Hundert und erster Brief

Rosalia an Mariane S**.

[99] Ich dachte schon einigemal, meine Liebe, daß die immerwährenden Erzählungen von dem, was um mich in unserm Seedorf geschieht und mein häusliches Leben angeht, Sie wohl ermüden könnte, und freue mich in der That Sie mit einem neuen und wahren Character bekannt zu machen, der nächstens bey uns erscheinen wird. Ein Universitätsfreund meines Clebergs und Ottens, von dem sie lange nichts gehört hatten, schrieb vorgestern an den letztern eine Art Geschichte von sich, die auf einer Seite den eigensten willkührlichsten, aber auch einen von den schätzbarsten Menschen bezeichnet. Sie sollen nicht alles lesen, weil viele jugendliche Züge darinn sind, die wenig Reize für sie haben könnten, obschon nichts Unordentliches und Unanständiges darinn ist, und ihm auch seine Freunde das Zeugnis der besten Sitten geben. Herr Latten ist der einzige Sohn eines reichen Kaufmanns und wurde[99] nach dem Tode seines Vaters unter der Vormundschaft seiner Mutter Bruder erzogen; welcher als Gelehrter den Geschmack des jungen Menschen auf Wissenschaften lenkte, ihn seine Handlung für ein Stück Geld an einen andern verkaufen ließ, und seine Erziehung bis auf die Universitäts-Jahre besorgte. Historie, Geographie, Moral und Poesie waren die von ihm ausgewählten Lieblingstheile der Kenntnisse, die ihm gegeben wurden, doch beward er sich auch fleißig um Geometrie und landwirthschaftliche Einsichten. Er kam auf die hohe Schule und benutzte jede Gelegenheit, seinen Geist anzubauen. Seine beste Belustigung bestund im Lesen der Dichter und Romane. Seine ihn anbetende Mutter starb schnell, sein Oheim auch, eh er auf Reisen ging, und er wurde mit dem ein und zwanzigsten Jahre sein eigener Herr und dabey eines sehr großen Vermögens. Der erste Gedanke über seine vollkommene Freyheit war, mit seinem Gelde so zu wirthschaften, daß er memals kein Amt nöthig hätte; viel zu reisen und immer mit Anstand erscheinen zu können, ohne durch unbesonnenen Aufwand ein darbendes Alter vor sich zu sehen. So beschloß er niemals zu spielen;[100] nahm einen armen aber mit vielen Fähigkeiten begabten Purschen mit sich nach Haus, wo der unterscheidende Zug des Enthusiastischen, so in ihm wohnte, sich bey Anordnung des Denkmals zeigte, welches er seinem Vater, seiner Mutter und seinem Oheim errichten ließ; wo er nach den Ausdrücken von Liebe und Dankbarkeit am Ende den Stein zu einem Zeugen gegen sich aufrief, wenn er je durch sein Leben etwas thun sollte, das der Tugend und Güte seiner Verwandten unwürdig wäre. Er ging mit seinem Freund auf Reisen, die er bald zu Fuß, bald zu Pferde oder in einer Postkalesche machte. Zuerst besuchte er alle Orte unsers Teutschlands, die der Aufenthalt berühmter Männer waren; vorzüglich aber eilte er zu denen, deren Geist er bewunderte, und deren Charakter und Handlungen am schiefesten beurtheilt wurden, und bald, sagte er, zerbrach ich jedes Modell, jeden Maasstab von Verdienst, die mir von andern gegeben worden, oder den ich selbst geschnitzelt hatte. Die Stücke davon liegen an der Schwelle von Wohnungen der großen Gelehrten. Ich fing an den Gang der moralischen Welt nach dem Beyspiel derer zu betrachten, die den Gang der[101] Erdkugel berechneten, und ihn nur nach den Tagen nicht nach den Nächten zählten. Ich suchte nur die helle Seite meiner Nebenmenschen auf, und strebte mich das Wahre und Schöne zu finden. Es giebt überall Leute genug, die den Fehler nachspähen, sie aufdecken und bekannt machen. Ich habe kein Land, und kein Genie, hätte also weder den Plan einer Regierung, noch den zu einem Buch zu nehmen, als die Wahrheit, daß man von ferne das beste durch einen Rebel sieht, und im Uebel beurtheilt. Nachahmen konnt ich am leichtesten den willkührlichen Ton des Lebens und Gebrauch der Kräfte des Geistes, der Umstände und Gewalt. Nach diesem wollte ich aus dem großen Magazin von Erdeglückseeligkeit auch für mich das nehmen, was meinem Gemüthscharakter am tauglichsten schien. Was für seelige Tage verlebte ich mit verdienstvollen Personen in der Schweiz. Wie gestärkt und erhaben fühlten wir uns, mein Rohr und ich, bey Durchreisung der Gedürge und Seen dieses wundervollen Landes. Wir hatten der teutschen Joseph und Friederich ihre Gelehrte und Weise gesehen; und durchwanderten im Lauf von vier Jahren Italien,[102] Spanien, Portugall, Frankreich und England, und giengen von dort durch Holland und Frankreich zurück. Ich hatte mich diese Jahre über an Nichts, als Wissen, Sehen und meinen Rohr geheftet. Mein Kopf wurde angefüllt; meine Seele oft bewegt und erschüttert, eigene, und antheilnehmende Freude, Mitleiden und Menschenliebe, strömten oft, in und aus meinem Herzen, aber daurend und fest war und konnte nichts werden: weil vieles reisen mir eine Gewohnheit des Abwechselns gab und endlich gar den schmerzlichen Gedanken fühlen ließ, daß ich nun nichts Neues, nichts Reizendes mehr finden würde; weil ich alles gesehen, verglichen, das nemliche so oft angetroffen und genossen hätte. Alles war in mir, wie abgenützt, nur noch der Keim eigener Schwärmerey war unversehrt geblieben. Rousseau war seit meiner Abreise von Frankreich gestorben. Ich machte eine Wallfahrt zu seinem Grabe. Starke, melancholische, unruhige und mir süsse Bewegungen stiegen beym Anblick und Auflehnen auf sein Denkmal in mir empor. Seine Schriften, der Park von Ermenorville wurden die Welt, Ruhpunkt, Paradies und Glückseligkeit für mich. Rohr[103] beobachtete und bedaurte diese Stimmung meiner Seele. Sie nützen ihr Gefühl ab, sagte er. Wenn Sie dies, was Ihnen jetzo so viele Freude giebt, lang geniessen wollen, so entfernen Sie sich einige Zeit, und kommen zum neuem Genuß zurück. Ich ließ mich wegführen. Aber es blieb eine Leere in mir und ein Widerwillen an Städten und Gesellschaften. Doch ging ich mit Rohr nach Hause, und fand mein Vermögen und meine Bekannte in guten Umständen. Rohr verlangte auch in seine Heimath; ich begleitete ihn und befestigte sein Glück nach meinen Kräften, da ihm ein abgelebter Vater seine Stelle abtrat. Ich nahm meinen Rückweg allein; blieb in Dörfern, deren Lage mir gefiel, einige Tage liegen; lernte in dem einen Feldarbeit, und feuerte ein Paar junge Bauren zu bessern Fleiß an; half eine Schule bauen; kaufte ödes Land von dem Gemeinplatz; machte es urbar, und legte es dem Pfarrer und Schulmeister zu.

