehend, und ich bemerkte, wie tief diese Vergleichung sein Herz verwundete, und ihm Trauerscenen zurückrief. Ich suchte ein Mittel, ihn von dieser Vorstellung abzulenken, aber ehe ich eines finden oder wählen konnte, zeigte sich Wattines Herz durch Betrachtung fremder Tugend, und des Wohls anderer Menschen gestärkt und erheitert, indem er ausrief: Wie glänzend erscheint zu beyden Seiten der englische Nationalgeist, denn dieser unterstützte Venezets Bemühungen zum Besten der[225] Negers mit Gold und mit Fürsprache bey der Negierung; so wie dieser edle Geist jetzo, tausend und tausend verfolgte Unglückliche, des französischen Adels und der Geistlichkeit, unterstützte und aufnahm.

O, meine Freunde, wer kann es Wattines übel nehmen, wenn bey solchen Anlässen Rückerinnerungen, Trauer und Wünsche in seiner Seele entstehen? – Wer sollte ihn nicht bedauern und doppelt lieben, wenn man den schmerzvollen aber schönen edlen Gang seines Denkens und seines Lebens beobachtet? Mir wird er auch immer unvergeßlich bleiben, und mit äußerstem Kummer werde ich mich von ihm trennen. – Indessen will ich seine Verdienste um die Colonie nachahmen, und daneben mein Andenken in einigen Familien stiften; denn ich habe mich zum Unterricht im Zeichnen erboten. Da werden nun alle Tage fünf Knaben auf zwey Stunden zu mir in die Lehre gehen, mit welchen ich[226] von der Nutzbarkeit und dem Vergnügen der Zeichenkunst sprechen, und davon bey der Ausarbeitung des Tisches und der Gartenstühle Beweise geben will; wobey sie zugleich die Anfangsgründe und Handgriffe der Schreinerey lernen können; und da ich aus freundschaftlicher Phantasie meines Herzens diese Stücke für Wattines alle allein verfertigen werde, so kann ich den Knaben daneben vorzeichnen, ihre Versuche korrigiren, und mit ihnen reden; so können sie dabey den Werth der Eintheilung der Zeit, und des überlegten Fleißes eines einzelnen Menschen kennen lernen.

Ich sprach ehegestern mit den edlen Wattines von dieser Idee; sie fanden für seht gut, aber da ich hinzu setzte, daß ich den Jungens zugleich von alle dem sagen würde, was Herr Wattines bisher allein gearbeitet habe, so bat er mich, es ja nicht zu thun, indem es schon allen Einwohnern bekannt sey. – Lassen Sie meine Felder und meine Blumen von Nutzen[227] und Vergnügen meines Tagewerks reden, und gönnen Sie mir den Genuß Ihrer vorzüglichen Freundschaft, ohne die Besorgnisse, eines Fremden Schmerz über ihren Mangel, oder des Neides darein zu mischen. – Ich bitte Sie darum, sagte er, mir die Hand drückend; aber indem ich die Klugheit, Bescheidenheit und Menschenkenntniß, des Mannes bewunderte, stand Frau Wattines von ihrer Arbeit auf, ging an den Bücherschrank, und holte, da sie den Ausdruck Tagewerk in der Unterredung ihres Mannes bemerkt hatte, den kleinen Band, des von Gin übersetzten Hesiodus, reichte ihm mit anmuthsvoller Erröthung und einem halben Blick nach mir, ihrem Wattines dar, wobey sie sagte: Lieber! unser Freund will mit den guten Knaben von nützlichem Tagewerk reden, du willst nicht genannt seyn, könnte nicht aus dem guten alten Hesiod etwas zu ihrer Belehrung gezogen werden?[228]

Was ist, meine Freunde, mein Zeichnen, mein Schreiben, da ich nicht fähig bin, diese Frau mit dem Buch in der Hand darzustellen, oder die Miene und den Ton zu beschreiben, welche ich sah und hörte. Wie viel weiblicher Geist, Feinheit und Wohlwollen liegt hier vor uns! – Ich war da, staunend und äußerst gerührt, Wattines sah auf mich und sie, lächelte, nahm das Buch, und sagte gegen mich: In Wahrheit, Emilie hat das beste für Ihre Absicht gefunden. – O benutzen Sie ihn, den guten Hesiodus, indem er mir ihn darreichte.

Ich wußte wohl, daß die Griechen einen Dichter dieses Namens hatten, kannte die Zweifel, ob er vor oder nach Homer lebte; aber da ich die griechische Sprache nicht kenne, und nie eine Uebersetzung von ihm las, so bewunderte ich um so mehr Emiliens feine Empfindung und Berechnung dessen, was zu meiner Absicht taugte; denn Sie können wohl[229] glauben, daß ich ein von Emilie auf eine so unerwartete Weise vorgeschlagnes Buch mit dem größten Eifer und Aufmerksamkeit durchlas. – Wirklich hat sich auch dadurch der Plan meiner Winterbeschäftigungen weiter ausgedehnt, als ich dachte, indem ich den Knaben der Landleute am See Oneida einen Auszug des Lebens und der Schriften des Hesiodus und des Virgils machen, und ihnen eine kleine, durch Gefühl und Wahrheit verschönerte Geschichte des Ackerbaues und aller ländlichen Arbeit und Freuden, dieser so weit von uns entfernten Zeiten und Nationen für sie schreiben, und dabey ganz genau die einfachen Vorschriften und Ermahnungen des Hesiodes, und die seinem Bruder vorgelegte, auf alle Zeiten passende moralischen Grundsätze damit verbinden werde. – Alles dieses werde ich in einem heitern Lichte darstellen; Ackerbau, Gärtnerey und Viehzucht in lauter angenehmen Bildern zeigen, und die gute[230] Landwirthschaft eines vernünftigen und rechtschaffenen Mannes als sicherste Quelle des wahren unabhängigen Glücks der besten Menschen in allen Jahrhunderten zeigen. Der liebe Wattines wird mir einen Theil dieses, wie ich glaube, nützlichen Werkchens, verschönern helfen, indem ich den guten Knaben, nach dem Beispiel des Hesiodes, auch die Gestirne bekannt machen möchte, welche man von den Ufern dieses angenehmen See's beobachten kann. Ich hoffe meinen Zöglingen dadurch mit neuen Gefühlen für ihr Herz, und mit neuen Begriffen für ihren Verstand zu bereichern, und Wattines will die Knaben noch diese letzten Herbstabende, die Namen der über uns stehenden Sternbilder lehren.

Emilie, welche jetzt diesem Entwurfe mit Vergnügen zuhörte, sagte mit edler Theilnahme: Wie sehr, mein Carl, erhöhest du hiermit den Werth der Spatziergänge, welche du an dem See anlegtest, die der arbeitende[231] Mann und die Lehrlinge nur nach Untergang der Sonne besuchen können, und sich gewiß glücklich achten werden, wenn sie nun die Namen ihrer sie sanft beleuchtenden Nachbarn zu nennen, und ihre Stellen zu bezeichnen wissen. – Wie glücklich wird der Abend seyn, an welchem sie sagen werden: hier, nach geendigtem Tagewerk, dient der stille Glanz dieser erhabnen Geschöpfe zu vermehrter Freude bey unsern Erholungsstunden; den Seefahrern aber ist ihre Erscheinung, nach überstandnen Stürmen und irre getriebnem Lauf der Schiffe, ein wahrer Trost, weil sie durch die holden niemals von ihrer Bahn abweichenden Sterne, auf den Weg ihrer Bestimmung zurück geleitet werden.

Diese Betrachtung ist ein wahres Geschenk, welches Emilie meinen Zöglingen aus der Fülle ihrer vier Jahre lang gesammelten Gedanken macht; denn ihr waren ja damals die Gestirne einzige liebreiche Nachbarn. Mich freut,[232] daß die Knaben damit zugleich die schöne Verbindung sehen, in welcher eine edle Seele die Gefühle ihrer Freuden mit dem Wohl ihrer Nebenmenschen vereint.


Lange, meine Freunde, hatte ich nichts von Ihnen gehört, aber Sie haben mich mit dem letzten Paquet entschädigt, und mehr als dieses, Sie haben mich so reich und glücklich gemacht, wie ich es hier nach meinem Charakter und nach meiner Lage nur immer werden konnte. – In welch einer seligen Stunde lispelte Ihnen der Geist der Freundschaft den wohlthätigen Gedanken ein, mir des vortreflichen Herders Briefe zur Beförderung der Humanität zum Stoff meiner Herbst- und Winter-Unterhaltungen zu schicken. – Lange hatte ich nicht an die Verschiedenheit des männlichen und weiblichen Geistes gedacht, und hier sah[233] ich ihn so liebenswürdig gleich nach der vollkommensten Uebereinstimmung erscheinen. Diese sagte: unser Freund in Amerika muß Herders Briefe haben: der Mann will mit dem ersten Postwagen, das ganze allgemein nützliche nach Hamburg senden: die Frau aber sucht, beherzigt und schreibt Auszüge, welche in diesem Moment für mich passen, und giebt sie sogleich der Briefpost.

