Zweite Szene.


[187] Laura. Die Vorigen.


LAURA kommt aus der Ecktür links, das »Magazin« lesend.

Träume werden um mich her zu Wesen,

Kann ich nur in deinen Augen lesen:

Laura, Laura mein!


Dabei ist sie bis in die Mitte zwischen beide gekommen.[187]


GRÄFIN. Das englische Pflaster ist nicht mehr nötig.

GENERALIN. So scheint's.

LAURA stehenbleibend. Ah, bonjour!

GENERALIN. Was liesest du denn da so andächtig?

LAURA stehenbleibend. Schnurriges Zeug, Mama, »Die Entzückung an Laura« heißt es.

GRÄFIN. Und das interessiert dich, weil die angedichtete Person ebenfalls Laura heißt.

LAURA. Nein, liebe Tante, ich versteh' nicht viel davon, und es würde mich vielleicht gar nicht interessieren, wenn ich nicht selbst die Laura sein sollte, über welche man in Entzückung geraten ist.

GENERALIN. Da ist nichts mehr zu radieren!

GRÄFIN. Wer hat dir denn das gesagt?

LAURA. Ei, der Verfasser selbst, der mir das Blatt gegeben!

GRÄFIN. Was, der Schiller erlaubt sich solche Vertraulichkeiten mit dir?

LAURA. Der Schiller! I Gott bewahre! Das ist ja der ernsthafteste Peter von der Welt, der mir nimmermehr ein Blatt Papier in die Hand drücken würde. Hast du acht gegeben, Tante, wie der den Clavigo spielt?

GRÄFIN. Nein.

LAURA. Ach, das ist kurios. Onkel Durchlaucht wird entweder sehr darüber lachen oder sehr böse werden. Ich sage dir, Tante, dieser Clavigo läuft herum und macht einen Spektakel, als ob er sich immerfort den Hals abschneiden wollte.

GRÄFIN. Laß das jetzt. Wer hat dir also das Blatt gegeben, wenn nicht der Verfasser selbst!

LAURA. Ei, allerdings der Verfasser selbst!

GENERALIN. Also Schiller?

GRÄFIN. Also doch Schiller?

LAURA. Herr Gott nein, warum soll denn gerade Schiller der Verfasser sein?! Der hat ja immer nur turmhohe und erschreckliche Dinge im Kopfe und ist ganz und gar nicht galant, dem bin ich zu unbedeutend, wie soll denn der auf ein kleines Mädchen Gedichte machen.

GRÄFIN. Du bist kein kleines Mädchen mehr.

LAURA. Nicht? Ihr die Hand küssend. Ich danke Ihnen, liebe Tante, für das Avancement, setzen Sie's nur auch bei Onkel Durchlaucht durch!

[188] GRÄFIN. Der Verfasser! Der Verfasser!

GENERALIN. Wer ist denn also der Verfasser?

LAURA gravitätisch zurücktretend. Ja, meine verehrten Herrschaften, nachdem ich avanciert worden bin, darf ich doch nicht mehr so indiskret sein wie ein kleines Mädchen und meinen Sänger verraten. Sonst singt er am Ende nicht mehr, und es ist ein ganz eignes angenehmes Gefühl, so angesungen zu werden mit großen unverständlichen Worten.

GENERALIN. Larifari! Das Mädchen hat uns zum Besten! 's kann kein Mensch in ganz Schwaben so schöne Verse machen als der Schiller, und 's steht ja auch wohl sein Name darunter.

LAURA ihr das Blatt hinhaltend. Gott bewahre!

GRÄFIN welche das Blatt vom Sofa genommen und angesehen. S steht darunter, das ist Schiller!

LAURA. Fehlgeschossen!


Man sieht, das hinten durch Diener erleuchtet die Glastür geöffnet wird und daß der Hauptmann Silberkalb erschienen ist; ein Diener bringt zwei brennende Armleuchter, setzt sie auf den Tisch und geht schweigend wieder ab.


GRÄFIN. Ich befehle dir, Laura die Sache ernsthaft zu behandeln. Wenn der Herzog von diesem öffentlichen Spektakel mit deinem Namen erfährt, dann kann es die übelsten Folgen haben für den zudringlichen Poeten – wer ist's?

LAURA. Pst! Die Generalin herzuwinkend. Verratet nur nichts an den Silberkalb da draußen, den die Karlsschüler für ihren Spion halten – das S heißt – Sich nach Silberkalb umsehend.

GENERALIN. Nun?

GRÄFIN. Rasch! Wie heißt der Poet?

LAURA. Spiegelberg!

GRÄFIN. Was?

GENERALIN. Wer ist Spiegelberg?

LAURA. Den kennt ihr nicht?

GRÄFIN. Nein.

GENERALIN. Ich hab' den Namen in meinem Leben nicht gehört.

LAURA. Da kennt ihr wohl auch den Schweizer nicht und den Roller, den Ratzmann nicht, den Schufterle nicht und die ganze Bande?

GENERALIN. Es hat wohl übergeschnappt mit dem Mädchen! Schufterle![189]

GRÄFIN. Laura! »Die Bande!« Was für Ausdrücke!

LAURA. Nein wahrhaftig, Tante! Die Leute nennen einander so, ich weiß nicht, warum.

GRÄFIN. Und der Schiller heißt Spiegelberg!

LAURA. Gott bewahre, der Schiller ist der Hauptmann und heißt Moor, Karl Moor, der Koch heißt Spiegelberg. Gräfin wirft das Blatt wieder aufs Sofa.

GENERALIN. Der Sausewind ist also dein Poet? Nun das lohnt der Mühe!

LAURA. Da hab' ich mich doch verschwätzt?

GRÄFIN. Herr Hauptmann Kammerherr von Silberkalb! Hauptmann verbeugt sich und kommt.

LAURA. Bitte, bitte, liebe Tante, nichts sagen!


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 187-190.
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