Neun und vierzigster Brief

[339] Ich bin vier Tage in Kahnberg gewesen, und hier hat mir Ott eine Probe seiner wahren Achtung für mich, und seiner feinen Empfindung für das Vergnügen seiner Freunde gegeben. Das Erste, weil er mir bey dem Aussteigen aus unsere Kutsche sagte: »Nun, Rosalia, kommen Sie in eine Gesellschaft, die allein für Sie ist! Lauter aufgeklärte edle Empfindungen des Herzens!« Madame Kahn war mit ihrem kleinen Sohn unten an den Stiegen und umarmte Julien und mich ganz herzlich. Ott war voraus, um seinen Freund an seine Brust zu drücken. – Das Haus ist nicht groß, aber sehr artig; hat auf einer Seite, so breit es ist, einen offenen auf Säulen gestützten Saal, dessen Fußboden der mit vieler Mühe geebnete und polirte Felsstein des Bergs ist, der just allein an dieser Ecke zu finden war; denn das Uebrige alles ist ein sich weit erstreckender fruchtbarer Hügel. Dieser Saal ist mit einem schön gehauenen Steingeländer eingefaßt, welches zwischen[339] den Säulen hinläuft, denn außerhalb ist keine Spanne breit Platz gegen den jähen Abhang des Felsens. Vom ersten Stockwerk geht aus dem Hauptzimmer wieder ein Balcon heraus, der an sich die Decke dieses untern großen Saals ausmacht. Alle die schöne und große Aussicht von hier ist aber für den liebenswürdigen Besitzer verlohren! Die Zimmer sind alle mit Geschmack eingerichtet; aber nirgend kein Gemählde; hingegen in allen schöne Abgüsse der besten Statuen, Brustbilder und Vasen der alten Zeiten, und alles Geräth und alle Verzierungen von den schönsten und mannigfaltigsten Formen, weil der gute Herr Kahn den Begriff und das Vergnügen von Ehenmaaß und anmuthiger Gestalt allein durch das feine Gefühl seiner Finger erhält. Die große Ordnung und Reinlichkeit in allem, Unterhaltung und Versorge ist die Arbeit seiner Lioba. Er hat zwey große Zimmer, worinn lauter Modelle von hunderterley Sachen und Erfindungen sind, die er sich kommen läßt, untersucht, vergleicht, beurtheilt, und über die Beschreibung ihres Nutzens oder ihrer Schönheit mit vielem Geiste spricht. Von Pflanzen hat er eine große Kenntniß, aber[340] Sie können nicht glauben, wie viel ich dabey litte, als ihm ein ganzer Korb voll Blumen, Gemüse Baumblätter und kleine Zweige gebracht wurden, die er aussuchte und mit unendlicher Feinheit befühlte, nannte, und auf einem großen Tisch in Linien nach der richtigsten Ordnung legte. Er besorgte die Blumentöpfe, die unter den Spiegeln stehen, und ich versichre Sie, daß er sie in einer sehr reizenden symmetrischen Vermischung aufstellt; die Blätter und Köpfe der Blumen so artig wendet, als je ein Frauenzimmer ein Bouquet an ihrem Busen, oder ihrem Kopfe, mit Grazie und Leichtigkeit anbringen könnte!

Bey diesen Statuen und Vasen war ich glücklich. Sie wissen, daß ich Winkelmanns Geschichte der Kunst mit so viel Eifer gelesen habe, und immer den Wunsch hatte, einige der großen Meisterstücke der Bildhauerey zu sehen. Ott hatte bey verschiedenen Anlässen diesen herrschenden Geschmack bey mir bemerkt. Er wußte auch, daß sein Freund Kahn vorzüglich die Annehmlichkeiten der Formen liebte. Wir waren des Rachmittags zum Evffeetrinken in dem Garten, wo in einem schönen runden Tempel die Statue der mediceischen Venus[341] steht, und in der Nähe dieses Tempels verschiedene Urnen nahe an Grasbänken ausgetheilt sind. Ott erblickte eine davon die ihn an diejenige erinnerte, auf welche Julie, auf der Hochzeit ihrer Schwester, die rührende Aufschrift gemacht, und sein Herz erobert hatte. Diese Erinnerung kam so lebhaft in sein Herz zurück, daß er mit großer Zärtlichkeit seine Julie rief, an die Urne führte, um diese einen Arm, und den andern um seine Frau schlang: »Julie! Sieh, dieser Aschentrug gleicht dem, bey welchem ich Deine schöne Seele ganz kennen lernte!« – Hier drückte er Julien an sein Herz und küßte die Thränen von ihrem Auge, welche die Freude über ihres Orten Liebe aus ihrem Herzen gebracht hatte. Wie glücklich sah sie ihn an! »Mit so viel Güte denkst Du daran, mein Ott! Weißt Du aber auch, daß Du mir, bey der nemlichen Urne, ewige Liebe versprachst?« – »Ja, mein Kind! Dir, und der Tugend! Ich werde sie mit gleicher Treue halten.« –

Kahn, seine Frau und ich, saßen auf der Rasenbank, nah dabey; sie horchten mit mir mit Rührung zu. »Mein Ott ist also auch[342] glücklich!« sagte Kahn, und küßte die Hand seiner Lioba. »Ganz gewiß,« fiel ich ein; aber ich muß Ihnen, fuhr ich fort, »den Ursprung dieser zärtlichen Unterredung erzählen!« Und, da Ott und Julie mit einander in der Allee auf mein Winken fortgingen, machte ich Herrn Kahn und seiner Frau die Beschreibung der Historie bey der Urne. Beyde wurden dabey bewegt und segneten nochmals das Bündniß ihrer Freunde. Kahn wollte gleich zu der Urne, um sie besonders zu merken. Seine Frau machte ihm Platz, er betastete mit äußerster Achtsamkeit jeden ihrer Theile; endlich stützte er sich auf sie, und einige Auganblicke hernach fielen ein paar Zähren auf sie herunter. Lioba verließ mich, mischte diese Thränen von seinen Wangen: »Kahn! mein Lieber, was ist dieses?« »Ach Lioba! der Gedanke, daß ich nichts von dem lesen kann, was dein edles Herz irgend geschrieben hätte.« – »Ach, Duweißt, daß ich seit dem Tode meiner Eltern niemand schreibe! und das Beste, so meine Seele denkt, ist, für Dich und mit Dir zu reden.« Er lächelte hier, und sagte ziemlich munter: »Ich hab eine Idee! Diese Urne soll einen eigenen Platz in[343] unsern Garten haben. Ottens, Juliens, Dein und mein Name sollen darein gegraben werden, und auch Grasbänke dazu kommen, wohin wir uns in Erinnerung ihres Besuchs und ihrer Freundschaft setzen wollen.«

Ott und Julie waren leise über den Grasboden zurückgekommen und hörten dieses, sagten auch zugleich, das freue sie sehr! aber mein Name müsse auch dazu. Nun folgte ein Gespräch über das verschiedene Verdienst des Mahlers und Bildhauers. Ott neckte mich ganz fein und widersprach mir, bis ich am Ende, mit allem Feuer und Stärke meiner Empfindung, auf seine behaupteten Reize der Täuschung des Mahlers sagte: »Freylich ist es Täuschung! denn wenn die Aehnlichkeit der Abbildung meines Freundes mich so an ihn erinnert, daß jede Gesinnung meiner Seele für ihn so lebhaft wird, daß ich aufstehe und ihn umarmen will: so treffen meine ausgestreckten Hände auf ein Stück senkrechtes glattes Leinen, glitschen davon ab, und mein ihm entgegen gewalltes Herz, anstatt sich an seinen Busen zu schwingen, verschließt sich traurig in meine Brust zurück; alle Thränen der Liebe und Freundschaft fließen[344] davon ab, zur Erde; anstatt, daß die Bildsäule meines Geliebten, ja selbst die Urne, welche seine Asche faßt, mir die Seeligkeit gewährt, meine Arme darum zu schließen, meinem Kopf an seinen Hals zu legen, mein Herz an seine Brust zu drücken, und in einer Falte des Gewands, einer Muskel seines Gesichts, oder auch auf einem Cypressenblatte des Aschenkrugs, eine aus meinem Herzen gequollene Zähre ruhn, und sich mit vereinigen zu sehen! Sagen Sie Ott, sagen Sie! giebt es nicht Tage, wo dieses Genuß der Seligkeit wäre? wogegen Sie alle Titiane und Raphaele geben würden?« – Ott lächelte nur; aber Kahn war aufgestanden, und reichte mit der Hand gegen den Platz, wo ich saß, und sagte gerührt: »Edle! eifrige Rednerinn des Gefühls der Seele, geben Sie mir ihre Hand zu küssen, ich bitte Sie!« – Ich ging zu ihm, gab ihm meine Hand und drückte sanft die seinige. Etlichemal küßte er meine Hand, bog sie gegen sein Herz, erhob einen Moment seine Augäpfel gen Himmel, wo er selbst einer seufzenden Statue glich; denn sie sind weiß überzogen. Dann setzte er sich, faßte den Arm seiner[345] Lioba, und sprach zu Ott: »Meine neue Freundinn hat mich mehr getröstet, als Du, mein sonst so treuer Ott! Denn sag', was hätt ich auf Erden was wäre das Leben für mich, wenn ich nicht meiner Lioba Arm umfassen, und an ihrer Brust mich lehnen könnte? Aller Reiz des Lichts und der Farben ist für mich hin! Meine Kinder! Ach, wenn ich diese nicht auf meinem Schooße, an mein Vaterherz drücken könnte! Dich selbst, mein Ott, es wäre mir nicht genug, nur den Laut Deiner Stimme zu hören, um Dich zu unterscheiden.« – »Also,« sagte Ott, indem er seinen Kahn mit der herzlichsten Liebe des männlichen Freundes umfaßte, »also ist der Bildhauer der Künstler für unser Herz, und der Mahler für den Verstand! Und ich habe dem Manne und dem Frauenzimmer, die ich beyde gleich hochschätze, durch meine Widersprüche das Vergnügen gegeben, sich nach ihrem Herzen kennen zu lernen.«[346]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 1, Altenburg 1797, S. 339-347.
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