Neun und funfzigster Brief

[426] Meine heutige Unterredung mit Frau van Guden war sonderbar, weil sie auf alle meine Fragen auf so abgebrochen antwortete, wie zum Beweis, auf die von der Religion: »Sie ist meinem Hetzen nicht nur um meinetwillen sondern auch des Nächsten wegen schätzbar, weil sie allen Menschen, sie mögen große oder kleine Verstandskräfte besitzen, deutliche und hinreichende Mittel und Bewegungsgründe zu guten Handlungen varbietet, Trost im Leiden verschaft, und wahre Zufriedenheit auch bey geringen Umständen lehret. Aber sie ist nicht mehr, wie sie aus den Händen ihres göttlichen Stifters kam. Süße und bittre Leidenschaften hindern und unterbrechen ihren Einfluß, wie den von der Vernunft. – Aber lassen Sie mich davon aufhören; ich bin über diesen ehrwürdigen Gegenstand nicht gern in Gespräche verwickelt.« –

Hierauf sagte ich ihr, daß ich Vorgestern in einer Gesellschaft jemand in großem Eifer[426] gegen Leute gesehen hätte, die mehr Aufmerksamkeit und Bewundrung für Werke der Kunst der Menschen zeigten, als für die Wunder der Schöpfung; und daß ich gewünscht hätte, sie mit da zu sehen, um ihre Gedanken darüber zu hören. –

»Von diesen hätte ich in einer großen Gesellschaft am wenigsten gesagt.« –

»Aber da ich allein bey Ihnen bin, würden Sie mich sehr verbinden, wenn Sie mir sie mittheilen.« –

»Ich halte diesen Tadel für Unrecht; denn der vermeinte Vorzug der Kunst liegt gewiß in dem Gefühl, daß die Werke der Natur durch Allmacht und Weisheit eines Gottes entspringen; Künste aber, durch Geschöpfe unsers gleichen, und uns also mehr in Erstaunen setzen müssen, weil wir in dem Augenblicke, da wir sie bettachten, einen so großen Unterschied des Gebrauchs und der Fähigkeiten der nemlichen Organisation bemerken.« –

Hierüber sagte ich mit einiger Bewegung: »O, was für einen Verlust hat die Gesellschaft an Ihnen erlitten! wie viel Licht, wie[427] viel Menschenliebe hätten Sie ausgebreitet! wie sehr hätte man Sie geschätzt!« –

»Das glaube ich nicht, mein Kind; denn der ganze Ton meiner Seele ist zu eigen gestimmt. In wichtigsten Anlässen würde ich immer mißfallen und mißvergnügt sehn.« –

»Sie! – mit so viel Kenntnissen, mit so viel Empfindung, würden gewiß die edelste Hochachtung und Liebe erhalten.« –

»Gute Rosalia! was Sie da sagen, beweist mir, wie verschieden unsere Begriffe von Hochachtung, Liebe und Edelmüthigkeit sind.« –

»Und wie so?« –

»Ach, alle Gefühle meines Herzens hierüber, gehören mit unter die todten Sprachen, die nur die und da ein Geschichtschreiber, oder Alterthumsforscher erlernt, um von den Sitten und Gewohnheiten erloschener Nationen zu reden.« –

»Zu welchen zählen Sie mich? Denn ich hoffe, Sie sind überzeugt, daß ich Sie von Herzen hochschätze.« –

»Ja, meine Liebe. – Aber ich bin doch auch überzeugt, daß ein großer Mißbrauch der Worte: Verehrung, Freundschaft, Liebe,[428] Menschenfreundlichkeit, gemacht wird; daß man ganz geringe Grade der Bewegungen unserer Seele so nennt, und daß dadurch in der moralischen Verfassung eben so viel Uebels hervorkam, als in der politischen entstund, da man geringem Verdienste und vielen schlechten Leuten große Titel gegeben hat. Dadurch haben ehemalige Ehrenbenennungen ihre Würde verlohren, und die Triebfedern zu großen edlen Handlüngen sind gelähmt worden.« –

»Erlauben Sie, Madame Guden, daß ich hier mit einem Gleichniß einfalle. Es sind auch in der physischen Welt mehr mittelmäßige, als außerordentliche Sachen; und da trifft also das genaue Verhältniß ein, das beyde mit einander haben.« –

»Ja, das Verhältniß ist in allem; Ablaß der Sünden und Adel wird mit Geld erkauft; – da ist auch wieder Gleichheit in den wahren Verdiensten des Adels und den wahren Tugenden der Christen.« –

Ich sah sie an; und gewiß, meine Blicke fragten sie, was das für eine Stimmung ihres Gemüths seyn möge, in der ich sie heute gefunden? – Sie faßte auch diesen Blick[429] gleich auf, indem sie lächelnd sagte: »Rosalia, Sie beweisen wirklich, was ich vor einigen Augenblicken anzeigte. Denn Sie staunen ja gar sehr über alles, was ich auf Ihre Fragen antworte.« –

»Ich staune nicht über die Antworten; aber über den abgebrochenen, starken Ton, in dem Sie reden. – Waren Ihnen meine Fragen mißfällig?« –

»Nein, meine Freundinn; aber ich kann von diesen Gegenständen nicht leicht reden, ohne daß die Hauptsaiten meines Charakters erschüttert werden. Merken Sie sich nur, daß ich die Gelegenheit dazu nicht suchte, und denken Sie, nach dem, was Sie von dem Gange meines Geschicks und meiner Erziehung wissen, daß ich auf diesem Weise nothwendiger Weise einen eignen Gesichtspunkt bekommen mußte, worinn mir die Sachen so erscheinen, wie ich sie mahle. Und dann ists auch wahr, daß meine Farben nicht so unmerklich in einander fließen, wie es bey feinen Schattirungen geht.« –

»Aber, Sie wissen doch, wie sehr mir, von dem ersten Augenblick an, Ihre Manier gefallen hat. – Ich fühlte diesen Zug[430] nach Ihnen, als ich Sie Recitativ singen hörte.« –

»Ja, es dünkt mich,« sagte sie, »daß Sie auch von der Hauptstraße abgewichen sind, und daß Ihr Fußpfad in den meinigen kreuzte.« –

»Ich hoffe noch mehr, denn ich denke, daß wir mit einander fortgehen werden, weil, allem Ansehen nach, diese Stadt mein Wohnplatz bleiben wird; und Sie werden die glücklichen Geschöpfe nicht verlassen, die Sie aus dem Elende zogen.« –

»Vielleicht entferne ich mich, um ihnen ein noch größeres Glück zu geben.« –

»In was könnte dieses bestehen?« –

»In der vollkommenen Freyheit, meine Gaben ohne meine Oberaufsicht zu genießen.« –

»Und ich, was würde mir bleiben?« –

»Mein Andenken und mein Briefwechsel, in dem Sie die so oft abändernde Launen nicht finden würden, wie in meinem Umgange.« –

»O, Madame Guden, wie ist es möglich, daß Sie mit der kalten Ruhe von dem Schmerze reden, der Ihren guten Vorstädtern und mir durch Ihre Abreise zukäme?« –[431]

»Wenn es wahres Unglück nach sich zöge, so würde ich es nicht einmal denken können. Aber gewiß, es ist Wohlthat, wenn man uns unsere Kräfte brauchen lehrt. – Für meine Leute habe ich nichts mehr zu thun; und was ich für Sie seyn kann, wird in der Ferne besser geschehen, als in Zukunft hier. Mein Gemüth ist noch zu unruhig. Ich würde bald Ihre Tage verbittern.« –

»Das ist unmöglich; denn der Antheil, den ich an Ihnen nehme, ist eine von den süßesten Empfindungen meines Lebens.« –

»Ich glaube es. Aber Sie geben mir desto traurigere Besorgnisse, über das Wohlgefallen, das Sie an dem Bilde und den Wendungen einer so stark herrschenden Leidenschaft finden. Sie haben alle Anlage, die Sie zu den nemlichen Schmerzen führen kann; und wie unerträglich wäre mir der Gedanke, Ihre Ruhe untergraben zu haben!« –

»Das kann nicht seyn; denn es liegt schon alle Gleichheit in uns, bis auf diese, daß mein mir bestimmter Freund auch abwesend, auch in der großen Welt lebt; daß ich ihn[432] zärtlich liebe, und in meiner Seele tausend Jammer über ihn habe.« –

Sie sah mich mit Wehmuth an, stund auf, umarmte mich; eine Thräne zitterte in ihrem schönen Auge. – Aber bald faßte sie sich und sagte mit Ernst: »Rosalia! ich habe noch einen Auftritt vor mir; diesen will ich durchsetzen. Sie sollen alles wissen; und ich hoffe dadurch Ihrer edlen Seele nützlich zu werden indem Sie sich alle Merkmale meines Weh's und meiner Schwäche bezeichnen können, um Ihr Wohl desto sorgfältiger zu bewachen.« –

»Aber dieser Auftritt, muß er seyn? – Wollten Sie mich nicht lieber durch Stärke und Sieg, als durch Schmerz und Verlust belehren?« –

Hier ging sie schnell, aber mit keinem unfreundlichen Wesen, in ihr Cabinet. Es machte mich unruhig. In einigen Minuten kam sie wieder und trat an ihr Clavier, wo sie ganz englisch spielte und sang; mir hernach sagte, sie danke mir, ich hätte sie belehrt und sie wolle Stärke und Sieg suchen; doch eine Reise müsse ich ihr erlauben im Frühjahr zu thun; ihr Leben und ihre Gemüthsruhe[433] hange davon ab; ich solle ihr hingegen auch meine Seele öffnen, wie ich schon oft versprochen. Das will ich auch nächstens thun; und da sie fest auf einer Reise besteht, so will ich suchen, sie öfter zu sehen. – Die Frau ist äusserst interessant, und der Herr von Pindorf ist der Mann nicht, für den sie ihn hielt, da er, anstatt gleich nach dem Tode seiner Frau nach ihr zu fragen, in Hofstädten und Opern den artigen Herrn spielt.[434]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 1, Altenburg 1797, S. 426-435.
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