O meine Base! wie soll ich Ihnen dieses vergelten? wie belohnen? Glücklich ist, wer mit einem solchen Charakter, mit einem so ausgebreiteten Wohlwollen, wie Sie, sich die Freude wünschet, eine schöne Absicht erreicht zu haben – Und dieses ist geschehen, meine theure, mit einer unschätzbaren Feinheit begabte Luise! Diese von Ihrer Hand gemachte Copie ist früher angelangt, als das Ganze nicht kommen kann. Was diese Blätter mir für eine Freude machten, kann nur[234] der fassen, welcher einst die gewünschte Versicherung ewiger Liebe erhielt; denn Sie, meine liebenswürdige Base, haben mich damit in den Stand gesetzt, mit den edlen Wattines aufs neue von Menschen zu sprechen, welche in diesem Welttheil ihrem Herzen doppelt heilig sind, und ich genoß das edle Vergnügen, von einem unsrer verdienstvollen Landsleute zu erzählen, welcher mit dem hohen Gefühl von den verehrungswürdigsten Freunden der Menschheit spricht, wie Herder von dem spanischen Bischof las Casas, welcher sich der südlichen Amerikaner erbarmte, und an dem Hof zu Madrit für sie bat, wofür Emilie noch seine Asche segnete, und sich freute, daß der französische Bischoff Fenelon sogleich in die Reihe der Menschenfreunde gestellt wurde, nicht nur, well er Frankreichs Völker durch den Telemach einen weisen, gütigen Regenten bilden wollte, sondern weil er dem Erbprinzen, von dem damals herrschenden[235] Religionshaß und Religionsverfolgung abmahnte. Beyde Wattines schienen mit unserm Herder äußerst vergnügt, da er den Liebling der besten Menschen von der ganzen Nation mit Verehrung nannte, aber Wattines wurde entzückt, seinen Bernardin de St. Pierre den Schüler Fenelons nennen zu hören, und indem er sagte: O er war es, er kannte Fenelons Geist ganz! hatte er schon den ersten Band von den Studien der Natur geholt, und sagte im blättern:

Ihr Freund schätzte Fenelon, weil er gegen gewaltsame Religionsbekehrungen eiferte. – Sehen Sie, wie sein Schüler diese Seite des Charakters des wahren Bischoffs darstellt, da er von den Zeiten spricht, sagte er gegen Emilie lächelnd, wo unsere Voreltern noch vor Freude hüpften, wenn sie einen wilden Pflaumenbaum entdeckten, oder in den Ebnen der Normandie ein Reh im[236] Laufen gefangen hatten, und ihre Priester, die Druiden, ihnen eine Menge Vorurtheile und Grausamkeiten im Namen ihrer Gottheit einflößten, unser Fenelon mit seiner Tugend zu ihnen getreten, und gesagt haben würde: Wie irrend ängstigt Ihr Euch und das Volk durch fürchterliche Begriffe von unserm Urheber, welcher diese Ausbreitung falscher Ideen an Euch selbst durch bange Erwartungen straft! Spricht er nicht zu den Menschen durch tausend um sie verbreitete Wohlthaten? Ihr sucht sie durch Furcht zu regieren – Meine Religion ist, sie durch Liebe zu leiten, und wie die Sonne Gute und Böse beleuchtet, gegen beyde wohlthätig zu seyn. – Gewiß hätte er ihnen zugleich Geschenke der Natur bekannt gemacht, und den Nutzen der Waizengarbe, des Traubenstocks und der Schafwolle gezeigt. O wie würden unsere Voreltern ihm gedankt und seine Religionsgrundsätze befolgt haben![237]

Dieser Geist, setzte er hinzu, verband unsern St. Pierre als Schüler mit Fenelon, und, fiel ich ein, schaffte ihm an Herders Hand eine Stelle neben seinem Lehrer, weil jede von Bernardin Schriften, bis auf die kleinste Erzählung, im Geist der Menschenliebe geschrieben wurde, da er so gerne die Natur mit der Geschichte der Menschheit verbindet, von welcher er das Gute mit so viel Freude, das Böse mit so viel Milde erzählt. – Mit Recht setzte Herder den guten Abt St. Pierre unter die Menschenfreunde, weil er Gerechtigkeit, Tugend, Vernunft und Wohlthätigkeit lehrte. Emilie wurde über das Lob der Quäker äußerst gerührt, da Herder sagt, daß sie von Penn an eine Reihe verdienstvoller Männer nennen, welche zum Besten der Menschheit mehr gethan haben, als tausend anmaßende Weltverbesserer: die thätigsten Bemühungen zu Abschaffung des Negerhandels und des Sklavendienstes kamen[238] von Quäkern, und auf dem Denkmahl im Vorhof des Tempels allgemeiner Menschlichkeit, dessen Bau künftigen Zeiten bevorstehet, werden die Namen von Quäkern glänzen.

Kaum hatte ich diese Stelle übersetzt, als Wattines und Emilie sich bey der Hand faßten und sagten: O wir wollen den Namen unsers wohlthätigen Freundes John eingraben! – Thränen der Rührung und der Dankbarkeit füllten ihre Augen, und ich kann wörtlich sagen, ihr Mund überfloß von dem Ruhm der Tugend und der Weisheit des väterlichen Freundes. – Daß Herder auch Montesquieu unter die Wohlthäter der Menschheit stellte, hatte einen Ausruf der Freude hervorgebracht, indem wir alle den vortreflichen Mann mit gleichem Eifer lieben und ehren. Hier behauptete ich aber einen Vorzug, weil ich die schöne Wallfahrt der Hochachtung zu dem Wohnsitz seiner Familie bey Bordeaux[239] machte, das alte einfache Schloß la Brede, mit der großen Halle voll Bücherschränken, die getäfelten Zimmer und hundertjährige Tapeten, wie Reliquien verehrte, und mich so sehr freute, das Haus zu kennen, in welchem Montesquieu gebohren wurde, und das kleine Kabinet gesehen hatte, in welchem er das große Werk über den Geist der Gesetze schrieb. – Wir sachten in der Encyklopädie und dem Dictionaire des Hommes illustres die Namen aller dieser Männer, auch Penn nach, feyerten das Andenken ihrer Verdienste, und machten Wünsche, daß sie Nachfolger haben möchten.

Doch hören Sie, wie einer der schönsten Züge aus des edlen Montesquieu Leben, durch Emilie verherrlicht wurde, indem sie ihn ihrem Mann zueignete, als wir auf die Stelle kamen: Montesquieu suchte das Glück seines Lebens nicht in der großen Welt und große Gesellschaften, denn er floh stets[240] sobald als möglich in das gothische und einsame Wohnhaus seiner Voreltern zurück, wo ihn seine Philosophie, seine Bücher und Ruhe erwarteten. – In seinen müßigen Stunden war er von Landleuten umgeben, wo er nach erschöpfter Kenntniß des Geistes der Nationen und des Zirkels der Gelehrten, in diesen von der Natur allein unterrichteten Menschenseelen sich umsah, und oft behauptete, von ihnen gelernt zu haben. Er sprach vertraulich mit ihnen, und suchte, wie Sokrates, ihren Geist durch Fragen zu üben und zu entwickeln, entschied und verglich ihre Streitigkeiten, und unterstützte sie in allen ihren Bedürfnissen.

Ich bemerkte wohl, daß Wattines Stimme sich immer mehr änderte, je weiter er las, endlich zu stark gerührt, das Buch hinlegte, und sagte: Montesquieu war Präsident eines Parlaments, wo ist sein Geist der Gesetze? Emiliens Auge glänzte, und war voll Zärtlichkeit auf ihren Mann geheftet, als sie seine[241] Hand faßte, und mit sanftem ernsten Tone sagte: Theurer Carl! Montesquieu hat für unser ausgeartetes Vaterland vergebens gelebt, aber die besten schätzbarsten Eigenschaften des guten großen Mannes ruhen in deiner Seele, vielleicht bist du berufen für die Bewohner der Ufer des Oneida zu seyn, was Montesquieu für die Landleute an der Garonne war. Du warest auch einst in der großen Welt, und wünschtest dich nie zurück. – Deine Tugend und das Wohl deiner Familie genügten seit fünf Jahren zu dem Glück deines Lebens. Der Kreis deiner Wohlthätigkeit wird durch jede neue Colonistenfamilie erweitert, und so wächst dein Vergnügen in gleichem Maße; denn Montesquieu half den Leuten â la Brede auch unangebautes Land in Aecker und Wiesen zu verwandeln. – Wattines hatte seiner Frau mit einer Art von Staunen zugehört, küßte voll Empfindung ihre Hand, und antwortete gerührt: Theure, edle Emilie! gerne, sehr gerne will ich seyn,[242] was du wünschest, gerne thun, was der Himmel mir auf dieser Stelle gebietet.

Sie sehen, meine Freundin, wie schön und mit wie viel Klugheit Frau Wattines die emporsteigenden Trauergefühle ihres geliebten Mannes, in die edelste Empfindung gerechter und verdienstvoller Eigenliebe verwandelte, ihm dadurch das düstre Bild des Vergangenen aus den Augen rückte, ohne ihn von Montesquieu abzuziehen, und dabey alle edle Grundsätze in ihm zu wecken. – Jeden schönen Auftritt dieses Abends haben Sie mir bereitet, meine theure Verwandtin, denn ohne die Lebhaftigkeit, mit welcher Sie mir so schnell als möglich Herders Ideen von den Quäkern und den Wohlthätern der Amerikaner mittheilen wollten, würde ich vielleicht diese angenehmen Stunden nie erlebt haben, welche im Ganzen das waren, was der Engländer ein Fest der Vernunft, a feast of reason, nennt, welches auch gewiß der Fall ist, wenn schätzbare Lebende sich verdienstvoller Verstorbenen[243] erinnern, oder gemeinnützige Entwürfe für Wissenschaft und Künste, für Sitten und Wohlstand machen. – Ungewiß bin ich, wie Sie die endliche Wirkung dieser mir so äußerst schätzbaren Blätter beurtheilen werden: gewiß hatten Sie die edelste Absicht für die guten Landleute am See Oneida, als Sie das vortrefliche Gedicht von dem hohen Werth der Arbeitsamkeit kopirten. Sie waren sicher, daß es mir Freude machen würde, dachten aber nicht, daß damit eine lang gewaltsam unterdrückte Lieblingsphantasie mit neuer Stärke erhoben und zur Ausführung kommen sollte. Diese ist meine, aus Italien und dem Berner Gebiet mit mir wandelnde Zither und meine Stimme am See Oneida ertönen zu lassen, und bey meinen Schülern nicht nur den Geschmack an schön schreiben und zeichnen, sondern auch die Liebe des Gesangs und der Musik anzufachen.

Die Wattines, mit welchen ich davon sprach, nannten diesen Entwurf den Ehrgeiz[244] in den Wäldern und den Jahrbüchern von Oneida als nordamerikanischer Orpheus zu glänzen; aber ich werde mich nicht irre machen lassen, sondern hier diese leichte und angenehme Musik bekannt und beliebt zu machen suchen, durch welche in Italien und in dem Dorfe Langen in der Schweiz die Dämmerung und Abende verschönert werden. – Sie wissen, daß ich bey meiner Zurückkunft so manche Stunde spielte und sang, ohne dem Klavier nur eine Seele zu entwenden. Erinnern Sie sich meiner Klagen, daß jede Art einfaches Vergnügen verkannt würde, daß man lauter mühevolle, gekünstelte Dinge aufsuche, und weil sie gewöhnlich kostbar sind, aus Eitelkeit nur bey diesen eine Freude zeige, und das Natürliche allenthalben geringschätze? Ich verschloß meine Zither, und redete nicht mehr von ihr; aber wohlbehalten kam sie mit mir nach Philadelphia, von wo ich sie werde kommen lassen, dort schon nach den Ankauf einer zweyten Zither fragte, auch Drathsaiten verlangte,[245] weil ich suchen werde, durch meine Schreinerkunst eine zu verfertigen. Sie wird doch immer besser seyn, als die erste, welche in Italien entstand. Bis mein Koffer kommt, habe ich dem schönen Gedicht gewiß schon auch eine schöne Melodie angepaßt. Sehr artig finde ich das Spiel des Zufalls, welcher wollte, daß ich in Europa dem auf Ihre Hand stolzen Fortepiano meine arme demüthige Zither opferte, welche nun so viele hundert Meilen entfernt, in Amerika durch Sie so ruhmvoll als wohlthätig erscheinen wird. Ich habe auch mit Vandek und dem Vorsteher von den Gedichten und den Blättern gesprochen. Beide fühlten sogleich den Werth. Vandek wurde gerührt von dem Inhalt des Himmlischen. Er fand es so wahr, so ehrfurchtsvoll, so würdig des Stifters unserer Religion.


Heil und Gebet dem Mann im Himmelsglanz,

Zu dessen Füßen jetzt die Sterne wallen;[246]

Wie Mond und Sonne glänzt sein Angesicht.

Er denke unser, wenn wir beten, wenn

Sich unser Herz zum Armen freundlich neigt,

Und lasse jeden Wandrer Schatten finden,

Und jedem Durstigen zeig' Er den Quell.


Er war es selber einst, der Menschlichkeit

Die Menschen lehrte, der Erbarmen, Sanftmuth

Und Milde zur Religion uns gab.

Heil und Gebet dem Mann, der Menschlichkeit

Die Menschen lehrte, der Erbarmen, Sanftmuth

Und Milde zur Religion uns gab.


Der Vorsteher fand es eine unsers göttlichen Lehrers würdige Hymne; aber als Oberaufseher über das gemeine Beste, überzeugt von dem hohen Werth des Fleißes in unserer Lage, wurde er von den so ernst, schön und belehrenden Versen, das Gegengift, ganz eingenommen, wünschte auch,[247] es bey unserer Gemeine bekannt zu machen, aber eher unter der freundlichen Aufschrift: Werth des Fleißes, weil er glaubt, daß, da diese Tugend wirklich von allen Bewohnern dieser Ufer ausgeübt werde, jedes von ihnen einen Theil an dem Lobe nehmen, und die Lehren desto lieber fassen würde.


Preis sey dem Geber! jede seiner Gaben

ist Huld und Weisheitsvoll. Er theilte sie,

Er wog sie ab zur langen Dauer und

Vollkommenheit der Schöpfung.


Seine Erde gab Er nicht Engeln,

Menschen gab Er sie. –


Der Menschen bester ist, der selten strauchelt,

ihr edelster, der bald vom Fall aufsteht.

Tief keimte das Laster in der neu

geschafnen Erde; wild schoß es empor,

Gift seine Blüthe, seine Früchte Tod.[248]

Da schuf er ihm ein mächtig Gegengift,

für Thorheit ein Verwahrungsmittel, Arbeit,

die macht er uns zum heiligen Gesetz, den Fleiß zur Pflicht.

Arbeitsamkeit verriegelt

die Thür dem Laster, das dem Müßigen

zur Seite schleicht, und hinter ihm das Unglück.

Willst du dem Feinde fluchen, wünsch' ihm Muße,

Auf Muße folgt viel Böses, und des Kummers viel.


Arbeitsam wirkt die Seele froh,

langweiliger Müßiggang beschäftigt sie

zur Reue, zum Verderben; Thorheit leitet

den Müßigen; Muthwill und Vorwitz führen

ins Dunkel ihn, wo Gott nicht ist.


Arbeitet! Ihr Weisen in dem Volk,

befördert Euer und Vieler Glück![249]

Wo wohnt Beruhigung? wo Segen der liebreichen

Gottheit? Wo Genuß der Tage? wo das edelste

Vergnügen? nur in der Arbeit.


Diese zwey Gedichte scheinen mir zu einem Wechselgesange geeignet, und selbst das erste kann zu Anfang und Ende durch einen Chorgesang feyerlich gemacht werden. Ich bekenne, mein Herz heftet sich an die Idee, welche mir sagte: wie schön wäre es, wenn die guten Menschen hier durch mich, ehe sie eine Orgel bauen können, bey ein paar gleich gestimmten, von ihren Kindern gespielten Zithern, das Lob der Religion und der Arbeit hörten. – Wer hatte das Recht zu sagen: nur die Hayne Griechenlands sollen das Lob der Gottheit und Lehren der Moral neben den Tönen der Lyra hören, nur in Spanien und im Berner Gebieth, sollen die Abende durch die sanfte Zither verschönert werden? warum nicht auch die prächtigen Gegenden von Nordamerika?[250] Alle meine Wünsche vereinen sich nun in dem, daß ich in Philadelphia noch eine Zither finde, oder das Talent erwerbe, eine zu verfertigen: schon habe ich die Beschreibung ihres Baues in der Encyclopädie auswendig gelernt, und mich gefreut, in ihrer Geschichte gefunden zu haben, daß ihre Erfindung so alt ist, als die von der Harfe, daß ihre Töne sanft bescheiden, und etwas melancholisch genannt werden, daß man, um sie recht zu genießen, sie nur an stillen Orten spielen kann. Da sind ja die Ufer unseres Oneida und die Spatzierplätze, welche der edle geschmackvolle Wattines bereitete, wirklich die Gegend, in welcher die Zither tönen soll. Kein Geräusch der reichen großen Welt, kein Lärmen der berauschten Geringen, stört Abends nach vollbrachtem Tagewerk die Ruhe der Erholungsstunden, nur das leise Flüstern der Blätter der die Bänke beschattenden Bäume, nur das abgesetzte sanfte Anschlagen der kleinen, vom Abendwinde getriebenen Wellen sind hörbar. Wenn nun[251] Väter und Mütter hier sitzend, ihre jungen Leute die Zither spielen, und Herders Lied der Freude singen hörten. O meine Freunde! möge ich die Bewohner dieses Theils von Nordamerikas Wäldern mit den sanften einfachen Tönen der Zither bekannt, und sie ihnen angenehm machen, – ich habe ein paar Schüler, die meine Hoffnung stützen, und es verdienen werden dieses Lied anzustimmen.