Das Danken und Achtung geben der Leute fiel mir beschwerlich; und ich ging bey Nacht und Nebel fort, kam Abends spät auf ein dem Herrn von Grünburg gehöriges Guth, war müd, und legte mich nach einer kurzen Mahlzeit[104] schlafen. Ich hatte ungefähr eine Stunde geruht, da hörte ich eine Kalesche kommen und in der Kummer neben der meinen ein Bette bereiten, in welches endlich zwey Reisende kamen, aus deren Unterredung ich fand, daß der eine ein Sohn eines Beamten, der andre ein abgesetzter Schreiber sey, die sich sehr liebten und über den Geitz und die Härte des alten Beamten wehklagten, dessen Sohn mir ein gutartiger Mensch schien, da er unter andern jammerte, sein Vater nähme nun vielleicht einen schlechten unvernünftigen Purschen an des Schreibers Stelle, oder einen listigen und bösen, dem er sich nicht anvertrauen, nichts von ihm lernen und auch den Unterthanen nichts gutes würde thun können. Bey dem Geschwätz der beyden Leute fiel mir ein, mich als Amtschreiber anzugeben und den Dienst eine Zeitlang zu versehen, möge er auch Beschwerden haben, wie er wolle. Es dünkte mich herrlich, eine solche Verläugnung meines Wohlstands auszuüben, und den jungen Beamten in seiner Begierde des Wissens und Wohlthuns zu stärken. Ich stellte es auch den andern Tag mir dem Wirth an, daß er mich vorschlagen möchte. Ich gefiel dem jungen[105] Mann; und ging gleich eine geringe Besoldung ein, worauf er mich mit sich nach Grünburg nahm, um mich seinem Vater vorzustellen. Ich erzählte ihm unterwegs, eine Geschichte von mir, die ich auch dem Vater wiederholte der mich unter dicken, finstern Augbraunen heraus stark betrachtete. Es war ihm lieb, daß ich keinen Wein tränke, und er versprach mir alle Quartal einen Gulden mehr, also des Jahrs vier Gulden Zulage zu geben; und ich sollte Abends ein Stück gedörrte Wurst und etwas Butter haben; weil sein Dienst ihm selbst nicht viel trüge könne er auch nicht viel geben. Das Hans hieß die Neue Burg, weil es nach Zerstörung der Alten auf eine Anhöhe gebaut wurde. Man gab mir ein Stüdchen im dritten Stocke, denn der Beamte schlief bey dem Geldgewölbe ganz unten, um bey Feuersgefahr sich und seine Kiste gleich retten zu können, und sein Sohn mußte im Vorzimmer liegen, um bey Angriff von Dieben bey der Hand zu seyn. Meine Treppenthüre wurde verriegelt und versperrt, damit ich als ein unbekannter Mensch, nichts in dem Hause anfangen könnte. Zu allem Glücke hatte man mir ein klein Krügelchen Lampenöhl[106] auf vier Tage mitgegeben, so, daß ich mein Licht konnte brennen lassen. Eine lange bis auf den Kornspeicher laufende Wendeltreppe führte in mein Stübchen, wovon die Wände und Decke getäfelt, aber vor Alter und Schmuz so schwarz waren, daß es des Nachts bey dem schmalen niedrigen Bett ohne Vorhänge, ein Leichen Kämmerchen zu seyn schien. Die Decke war voller Spalten zwischen denen von Speicher herab, Haberkörner fielen, die ich sammlete und auf dem halb vermoderten Blumenbret vor meinem Fenster für die Vögel hinstreute, die ich auch, bey nachgekauftem Futter so anzog, daß sie mit im Winter durch eine ausgehobene Scheibe in meinem Zimmer aus und einflogen. Meine Aussicht war herrlich. Auf einer Seite über den Garten des Beamten hinaus, eine weite Strecke Fruchtland, und schöne Wiesen an einem Bache