Vierte Szene.

[22] Herodes, Herodias treten mit Gefolge ein.


HERODES. Wo ist Salome? Wo ist die Prinzessin? Warum kam sie nicht wieder zum Bankett, wie ich ihr befohlen hatte? Ah! Da ist sie!

HERODIAS. Du sollst sie nicht ansehn. Fortwährend siehst du sie an!

HERODES. Wie der Mond heute nacht aussieht! Ist es nicht ein seltsames Bild? Es sieht aus wie ein wahnwitziges Weib, das überall nach Buhlen[22] sucht ..., wie ein betrunkenes Weib, das durch Wolken taumelt ...

HERODIAS. Nein, der Mond ist wie der Mond, das ist alles. Wir wollen hineingehn.

HERODES. Ich will hier bleiben. Manassah, leg Teppiche hierher! Zündet Fackeln an! Ich will noch Wein mit meinen Gästen trinken! Ah! Ich bin ausgeglitten. Ich bin in Blut getreten, das ist ein böses Zeichen. Warum ist hier Blut? Und dieser Tote? Wer ist dieser Tote hier? Wer ist dieser Tote? Ich will ihn nicht sehn.

ERSTER SOLDAT. Es ist unser Hauptmann, Herr.

HERODES. Ich erließ keinen Befehl, daß er getötet werde.

ERSTER SOLDAT. Er hat sich selbst getötet, Herr.

HERODES. Das scheint mir seltsam. Der junge Syrier, er war sehr schön. Ich erinnere mich, ich sah seine schmachtenden Augen, wenn er Salome ansah. – Fort mit ihm. Sie tragen den Leichnam weg. Es ist kalt hier. Es weht ein Wind. ... Weh! nicht ein Wind?[23]

HERODIAS trocken. Nein, es weht kein Wind.

HERODES. Ich sage euch, es weht ein Wind. – Und in der Luft höre ich etwas wie das Rauschen von mächtigen Flügeln. ... Hört ihr es nicht?

HERODIAS. Ich höre nichts.

HERODES. Jetzt höre ich es nicht mehr. Aber ich habe es gehört, es war das Wehn des Windes. Es ist vorüber. Horch! Hört ihr es nicht? Das Rauschen von mächt'gen Flügeln. ...

HERODIAS. Du bist krank, wir wollen hineingehn.

HERODES. Ich bin nicht krank. Aber deine Tochter ist krank zu Tode. Niemals hab' ich sie so blaß gesehn.

HERODIAS. Ich habe dir gesagt, du sollst sie nicht ansehn.

HERODES. Schenkt mir Wein ein. Es wird Wein gebracht. Salome, komm, trink Wein mit mir, einen köstlichen Wein. Cäsar selbst hat ihn mir geschickt.[24] Tauche deine kleinen roten Lippen hinein, deine kleinen roten Lippen, dann will ich den Becher leeren.

SALOME. Ich bin nicht durstig, Tetrarch.

HERODES. Hörst du, wie sie mir antwortet, diese deine Tochter?

HERODIAS. Sie hat recht. Warum starrst du sie immer an?

HERODES. Bringt reife Früchte. Es werden Früchte gebracht. Salome, komm, iß mit mir von diesen Früchten. Den Abdruck deiner kleinen, weißen Zähne in einer Frucht seh' ich so gern. Beiß nur ein wenig ab, nur ein wenig von dieser Frucht, dann will ich essen, was übrig ist.

SALOME. Ich bin nicht hungrig, Tetrarch.

HERODES zu Herodias. Du siehst, wie du diese deine Tochter erzogen hast!

HERODIAS. Meine Tochter und ich stammen aus königlichem Blut. Dein Vater war Kameltreiber, dein Vater war ein Dieb und ein Räuber obendrein.[25]

HERODES. Salome, komm, setz dich zu mir. Du sollst auf dem Thron deiner Mutter sitzen.

