Drey und sechzigster Brief

[460] Rosalia an Marianen.


Hier ist Madame Guden Antwort auf meine Anfrage wegen der zwo Freundinnen von Julie Otte; und ich bitte Sie, mir ganz zu schreiben, was Sie darüber denken. Ich fühle daß mich diese Frau so sehr eingenommen hat, daß ich alles gut, alles richtig finde, was sie sagt und vornimmt. Sie haben dieses Vorurtheil nicht, und können also den wahren Werth ihrer Ideen viel besser bestimmen, als ich. Sie wissen auch daß, so sehr ich die van Guden liebe, dennoch Ihr ruhiger und gesetzter Geist alle Obermacht über meinen Glauben und Unglauben behalten hat, und daß mir nichts wahrhaftig werth, oder verwerflich wurde, ehe Sie nicht das Gepräge der Achtung oder Geringschätzung darauf gelegt hatten. Nun lesen Sie die van Guden selbst.[460]


Frau Guden an Rosalien.


Sie wissen doch, Rosalia, daß alle Arbeiten, die man ungern vornimmt, ganz genaue Züge des Zwangs behalten, den man sich bey dem Gedanken und der Ausführung auflegen mußte? – so ging es mir würklich bey der sonderbaren Foderung, die Sie an mich thaten, mich in den Platz junger Frauenzimmer zu setzen, deren Glücksumstände geringer, als das Ehrenamt ihres Vaters sey. –

Ich glaube Ihre Absicht errathen zu haben. Diese Frauenzimmer werden von der Vorstellung des wenigen Vermögens gedrückt, und leiden in ihrem Gemüthe. Sie mochten dieses heben, und vermuthen in meiner Einbildungskraft ein Hülfsmittel zu finden; denn Sie sagten mir ausdrücklich daß Sie nichts als geistige Handreichung haben wollten. Vergessen Sie nicht mein Kind, daß alles, was der Reiche und Glückliche dem Armen und Leidenden nur als Rath und Trost sagt, sehr wenig Würkung hat; ausgenommen das Bezeigen persönlicher Achtung, weil dieses der natürlichen Eigenliebe gefällig ist – Die Königinn[461] Christine sagte ganz richtig: »Eine edle Seele adelt alles, was sie ist, und was sie thut; den Gebrauch des Reichthums und das Ertragen des Mangels.« – Wenn man bey geringen Umständen den Muth hat, sich zu sagen: Wir brauchen Nahrung und Kleider, unsern Körper zu erhalten und zu decken; die Bedürfnisse der Natur sind mit wenig Speisen und Gewand befriedigt; und da mir das Schicksal Menge und Kostbarkeiten versagt: so will ich mit dem genauen Nothwendigen vergnügt seyn, und meine Begierde nach Besitz eines Mehreren auf die Seite wenden, wo es in meiner Gewalt ist, es zu erlangen. – Tugenden des Herzens, Aufklärung des Geistes, Geschicklichkeit in Arbeiten, Liebenswürdigkeit des Gemüths, Reinigkeit und Würde meiner Sitten, Artigkeit meines Umgangs, nette und bescheidene Zierde meiner Person, – all dies ist mitten in den geringen Umständen, worinn ich mich finde, zu erlangen und auszuüben. Der Reichere uns Vornehmere als ich, mag sich aller Gattung von Aufwand überlassen; Kaufmann, Künstler und Handwerker leben davon. Vorurtheile[462] haben auf das äußerliche Ansehen Werth und Unwerth gelegt. Aber ein fester unabgeänderter Gang auf dem Wege der Verdienste und Bescheidenheit, erwerben die Achtung der edelsten Seelen und ihre Freundschaft. Dies, mein Kind, wäre die Sprache meines Muths, und dieser Ton würde den Ausdruck meines Charakters und meiner Physiognomie seyn. Der Anblick des Prächtigen und Reichen würde mich nicht kränken und nicht demüthigen, Ich zeichnete mir einen eigenen Zirkel. In diesem erschiene keine Klage, keine düstre Miene. Nützliche, ehrenvolle Verwendung jedes Augenblicks meiner Tage; Fleiß auf schöne Arbeiten, die ich dann gegen Nothwendiges, ohne viel ängstliches Wählen umtauschte; alle meine Begierden auf das äußerste beschränkte, und mich in der Wahl meiner Freunde doppelt sorgfältig zeigte. Daneben aber müßte mir jedes moralische Verdienst eigen werden, das mich entweder einsam wegen des Mangels auserlesener Gesellschaft schadlos halten, oder mich in dieselbe einführen würde. –[463]

Meine Sitten, Geberden, Unterredungen und Beschäftigungen, müßten beständige Beweise meiner Erziehung und meines Standes seyn, so wie auch die Form meiner Kleidung, mein Geschmack und Bezeigen. Nur der einfache Stoff, die sanften, stillen Farben, und haushältische Aemsigkeit, dürfen den Abgang des Vermögens andeuten. –

Ich wäre gewiß, Rosalia, daß dieser Gebrauch meiner Umstände, wenn ich niemals davon abwiche, mir Achtung, Freunde und inneres wahres Vergnügen geben würde. Je artiger meine Figur, je seltener zeigte ich sie; scheute keine Gesellschaft, aber drängte mich auch in keine; niemals am Fenster, niemals in Comödien und auf großen Spatziergängen, auf keinem Ball; trüge die größte Sorgfalt für den Ruhm eines untadelhaften Lebens; wahre ruhige Gottesfurcht, kein Gepränge von Frömmigkeit, machte keine Besuche, als wo man mich ans Hochachtung wünschte, und sorgte dafür, diese Gesinnung zu vermehren; nähme von Mannspersonen gar keine Besuche an; sagte niemals von keiner Seele nichts,[464] als das Gute, das ich wüßte oder vermuthete; zeigte edle Dienstfertigkeit, aber mehr bey traurigen, als lustigen Gelegenheiten; und niemals sollte man mich einer Sylbe Erzählungen von einer Familie an die andre beschuldigen können. Ich müßte die geschicktesten Finger, das beste Herz und das angenehmste Geschwätz eigen besitzen. – Dieses zusammen wäre eine Art von Schatzgeldern, die ich zu einem Ertrag von Ehre und Glück, meinem Schicksal anvertraute. Glauben Sie, o glauben Sie, dieser Vorsatz und Ausübung würde zu einem dauerhaften Grunde des Friedens der Seele und äusserlichen Wohlergehens anwachsen. Man mag immer von ausgearteten und verdorbenen Sitten reden: der durch Thaten vortrefliche, und im Reden und Urtheilen Andre verschonende Mensch, wird gewiß redlich geliebt und verehrt werden. Allgemeine Vorurtheile und einzelne Eigenliebe, muß man nicht mit dem Stolze des mehrern Wissens und der bessern Einsicht, nicht mit dem Vorzuge, den wir uns geben, angreifen. Ach, wie viel großes Gute sah ich entstehen; sah den ausgebreiteten Nutzen, den Segen von[465] einem Volke für den Urheber bereit: wenn zu dem edlen Entwurfe auch der erhabne Entschluß des weisen Menschenfreundes gekommen wäre, einer gewissen Art Blödsinns zu schonen, von schwachen Augen nicht zu fodern, daß sie gleich ohne Zagen, ohne Widerwillen das Licht einer Fackel ertragen sollten; – wenn man mit dem Unvermögen des Verstandes erwachsener Menschen, die man zu neuen, ungewohnten Sachen lenken will, eben so herablassend, so gütig sich bezeigte, wie im Physischen mit Kindern, zu denen man sich niederbückt, ihre kleine Hand liebreich zu fassen, und sie im anfangenden Gehen zu leiten. – –

Aber, Rosalia, wo kam ich da hin? – von Ihnen zwey guten Mädchen, die allein einen duldenden, nicht einen vielwürkenden Kreis durchgehen müssen. – Doch mag Ihnen der Gedanke, die Empfindlichkeit der Eigenliebe Ihrer Nebenmenschen auf alle Weise recht klug und behutsam zu behandeln, immer nützlich seyn. –[466]

Einmal, da ich noch keinen van Guden kannte, gelang es mir, durch feine Nahrung und Wendung eines Stolzes im Elende, zwey Töchter eines angesehenen Mannes, der sie nebst drey Brüdern, ohne das mindeste Vermögen zurück ließ, zu einem edlen Entschluß zu bringen. – Sie waren schön, und voll schimmernder Talente; Musik, Tanz, Gesang, Blumenmahlen, Putzarbeiten und die französische Sprache. – Sie waren alle kostbare Kleider, köstliches Essen, Rang, Ehrenbezeigungen gewohnt; waren andern Verwandten nicht immer gut begegnet, so daß die, welche sie ehemals beneideten, nun mit höhnischem Mitleiden sie anblickten, und die Mädchen sich fürchteten, zu einer Base wohnen zu geben, die am vermögendsten, aber auch am stolzesten war. – Meiner Mutter Bruder, zu dem ich nach dem Tode meiner Eltern gekommen war, wohnte in dem untern Stocke des schönen Hauses. Ich sah also diese Familie in ihrem Flor, aber doch nicht vertraut genug, um die eigentlichen Umstände in etwas voraus zu bemerken. Der Mann starb plötzlich, die Frau war schon lange todt, und die Kinder[467] hatten mir nie sehr zärtlich geschienen; so daß ich das lange Wehklagen nach dem prächtigen Begräbniß und den Todtenämtern, (denn sie waren von der römischen Religion,) gar nicht fassen konnte. Es befand sich nun zwischen uns eine Art Gleichheit, da wir alle drey elternlos und beynah im nehmlichen Alter waren. Der älteste Sohn, der volljährig war, und meinen Oheim sehr schätzte und mich gern um seine Schwestern sah, sing an, ganz gerade von ihren traurigen, unvorhergesehenen Umständen zu reden, noch ehe solche andern ganz bekannt wurden. Das Bezeigen ihrer Verwandten erbitterte sie, und sie wußten nichts als zu weinen und zu murren. Sie wollten lieber in ein Kloster, als zu ihrer Base. – »Ach, Mademoiselle Hofen, was würden Sie thun?« – Der Gedanke von einem Kloster, den sie hatten, gab mir den von dem Orden der englischen Fräulein, die keine ewige Gelübde thun, und sich mit der Erziehung beschäftigen. Ich sagte der ältern, dies würde ich wählen, weil ich meine Talente nicht nur fortüben, und also das gewohnte Vergnügen immer genießen, sondern mir auch[468] durch dieselben in dem Orden Verehrung und Ansehen erwerben würde; weil Eltern ihre Kinder um so lieber dahin gäben, wenn sie sie unter der Aufsicht einer selbst so wohl erzogenen Person und von so vielem Verstande wüßten. Ich würde lieber meine Gefälligkeit und Geduld auf die jungen Kostgängerinnen verwenden, die unter meinem Willen stehen würden, als für übermüthige Verwandte. Es wäre ein ehrenvoller Stand. Der Dank so vieler Familien; die Achtung einer ganzen Stadt und Landes, neben der Freyheit, herauszutreten; der beybehaltene Umgang mit aller Gattung guter Menschen, vornehmen und geringen; ja selbst die schöne Kleidung, in der die Gestalt und Bildung eines jungen Frauenzimmers noch viel edler sich zeigte, als im schönsten französischen Putz etc. – sie würde nicht länger abhängig seyn, als bis man sie kennen würde. –

Dieses Gemählde gefiel. Ich mußte es auf allen Seiten darstellen. Die Aeltere entschloß sich zu dieser Wahl, und ist in der That ganz vortreflich geworden; und ihr Stolz[469] machte sie alles thun, um Beyfall und Dank zu erwerben. –

Die jüngere wollte das nicht; war aber verlegen, und hatte eben so viel Widerwillen gegen die Stadt und Bekannte, als die ältere. Meine Phantasie diente auch ihr, indem ich sagte: daß ich meinen Namen verändern und zu einer großen Dame als Kammerjungfer gehen würde, deren Gunst ich mir, durch meine Geschicklichkeit in Putzsachen, durch meine Aufmerksamkeit, meinen Verstand und sehr eingezogenes Leben dabey, sobald erwerben würde, daß ihr niemand lieber seyn sollte, als ich. Dann suchte ich allen im Hause Gutes zu thun, das Eine zu entschuldigen, das Andre zu warnen, dem Dritten eine Belohnung zu erhalten. Meine Stimme, meine Mandor, hielt ich lange verborgen; spielte und sänge nur, wenn fast Niemand zu Hause wäre. Jeder Schritt, den ich thäte, müßte durch Klugheit, Tugend und Güte bezeichnet seyn; machte mich aber mit Niemand, als mit meiner Dame vertraut, für deren Ruhe, Anmuth und Nutzen ich aufs[470] äußerste bedacht wäre; so daß ich ein wichtiger Theil ihrer täglichen Glückseligkeit würde, und im ganzen Hause als Wohlthäterinn verehrt wäre. – Bey dem sanftesten Gemüth, die sorgfältigste Hochachtung für mich selbst; und ehender die Bemühung, meine Reize zu verbergen, als zu zeigen. – Gern ging 'ich, wo Kinder wären, denen ich Blumen mahlte und dann es sie auch lehrte. – Wie viel Nützliches und Rühmliches könnte ich nicht da thun! – – Das Romantische des verborgnen Namens, der halb versteckten Schönheit, der Verehrung wegen ihrer Güte, und das Staunen über ihre lang heimlich gehaltene Mandor und artige Stimme, trocknete auch dieser ihre Thränen. – Mein Oheim und ihr älterer Bruder besorgten durch auswärtige Freunde beyde Plätze. Aus dem Häuschen, worinn die ganze Verlassenschaft bestund, wurde so viel gelöset, daß sie sich ihren Absichten gemäß aussteuerten und ein Paar hundert Gulden zum Nothpfennig behielten. Die Jüngere ist gar herrlich geworden, weil sie, im ersten Jahr ihres Diensts, mit ihrer Wiener Dame nach Brüssel kam. Der zweyte[471] Sohn ging in Kriegsdienste, die der Dritte auch ergreifen wollte, wenn er erwachsen wäre. Der Aelteste, der eine kleine Pfründe besitzt, nahm ihn zu sich: und so wurden diese Kinder alle, durch den kleinen sanften Bug ihrer Eigenliebe, glückliche und nützliche Menschen; besonders die Mädchen, von denen ich Ihnen noch dank- und liebevolle Briefe weisen könnte. –

Julie soll ihren Freundinnen schon jetzt von der Lebensart, die sie einst führen müssen, mit Hochachtung reden, und sie durch sanfte Stufen hinunter leiten, ihren mäßigen Unterhalt in der Ebene anzupflanzen.[472]

Quelle:
Sophie von La Roche: Rosaliens Briefe an ihre Freundin Mariane von St**. Theil 1–3, Teil 2, Altenburg 1797.
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