Dritte Szene.

[14] Salome, in seinen Anblick versunken, weicht langsam vor ihm zurück.


JOCHANAAN stark. Wo ist er, dessen Sündenbecher jetzt voll ist? Wo ist er, der eines Tages im Angesicht alles Volkes in einem Silbermantel sterben wird? Heißt ihn herkommen, auf daß er die Stimme Dessen höre, der in den Wüsten und in den Häusern der Könige gekündet hat.

SALOME. Von wem spricht er?[14]

NARRABOTH. Niemand kann es sagen, Prinzessin.

JOCHANAAN. Wo ist sie, die sich hingab der Lust ihrer Augen, die gestanden hat vor buntgemalten Männerbildern und Gesandte ins Land der Chaldäer schickte?

SALOME tonlos. Er spricht von meiner Mutter.

NARRABOTH heftig. Nein, nein Prinzessin.

SALOME matt. Ja, er spricht von meiner Mutter.

JOCHANAAN. Wo ist sie, die den Hauptleuten Assyriens sich gab? Wo ist sie, die sich den jungen Männern der Ägypter gegeben hat, die in feinem Leinen und Hyazinthgesteinen prangen, deren Schilde von Gold sind und die Leiber wie von Riesen? Geht, heißt sie aufstehn von dem Bett ihrer Greuel, vom Bett ihrer Blutschande; auf daß sie die Worte Dessen vernehme, der dem Herrn die Wege bereitet, und ihre Missetaten bereue. Und wenn sie gleich nicht bereut, heißt sie herkommen, denn die Geißel des Herrn ist in seiner Hand.[15]

SALOME. Er ist schrecklich. Er ist wirklich schrecklich.

NARRABOTH. Bleibt nicht hier, Prinzessin, ich bitte Euch!

SALOME. Seine Augen sind von allem das Schrecklichste. Sie sind wie die schwarzen Höhlen, wo die Drachen hausen! Sie sind wie schwarze Seen, aus denen irres Mondlicht flackert. Glaubt ihr, daß er noch einmal sprechen wird?

NARRABOTH immer aufgeregter. Bleibt nicht hier, Prinzessin. Ich bitte Euch, bleibt nicht hier.

SALOME. Wie abgezehrt er ist! Er ist wie ein Bildnis aus Elfenbein. Gewiß ist er keusch wie der Mond. Sein Fleisch muß sehr kühl sein, kühl wie Elfenbein. Ich möchte ihn näher besehn.

NARRABOTH. Nein, nein, Prinzessin.

SALOME. Ich muß ihn näher besehn.

NARRABOTH. Prinzessin! Prinzessin ...[16]

JOCHANAAN. Wer ist dies Weib, das mich ansieht? Ich will ihre Augen nicht auf mir haben. Warum sieht sie mich so an mit ihren Goldaugen unter den gleißenden Lidern? Ich weiß nicht, wer sie ist. Ich will nicht wissen, wer sie ist. Heißt sie gehn! Zu ihr will ich nicht sprechen.

SALOME. Ich bin Salome, die Tochter der Herodias. Prinzessin von Judäa.

JOCHANAAN. Zurück, Tochter Babylons! Komm dem Erwählten des Herrn nicht nahe! Deine Mutter hat die Erde erfüllt mit dem Wein ihrer Lüste, und das Unmaß ihrer Sünden schreit zu Gott.

SALOME. Sprich mehr, Jochanaan, deine Stimme ist wie Musik in meinen Ohren.

NARRABOTH. Prinzessin! Prinzessin! Prinzessin!

SALOME. Sprich mehr! Sprich mehr, Jochanaan, und sag' mir, was ich tun soll?[17]

JOCHANAAN. Tochter Sodoms, komm mir nicht nahe! Vielmehr bedecke dein Gesicht mit einem Schleier, streue Asche auf deinen Kopf, mach dich auf in die Wüste und suche des Menschen Sohn.

SALOME. Wer ist das, des Menschen Sohn? Ist er so schön wie du, Jochanaan?

JOCHANAAN. Weiche von mir! Ich höre die Flügel des Todesengels im Palaste rauschen ...

SALOME. Jochanaan!

NARRABOTH. Prinzessin, ich flehe, geh hinein!

SALOME. Jochanaan! Ich bin verliebt in deinen Leib, Jochanaan! Dein Leib ist weiß wie die Lilien auf einem Felde, von der Sichel nie berührt. Dein Leib ist weiß wie der Schnee auf den Bergen Judäas. Die Rosen im Garten von Arabiens Königin sind nicht so weiß wie dein Leib, nicht die Rosen im Garten der Königin, nicht die Füße der Dämmerung auf den Blättern, nicht die Brüste des Mondes auf dem Meere, nichts in der Welt ist so weiß wie dein Leib. Laß mich ihn berühren, deinen Leib![18]

JOCHANAAN. Zurück, Tochter Babylons! Durch das Weib kam das Übel in die Welt. Sprich nicht zu mir. Ich will dich nicht anhör'n! Ich höre nur auf die Stimme des Herrn, meines Gottes.

SALOME. Dein Leib ist grauenvoll. Er ist wie der Leib eines Aussätzigen. Er ist wie eine getünchte Wand, wo Nattern gekrochen sind; wie eine getünchte Wand, wo die Skorpione ihr Nest gebaut. Er ist wie ein übertünchtes Grab voll widerlicher Dinge. Er ist gräßlich, dein Leib ist gräßlich. In dein Haar bin ich verliebt, Jochanaan. Dein Haar ist wie Weintrauben, wie Büschel schwarzer Trauben, an den Weinstöcken Edoms. Dein Haar ist wie die Cedern, die großen Cedern vom Libanon, die den Löwen und Räubern Schatten spenden. Die langen schwarzen Nächte, wenn der Mond sich verbirgt, wenn die Sterne bangen, sind nicht so schwarz wie dein Haar. Des Waldes Schweigen. ... Nichts in der Welt ist so schwarz wie dein Haar. Laß mich es berühren, dein Haar!

JOCHANAAN. Zurück, Tochter Sodoms! Berühre mich nicht! Entweihe nicht den Tempel des Herrn, meines Gottes![19]

SALOME. Dein Haar ist gräßlich! Es starrt von Staub und Unrat. Es ist wie eine Dornenkrone auf deinen Kopf gesetzt. Es ist wie ein Schlangenknoten gewickelt um deinen Hals. Ich liebe dein Haar nicht. Mit höchster Leidenschaft. Deinen Mund begehre ich, Jochanaan. Dein Mund ist wie ein Scharlachband an einem Turm von Elfenbein. Er ist wie ein Granatapfel, von einem Silbermesser zerteilt. Die Granatapfelblüten in den Gärten von Tyrus, glüh'nder als Rosen, sind nicht so rot. Die roten Fanfaren der Trompeten, die das Nah'n von Kön'gen künden und vor denen der Feind erzittert, sind nicht so rot, wie dein roter Mund. Dein Mund ist röter als die Füße der Männer, die den Wein stampfen in der Kelter. Er ist röter als die Füße der Tauben, die in den Tempeln wohnen. Dein Mund ist wie ein Korallenzweig in der Dämm'rung des Meer's, wie der Purpur in den Gruben von Moab, der Purpur der Könige. Außer sich. Nichts in der Welt ist so rot wie dein Mund. Laß mich ihn küssen, deinen Mund.

JOCHANAAN leise, in tonlosem Schauder. Niemals, Tochter Babylons, Tochter Sodoms ... Niemals!

SALOME. Ich will deinen Mund küssen, Jochanaan. Ich will deinen Mund küssen. ...[20]

NARRABOTH in höchster Angst und Verzweiflung. Prinzessin, Prinzessin, die wie ein Garten von Myrrhen ist, die die Taube aller Tauben ist, sieh diesen Mann nicht an. Sprich nicht solche Worte zu ihm. Ich kann es nicht ertragen. ...

SALOME. Ich will deinen Mund küssen, Jochanaan. Ich will deinen Mund küssen.

Narraboth ersticht sich und fällt tot zwischen Salome und Jochanaan.


SALOME. Laß mich deinen Mund küssen, Jochanaan!

JOCHANAAN. Wird dir nicht bange, Tochter der Herodias?

SALOME. Laß mich deinen Mund küssen, Jochanaan!

JOCHANAAN. Tochter der Unzucht, es lebt nur Einer, der dich retten kann. Geh', such' ihn. Mit größter Wärme. Such' ihn. Er ist in einem Nachen auf dem See von Galiläa und redet zu seinen Jüngern. Sehr feierlich. Knie nieder am Ufer des Sees, ruf ihn an und rufe ihn beim Namen. Wenn er zu dir kommt, und er kommt zu allen, die ihn rufen, dann bücke dich zu seinen Füßen, daß er dir deine Sünden vergebe.[21]

SALOME wie verzweifelt. Laß mich deinen Mund küssen, Jochanaan!

JOCHANAAN. Sei verflucht, Tochter der blutschänderischen Mutter, sei verflucht!

SALOME. Laß mich deinen Mund küssen, Jochanaan!

JOCHANAAN. Ich will dich nicht ansehn. Du bist verflucht, Salome. Du bist verflucht. Er geht wieder in die Cisterne hinab.


Quelle:
Richard Strauss: Salome. dt. v. Hedwig Lachmann, Berlin 1905, S. 14-22.
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Salome
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