SALOME. Ich bin nicht müde, Tetrarch.

HERODIAS. Du siehst, wie sie dich achtet.

HERODES. Bringt mir – Was wünsche ich denn? Ich habe es vergessen. Ah! Ah! Ich erinnre mich –

DIE STIMME DES JOCHANAAN. Siehe, die Zeit ist gekommen, der Tag, von dem ich sprach, ist da.

HERODIAS. Heiß' ihn schweigen! Dieser Mensch beschimpft mich!

HERODES. Er hat nichts gegen dich gesagt. Überdies ist er ein sehr großer Prophet.

HERODIAS. Ich glaube nicht an Propheten. Aber du, du hast Angst vor ihm!

HERODES. Ich habe vor niemandem Angst.[26]

HERODIAS. Ich sage dir, du hast Angst vor ihm. Warum lieferst du ihn nicht den Juden aus, die seit Monaten nach ihm schreien?

ERSTER JUDE. Wahrhaftig, Herr, es wäre besser, ihn in unsre Hände zu geben!

HERODES. Genug davon! Ich werde ihn nicht in eure Hände geben. Er ist ein heil'ger Mann. Er ist ein Mann, der Gott geschaut hat.

ERSTER JUDE. Das kann nicht sein. Seit dem Propheten Elias hat niemand Gott gesehn. Er war der letzte, der Gott von Angesicht geschaut. In unsren Tagen zeigt sich Gott nicht. Gott verbirgt sich. Darum ist großes Übel über das land gekommen, großes Übel.

ZWEITER JUDE. In Wahrheit weiß niemand, ob Elias in der Tat Gott gesehen hat. Möglicherweise war es nur der Schatten Gottes, was er sah.

DRITTER JUDE. Gott ist zu keiner Zeit verborgen. Er zeigt sich zu allen Zeiten und an allen Orten. Gott ist im schlimmen ebenso wie im guten.[27]

VIERTER JUDE. Du solltest das nicht sagen, es ist eine sehr gefährliche Lehre aus Alexandria. Und die Griechen sind Heiden.

FÜNFTER JUDE. Niemand kann sagen, wie Gott wirkt. Seine Wege sind sehr dunkel. Wir können nur unser Haupt unter seinen Willen beugen, denn Gott ist sehr stark.

ERSTER JUDE. Du sagst die Wahrheit. Fürwahr, Gott ist furchtbar. Aber was diesen Menschen angeht, der hat Gott nie gesehn. Seit dem Propheten Elias hat niemand Gott gesehn. Er war der letzte, der Gott von Angesicht zu Angesicht geschaut. In unsren Tagen zeigt sich Gott nicht. Gott verbirgt sich. Darum ist großes Übel über das Land gekommen. Er war der letzte usw.

ZWEITER JUDE. In Wahrheit weiß niemand, ob Elias in der Tat Gott gesehen hat. Möglicherweise war es nur der Schatten Gottes, was er sah. In Wahrheit weiß niemand, ob Elias auch wirklich Gott gesehen hat. Gott ist furchtbar, er bricht den Starken in Stücke, den Starken wie den Schwachen, denn jeder gilt ihm gleich. Möglicherweise usw.

DRITTER JUDE. Gott ist zu keiner Zeit verborgen. Er zeigt sich zu allen Zeiten. Er zeigt sich an allen Orten.[28] Gott ist im schlimmen ebenso wie im guten. Gott ist zu keiner Zeit verborgen. Gott zeigt sich zu allen Zeiten und an allen Orten. Gott ist im guten ebenso wie im bösen ...

VIERTER JUDE zum dritten. Du solltest das nicht sagen, es ist eine sehr gefährliche Lehre aus Alexandria. Und die Griechen sind Heiden. Niemand kann sagen, wie Gott wirkt, denn Gott ist sehr stark. Er bricht den Starken wie den Schwachen in Stücke. Gott ist stark.

FÜNFTER JUDE. Niemand kann sagen wie Gott wirkt. Seine Wege sind sehr dunkel. Es kann sein, daß die Dinge, die wir gut nennen, sehr schlimm sind, und die Dinge, die wir schlimm nennen, sehr gut sind. Wir wissen von nichts etwas ...

HERODIAS zu Herodes, heftig. Heiß' sie schweigen, sie langweilen mich.

HERODES. Doch hab' ich davon sprechen hören, Jochanaan sei in Wahrheit euer Prophet Elias.

ERSTER JUDE. Das kann nicht sein. Seit den Tagen des Propheten Elias sind mehr als dreihundert Jahre vergangen.[29]

ERSTER NAZARENER. Mir ist sicher, daß er der Prophet Elias ist.

ERSTER JUDE. Das kann nicht sein. Seit den Tagen des Propheten Elias sind mehr als dreihundert Jahre vergangen ...

ZWEITER, DRITTER, VIERTER UND FÜNFTER JUDE. Keineswegs, er ist nicht der Prophet Elias.

HERODIAS. Heiß' sie schweigen!

DIE STIMME DES JOCHANAAN. Siehe, der Tag ist nahe, der Tag des Herrn, und ich höre auf den Bergen die Schritte Dessen, der sein wird der Erlöser der Welt.

HERODES. Was soll das heißen, der Erlöser der Welt?

ERSTER NAZARENER emphatisch. Der Messias ist gekommen.

ERSTER JUDE schreiend. Der Messias ist nicht gekommen.[30]

ERSTER NAZARENER. Er ist gekommen, und allenthalben tut er Wunder. Bei einer Hochzeit in Galiläa hat er Wasser in Wein verwandelt. Er heilte zwei Aussätzige von Capernaum.

ZWEITER NAZARENER. Durch bloßes Berühren!

ERSTER NAZARENER. Er hat auch Blinde geheilt. Man hat ihn auf einem Berge im Gespräch mit Engeln gesehn!

HERODIAS. Oho! Ich glaube nicht an Wunder, ich habe ihrer zu viele gesehn!

ERSTER NAZARENER. Die Tochter des Jairus hat er von den Toten erweckt.

HERODES erschreckt. Wie, er erweckt die Toten?

ERSTER UND ZWEITER NAZARENER. Jawohl. Er erweckt die Toten.

HERODES. Ich verbiete ihm, das zu tun. Es wäre schrecklich, wenn die Toten wiederkämen! Wo ist der Mann zurzeit?[31]

ERSTER NAZARENER. Herr, er ist überall, aber es ist schwer, ihn zu finden.

HERODES. Der Mann muß gefunden werden.

ZWEITER NAZARENER. Es heißt, in Samaria weile er jetzt.

ERSTER NAZARENER. Vor ein paar Tagen verließ er Samaria, ich glaube, im Augenblick ist er in der Nähe von Jerusalem.

HERODES. So hört: Ich verbiete ihm, die Toten zu erwecken! Es müßte schrecklich sein, wenn die Toten wiederkämen!

DIE STIMME DES JOCHANAAN. O über dieses geile Weib, die Tochter Babylons. So spricht der Herr, unser Gott: Eine Menge Menschen wird sich gegen sie sammeln, und sie werden Steine nehmen und sie steinigen!

HERODIAS wütend. Befiehl ihm, er soll schweigen! Wahrhaftig, es ist schändlich!

DIE STIMME DES JOCHANAAN. Die Kriegshauptleute werden sie mit ihren Schwertern durchbohren, sie werden sie mit ihren Schilden zermalmen![32]

HERODIAS. Er soll schweigen!

DIE STIMME DES JOCHANAAN. Es ist so, daß ich alle Verruchtheit austilgen werde, daß ich alle Weiber lehren werde, nicht auf den Wegen ihrer Greuel zu wandeln!

HERODIAS. Du hörst, was er gegen mich sagt, du duldest es, daß er die schmähe, die dein Weib ist.

HERODES. Er hat deinen Namen nicht genannt.

DIE STIMME DES JOCHANAAN sehr feierlich. Es kommt ein Tag, da wird die Sonne finster werden wie ein schwarzes Tuch. Und der Mond wird werden wie Blut, und die Sterne des Himmels werden zur Erde fallen wie unreife Feigen vom Feigenbaum. Es kommt ein Tag, wo die Kön'ge der Erde erzittern.

HERODIAS. Ha ha! Dieser Prophet schwatzt wie ein Betrunkener ... Aber ich kann den Klang seiner Stimme nicht ertragen, ich hasse seine Stimme. Befiehl ihm, er soll schweigen.

HERODES. Tanz für wich, Salome.[33]

HERODIAS heftig. Ich will nicht haben, daß sie tanzt.

SALOME ruhig. Ich habe keine Lust, zu tanzen, Tetrarch.

HERODES. Salome, Tochter der Herodias, tanz für mich!

SALOME. Ich will nicht tanzen, Tetrarch.

HERODIAS. Du siehst, wie sie dir gehorcht.

DIE STIMME DES JOCHANAAN. Er wird auf seinem Throne sitzen, er wird gekleidet sein in Scharlach und Purpur. Und der Engel des Herrn wird ihn darniederschlagen. Er wird von den Würmern gefressen werden.

HERODES. Salome, Salome, tanz für mich, ich bitte dich. Ich bin traurig heute nacht, drum tanz für mich. Salome, tanz für mich! Wenn du für mich tanzest, kannst du von mir begehren, was du willst. Ich werde es dir geben.

SALOME aufstehend. Willst du mir wirklich alles geben, was ich von dir begehre, Tetrarch?[34]

HERODIAS. Tanze nicht, meine Tochter!

HERODES. Alles, was du von mir begehren wirst, und wär's die Hälfte meines Königreichs.

SALOME. Du schwörst es, Tetrarch?

HERODES. Ich schwör' es, Salome.

SALOME. Wobei willst du das beschwören, Tetrarch?

HERODES. Bei meinem Leben, bei meiner Krone, bei meinen Göttern. O Salome, Salome, tanz für mich!

HERODIAS. Tanze nicht, meine Tochter!

SALOME. Du hast einen Eid geschworen, Tetrarch.

HERODES. Ich habe einen Eid geschworen!

HERODIAS. Meine Tochter, tanze nicht!

HERODES. Und wär's die Hälfte meines Königreichs. Du wirst schön sein als Königin, unermeßlich schön. [35] Erschauernd. Ah! – es ist kalt hier. Es weht ein eis'ger Wind und ich höre ... Warum höre ich in der Luft dieses Rauschen von Flügeln? Ah! Es ist doch so, als ob ein ungeheurer, schwarzer Vogel über der Terrasse schwebte? Warum kann ich ihn nicht sehn, diesen Vogel? Dieses Rauschen ist schrecklich. Es ist ein schneidender Wind. Aber nein, er ist nicht kalt, er ist heiß. Gießt mir Wasser über die Hände, gebt mir Schnee zu essen, macht mir den Mantel los. Schnell, schnell, macht mir den Mantel los! Doch nein! Laßt ihn! Dieser Kranz drückt mich. Diese Rosen sind wie Feuer. Er reißt sich das Kranzgewinde ab und wirft es auf den Tisch. Ah! Jetzt kann ich atmen. Jetzt bin ich glücklich. Matt. Willst du für mich tanzen, Salome?

HERODIAS. Ich will nicht haben, daß sie tanze!

SALOME. Ich will für dich tanzen.

Sklavinnen bringen Salben und die sieben Schleier und nehmen Salome die Sandalen ab.


DIE STIMME DES JOCHANAAN. Wer ist Der, der von Edom kommt, wer ist Der, der von Bosra kommt, dessen Kleid mit Purpur gefärbt ist, der in der Schönheit seiner Gewänder leuchtet, der mächtig in seiner Größe wandelt, warum ist dein Kleid mit Scharlach gesteckt?[36]

HERODIAS. Wir wollen hineingehe. Die Stimme dieses Menschen macht mich wahnsinnig. Immer heftiger. Ich will nicht haben, daß meine Tochter tanzt, während er immer dazwischenschreit. Ich will nicht haben, daß sie tanzt, während du sie auf solche Art ansiehst. Mit einem Wort: ich will nicht haben, daß sie tanzt.

HERODES. Steh nicht auf, mein Weib, meine Königin. Es wird dir nichts helfen, ich gehe nicht hinein, bevor sie getanzt hat. Tanze, Salome, tanz für mich!

HERODIAS. Tanze nicht, meine Tochter!

SALOME. Ich bin bereit, Tetrarch.

Salomes Tanz.

Die Musikanten beginnen einen wilden Tanz. Salome, zuerst noch bewegungslos, richtet sich hoch auf und gibt den Musikanten ein Zeichen, worauf der wilde Rhythmus sofort abgedämpft wird und in eine sauft wiegende Weise überleitet. Salome tanzt sodann den »Tanz der sieben Schleier«.

Sie scheint einen Augenblick zu ermatten, jetzt rafft sie sich wie neubeschwingt auf. Sie verweilt einen Augenblick in visionärer Haltung an der Cisterne, in der Jochanaan gefangen gehalten wird; dann stürzt sie vor und zu Herodes' Füßen.


HERODES. Ah! Herrlich! Wundervoll, wundervoll! Zu Herodias. Siehst du, sie hat für mich getanzt, deine[37] Tochter. Komm her, Salome, komm her, du sollst deinen Lohn haben. Ich will dich königlich belohnen. Ich will dir alles geben, was dein Herz begehrt. Was willst du haben? Sprich!

SALOME süß. Ich möchte, daß sie mir gleich in einer Silberschüssel ...

HERODES lachend. In einer Silberschüssel – gewiß doch – in einer Silberschüssel ... Sie ist reizend, nicht? Was ist's, das du in einer Silberschüssel haben möchtest, o süße, schöne Salome, du, die schöner ist als alle Töchter Judäas? Was sollen sie dir in einer Silberschüssel bringen? Sag es mir! Was es auch sein mag, du sollst es erhalten. Meine Reichtümer gehören dir. Was ist es, das du haben möchtest, Salome?

SALOME steht auf, lächelnd. Den Kopf des Jochanaan.

HERODES fährt auf. Nein, nein!

HERODIAS. Ah! Das sagst du gut, meine Tochter. Das Sagst du gut!

HERODES. Nein, nein, Salome; das ist es nicht, was du begehrst! Hör' nicht auf die Stimme deiner Mutter.[38] Sie gab dir immer schlechten Rat. Achte nicht auf sie.

SALOME. Ich achte nicht auf die Stimme meiner Mutter. Zu meiner eignen Lust will ich den Kopf des Jochanaan in einer Silberschüssel haben. Du hast einen Eid geschworen, Herodes. Du hast einen Eid geschworen, vergiß das nicht!

HERODES hastig. Ich weiß, ich habe einen Eid geschworen. Ich weiß es wohl. Bei meinen Göttern habe ich es geschworen. Aber ich beschwöre dich, Salome, verlange etwas andres von mir. Verlange die Hälfte meines Königreichs. Ich will sie dir geben. Aber verlange nicht von mir, was deine Lippen verlangten.

SALOME stark. Ich verlange von dir den Kopf des Jochanaan!

HERODES. Nein, nein, ich will ihn dir nicht geben.

SALOME. Du hast einen Eid geschworen, Herodes.

HERODIAS. Ja, du hast einen Eid geschworen. Alle haben es gehört.

HERODES. Still, Weib, zu dir spreche ich nicht.[39]

HERODIAS. Meine Tochter hat recht daran getan, den Kopf des Jochanaan zu verlangen. Er hat mich mit Schimpf und Schande bedeckt. Man kann sehn, daß sie ihre Mutter liebt. Gib nicht nach, meine Tochter, gib nicht nach! Er hat einen Eid geschworen.

HERODES. Still, sprich nicht zu mir! Salome, ich beschwöre dich: Sei nicht trotzig! Sieh, ich habe dich immer lieb gehabt. Kann sein, ich habe dich zu lieb gehabt. Darum verlange das nicht von mir. Der Kopf eines Mannes, der vom Rumpf getrennt ist, ist ein übler Anblick. Hör', was ich sage! Ich habe einen Smaragd. Er ist der schönste Smaragd der ganzen Welt. Den willst du haben, nicht wahr? Verlang' ihn von mir, ich will ihn dir geben, den schönsten Smaragd.

SALOME. Ich fordre den Kopf des Jochanaan!

HERODES. Du hörst nicht zu, du hörst nicht zu. Laß mich zu dir reden, Salome!

SALOME. Den Kopf des Jochanaan.

HERODES. Das sagst du nur, um mich zu quälen, weil ich dich so angeschaut habe. Deine Schönheit hat[40] mich verwirrt. Oh! Oh! Bringt Wein! Mich dürstet! Salome, Salome, laß uns wie Freunde zu einander sein! Bedenk' dich! Ah! Was wollt ich sagen? Was war's? ... Ah! Ich weiß es wieder! ... Salome, du kennst meine weißen Pfauen, meine schönen weißen Pfauen, die im Garten zwischen den Myrten wandeln. ... Ich will sie dir alle, alle geben. In der ganzen Welt lebt kein König, der solche Pfauen hat. Ich habe bloß hundert. Aber alle will ich dir geben. Er leert seinen Becher.

SALOME. Gib mir den Kopf des Jochanaan!

HERODIAS. Gut gesagt, meine Tochter! Zu Herodes. Und du, du bist lächerlich mit deinen Pfauen.

HERODES. Still, Weib! Du kreischest wie ein Raubvogel. Deine Stimme peinigt mich. Still sag' ich dir! Salome, bedenk, was du tun willst. Es kann sein, daß der Mann von Gott gesandt ist. Er ist ein heil'ger Mann. Der Finger Gottes hat ihn berührt. Du möchtest nicht, daß mich ein Unheil trifft, Salome? Hör' jetzt auf mich!

SALOME. Ich will den Kopf des Jochanaan![41]

HERODES auffahrend. Ach! Du willst nicht auf mich hören. Sei ruhig, Salome. Ich, siehst du, bin ruhig. Höre: Leise und heimlich. Ich habe an diesem Ort Juwelen versteckt, Juwelen, die selbst deine Mutter nie gesehen hat. Ich habe ein Halsband mit vier Reihen Perlen, Topase, gelb wie die Augen der Tiger. Topase, hellrot wie die Augen der Waldtaube, und grüne Topase, wie Katzenaugen. Ich habe Opale, die immer funkeln, mit einem Feuer, kalt wie Eis. Ich will sie dir alle geben, alle! Immer aufgeregter. Ich habe Chrysolithe und Berylle, Chrysoprase und Rubine. Ich habe Sardonyx- und Hyazinthsteine und Steine von Chalcedon. – Ich will sie dir alle geben, alle und noch andere Dinge. Ich habe einen Kristall, in den zu schaun keinem Weibe vergönnt ist. In einem Perlmutterkästchen habe ich drei wunderbare Türkise: Wer sie an seiner Stirne trägt, kann Dinge sehn, die nicht wirklich sind. Es sind unbezahlbare Schätze. Was begehrst du sonst noch, Salome? Alles, was du verlangst, will ich dir geben – nur eines nicht: Nur nicht das Leben dieses einen Mannes. Ich will dir den Mantel des Hohenpriesters geben. Ich will dir den Vorhang des Allerheiligsten geben ...

DIE JUDEN. Oh, oh, oh![42]

SALOME wild. Gib mir den Kopf des Jochanaan!

Herodes sinkt verzweifelt auf seinen Sitz zurück.


HERODES matt. Man soll ihr geben, was sie verlangt! Sie ist in Wahrheit ihrer Mutter Kind!

Herodias zieht dem Tetrarchen den Todesring vom Finger und gibt ihn dem ersten Soldaten, der ihn auf der Stelle dem Henker überbringt.


HERODES. Wer hat meinen Ring genommen? Der Henker geht in die Cisterne hinab. Ich hatte einen Ring an meiner rechten Hand. Wer hat meinen Wein getrunken? Es war Wein in meinem Becher. Er war mit Wein gefüllt. Es hat ihn jemand ausgetrunken. Leise. Gewiß wird Unheil über einen kommen.

HERODIAS. Meine Tochter hat recht getan!

HERODES. Ich bin sicher, es wird ein Unheil geschehn.

SALOME an der Cisterne lauschend. Es ist kein Laut zu vernehmen. Ich höre nichts. Warum schreit er nicht, der Mann? Ah![43] Wenn einer mich zu töten käme, ich würde schreien, ich würde mich wehren, ich würde es nicht dulden! ... Schlag zu, schlag zu, Naaman, schlag zu, sag ich dir ... Nein, ich höre nichts. Gedehnt. Es ist eine schreckliche Stille! Ah! Es ist etwas zu Boden gefallen. Ich hörte etwas fallen. Es war das Schwert des Henkers. Er hat Angst, dieser Sklave. Er hat das Schwert fallen lassen! Er traut sich nicht, ihn zu töten. Er ist eine Memme, dieser Sklave. Schickt Soldaten hin! Zum Pagen. Komm hierher, du warst der Freund dieses Toten, nicht? Wohlan, ich sage dir: Es sind noch nicht genug Tote. Geh zu den Soldaten und befiehl ihnen, hinabzusteigen und mir zu holen, was ich verlange, was der Tetrarch mir versprochen hat, was mein ist! Der Page weicht zurück, sie wendet sich den Soldaten zu. Hierher, ihr Soldaten, geht ihr in die Cisterne hinunter und holt mir den Kopf des Mannes! Schreiend. Tetrarch, Tetrarch, befiehl deinen Soldaten, daß sie mir den Kopf des Jochanaan holen!

Ein riesengroßer schwarzer Arm, der Arm des Henkers, streckt sich aus der Cisterne heraus, auf einem silbernen Schild den Kopf des Jochanaan haltend. Salome ergreift ihn. Herodes verhüllt sein Gesicht mit dem Mantel. Herodias fächelt sich zu und lächelt. Die Nazarener sinken in die Knie und beginnen zu beten.


SALOME. Ah! Du wolltest mich nicht deinen Mund küssen lassen, Jochanaan! Wohl, ich werde ihn[44] jetzt küssen! Ich will mit meinen Zähnen hineinbeißen, wie man in eine reife Frucht beißen mag. Ja, ich will ihn jetzt küssen, deinen Mund, Jochanaan. Ich hab' es gesagt. Hab' ich's nicht gesagt? Ja, ich hab' es gesagt. Ah! Ah! Ich will ihn jetzt küssen ... Aber warum siehst du mich nicht an, Jochanaan? Deine Augen, die so schrecklich waren, so voller Wut und Verachtung, sind jetzt geschlossen. Warum sind sie geschlossen? Öffne doch die Augen, erhebe deine Lider, Jochanaan! Warum siehst du mich nicht an? Hast du Angst vor mir, Jochanaan, daß du mich nicht ansehen willst? Und deine Zunge, sie spricht kein Wort, Jochanaan, diese Scharlachnatter, die ihren Geifer gegen mich spie. Es ist seltsam, nicht? Wie kommt es, daß diese rote Natter sich nicht mehr rührt? Du sprachst böse Worte gegen mich, gegen mich, Salome, die Tochter der Herodias, Prinzessin von Judäa. Nun wohl! Ich lebe noch, aber du bist tot, und dein Kopf, dein Kopf gehört mir! Ich kann mit ihm tun, was ich will. Ich kann ihn den Hunden vorwerfen und den Vögeln der Luft. Was die Hunde übrig lassen, sollen die Vögel der Luft verzehren ... Ah! Ah! Jochanaan, Jochanaan, du warst schön. Dein Leib war eine Elfenbeinsäule auf silbernen Füßen. Er war ein Garten voller Tauben in der Silberlilien Glanz. Nichts in der Welt war so weiß wie dein Leib. Nichts in der Welt war so schwarz wie dein Haar. In der ganzen Welt war nichts so rot wie dein Mund.[45] Deine Stimme war ein Weihrauchgefäß, und wenn ich dich ansah, hörte ich geheimnisvolle Musik ... In den Anblick von Jochanaans Haupt versunken. Ah! Warum hast du mich nicht angesehen, Jochanaan? Du legtest über deine Augen die Binde eines, der seinen Gott schauen wollte. Wohl! Du hast deinen Gott gesehn, Jochanaan, aber mich, mich hast du nie gesehn. Hättest du mich gesehn, du hättest mich geliebt! Ich dürste nach deiner Schönheit. Ich hungre nach deinem Leib. Nicht Wein noch Äpfel können mein Verlangen stillen ... Was soll ich jetzt tun, Jochanaan? Nicht die Fluten, noch die großen Wasser können dieses brünstige Begehren löschen ... Oh! Warum sahst du mich nicht an? Hättest du mich angesehn, du hättest mich geliebt. Ich weiß es wohl, du hättest mich geliebt. Und das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes ...

HERODES leise zu Herodias. Sie ist ein Ungeheuer, deine Tochter. Ich sage dir, sie ist ein Ungeheuer!

HERODIAS stark. Sie hat recht getan. Ich möchte jetzt hier bleiben.

HERODES steht auf. Ah! Da spricht meines Bruders Weib! Schwächer. Komm, ich will nicht an diesem Orte bleiben. [46] Heftig. Komm, sag' ich dir! Sicher, es wird Schreckliches geschehn. Wir wollen uns im Palast verbergen, Herodias, ich fange an zu erzittern ...

Der Mond verschwindet. Auffahrend.


Manassah, Issachar, Ozias, löscht die Fackeln aus. Verbergt den Mond, verbergt die Sterne! Es wird Schreckliches geschehn.

Die Sklaven löschen die Fackeln aus. Die Sterne verschwinden. Eine große Wolke zieht über den Mond und verhüllt ihn völlig. Die Bühne wird ganz dunkel. Der Tetrarch beginnt die Treppe hinaufzusteigen.


SALOME matt. Ah! Ich habe deinen Mund geküßt, Jochanaan. Ah! Ich habe ihn geküßt deinen Mund, es war ein bitterer Geschmack auf deinen Lippen. Hat es nach Blut geschmeckt? Nein! Doch es schmeckte vielleicht nach Liebe ... Sie sagen, daß die Liebe bitter schmecke ... Allein, was tut's? Was tut's? Ich habe deinen Mund geküßt, Jochanaan. Ich habe ihn geküßt, deinen Mund.

Der Mond bricht wieder hervor und beleuctet Salome.


HERODES sich umwendend. Man töte dieses Weib!

Die Soldaten stürzen sich auf Salome und begraben sie unter ihren Schilden.

Der Vorhang fällt schnell.

[47] Ende.
[48]

Quelle:
Richard Strauss: Salome. dt. v. Hedwig Lachmann, Berlin 1905, S. 22-49.
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