hin, den ich eine halbe Stunde von da die waldigte Anhöhe herunter stürzen sah. Gerade aus, ein einzelner grosser Bauernhof, der an dem Fusse des Hügels liegt, auf dem die Trümmer der ehmaligen Burg stehen, deren mit Eichen bewachsene Ueberbleibsel der ganzen Gegend eine malerische Schönheit geben. Der von der[107] Seite hinab geführete, auch zerfallene Treppengang gegen die Pfarrkirche, von welcher ich die Chorfenster über den Kirchhof hin sehen konnte das alles machte mir des Morgens da ich von meinem harten Lager aufstund viele Freude. Ich überdachte dabey den Schritt, den ich durch Antretung dieses mühsamen Diensts gemacht hätte, und was man wohl von mir sagen würde, daß ich einen solchen Sonderling spielte? Aber ich sagte: Sollte mir wohl viel an dem Geschwätz der Menschen gelegen seyn, die ich nun in dem halben Europa gesehen habe. Ist in der ganzen Masse ein solches Gemisch von Weisheit und Thorheit: Warum soll es nicht in mir seyn? Dürfen anderwärts die edelsten Jünglinge ihr Leben und Vermögen elend und niedrig verprassen, und ich sollte wegen des ungewöhnlichen Guten mich scheuen? Um sechs Uhr öfnete man meine Treppenthüre; und ich bekam von dem Beamten eine Einladung zur Kirche, weil es eben Sonntag war. Nach der Predigt zeigte er mir die Liste meiner Arbeit und der Stunden, die er mir dazu vorschrieb, und die Frau wies mir das ganze Haus. Mein Stübchen, ein Kämmerchen und eine kleine Küche war der[108] Witwensitz einer Anfrau des Herrn von Grünburg. Von der Küche war im Winkel, den die Schneckentreppe an der Mauer hin machte, eine Art von Keller angebracht, worin die ehrwürdige alte Frau ihren kleinsten Vorrath verwahrte. Das Nachdenken und Vergleichen der Schicksale und der Genügsamkeit der Ahmen mit Begebenheit und Erfordernissen der Jetztlebenden machte mir, von da an, meine Wohnung doppelt werth. Ueberreste von uralten Hausgeräthe, Bildnisse von Rittern mit ihren Frauen; die Männer in Rüstung und mit Hunden; die Frauen in alter Kleidung mit Blumen oder einem Handschuh in den Händen; die einfache bescheidene Stellung alles däuchte mir wahrer, und näher bey der Natur, als wir. Der Mann mir den Zeichen des Muths, die Frau Blumen, Zierlichkeit, Schönheit und sanftes Wesen andeutend, die breiten schwarzen Rahmen dabey; dann die große Stammtafel in einem Schrank, der erste Stiften im Harnisch daliegend; ein Baum aus seinem Herzen entstanden, in so viele Zweige und Aeste verbreitet, Tugend, Ehre die aus seiner Seele quollen, allen zum Leben ausgetheilt, war mir ein schönes rührendes[109] Bild der Hoffnung der Alten auf immer ähnliche Kinder. Die großen Hirschgeweihe im Speise-Saal; die Treppe, welche aus diesem Zimmer gerad in den Keller ging, die Glasschränke, die über den Treppenhals angebracht waren; große knotige, und andre alte Gläser als Waldhörner, wilde Schweine und Vögel gestaltet; Weinkrüge mit langen dünnen Hälsen, all dieses freute mich ungemein. Zu dem hatte, nur eine halbe Stunde von da, ein anderer Edelmann ein schönes Schloß im neuen Geschmack erbaut und eingerichtet; und nur ein paar Flintenschüffe davon stand eins von Anfang dieses Jahrhunderts; so, daß ich in dem kleinen Bezirk einer Stunde Beweise des Geschmacks und der Sitten der Edlen aus verschiedenen Menschen-Altern vor mir hatte.

Der Beamte war stolz, geitzig und hartherzig; sonst, voll Verstand seiner Zeit und seines Amtes; in Geschäften und Rechnungen fleißig und genau, ordentlich und eigensinnig dabey. Die Frau eine sehr geschickte Hauswirthin, schmeichlerisch und voll Ziererey, aber reinlich in allem; sprach viel von der alten gnädigen Frau bey der sie Cammermagd gewesen; trug Sonn- und Feyertags die stoffenen[110] Kleider, die sie von ihr geschenkt bekommen hatte. Sie zeigte mir in der Pruntstube ein Bett und Stühle von weißen Canevas mit zerstreuten Blumen in farbiger Englischer Wolle genäht. Die Geschichte dieses Betts und dieser Stühle kam nach. Das alle bunte Blümgen aus lauter kleinen Fäsergen und Stümpgen Wolle gestickt wären, die sie vom Boden aufgehoben und gesammlet hatte, als die gnädige Frau mit ihren Fräulein Lehnstühle nähre, und aus Ungedult oft die Fäden abrissen und wegwarfen. Die nahm sie alle beym Auskehren, zog sie gerad; legte Roth zu Roth, und Grün zu Grün, alles in eigene Papiere. Als die Lehnstühle fertig waren, machte sie sich den Spaß ihre Bündelgen der gnädigen Frau zu weisen, die sich verwunderte, daß so viel zu Grunde gegangen wäre. Der gnädige Herr sagte auch, darum wäre des Wollekaufens kein Ende gewesen! dann wurde gefragt: was sie mit den armen Trümmergen machen wollte?

Ey! ein Wams von meinem selbst gesponnenen Canevas damit sticken! Wenn ich Else wär, (sagte der gnädige Herr mit lachen) so stickte ich mir ein Brautbett, denn du wirst ja Frau Amtmännin![111]

Da stieg ihr in den Kopf. Aus dem Spaß wurde Ernst. Die gnädige Frau schenkte ihr die noch übrige Wolle und etwas Flachs. Baumwolle kaufte sie selbst und bekam so viel Canevas als sie brauchte; bleichte und stickte ihn, und da hatte sie im dritten Jahre hernach ihr Bett, ihre Stühle und ihren Mann. Das Holzwerk hatte man ihr auch geschenkt, weil die alten Ueberzüge von den Matten zerfressen waren. Gelacht hatte man oft; wenn sie so fleißig nähte, so hieß es: sie hätte gern bald einen Mann, aber sie that noch mehr, denn sie vernähte die übrige Läpgen Canevas zu einem Taufzeug, und zwey Kinderhäubchen. Denn nach der Braut kann ja eine Wöchnerinn kommen, dachte sie; sagte aber Niemand Nichts, als bey ihrer Heyrath. Hierin, sprach sie, bey Aufschliessung eines Schranks, (ein Häubgen und Decke weisend,) ist mein Friedmann getaufft worden, die Mädchenmütze konnte sie nie brauchen, weil sie kein Kind mehr bekam. Aber ihre Schwiegertochter würde froh seyn, es zu finden. Ich ergötzte mich an der Frau, die mir in ihren weissen Zeugschränken ihren Fleiß, ihren Verstand und ihr Glück zeigte. Ich mußte die Bettpfühle in die Höhe heben.[112] Lauter Federn und Pflaumen von selbst gezogenen, und mit Nutzen verkauften Gänsen waren darinn. Alles Leinen war von ihr; denn sie hatte nur vier Betttücher, und nur für dreymal Tischzeug mitbekommen, allen Flachs selbst gehechelt, alle Gemüse selbst gepflanzt. Sie kocht die Seife selbst, hilft waschen, gießt Lichte, näht, strickt und kocht für alle, nicht zu vergessen die Milch, Butter und Käse, getrocknetes Obst und Schaafe, die sie zieht; schwarze und weisse Wolle vermengt, das dann dem Manne und Sohne Alltagskleider giebt, die recht gut stehen. Die Baumwolle behält sie für sich zu Kamisölchen; denn sie läßt sie mit weissem Garn in Streifen wirken, und das sieht wie Stof. Ich bewieß ihr meine aufrichtige Hochachtung darüber. Es freute sie herzlich; sie drückte meine Hand und empfahl mir ihren Friedmann. Sie wollte schon manchmal Etwas in mein Stübchen bringen, das mich freuen sollte. Ihr Mann sey ein wenig zu streng; aber ein geschickter Mensch, wie ich; wüßte sich in Alles zu schicken; sie blintzte mir dabey freundlich zu. Den Tag darauf, war die Frage von einem Streit, den zwey Gemeinden über die Gränzen hatten;[113] Ich sagte, da müßte man das Land nach den Lagerbüchern abmessen, wo alle Morgen und Ruthen beschrieben seyn müßten; ich verstünde das Feldmessen. Das freute den Alten; ich sollte es seinen Sohn (aber umsonst) lernen. Denn ich müsse ja in seinem Dienst arbeiten. Ich bewilligte alles, und bey diesen Beschäftigungen auf dem Lande hatte ich Gelegenheit, den jungen Mann recht kennen zu lernen; umzubilden; im Guten zu stärken; mit den Bauren zu reden, die bald gern in allen folgten, und mich lieb gewannen; denn es war den guten Leuten so fremd, so ungewohnt, daß man liebreich mit ihnen umging, und darauf bedacht war, ihr Leben zu versüssen und ihnen auch ihre Arbeit vortheilhaft zu machen, denn bisher hatte man sie gedrückt und ausgesogen. Sie merkten, daß der junge Beamte besser seyn würde, als der Alte, und fingen wieder an, froh auf ihre Kinder und Felder zu sehen. Ich wurde von den Eltern gesegnet und von den Kindern geliebt, und niemals habe ich meinen Kopf und Herze besser genossen, als bey diesen guten Leuten!

Heute Latten so weit! Die nächste Woche das Uebrige, wenn Ihnen der Mensch eben so[114] gefällt, wie mir. Er soll dazu schön seyn, wie Benjamin West. Gefährlich für mich, sagt Cleberg, weil er ein melancholischer Schwärmer wäre. Wir wollen sehen, wenn nur muntere Mädchen für Cleberg nicht gefährlicher sind.

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 3, Altenburg 1797, S. 99-115.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von

Gedichte

Gedichte

»Was soll ich von deinen augen/ und den weissen brüsten sagen?/ Jene sind der Venus führer/ diese sind ihr sieges-wagen.«

224 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon