Neunzehnter Brief

[108] Meine Mariane! wir sind zurückgekommen, und ich war jetzo zwey Tage bey Henrietten. – Ach, sie stirbt! Diese edle, schöne Seele wird uns entzogen. Sie hatte Recht! Freudige Bewegungen sind ihr nun eben so schädlich, als traurige – Sie hat mir ihr ganzes Herz geöfnet. – Eine doppelte Wunde ist ihr Tod. – Herr M**, lebhaft in Geist und Willen, fing mit den Beweisen seiner Leidenschaft an; gefiel, wurde geliebt, und daß so innig, daß niemand anders so viele Aufmerksamkeit erhielt, als nöthig gewesen wäre, die wahre Liebe des Herzens von den Aufwallungen eines vorübergehenden Geschmacks zu unterscheiden. M** war schön, voll Verstand und artigen Wesens. Witz und Feuer war in seinen Ausdrücken der Liebe. Ihre ganze Seele heftete sich an ihn. Damals stund sie noch unter der Gewalt eines Oheims, der die Heyrath nicht zugeben wollte, bis Herr v. M** einen anständigen Rang hätte. Ihre Zärtlichkeit war stark genug,[108] jeder Zögerung, jedes Hinderniß ungeachtet, ganz für ihn zu leben; – aber seine Liebe war nicht sein genug, um ihre edlen Gesinnungen zu schätzen, und er fing an, ihr zu begegnen, wie mir Herr M** K** gesagt hatte, als Herr v. T**, Vetter des v. M** ankam, und die Hochachtung aller Rechtschaffenen erwarb. Er sah das Fräulein von Effen und liebte sie schweigend. Er verehrte die Wahl ihres Herzens. Keine Klage, keinen Versuch, sich einzudringen, wagte er. Aber, er war in allen Gesellschaften, wo Henriette von Effen hinkam, und besonders im Concert, das ihr Oheim alle Woche zweymal gab, weil er sie da singen hörte. Er bemerkte zuerst die Fühllosigkeit des v. M**. Da Henriette aus eigener Zärtlichkeit die Arien, die sie am schönsten sang, nicht mehr in Gesellschaft, sondern allein für M** bey der Laute singen wollte, die sie vortrefflich spielte, und auch dieses Talent nur den Stunden widmete die sie den Besuchen des Herrn v. M** schenkte. Ihr niedlichster Putz, der schönste Ausdruck ihrer Physiognomie, ihre einnehmende Blicke, alles war allein dem Herrn v. M** geheiligt. Sie wollte für niemand[109] reizend seyn, als für ihn. Anfangs gefiel ihm dieses; aber bald nicht mehr. Seine Eitelkeit verlohr dabey. Er sprach mit seinem Vetter davon und führte ihn einst in diesen Stunden mit sich zu ihr. Niemals hatte sie von T** im rosenfarbenen Anzug gesehen, in welchem sie ganz bezaubernd aussah, und auch für M** ihr Portrait in dieser Kleidung machte, als sie von den zwey Freunden überfallen wurde, und M** seine Gewalt über ihren Geist auch darinn bewies, daß sie die Laute spielen und singen mußte, während sein Vetter da war. Ein ernster Blick und erhöhete Röthe ihrer Gesichtsfarbe war die Antwort auf sein anhaltendes Bitten. Dennoch spielte sie und sang, so gut, so voll Empfindung, daß der arme von T** Mühe hatte, seine Leidenschaft zu verbergen. Er saß etwas entfernt, an einen Tisch gelehnt Von M** kniete vor dem Fräulein von Effen, die mit ihrem Auge jeden zärtlichen Gedanken des Poeten ihrem geliebten M** zusang. Er war lauter Entzückung; aber gewiß nicht allein über ihre Reize und Liebe, sondern weil v. T** Zeuge von seiner Gewalt über ihr Herz war. Am Ende der Arie sagte M**[110] zu ihr: »Wie unaussprechlich glücklich macht mich Ihre Güte! War das Amo te Solo ganz für mich?« – »Gewiß, mein M**, um so mehr als mein Oheim heut früh die Einwilligung zu unserer Vermählung gab.« – Von M** ergoß sich in freudigen Ausrufungen, und von T** war wie vom Donner gerührt; kaum mächtig genug, von seinem Stuhle zu dem Fräulein zu gehen; zitternd ergriff er ihre Hand, küßte sie: »Angebetete Hand! Du bist mir entzogen!« – Mit einer heftigen Wendung umarmte er den von M**: »O, mein Vetter! verdiene Dem Glück!« – Hiemit eilte er aus dem Zimmer und Hause, ging in das seinige, und war in zwo Stunden aus S** – Henriette war betroffen und gerührt. »Lieber M**, was ist das? Warum haben Sie den guten von T** mitgebracht? Warum liessen Sie mich vor ihm reden und singen?« – »Verzeihen Sie, mein Engel! Aber, ich wollte Ihren und seinen Eigensinn ein wenig umführen. Er wollte niemals verliebt werden, und Sie für niemand mehr liebreizend seyn! Nun ist seine Kälte überwunden, und Sie haben einen Anbeter[111] mehr!« – Hier wande sie sich aus seinen sie umfassenden Armen los, und sagte ihm: »O, M**! wenn ich dieses nicht als Muthwillen ihres zu muntern Kopfs ansähe, wie elend machte mich dieser Mangel an feiner Liebe und Freundschaft!« – Er suchte sie zu beruhigen. Sie arbeitete auch selbst gegen ihre zu weit getriebene Foderungen der Zärtlichkeit. Er bemerkte ihr Nachgeben, und suchte sie in ein Gewebe von Buhlerey zu ziehen, da sie Männer, und et Frauenzimmer fesseln, und sie dann einander opfern sollten. Er wollte dadurch ihrem Bündniß mehr Reize geben, und das unausbleibliche Ermüdende verhindern, welches aus dem immer gleichen Gang ihrer Liebe entstehen würde.

Henriette hatte anders gerechnet. Sie gestund ihm zu, daß, wenn die Freyertage noch lange dauern sollten, und er keine Pflichten zum Beytrag des gemeinen Besten zu erfüllen hätte, möchte es wahr seyn. Sie wäre auch gelehrt worden, daß es schwer sey, ein männliches Herz ganz zu fesseln, deswegen hätte sie gesucht, Kenntnisse und Empfindungen in einem gewissen Grade von Vollkommenheit zu besitzen, um neben dem ermüdenden Genießender[112] Schönheit, durch Talente und Denken, seinen Geist zu unterhalten und zu befriedigen; welches alles gewiß, bey der edlen Besorgung eines Amtes, und bey den Folgen ihrer ewigen Verbindung, keine leere Stunden der Langenweile zulassen würde. – Er scherzte über ihre ernsthafte Art zu lieben; verband sich zu muntern Gesellschaften, in die Henriette nicht ging. Sie that alles, um ihn den Ton ihres Herzens lieben zu machen, und er seiner Seits suchte sie an den, von seinem Kopf, zu gewöhnen. So ging es bis an den Tod ihres Oheims fort; während dessen abnehmender Gesundheit sie sich weigerte, die Vermählung zu vollziehen. Nach diesem stieg die Verschiedenheit ihrer Gesinnungen so hoch, daß Henriette ihr Versprechen zurücknahm. Aber ihr Herz war gebrochen. Niemand hatte Antheil an ihrem Kummer genommen. – Man vergab ihr ihre Vorzüge nicht, und schalt sie gerade weg, eigensinnig. – Hier kam sie auf das Land, und wurde durch die Wohlthätigkeit ihres Herzens und den Umgang und Rath des würdigen Herrn Pfarrers M** K** ziemlich glücklich.[113]

