Erste Szene.


[207] Es ist finster.

Laura. Bleistift.


BLEISTIFT von links hereinstürzend. Herr Jesus, Herr Jesus, das ist mein Tod – Rennt an den Stuhl links. Au! Auch das noch!

LAURA einen militärischen Hut auf dem Kopfe, blauen Mantel über die Frauenkleidung, eine Blendlaterne in der Hand, mit der sie umherleuchtet und jetzt den Schein auf Bleistift fallen läßt. Das ist ein Sessel! Warum rennt Ihr so ungestüm ins Schwarze hinein – setzt Euch lieber darauf! Er tut's, wie in Verzweiflung. während ich das Terrain inspiziere. Der Herzog ist beim Nieß eingetreten und da dauert's immer eine gute Weile.

BLEISTIFT aufspringend. Ich halt's nicht aus, Demosell Junker, ich halt's nicht aus, solch eine Durchstecherei zu begehen, 's ist gegen meine Natur und mein Gewissen.

LAURA. Euer Gewissen!? Das Euch täglich und stündlich erlaubt, jedermann, selbst die eigne Gemahlin des Herzogs, bei Eurem Herrn zu verklatschen und anzuschwärzen –!

BLEISTIFT. Glauben Sie doch um Gottes willen nicht, daß ich das aus bösem Herzen tue.

LAURA. Sondern? – etwa aus Nächstenliebe?

BLEISTIFT. Nein, auch nicht.

LAURA. Nun?

BLEISTIFT. Aus Raison, wie der Herzog sagt, aus niederträchtiger Raison, so wahr ich das unglückseligste Schwabenkind bin.[207]

LAURA. Ihr seht danach aus!

BLEISTIFT. Ich bin's, Demosell, ich bin's, straf mich Gott! Sie sind jung und schön, und unsers Herrn Liebling, Sie wissen nichts davon und halten's nicht für möglich, daß hier inwendig Auf die Brust schlagend. alles verbrannt und verfault sein kann, und 's ist doch nicht anders, und deshalb, bloß des halb sieht alles so tückisch aus, was ich tue.

LAURA. Und ist auch tückisch.

BLEISTIFT. Warum?! Weil ich maltraitiert worden bin, wie ein Stück Vieh.

LAURA. Er?

BLEISTIFT. Ja, ich, junge Kreatur! Ich hatte eine Frau, so schön, wie Sie sind, und hatte mein Häuschen und meinen Acker, und mein alter Vater saß bei mir im Hausgeding und hatte zu essen, und meine Frau gebar mir den Buben, den Christoph, und ich lachte zum Edelmann hinauf: Wie teuer ist sein Schloß! So froh war mir zumute, und ging nach Nagold hinein, um einen Schoppen über den Durst zu trinken, da kam der, Gott verdamm' ihn! der Rieger geritten, der damals das Land regierte, und die Kriegsknechte kamen hinter ihm mit Spießen und Stangen und Stricken. Ich wußte nichts davon, daß er wie der Henker im Lande herumzog, um die Regimenter einzufangen, welche der Herzog an Frankreich verkauft hatte zum Kriege gegen den König von Preußen, und ich blieb stehn am Wege und hatte Maulaffen feil über den Aufzug und wußte nicht, was mir geschah, als der Rieger auf einmal schrie: Holla! Da ist ja der Deserteur von Tübingen! Packt ihn an! – Was, sag' ich, ich?! Aber ich kam gar nicht zur Rede, ich ward gebunden und zwischen den Pferden hopp, hopp, hopp! fortgeschleppt und eingekleidet und nach Böhmen getrommelt ins Kugelfeuer hinein, ehe ich mich recht besinnen konnte, recht wie ein verlaufner Hund. Ja doch, ein solcher Hund ist besser dran, der hat nichts zu verlieren – ich aber, oh –

LAURA. Armer Mann!

BLEISTIFT. Ja arm! Als der Siebenjährige Krieg aus war und man heimkehrte, da war's eine alte vergeßne Geschichte, daß meine Frau vom Schlage gerührt worden war bei der Nachricht – daß mein alter Vater, der nicht mehr die Kraft hatte, das Feld zu bestellen, in Hunger und Not umgekommen war – und daß mein[208] kleiner Bub betteln lief von Dorf zu Dorf – soll das einen nicht inwendig verbrennen, wie einen Kohlenmeiler, und einen tückisch machen, Jungfer Laura, nicht?

LAURA. O mein Gott!

BLEISTIFT. Sie hat recht, ich mußte Gott danken, daß mir der Bub am Leben geblieben war, ein wahres Labsal für mein Alter, der Töffel, und daß der Herzog gerade an mir seinen Narren gefressen und mich zu seinem Faktotumsergeanten gemacht, das ist wahr – aber Gott vergeb' mir die Sünde, ich kann's nicht, ich kann nicht mehr danken, ich hab' einmal den Teufel im Leibe von damals, und der Teufel plagt mich, alle Leute zu plagen, der Herrgott mag aus mir machen, was er will, ich kann nicht mehr anders. Nun seh Sie, Jungfer, nun wohnt aber immer noch der ehrliche Schwabe in mir, meiner Mutter Sohn, der sagt: Bleistift ich glaub's daß du dem Teufel gehorchen mußt, aber gehorch ihm christlich! Die niederträchtige Lüge hat dich zugrunde gerichtet, jetzt laß keine Lüge mehr aufkommen, 's mag kosten, was es will. So hast du deinen eignen Teufel zum Narren, und – so geschieht's, Jungfer, so geschieht's immerfort, und ich seh' aus wie ein Drehstrick, bin aber ein ganz richtiger christlicher Strick! Und jetzt verleitet Sie mich zu einer handgreiflichen Lüge, und lauft neben mir her als ein Junker, und ich laß mir's gefallen, weil mein Töffel hier mit in der Patsche steckt, und das soll mich nicht rasend machen, he?! Ich weiß ja nicht mehr, wer und was ich bin!

LAURA. Schrei Er nur nicht so, sonst ist der Christoph verloren!

BLEISTIFT zusammenfallend. Ja so! Sich am Stuhl haltend. Mein Bub'! An mir ist ja doch nichts mehr zu verlieren, ich bin einmal ein Forijeng, wie der Herr sagt; aber mein Bub', ach der ist so brav und so klug, den muß ich beschützen, und wenn's mein Leben kostet – weiß Sie, Jungfer, daß er jetzt auch Klarinette spielen kann?

LAURA. Das ist eben sein Unglück! Weil er den jungen Sausewinden aufspielen muß zu ihren Schelmenliedern, kommt er mit hierher und läuft in die Gefahr.

BLEISTIFT. Richtig! So geht's, weil der Junge Schenie hat und wißbegierig ist![209]

LAURA. Neugierig, Bleistift!

BLEISTIFT. Wißbegierig, Demosell Junker, das ist er, und das hat er von mir! Hört man mir die Dorferziehung an? Non. Ich war immer wißbegierig. Als Hundejunge fängt der Töffel an, als Professor wird er aufhören. Klarinette ist schon's vierte Instrument! Erst pfiff er simpel, dann pfiff er auf dem Finger, dann blies er Horn, bis es ihm der unmusikalischen Herrn Hunde wegen verboten wurde – denn wenn er blies, heulten die Beester – jetzt lernt er bei Herrn Streicher Klarinett und bläst Herrn Streicher schon in Grund und Boden – aber wie will Sie ihn retten samt den übrigen Herren Schenies?

LAURA. Geduld! Die ganze Gesellschaft soll wieder auseinander sein, ehe der Herzog da oben in der Loge sie sehn und hören kann.

BLEISTIFT. So?

LAURA. Er ist wohl schwach, Bleistift?

BLEISTIFT. Herzschlecht ist mir von der Alteration!

LAURA. Ja, Lieber, dazu ist aber jetzt keine Zeit. Es hat neun geschlagen, lange wird der Herzog nicht mehr ausbleiben. Also Achtung! Bleistift fährt auf. Seine Soldaten von jenem Korridor da in diesen herüberführen. Von links nach rechts deutend. Fix!

BLEISTIFT. Service – ja so! Er geht und tut es während der folgenden Rede Lauras.

LAURA. Nun ans Werk! – Onkel Durchlaucht hat Waffenstillstand von uns verlangt bis neun Uhr! Jetzt aber lassen wir unsre Batterien spielen! Leuchtet nach dem Tische. Wahrhaftig – die Vorbereitungen stimmen zu! Da sind auch Bücher! Tante Franzel sagt, die wären das Gefährlichste, und die müßte ich auf die Seite bringen. Was ist denn das? Schlägt auf und liest bei der Laterne. »Anthologie für das Jahr 1782.« »Gedruckt in der Buchdruckerei zu Tobolsko.« Schlägt um. »Phantasie an Laura.« Herr Gott! Von Spiegelberg? Nein, ein Ypsilon darunter! – Herrje! Haben die Tanten am Ende recht, und ist der Spiegelberg ein Schalk, der gar keine Gedichte machen kann – noch eins? »Laura am Klavier!« 's ist doch aber allerliebst grauslich, so bei Nacht und Nebel überall gedruckt zu sein und mitzuspielen, wo's berühmt und gefährlich zugeht – wieder Ypsilon! Läßt es in der Hand sinken, weggehend. Wahrhaftig, der Koch hat mich am Ende betrogen, der[210] Schlingel! Und all die Herrlichkeit für mich ist von Schiller! – Der gefällt mir eigentlich viel weniger – er ist so schrecklich ernsthaft – aber was Besonderes hat er freilich – die Tanten sagen's auch und der Onkel selber – und recht treu scheint er doch zu sein! – Eilig, eilig! Onkel darf die Gedichte an mich nicht finden – in die Tasche Steckt's in den Mantel. und das andere Buch Aufmachend. »Die Räuber« – – Herr Gott, da ist ja der Löwe!

BLEISTIFT ist leise hinter sie getreten. Was weiter, Herr Junker?

LAURA. Ach! – Wie Er mich erschreckt! Das Buch verbergend. Seh Er jetzt nach, ob die Tante recht hat, und ob sich der Druckschlüssel dort an der Tür, welcher zur Loge hinaufführt, befindet.

BLEISTIFT. Was soll das meinem Buben helfen?

LAURA. Wenn der Herzog dort nicht hinauf kann, dann muß er den großen Umweg um das Corps de Logis machen, um in die Loge hinaufzukommen – und wenn unterdes die jungen Leute eintreffen, so haben wir Zeit, sie fortzujagen.

BLEISTIFT. Wir müssen ja mit dem Herzoge –

LAURA. Ich nicht – – geh Er nur nachsehen!

BLEISTIFT. Ist mein Christoph auch wirklich dabei?

LAURA. Freilich!

BLEISTIFT. O Jerum! Geht nach hinten.

LAURA für sich. Ich vermute es wenigstens aus Kochs Reden – aber das Buch! Das ist gewiß die Spitzbubenkomödie Schillers, von welcher der Hauptmann sprach Steckt's auch in die Tasche. die darf durchaus nicht gefunden werden!

BLEISTIFT. Der Drücker steckt. Geht nach links.

LAURA. Gut! – Nun den Warnungszettel an die Stelle der Bücher. Ein wenig versteckt, daß ihn nicht etwa der Feind findet im Vorübergehn. Steckt ein Blättchen Papier unter das Feuerzeug. Wenn sie den lesen, so werden sie wohl zeitig genug ausreißen.

BLEISTIFT von der Tür links. Der Herzog kommt!

LAURA. Also hinweg!

BLEISTIFT. Nehmen sie die Laterne nicht mit –

LAURA. Nein, nein! Da! Gibt sie ihm, eilt an die hintere Tür und zieht den Drücker ab, nachdem sie geöffnet. So, artiges Instrument – mich hinauslassen, aber niemand hereinlassen! Ab, hinein; man hört schnappen.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 207-211.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Karlsschüler
Die Karlsschüler: Schauspiel in Fünf Akten (German Edition)

Buchempfehlung

Dulk, Albert

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Diese »politische Komödie in einem Akt« spiegelt die Idee des souveränen Volkswillen aus der Märzrevolution wider.

30 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon