Dritte Szene.


[212] Laura. Dann Schiller und Koch.


LAURA leise öffnend. Fort? Ich kann hinter der Tür nichts verstehn! – Herr Gott, und nun ist's so schauerlich still und einsam in dem großen Saale, und ich fange an, mich zu fürchten – ich lauf' davon – Nach links. aber Tante Bäbele – da kommt jemand! Zurück! Sie verschwindet wieder hinter die Tür.


Koch, Schiller im blauen Mantel.


SCHILLER voraus. Zum Verzweifeln, daß kein Brief kommt, zum Verzweifeln!

KOCH. Na, vielleicht kommt der Streicher noch herauf, und vielleicht hat er einen, warum läßt du auch nicht direkt an dich schreiben?

SCHILLER sich in den Sessel links werfend. Warum nicht direkt?! Hast du denn keine Vorstellung, auf wie gebrechlichen Stützen meine ganze Existenz schwankt, und wie ich von Schnüfflern und Spionen umgeben bin?

KOCH. Ach, ihr Poeten seht immer Gespenster!

SCHILLER. Anton, ich bitte dich um's Himmels willen, sei nicht am unrechten Orte leichtsinnig. Du weißt, daß wir alle möglichen Anzeigen haben, dieses Silberkalb spüre um unsere Wege, du weißt, daß ihm die Herausgabe der Räuber auf die Länge nicht verborgen bleiben kann, und hat er einmal das Buch in der Hand, so hat es auch der Herzog, und was dann?

KOCH. Auf den Asperg wie der Schubart – nicht doch! Aber guter Junge, das hast du ja alles vorher gewußt, warum hast du's denn drucken lassen?

SCHILLER. Wofür hab' ich's denn geschrieben? Schreiben müssen?

KOCH. Das ist auch wahr, 's hat jeder recht, sonst gäb's gar zu viel Verrückte. Weiter im Text, ich will unterdessen Feuer schlagen.

SCHILLER. Außerdem hab' ich's drucken lassen, wie Cortez seine Schiffe verbrannte: ich will siegen müssen.

KOCH. Das ist wahr.

SCHILLER. Deshalb habe ich das Äußerste gewagt und hab's zur Aufführung nach Mannheim geschickt.[213]

KOCH. Damit es der Herzog ganz gewiß erfährt, richtig.

SCHILLER. Anton, laß die Spielerei, du machst mich rasend.

KOCH zündet das Licht an. Wenn du lieber einmal ein neues Feuerzeug erfändest, Schiller, statt der unnützen neuen Theaterstücke – Zu ihm gehend. Moor, sei ein Mann, sieh' dem Satan Zukunft ins Angesicht.

SCHILLER. Das tu ich.

KOCH. Du bist also wirklich aufs Äußerste gefaßt?

SCHILLER. Das bin ich.

KOCH. Ich auch.

SCHILLER. Anton –?

KOCH holt sich einen Sessel neben ihn. Ich hab' das Zopfspiel hier satt. Sprechen wir uns aus, ehe die andern kommen, die doch alle nichts Ernstliches wollen. Du mußt über kurz oder lang die Flucht ergreifen, und ich will; du in die Pfalz, ich nach Welschland

SCHILLER. Wahrhaftig?

KOCH. Da meine Hand drauf, und ich helfe dir dann; du bist mehr wert, als ich, und bist hilfsbedürftiger, weil du ungeschickt bist. Wie weit bist du also in Mannheim, was sagt dein Mäcen, Herr von Dalberg?

SCHILLER. Ach Anton, das ist eben auch ein vornehmer Herr, welcher für uns kein rechtes Herz hat. Wie er mein Stück so lobte und aufzuführen versprach, nachdem es ihm wahrscheinlich die Schauspieler erst angelegentlich empfohlen, da warf ich mich ihm mit all meinen Ängsten und Hoffnungen in die Arme: ich schilderte ihm, daß ich hier am Abgrunde wankte und aus dieser Höhle des Despotismus hinaus müsse, wenn ich aufatmen und schaffen und zunächst meinen Fiesko zu Ende bringen sollte. Ich bat ihn, an den Herzog zu schreiben und um längern Urlaub für mich zu bitten und mich als Theaterdichter in Mannheim anzustellen.

KOCH. Nun?

SCHILLER. Nicht ja noch nein gab er zur Antwort; er hat nicht den Mut seiner Einsicht. Ausstellungen an den Räubern, Vorschläge zur Änderung für die Bühne und so weiter –

KOCH. Und so weiter. Ein Zopf wie der andere. Alles brauchen sie beim Theater, nur nicht Dichter!

SCHILLER. Ich habe aber hier keine Zeit mehr zu verlieren! Umgehend hab' ich einen neuen flammenden Brief hingeschickt, dem[214] aus jeder Zeile leuchtet: Sein oder Nichtsein! Ja oder nein! Und diesen Brief hab' ich an den jungen Iffland gesendet, daß er ihn unter beredten Worten dem Reichsfreiherrn überreiche!

KOCH. Iffland, das ist ein Schauspieler?

SCHILLER. Der den Franz Moor spielen soll.

KOCH. Und der als Schauspieler den Kuckuck danach fragen wird, einen hofmeisternden Verfasser auf den Proben zu sehn!

SCHILLER. Nein, nein Anton, nein, er ist jung und tüchtig und nach dem Höhern strebend.

KOCH. Larifari! Das einzige Gute dabei ist, daß er jung ist.

SCHILLER. Er hat mir denn auch umgehend geantwortet, daß er alles daran setzen und mir spätestens bis Mitte September Bescheid verschaffen werde.

KOCH. Und heut' ist der sechzehnte.

SCHILLER aufstehend und umhergehend. Vorüber! Und Streicher, an den er adressiert, ist nicht zu finden! Und mein ganzes Leben hängt an dem Briefe!

KOCH. Nun dabei ist also noch nichts verloren. Ich gestehe dir aber, daß ich verzweifelt wenig Vertrauen habe zu den großen Herren!

SCHILLER. Ich habe auch keins, lieber Anton, aber ich kann doch nicht ohne irgend einen Anhalt aus dem Vaterlande hinaus in die weite Welt laufen.

KOCH. Warum nicht, ich werd's doch tun.

SCHILLER sich niedersetzend. Ja, ich tät's wohl auch, wenn ich allein stünde. Denn hungern und darben und verderben, was ist's weiter, wenn man nur sich selbst und dem Ewigen verantwortlich ist, und wenn man große Absichten im Busen trägt!? Aber die Meinigen in Ludwigsburg! Mein strenger Vater ärgerte sich bis in die Grube hinab, wenn sein Sohn dem Herzoge, seinem Wohltäter entliefe, wie ein Vagabund und – nichts weiter würde als ein Vagabund! Und meine Mutter, meine gute, zärtliche Mutter, meine Schwester – ach, ich darf nicht daran denken!

KOCH. Aber du wirst ja kein Vagabund bleiben, wofür hast du denn dein Genie?

SCHILLER. Guter Anton, mit dem Genie ist das so ein unsicher Ding. Manchmal, ja oft sogar glaub' ich auch daran und schlag' es wohl noch höher an, als eure Lobsprüche es anschlagen;[215] denn ich fühle und weiß noch viel größere Absichten in mir, als ihr erscheinen seht, aber manchmal –

KOCH. Bist du hypochondrisch, kleinmütig –!

SCHILLER schüttelt den Kopf. Nicht bloß, nicht bloß. Ich fürchte, es ist doch nichts Ganzes mit meinem Talent, und ich komme mir jämmerlich klein vor neben den großen Vorbildern und besonders neben den unbestimmten Bildern, die ich als Ideale von Dichtwerken in mir selber trage –

KOCH. Ach was!

SCHILLER. Anton, du glaubst es gar nicht, wie sauer mir manchmal das Schreiben wird, und wie es nach einer mühsam beendigten Arbeit wüst und leer und öde in mir aussieht, daß ich mir in Verzweiflung gestehen muß: du bist fertig, du kannst nichts mehr – siehst du, bei einem richtigen Genie darf das nicht vorkommen, eine göttliche Zuversicht muß den schöpferischen Dichter über die Erde hinwegtragen, und diese Zuversicht, Anton – die hab' ich sehr selten.

KOCH. Hast sie aber doch!

SCHILLER. Und wenn man nicht das Größte leisten kann in der Dichtkunst, dann hat man kein Recht, sich den Verpflichtungen eines bürgerlichen Amtes zu entziehen. Wer nicht im Großen wirken kann, muß wenigstens im Kleinen nützen, oder er ist ein unnützes Glied der Gesellschaft.

LAURA erscheint in der Tür. Es sind die beiden – jetzt also Etwas vorgehend. lieber Himmel, jetzt empfind' ich erst, daß es sich wohl nicht schickt für ein junges Mädchen, mitten in der Nacht –

SCHILLER. Du schweigst, Anton?

KOCH. Du machst mich irre. Den Kuckuck auch! Wenn du mit deinen großen Fähigkeiten zögerst, dich auf gut Glück in die Welt zu wagen, wenn du fürchtest ein Taugenichts zu werden, wie soll ich mich denn unterstehen! Ich kann ja nichts als Gesichter stehlen, und bilde mir ein, in Rom ein Maler zu werden; wenn ich dich aber so reden höre –

SCHILLER. Sei getrost, Freund, du bist glücklicher. Dir hat der Himmel ein einiges starkes Talent gegeben, da gibt's keinen Zwiespalt, wie bei einem Dichter, der vielleicht keiner ist –!

KOCH. Warum nicht gar![216]

SCHILLER. Und dir hat die Natur den persönlichen Empfehlungsbrief gegeben, du gewinnst die Männer und gefällst den Frauen, du bist der Glückliche!

KOCH. Nicht so, Schiller, du machst mir das Herz schwer. Ich weiß, worauf du zielst. Du meinst die Laura und denkst, ich sei der bevorzugte. –

SCHILLER. Still, still, das ist mein Schicksal!

KOCH. Nicht doch, Schiller, ich hab' da ein wenig gespiegelbergt, und sie bildet sich ein, deine Gedichte seien von mir – 's hat mir aber auch nichts weiter genützt. Sie ist lustig mit mir und trotzdem nicht minder spröde, sie weiß noch nichts von Liebe.

SCHILLER. Sie hat wohl kein Herz! Wächst auf in Hülle und Fülle und gewinnt keine Einkehr in das Innere. Das ist unser Reichtum, den wir vor den Reichen und Mächtigen voraus haben, daß wir den Schmerz und die Tränen finden. In Schmerz und Tränen nur erschließt sich uns die innerste Seele, die geheimste Kammer, welche von der Gottheit in jedem Menschen bewohnt wird, und welche den lächelnden Glückskindern ihr Lebelang verschlossen bleibt. Und doch, wie schade! Welch eine liebliche Seele wohnt auf ihrem Angesichte, wie oft in Phantasien schwelge ich inniglich mit dem bezaubernden Blicke ihres Auges – ach, lieber Anton, sieh', da ist der weite aschgraue Horizont meines Lebens: mich hat noch kein Weib geliebt und – mich wird keins lieben.

KOCH. Du bist nicht bei Trost!

SCHILLER. Aus Ätherhauch und Himmelsflammen, aus Sternen des Geistes und aus dem Dufte des schmachtenden Herzens bilde ich sie mir und umarme sie, die schimmernde Wolke – die Wolke, immer nur die Wolke! Kein weicher Mädchenarm schlingt sich um meinen Nacken! – Aufspringend. Darum will ich ein Ende machen hier; es ist wahr, die törichte Sehnsucht nach jenem Mädchen, das mir doch niemals beschieden ist, bannt meinen Fuß, ich will fort, sei's ins Verderben!

LAURA allmählich zurückweichend; man hört links die Ankommenden, sie spricht für sich: Man kommt! Und eilt in die Tür; sobald sie aber in der Tür ist, ruft sie laut. Flieht, flieht, ihr seid in Gefahr! Und verschwindet hinter der Tür.


[217] Gleichzeitig mit Lauras Ruf spricht.


KOCH. Nicht ins Verderben, in bessere Luft.

SCHILLER. Was war das?

KOCH. Es ist die Bande!


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 212-218.
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