Freue dich, edles Herz, das hold der Freude ist!

Schuf nicht der Schöpfer der Welt alles zur Freude?

Wer sich freuet erfüllet der Schöpfung Zweck.


Süße Gabe des Gebers, gieße dich ganz in mich!

Noch ist mein Herz von Tücke nicht befleckt.

So hüpfe dann das vergängliche Paradies hindurch

du! nicht mit drückenden Lasten beschwertes Herz.[252]


Sey froh des Vergangnen!

jeglicher Labung froh, die du dem müden Pilger

darreichen konntest; danke dem Herrn der Welt,

der dir zu reichen sie gab.


Häuser, die deine Hände gestützt,

Hütten, die deine Hände befestigten!

Siehe sie froh! besuche des Greises Grab,

der sich an deinen Troststab lehnte.


Komme der große Tag, an welchem der Schöpfung Herr

Gericht hält! wann die Schaaren um ihn stehn

voll heiliger Erwartung, sanfte Stille

sich verbreitet die sieben Himmel hindurch.


Du trittst, ein Jüngling mit tausendmal tausend hervor

anzubeten, der Spruch des Richters ist:

was ihr der Menschheit thatet, thatet ihr

Mir selbst. Geht ein zu eures Herren Freude.[253]


Ich hoffe mit meiner Schule glücklich zu seyn, und dann meinen schönen lieben Traum auszuträumen, und mit dem hier so schnell auf den Winter folgenden Frühling, eine mir äußerst lieb gewordene Phantasie zur Wirklichkeit zu führen, da die Feldarbeit, mit den, nach dem Schmelzen des Schnee's hervorbrechenden Blättern der Bäume, und schnellen Wachsthum des Grases anfängt, so will ich meine besten Sparpfennige zu der Stiftung verwenden, daß alle Frühjahr, wenn die Bäume der Spazierplätze das erste Laub tragen, das Gedicht von dem Werthe der Arbeitsamkeit, mit zwey Zithern begleitet gesungen, und den Schulkindern eine kleine, aber nach einem von mir gezeichneten Stempel geprägte Münze ausgetheilt werde; der Gehalt wird nur 6 Kr. unsers Geldes seyn, aber auf einer Seite soll ein Baum, ein Pflug und ein Fischernetz mit der Aufschrift: Arbeit, auf der Gegenseite ein Obstzweig, eine Garbe und ein Fisch mit dem Worte Segen, geprägt seyn. – Jährlich[254] dazu bestimmte 25 Fl. werden lange hinreichen, bis die Gemeinde und die Zahl der Schulkinder eine Vermehrung fordern. – Wattines soll der Beschützer dieses kleinen Andenkens meines Hierseyns werden. Emilie bezeigte, als ich den Plan vorlegte, und die übersetzten Gedichte las, wahre Freude, und sagte sehr schön gegen ihren Mann: hat man nicht immer bey cultivirten Nationen wichtige Begebenheiten durch besondre Münzen im Gedächtnisse zu erhalten gesucht? und dienten diese Münzen nicht als Belege der Geschichte eines Volks? Ja meine Liebe! dieses ist wahrer Begriff von den Denkmünzen, antwortete er, und sie erwiederte mit dem Tone edler Wünsche und Hoffnung: wie schön wäre die Vorbedeutung der ersten Münze in der Grafschaft Onotaga! wie schätzbar müßte einst die Sammlung davon den Enkeln seyn, wenn Fleiß stets den Chargeter der Einwohner, und Segen immer ihr Schicksal bezeichnete! –

Wattines und ich waren über diese Wendung[255] ihrer Ideen gerührt, er sagte: das wird auch seyn, meine Emilie! so lange als im Frühling die Feyer des Gedichts der Arbeit heilig und geliebt seyn wird.

Ich bedauerte, nicht reich genug zu seyn, um die Stiftung, zu dem Werthe und Große eines Silberthalers zu setzen. – Nein! sagte Emilie lebhaft, das wünschte ich nicht, indem ich besorgt wäre, daß man sie wie die Piaster in zwey und drey Stücken zu Scheidemünze machte. – Ich sah mit etwas Verwunderung nach ihr, und hoffte daß es wirklich geschieht. Spanische Piaster, welche stets von dem feinsten Silber sind, entzwey zu schneiden um halbe Piaster zu haben, oft sollen die Eigenthümer auch einen Streif in der Mitte ausschneiden, und die zwey Seitenstücke doch einen halben Piaster gelten. Die theuren Wattines bedauerten aber meinen so vervielfachten Arbeitsplan, weil sie mich weniger sehen, und die Hoffnung verloren werde, etwas Teutsch zu lernen, wie sie beyde es für[256] die Wintertage bestimmt hatten, um die Muttersprache des geliebten Freundes zu kennen, und mit seinen guten Landsleuten an dem See von ihm zu reden: bey Vandek und Scriba, werden Sie, sagte Wattines, sehr oft Gegenstand der Unterredung seyn, aber ich wünsche ihre Erinnerung in allen Einwohnern, besonders auch in Ihren Schülern zu umfassen, und so vielfach zu erneuern als Colonisten hier sind.

Ich war äußerst gerührt und dankbar für diese schmeichelhafte Anhänglichkeit, und werde ihnen die meinige beweisen so lange ich lebe, aber sicher die Eintheilung meiner Herbst und Wintertage so machen, daß sie gewiß mich oft sehen, und im Frühjahr teutsch sprechen sollen. – Es ist unhöflich gegen Sie, meine Freunde! wenn ich sage, daß mich meine Trennung von Oneida, von Wattines sehr, sehr viel kosten wird, aber es ist Wahrheit und Gerechtigkeit gegen Wattines und[257] die Natur, welche mir beyde alles zeigten, alles für mich sind, was ich zu sehen und zu genießen wünschte.

Diese letzten Herbsttage theilte ich noch eine allgemeine Freude, die Ankunft, das Austheilen und Pflanzen von einer Ladung Apfel- und Birnbäume. Sie können sich keinen größern Jubel denken, als den, mit welchem jede Familie ihren Antheil nach ihrem Hause trug, die Alten sich schon des Apfelweins, und die Jungen sich der Birnen freuten, welche nun bald wachsen würden. Vortrefflich war das Betragen des Vorstehers, und eben so schön das von den Colonisten. Die Fuhren brachten Vorrath für den Winter an Kleidungszeug, Leinwand, Flachs und Wolle. – Alles lief zu, alles half nach Anweisung des Vorstehers den Vorrath in das dazu bestimmte große Loghouse zu bringen und zu ordnen, die Weiber machten aber Anstalt, für Essen und Lager der Fuhrleute zu sorgen.[258] Der Wagen mit den Baumstämmen war der letzte zum abladen, da es noch helle genug war, sagte der Vorsteher, die Hausväter sollten sich in zwey Reihen stellen, er wollte ihnen sogleich bey dem Abladen, jeden seinen Antheil von den Bäumchen geben. Ein Wagen hatte lauter Birn- der andre lauter Aepfelstämmchen. Die Mädchens und Jungens jeder Familie wollten tragen helfen, und stunden an den Wagen, von der Seite wo ihre Väter sich gestellt hatten. Ordnung und Vorsicht wurde geboten, und die Namen ausgerufen, wie immer nach der Reihe das Austheilen kam. Keiner hatte einen Vorzug, selbst der Vorsteher und Vandek nicht. – Wattines sagte, er habe Obstbäume auf der Insel, und schon welche in seinen Garten, seine Mitbürger sollten also diese allein unter sich vertheilen. – Nein, Sie sind auch Coloniste, riefen sie; Sie sollen Ihren Antheil nehmen. Er gab nach und stellte sich auch in[259] die Reihe, indem er mit großer Freundlichkeit allen dankte. – Vandek stellte sich ihm gegenüber, seine Kinder konnten Stämmchen tragen, ich besorgte die für Wattines, und bekenne, daß ich ihn mit innerer Rührung ansah, den schönen vortrefflichen Mann, da in der Reihe, mit alle seinem Geiste und Talenten; – aber er betrug sich so einfach, wie sein brauner Colonistenfrack es wollte. – Mein Zimmermann erhielt seinen Theil aus den Händen des jüngern Bruders von dem Weber Philipp, dieser aber die seinigen durch seine Schwester, diese zwey braven Teutschen zeichneten sich mit einem schätzbaren Gedanken aus, denn sie machten den Vorschlag, ihrem braven Lehrer Vandek, jeder zwey Stämmchen zu Vergrößerung seines Antheils zuzulegen, und ihn zu bitten, es als einen kleinen Beweis ihrer Liebe und Verehrung anzunehmen, und dabey zu denken, daß diese Gesinnungen für ihn immer wachsen und zunehmen[260] würden, wie die Bäume seines Gartens.

Alle Colonisten stimmten mit Vergnügen ein, und es war ein schöner Auftritt, erst die Aemsigkeit zu sehen, mit welcher die Väter die schönsten Stämmchen aussuchten, und dann ihre Kinder zu dem Pfarrer abschickten. Philipps jüngere Geschwister sagten sehr treuherzig: unser Bruder und der brave Zimmermann haben noch keine Kinder, da schicken sie uns, Ihnen zu sagen, daß wir den Herrn Pfarrer lieben und ehren, wie alle andre thun. – Vandek war gerührt, dankte allen äußerst freundlich, und versprach diesen Bäumchen einen besondern Platz und Sorgfalt zu widmen. Wattines bat sich von dem Vorsteher die Anweisung des Gartens für den künftigen Schullehrer aus, indem er dort in dem Namen seiner eigenen und aller Colonisten-Kinder, seinen Antheil pflanzen wolle; alle sahen auf ihn und nickten ihm Beyfall zu,[261] der Vorsteher lächelte gegen alle und trat dabey etwas vorwärts indem er sie anredete:

Meine Freunde und Miteinwohner haben mir beynahe nichts zu thun übrig gelassen, als ihren Lehrern zu der Liebe Glück zu wünschen, welche man ihnen bezeigte: ich bitte aber nun alle! ihre Obstbaumstämmchen als ein Herbstgeschenk von meiner Hand anzunehmen.

Der Ausdruck des Staunens auf den Gesichtern, und das eifrige Zudringen so vieler Hände, welche jede die Hand des Gebers fassen und danken wollten, die Freude, mit welcher jede Familie ihren Antheil heim trug, machte diese Stunde zu einer der schönsten des ganzen Jahres, sagte der Vorsteher. Philipp und der Zimmermann freuten sich aber sehr, den Gedanken des Geschenks für den guten Herrn Pfarrer gefaßt zu haben, ehe sie wußten, daß sie die Bäumchen umsonst erhalten würden. – Vandek segnete den Vorsteher für die wohl ausgedachte Gabe an seine Gemeinde,[262] und Wattines drang darauf, das Versprechen zu haben, den folgenden Morgen den Schulgarten ausgemessen zu bekommen. – Ich, der als Zeuge des schönen Wetteifers, welcher alle Bewohner der freundlichen Hütten beseelte, so viel Vergnügen genossen hatte, war begierig auch etwas zu thun, und sagte: daß ich wünschte, den Arbeitslohn für die Umzäunung des Schulgartens zahlen zu dürfen, und auch dieser Wunsch wurde gut aufgenommen.

Der Vorsteher hatte nun noch mit den Fuhrleuten Geschäfte zu besorgen. Ich aß mit Vandeks zu Nacht, freuten uns noch dieses Abends, und fanden, daß viel Gutes geschehen und geweckt werden kann, wenn die Vorsteher mit einer menschenfreundlichen Ueberlegung, in die Bedürfnisse ihrer Untergebnen eingehen, und ihnen in einem schicklichen Moment eine Wohlthat erweisen. – Wattines, welcher, wie beynahe alle seine Landsleute,[263] ein gebohrner Obstgärtner ist, ging den andern Tag bey den Colonisten umher, ihnen bey dem Pflanzen ihrer Bäumchen guten Rath zu geben, und besetzte den Schulgarten recht artig. Junge Leute kamen, ihm arbeiten zu helfen, und von ihm zu lernen. Der edle Mann ist ein wahrer Segen für diese Colonie, durch die Begierde, welche sich unter alle Colonisten verbreitet, auch so geschickt und so schön zu arbeiten, wie er.


Nun ist wirklich der nordamerikanische Herbstregen eingetreten. Solche Wassergüsse sah ich nie, und wie glücklich finde ich mich in meiner kleinen Schule und bey meiner Schreinerey, wie viel mehr aber in Wattines Bibliothek. Nun fühlte ich die Wahrheit des Ausspruchs von dem edlen Lord Falkland, ich beklage den Unwissenden, an einem Regentage. Schauer überfiel mich bey dem Gedanken, was unsere theuren Wattines[264] auf ihrer einsamen Insel ohne die Hülfe ihrer Bücher geworden seyn würden. Beyde segnen auch die Anwendung, welche sie von dem Lehrsatze machten, daß man bey Veränderung eines Landes zu dem andern, wegen seiner Gesundheit das Clima, wegen Ruhe und Sicherheit die Gesetze, sich bekannt machen solle: ihr guter Schutzgeist aber ihnen dabey zuflüsterte, bey dem Wechsel von Europa mit Amerika, nicht nur diese Vorsicht für ihr körperliches Wohl, sondern auch gegen die Leiden der Seele, bey einem vielleicht einsamen Wohnsitz, und Entfernung von allen geselligen Vergnügen zu befolgen.

Diese innere Stimme habe ihnen gesagt, ihre Büchersammlung mitzunehmen, weil Wissenschaft ein so wesentlicher Theil des Glücks edler Menschen sey, und man in wohlgewählten Büchern, immer den Umgang einsichtsvoller und erfahrner Männer aller Zeiten und aller Nationen genieße. Ach diese[265] belehrten uns auf der einsamen Insel, daß Regengüsse und Stürme, Hitze und Frost, der Fruchtbarkeit der Erde eben so nützlich sind, als Widerwärtigkeit und Beschwerden des Lebens der Menschheit, welche die Tugend ihrer Seele, und die Fähigkeiten ihres Geistes übten, – gute Bücher also immer treue Freunde und lehrreiche Gesellschaft sind. –

Dieses Gefühl der Ehrfurcht und Liebe, mit dem lebhaftesten Ausdruck der Dankbarkeit verbunden, erscheint in Wattines schönen Zügen, so oft er einen Band seiner Bibliothek für sich, oder für Vandeks oder mich holt; oft auch bemerkte ich es, wenn sein Auge auf den Bücherschrank geheftet war, wenn von der Insel oder Einsamkeit gesprochen wurde, und Vandek während der Regentage einen Besuch machte, und von ungefähr eine Klage über die Witterung hörbar wurde; da lächelten die Wattines sich zu, blickten zum Himmel und auf ihre Bücher, Emilie[266] aber sagte: o mein theurer Freund! wie erträglich würden sie diesen Regen neben der Hütte eines Nachbars finden, wenn Sie ihn drey Jahre alle Herbst mit Sturm in ganz einsamer Gegend rauschen hörten, und kein Obdach hoffen könnten, wenn das Ihrige einstürzte. Mein Herz wußte wohl, daß es die Stimme der Allmacht meines Gottes war, aber ich zitterte oft halbe Nächte hindurch, bey der Vorstellung der Möglichkeit des Verlusts unserer Hütte. – Wohin mich retten mit den Kindern? war eine Herz zerreißende Frage, in dem Brausen der Windstöße; aber nun würde ich bey Vandeks Tugend und Freundschaft Schutz finden, wobey sie seine Hand faßte und an ihre Brust drückte. Vandek war äußerst gerührt, und sprach dann von den Eindrücken des ersten Winters auf ihn und seine Familie, welches aber, wie er es wohl erkannte, mit den Beschwerden auf der Insel in keinem Falle zu[267] vergleichen war, auch sie alle sich jetzo keine Klagen erlauben würden. – So wahr ist es, daß die Betrachtung welche wir über den Zustand der weniger Glücklichen anstellen, uns zufriedener mit unserem Schicksal, und menschenfreundlicher gegen andre macht.

Die hier angesiedelten Familien aus unserm Vaterlande haben eine in Oberschwaben übliche Gewohnheit eingeführt, alles spinnt, weil im Felde nichts zu thun und alles Ackerwerkzeug ausgebessert ist, so kommen sie nach der Reihe in den Nachbarshäusern zusammen, bringen ihr Abendbrod mit, und die Hausfrau giebt jedem einen Becher Milch oder im Hause gebrautes leichtes Bier, dabey wird gesungen, in die Wette gearbeitet und fröhlich schlafen gegangen. – Bey Wattines ist alle Tage das alte Bild der Schloßhallen in verflossenen Zeiten sichtbar, an dem großen Camine wird gekocht, unweit davon die einfachen Mahlzeiten genossen und wenn alles gesäubert und[268] aufgeräumt ist, spinnt die Frau und der Mann, welche als Knecht und Magd bey ihnen leben, das Mädchen lernt von Madame Wattines nähen und stricken, Carmil und Antonette spielen, Wattines hält sich so lange es Tag ist, mit dem Zimmermanne in der Arbeitshütte, um die Bekleidung seines Hauses bald zu endigen, ich bin fleißig an meinem Tisch und Stühlen, wenn aber Licht nöthig ist, mit meiner Feder bey den Auszügen beschäftigt. Scriba, Vandek und Wattines nebst mir, leben auch gesellschaftlich, lesen auch zweymal die Woche in Scribas Hause einmal die Zeitungen, das andremal etwas die Landwirthschaft betreffendes, und sprechen mit den Colonißen darüber. Fischfang beschäftigt auch, wenn es der Regen erlaubt, auch haben wir schon getanzt, fernere Arbeits- Handels- Bau- und Reichthumsplane gemacht, so fließen selbst Wintertage im Genusse des Fleißes, des Mittheilens, der Entwürfe[269] und Eröfnung der Aussichten auf glückliche Zeiten, schnell und angenehm vorüber, so schnell, daß ich mich abwende von dem Gedanken des Frühjahrs, weil meine Abreise damit verbunden ist. Eine Lieblingsidee habe ich heute noch, in dem liebenswürdigen und so äußerst thätigen Geiste des edlen Wattines niedergelegt, meinen Saepflug, welcher jetzo noch nicht brauchbar ist, indem noch Jahre hingehen werden, ehe der Ackerboden so genau von den Baumwurzeln gereinigt seyn wird, daß man ebenes Feld genug vor sich haben kann, um den dreyfachen Nutzen der Säfurchen Aussaat, Egge und Ersparnis von zwey Drittel des Saamenkorns zu genießen: ich erhalte dafür von den schätzbaren Wattines getrocknete Pflanzen von ihrer Insel, nebst einem von Emiliens Händen aus Maisblättern geflochtenen Sonnenhut und Körbchen, welche, ich bekenne es, mehr, unendlich mehr für mich[270] seyn werden, als alle meine Schreinerarbeit für sie seyn kann. Meine Schüler sind gute junge Leute, welche mir noch die Uebung ihrer verbesserten Handschrift zu danken haben, denn wie ich meine Auszüge und kleine Noten blattweis im Reinen habe, so müssen sie solche abschreiben, damit jeder ein Exemplar bekomme, und sich den Inhalt um so tiefer einpräge: bey diesem Anlasse sprach ich mit ihnen von der Buchdruckerkunst und dem hohen Werthe dieser Erfindung, wodurch der Geist aller Nationen und aller Jahrhunderte, sich mittheilt und bekannt wird. Der Unterricht, welchen ich diesen Knaben gebe, ist für mich eine angenehme Wiederholung dessen, was ich lernte, und in Wahrheit, im Mittheilen mich bereichere, weil alles neu und deutlich auf einem abgekürzten Wege vor mir vorüber geht. In der eigentlichen Schule wird ihnen die Geschichte von Amerika und den europäischen Colonisten[271] erzählt und zu Leseübung gegeben, welches ich als vortreffliche Anstalt des Vorstehers betrachte, weil es sie mit der englischen Sprache, welche sie ohnedem verstehen müssen, und mit den Vorbildern ihres Schicksals und der Verdienste des Fleißes und des Nachdenkens bekannt macht. –

Meine geliebten Wattines nehmen doppelte Lehrstunden im Teutschen, einmal mit mir, dann spricht der Zimmermann mit ihnen. Der holde Carmil wächst mit der Kenntniß von drey Sprachen auf, und gab dadurch im Vandekschen und seinem eigenen Hause schon manche liebliche Scene, wenn er nun seine Gespielen oder seiner Schwester neue Wörter lehren will, welche er haschte. Sein Vater lehrt ihn zugleich lesen und schreiben, welches bey dem Französischen sehr leicht geht, da aus ihrem c oder halben Ring so viele Buchstaben gebildet werden können, wobey die Kinder ihr Lieblingsvergnügen genießen, allen[272] Dingen eine andre Gestalt zu geben. In vielen, oder vielmehr im Ganzen wird sein junger Geist und Gefühl nach den Ideen und den Empfindungen des St. Pierre gebildet werden. Was mich dabey innigst freut, ist, daß Wattines ihn auch Latein lehren wird. Nun giebt es keine Blumen mehr zu suchen, keine Insecten mehr zu haschen, da sucht Carmil in den wenigen Zwischenstunden des Windes und des Regens, unter den, von dem letzten rein gewaschnen Steinchen, die verschieden farbigten zu sammeln, mit welchen er dann, in Gesellschaft der zwey kleinen Holländer Vandek, auf dem offenen Platze der Scheunen ihrer väterlichen Wohnungen, in glatt gestreuten Sand, Gärten und Blumenstücke anlegen, auch in der Werkstatt von Wattines, die Stückchen Holz nach Größe und Form ordnen, Triangel, Quadrat und Zirkel, gerade Linien oder halbe Bogen beschreibende Züge damit auslegen,[273] welches alles für ihr junges Auge eine höchst nützliche Uebung ist, und nicht an der, Kindern so gesunden, Bewegung hindert.

Heute fand ich Wattines, um die Zeit meiner deutschen Lehrstunde, mit seinem St. Pierre in der Hand, den er mir mit der Bitte entgegen reichte: O lassen Sie mich heut einige Lieblingsblätter übersetzen! Ich antwortete: Sehr gerne, lieber Freund! und als ich das Buch gefaßt hatte, traf ich die herrliche Betrachtung über Mannigfaltigkeit und entgegengesetzte Farben und Gestalten aller Wesen unserer Erde, alles aus dem schönen Gesichtspunkt der Verehrung des Schöpfers, und in der lieblich glänzenden Einkleidung der Mythologie dargestellt: äußerst rührende Stellen waren von Wattines mit Bleystift unterstrichen, oder am Rande bezeichnet, wie z.B.: »Ein Hain am Ufer der See, welcher von den ersten Stralen der aufgehenden Sonne beleuchtet, hier dichte, dort sanft[274] durchsichtige Schatten auf die Wiesen wirst, dunkles, und mit Silberglanz vermischtes Grün der verschiedenen Bäume, zeigt sich in Abschnitt mit dem Azur des Himmels, ihr Wiederschein schimmert im Wasser, und was weder Dichtkunst noch Malerey abbilden können, der Wohlgeruch von Blumen und Kräutern, das leise Rauschen der von dem Morgenwinde bewegten Blätter der Bäume, das Summen der Insekten, der Gesang der Vögel, das dumpfe, mit gänzlichem Stillschweigen unterbrochne Brausen der an dem Ufer anschlagenden Wellen, und alle diese, nebst dem fernen Echo, sich auf der Fläche der See verlierende Töne, scheinen die Stimme der Nereiden zu seyn: Ach wenn Liebe oder Philosophie dich in diese Einsamkeit führen, so wird dein Aufenthalt angenehmer seyn, als in einem Pallast« ... Mit erstaunend kleinen Buchstaben war am Ende dieses Gemäldes geschrieben: Erster Frühling[275] mit Emilien auf der Insel Oneida. Gleich auf dem andern Blatte fand ich die kaum noch sichtbaren Züge des Entwurfs zu dem Gemälde der Insel Lemnos, mit Lorbeer- und Olivenbäumen, um das Grab des edlen Philoktet, unfern einer Grotte, in welcher man den hölzernen Wasserkrug und arme Kleidung sieht, welche die Grausamkeit der Griechen ihm in dieser Einsamkeit gelassen hatten: ich konnte mir die Ursache dieses Entwurfs denken, forschte also nicht nach Erklärung. Wattines selbst machte mich diesen Theil gleich überschlagen, und ich konnte kaum die Aufschrift des Grabes lesen:


Hier ist Ruhe nach einem wohlthätigen Leben,

und Schutz gegen Bosheit der Menschen. –


Ich wunderte mich nicht, daß er die Zeilen unterstrichen hatte, wo St. Pierre sagt: »Ohne Instrumente, ohne Naturalienkabinet[276] kann man die Natur beobachten, ihre reizenden, abwechslungsvollen Bilder kennen lernen. – Die Sonne, welche mit ihren Strahlen die halbe Erde umfaßt, während die Nacht die andre mit ihren Schatten deckt, doch ist keine Stelle, wo nicht Anbruch des Tages, Dämmerung. Morgenröthe, hoher feuriger Mittag, dann glänzender Sonnenuntergang, sternhelle, oder ernst dunkle Nacht sich folgen. Die Jahreszeiten geben sich die Hand, wie die Stunden: der Frühling mit Blumen bekränzt; der Sommer mit Korngarben umgeben; der Herbst mit seinem Füllhorn voll Früchte; vergebens streben Winter und Nacht die Wirkung der Sonne zu hemmen, ihre Feuerpfeile zerstören das aufgethürmte Eis, sie zieht Wasser in die Luft, und läßt es als Ströme und Bäche die Erde durchfließen. – Sie setzt Gewitter und Sturmwinde in Bewegung, und befiehlt den unsichtbaren Kindern der obern Luft, die Wolken zu leiten. Oft verbreiten[277] sie diese wie goldne Schleier und in schönen Farben gestreiften Seidenzeug, oder rollen sie zu fürchterlichen Gestalten mit Donner und Blitzen erfüllt; bald lassen sie diese gesammelten Dünste als Thau, Regen, Schnee und Hagel die Erde übergießen, jeder Fluß bekommt seine Urne, jede Najade ihren Wasserkrug gefüllt; bald ruhen sie, und lassen das Meer wie einen unermeßlichen Spiegel glänzen; bald kräuseln sie seine Oberfläche mit sanftem erfrischenden Hauch, andre erheben sie zu grünen und blauen Wogen; stärkere, unruhigere aber stürzen sie wie Gebirge von Schaum und Gewässer zusammen; jeder Kreis der Erde hat seine Eis- und Feuerberge, jeder hat Flächen und Hügel, in jedem fließen Ströme nach allen Richtungen, und bey allen diesen Erschütterungen, Lasten und einander widersprechenden Bewegungen, setzt unsere Erdkugel ihren Lauf ununterbrochen durch die Luft fort.« –[278]

Aufmerksam saß Emilie mit ihrer Arbeit bey Wattines, als er diese ausgewählten Stellen übersetzte; aber mit süßem zufriedenen Lächeln blickte sie auf das Buch, als die Reihe an sie kam, und wie billig während ihrem Lesen jede Schönheit unserer Erde bey uns vorüberschwebte, wo St. Pierre sagt: »Ganz andere Verzierungen schmücken das Aeußere unserer Erde: Ein Gürtel von Palmbäumen, welche die Datteln und Kokosnüsse tragen, umfassen sie zwischen den heißen Zonen, moosigte Fichtenwälder bekränzen die beyden Pole, tausend und tausend andre Pflanzen dehnen sich wie Strahlen von Mittag gegen Norden, bis sie in verschiedenen Stufen der Kälte verschwinden – der Bananier2, dessen Früchte und Blätter so nützlich sind, wächst in Menge von der Linie bis an die mittelländische See – Der Pomeranzenbaum kam über das Meer zu uns, und umfaßt die Ufer der mittäglichen Gegenden mit seinen goldenen Früchten. –[279] Die nöthigsten Gewächse, wie Korn und Gras, dringen viel weiter, und stark in ihrer Schwäche, breiten sie sich in dem Schutz der Thäler von den Ufern des Ganges bis an das Eismeer aus. Pflanzen des rauhen Nords, kommen von den Höhen des Taurus, unter der Decke des Schnees, bis an den heißen Gürtel der Erde. Tannen und Cedern krönen die Berge in Arabien und das Königreich Cachemir, indem sich zu ihren Füßen die brennenden Ebnen von Oden und Lahor erstrecken, wo man Datteln und Zuckerrohr sammelt; andre Bäume und Gesträuche, welche Hitze und Kälte scheuen, haben ihren Wohnsitz in den gemäßigten Gegenden genommen. Der Weinstock kränkelt in Deutschland und in Senegal, der Apfelbaum ist meinem Vaterlande eigen (der Normandie), und hat niemals die Sonne gerade über sich, oder in einem Kreise um sich herum gesehen seine schönen Früchte zu reifen; und so hat jedes Stück Erde seine Flora und seine Pomona; Felsen, Sümpfe und sandigte[280] Gegenden haben ihre Pflanzen, selbst die steilen Ufer des Meers sind fruchtbar. Der Cocosbaum liebt diese sandigen Gestade, von welchen sich seine süßen milcherfüllten Früchte, über die gesalzenen Fluthen hinbeugen. Wäldchen von Moos bedecken Steine, verschiedene Pflanzen den Grund des Meers, zwischen welchen Fische und Muscheln herumgehen, und alle, alle tragen Blumen. – Manche sind der Luft, den Jahreszeiten und Stunden des Tages gewidmet, so daß Linnens sie nach der Ordnung des Calenders und der Uhren pflanzte. – Wer kann die unendliche Mannigfaltigkeit ihrer Gestalten und Farben beschreiben, den Nutzen und die Anmuth erzählen, welche durch sie über die ganze Erde schweben, in Lauben, Gängen und Pyramiden voll Früchte! Wie viel köstliche und ergötzende Gastmale werden in ihrem Schatten genossen, und nichts von ihnen geht verloren! Vierfüßige Thiere essen ihre zarten Blätter, Vögel ihre Samen, andre[281] Thiere ihre Wurzeln und Rinden, die Bienen ihren Blumensaft zu Honig, ihren Staub zu Wachs.«

Ich will nicht weiter gehen, als diese von Emilie gewählte Uebungsblätter mich führten, aber ich glaube, es wird meine Base freuen, bey diesem Theile meines Tagebuchs eine geographische Wanderung auf den Landkarten ihres Saals zu machen, und den Blumen und Bäumen nachzugehen, welche St. Pierre auf ihrem stillen Wege über die Erde beobachtete, und mit so edler Verehrung des Schöpfers, mit so inniger Liebe seiner Mitmenschen begleitete. Emilie rührte mich durch eine Anwendung auf ihr Schicksal, denn bey der wirklich schönen Betrachtung: daß Felsen, Sandboden und Sümpfe, durch die wohlthätige Hand der Natur, mit eigenen Blumen geschmückt, und mit nützlichen Pflanzen begabt sind, blickte sie innig auf ihren Mann, und sagte: Könnten wir nicht, mein[282] Carl! in dem Geist deines Freundes St. Pierre behaupten, daß es in der moralischen Welt mit dem Verhängniß der Menschen eben so gütig, ja mit noch grösseren Vorzügen geordnet ist; denn so hart, so ungünstig und traurig die Begebenheiten des Lebens sind, so hängt es von dem Willen unserer Seele ab, durch ausübende Tugend, mit Kenntniß vereint, die bittersten Leiden zu versüßen, trübe Tage zu erheitern, und mit unserm Geiste das Nützliche des Fleißes und des Nachdenkens, wie das Schöne der Geduld und der Ergebung zu finden, welche unsere Tage als unsterbliche, der Ewigkeit geweihte Blumenkränze zieren, wie unser Auge reitzende Blüthen und nahrhafte Pflanzen, für das angenehme des physischen Lebens bemerkt und aufsucht.

Wattines war noch stärker gerührt, als ich, faßte ihre Hand, und mit einem zugleich ernst und zärtlichen Blick, auf die holde, edle Frau, sagte er mit bewegtem doch männlichen[283] Tone: Ja, meine Emilie! diese Grundsätze deiner Seele haben nicht nur unser Leben auf der Insel verschönert, sondern unsere Kräfte erhalten. In dir sah ich die wohlthätige Wirkung wahrer Religion und wahrer Liebe, dein auf Gottesfurcht ruhender Muth, dein sanftes Tragen jeder Beschwerde stärkte mich; deine voll kindlichen Vertrauen zum Himmel erhobenen Blicke, erhoben auch mein Herz zu der Ueberzeugung, daß der ewige Vater uns erhalten und für uns sorgen werde; dadurch ward meine Arbeit Freude, unsere Bücher und die Schönheit der Natur meine Erquickung. – Sie drückte seine Hand an ihre Brust, und sagte ihn unterbrechend: O nichts mehr, mein Carl! nichts mehr von mir! Ich war glücklich an deiner Seite, gleichen Schritt den Weg unserer Prüfung zurückzulegen, ohne den Gang deines edlen Geistes zu hemmen, oder deine Gefühle zu lange bey traurigen Gegenständen[284] festzuhalten. Er hat glücklich geendet, der einsame, von dir mit Blumen bestreute Pfad, Ruhe und Freundschaft erfüllen unsere Wintertage, setzte sie mit einer anmuthsvollen Verbeugung gegen mich hinzu, und dieses verspricht mir eine noch schönere Zukunft an unserm lieben See.

War diese Anwendung von St. Pierres Ideen nicht ungemein schätzbar und überraschend? Ist diese Frau nicht in allen Gelegenheiten eine der verehrungswürdigsten Personen ihres Geschlechts? kann man jemals Stärke des Characters und Feinheit der Gefühle, liebenswerther verbunden sehen? sollte man nicht wünschen, daß alle Glücklichen die physische Welt betrachten wie St. Pierre, und alle Unglücklichen ihr Schicksal mit so viel Geist und Tugend tragen, als Wattines und seine edle Frau.[285]


Nun sind die Regentage vorüber und der prächtigste Winterfrost eingetreten. Wohl uns, daß kein Mangel an Holz ist; denn kalt ist es mehr als ich ausdrücken kann, und wir haben es versehen Schlitten zu machen. Nun sind alle damit beschäftigt, damit wir mit unsern wenigen Pferden doch diese Winterfreude genießen, indem wir daneben mit Handarbeit und Entwürfen für den Frühling beschäftigt sind. – Alle unsere Schüler machen gute Fortschritte, zeigen Verstand, und haben Freude an den Gedanken, vernünftige und geschickte Leute zu werden. – Ich spreche mit den Meinigen sehr oft von dem allgemeinen Ruhme, welchen bisher die teutschen Colonisten erhalten haben, und die guten Jungens setzen sich alle vor die besten unter den Guten zu werden. Meine Arbeit geht sehr vorwärts, und Wattines lernt nicht nur die teutsche Sprache, sondern mit meinem liebsten Schüler die Zither gleichsam[286] in die Wette spielen; dieses bestimmt mich zu einem Opfer. – Ich werde ihm meine geliebte Zither, welche mich seit Italien nie verlassen hat, zum Andenken unserer harmonischen Gesinnungen geben, er aber mir das Gelübde ablegen, diese sanfte Musik am See Oneida fortzupflanzen. Schon wird sie den guten Einwohnern sehr angenehm, und ich habe dafür gesorgt, daß wenigstens vier bey Wattines in Vorrath gelegt werden. – Meine Auszüge mehren sich und werden recht gut, da ich sie den Knaben vorlese, und mit ihnen darüber spreche, sind sie mit Eifer zu den Abschriften gekommen.

Alle Sontag Abend spiel ich die Zither bey dem Vorsteher, singe dabey, dann giebt er einen Kuchen, gutes Bier und Tanz für unsere wenigen aber wackern jungen Leute. Wechselsweise wird bey Vandek und Wattines der Abend mit Lesen zugebracht, dann beysammen gespeißt, und die Frauenzimmer im[287] Schlitten nach Hause gebracht. So gehen sie auch in 24 Stunder vorüber die langweiliger Wintertage. Ich schreibe nicht mehr viel an meinen Denkblättern, wie Sie sehen werden, denn ich möchte meine Schreinerarbeit bald endigen. – Ich mache jetzo einen Plan zu meiner Rückreise, ohne mit jemand davon zu reden, weil alle zeigen, daß sie meine Entfernung ungern sehen; doch bekenne ich, daß öfters ein Wunsch nach Europa in mir entsteht. Ich habe gesehen was ich wünschte, und noch mehr als ich erwartete.

Ich dachte nur an ein Abbild der Bemühungen unserer ersten Vorfahren, Bäume zu Hütten zu ordnen, Felder zu Kornbau anzulegen. – Ich fand es, dieses Bild des ersten Bestrebens, Bedürfnisse zu befriedigen, und Beschwerden zu bekämpfen, aber auch kann ich sagen, daß jede Stuffe menschlichen Verdienstes in Arbeit und Denken, auf diesem kleinen Platze vereint vor meinem Auge war.[288] Ein Zimmermann, der die Loghouse mit rohen Baumstämmen erbaut; geschickte Landleute; einen Kaufmann der sie anweißt, die Producte ihres Fleißes für das beste ihrer Kinder und eigenen Wohlstandes zu gebrauchen; einen Geistlichen, welcher sie die moralischen Kräfte der Seele kennen lehrt, und auf einem einfachen Wege, zu der Liebe ihres Schöpfers und ihrer Pflichten führt; in Wattines Hütte Abglanz des feinsten Anbaues der Sitten, und Wirkung wahrer Kenntniß und Tugend; denn, liegt nicht in dem Leben dieser zwey merkwürdigen Menschen das größte, schönste Vorbild eines edlen starken moralischen Characters, und fand ich nicht in ihrer Büchersammlung den Schatz aller seit Jahrtausenden gesammelten Wissenschaften? Sah ich nicht alles, was Menschen bedürfen, vermögen und ausführen? – Wie tief ist dieses alles[289] in meine Seele gegraben! Wie heilig, wie lieb werden diese Erinnerungen mir mein ganzes Leben seyn! Wie oft sagte ich schon hier meinen Schülern, wenn ich mit ihnen von Wattines sprach: wie viel kann der gute, fleißige Mensch thun! und wenn ich die Encyclopädie sah, wie viel kann unser Geist denken, wissen und entdecken! – Wir haben die Briefe eines Amerikaners aufs neue mit großer Aufmerksamkeit durchgelesen, dieser sagt einmal:

Warum kommen die Europäer nicht zu uns, neue Tugend und Glück zu sehen? warum gehen sie in das ausgeartete Griechenland, in das alte Italien, wo sie nichts mehr von dem alten Glanze finden, wo niemand das Grab des Socrates und des Aristides, des Catons und des Fabius zeigen kann? sonst würde ich selbst diese Reise machen, kommt, besteigt statt des Aetna und[290] Vesuv unsere Apalaches, betrachtet von einer Seite, was wir auf 900 Meilen angebaut, auf der andern noch anbauen werden, setzt an die Stelle der alten Trauererinnerungen von Italien in seinen Ruinen den belehrenden und angenehmen Anblick von vier Millionen angebauten Ackerland, 600000 Häuser. Die große Scheune voll Garben des fleißigen Colonisten soll euch wohl mehr Freude geben, als die Ueberreste eines Tempels der Ceris. Unsere Gesetzgebung, unsere Mechanik, unser Landbau und schönen Städte, Schulen und liebreiche Versorgungshäuser der Armen, – was für schönen Stolz, welchen, lassen Sie mich es meinen geliebten Britten zu gerechtem Ruhme hinzusetzen, edlen, auf Glück und Verdienst gestützten Stolz könnte der Amerikaner nicht haben, wenn er nicht unter dem Einflusse des Geistes der englischen Gesetze und Sitten[291] geboren und erzogen wäre. – Ich sage gewiß andern Reisenden: geht an den See Oneida, lernt diese neue Colonie kennen, bittet um die Bekanntschaft der Familie Wattines, laßt euch die Insel zeigen, wo sie vier Jahre einsam wohnten, sprecht mit ihnen, betrachtet ihre Arbeiten und überdenkt ihr Schicksal, und eure Seele wird den Werth der ausübenden Tugend, der hohen Kräfte der Menschen und der Kenntnisse schätzen lernen. –

Sonderbar, meine theuren Freunde, ich war einige Zeit nicht ganz wohl, und bekenne, daß ich da mehr an Europa zurück dachte, aber weit, weit entfernt war, nur den geringsten Gedanken zu hegen, daß in der nehmlichen Zeit ein eigenes Weh an den Lebenskräften meines geliebtesten Freundes nage. – Ich wünschte wohl den Frühling[292] bald zu sehen, um Nachrichten aus Europa zu erhalten, und dann auf einem, während dem Winter, gut gebautem Kahne mit Wattines einen Besuch bey der Hütte der Indier zu machen, in welcher Emilie zweymal wohnte. – O jetzo bleibe ich nicht mehr so lange, werde mich nirgends, nirgends mehr aufhalten, eile übermorgen von hier, – die guten lieben Menschen alle fühlen mit mir. – Sie wissen was Freundschaft ist, ich theile meine Haabe unter sie aus, jeder muß ein Andenken haben, Schreiner-Handwerkszeug, Zither und andres Wattines. Morgen in der Nacht werden durch den Zimmermann der Tisch und die Stühle in den Garten gestellt: ich nehme wenig mit mir zurück. – Einer unserer rechtschaffnen Landleute führt mich zu dem nächsten Ort, ich schreibe den Wattines meinen Abschied, ich kann es[293] nicht mündlich thun. Der Vorsteher und der würdige Vandek allein wissen die Stunde, alle sehen und fühlen daß ich nicht mehr bey ihnen bin, daß meine Seele in Europa ist, meinen leidenden Freund, seine Gattin, seine Kinder umschwebt. – Ich werde es nicht feyern, das Fest der Uebergabe der Insel an Wattines, wozu alle Hoffnung ist, werde nicht dabey seyn, wenn das erstemal das Lob der Arbeit gesungen wird, aber die Denkpfennige sind fertig, ich werde sie von Piladelphia aus schicken, und hoffe von dort bald, bald absegeln zu können, denn ich glaube, da der Himmel meine auf gewisse Art phantastische Reise hieher begünstigte, o so wird er die sichere schnelle Erfüllung der heiligsten Pflicht segnen. O was werde ich empfinden, wenn ich mitten in der Nacht Wattines Wohnung vorbey gehe, dieses Haus,[294] die ganze Anlage, den See und die Waldungen mit den Feldern noch im Mondschein betrachten werde, denn der Zimmermann und mein Fuhrwerk erwarten mich am äußersten Ende der Landstraße, ach wie herzlich werde ich sagen: ich lasse euch Gott und eurer Tugend.

2

Paradies-Feigenbaum, Bananas-Baum, Patanen.

Quelle:
Sophie von La Roche: Erscheinungen am See Oneida. Bdchen. 1–3, Band 3, Leipzig 1798, S. 1-295.
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Große Erzählungen der Spätromantik

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Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

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