Der Anbau der Gärten und Häuser, die Schule für Kinder, alles war Zerstreuung; aber, einmal bekam Herr M** K** einen Besuch von einem Jugendfreunde, der mit v. T**, nach seinem Abschiede von S**, England und Italien durchreiset hatte, und nicht Rühmens genug von dem edelmüthigen und liebenswerthen Manne machen konnte, der endlich der Tugend des kindlichen Gehorsams das Opfer einer geheimen Leidenschaft gemacht, und sich vor einem Jahre nach dem Tode seiner zwey Brüder vermählt hätte; er, Herr B**, wäre, mit Versicherung auf die beste Bedienung, indessen als Freund bey Herrn v. T**, der mit seiner Gemahlin recht artig lebte, und alle, die von ihm abhingen, glücklich machte. – Dieses erzählte Herr M** K** Henrietten, um ihr zu beweisen, daß eine zweyte Liebe, und Ueberwindung seiner gehegten Leidenschaft, edlen Seelen noch Glück vorbehalte. Er wußte nicht, wie viel Antheil Henriette an v. T** nahm. – Jedes Lob, das er in S** erworben; jedes Kennzeichen seiner reinen Liebe; sein verzweiflungsvoller Abschied und Abreise; die Unwissenheit, in welcher seine Verwandte beynahe zwey[114] Jahr über sein Leben und Aufenthalt gewesen; das Zeugniß übender Tugend; die genährte traurige Leidenschaft; alles sagte ihr, aber zu spät, daß dieses der Mann ihrer Seele gewesen wäre. Sie kämpfte gegen ihr Herz. Aber Herr M** K** hatte gegen seinen Freund der jungen Dame erwähnt, die durch die Liebe so unglücklich geworden sey, der es bey seiner Zurückkunft dem Herrn von T** erzählte. Dieser hatte sich, aus Gram, nicht um seinen Vetter befragt, und hörte nur jetzt, Henriette sey unvermählt und leide. – Schmerz trat in die Stelle der Zufriedenheit, und mit Thränen benetzte er die Wiege seiner neugebohrnen Tochter, die er Henriette hatte nennen lassen. – In der ersten Bewegung schrieb er dem Fräulein von Effen: »Sie sind unvermählt, und ich verheyrathet! – Ach, Henriette! was kostet mich mein unseliges Schweigen! und wie elend, wie unglücklich bin ich zwischen dem Verlangen nach Ihnen, und der Begierde, ein guter, ein gerechter Gatte gegen meine würdige Frau zu seyn!« – Nun war ihre Standhaftigkeit erschöpft. Sie wurde über dieses Schreiben[115] so krank, daß man sie mit Mühe rettete. – Das war just bey der Geschichte des Webers, wovon mir Herr M** K** gesagt, daß der Muth, den sie damals zeigte, von einer so traurigen Folge gewesen sey. – Sie antwortete auch ganz kurz, an v. T**: Sie würde sich in keinen Briefwechsel einlassen, aber seine Erinnerung an sie, wäre ihr schätzbar, und sie wünsche ihm jede Glückseligkeit, die die Tugend begleiteten. –

Alles dies wußte Herr M** K** nicht, und lange nach dieser Unruh war sie unglücklich, und nur ihre abnehmende Gesundheit ihr Trost.

Zwey ganzer Tage sammlete ich an diesen abgesetzten Stücken; denn sie war oft zum Fortreden zu matt, oft durch Thränen unterbrochen, aber einnehmend in dem ganzen Gespräch. Bey Erinnerung des unedlen Verfahrens von M** richtete sie sich auf, und sah voll Würde um sich. – Der Name v. T** gab ihr eine feine Röthe, und in Thränen glänzende Augen. Oft lehnte sie sich auf meine Brust,[116] oder drückte eine meiner Hände an ihr schwach klopfendes Herz voll Liebe. – Ich war ganz Empfindung, und sie sagte mir: »Ach, Rosalia! vor drey Jahren hätte eine Freundinn, wie sie, das Uebermaas meiner Zärtlichkeit erhalten! dadurch wäre mein Glück und Leben gerettet worden!«[117]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 1, Altenburg 1797, S. 108-118.
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