Vierte Szene.


[41] Gottfried. Die Vorigen ohne Schladritz. Frau Gottsched schreibend.


GOTTFRIED. Empfehle mich zu Gnaden, Herr Professor.

GOTTSCHED. Du kommst vom Gute bei Oschatz, Gottfried?

GOTTFRIED. Ne.

GOTTSCHED. Nicht? Von wo denn?

GOTTFRIED. Die Herrschaft ist gestern abend schon 'nein gefahren und hat vor Schlafengehen die Briefe im »Löwen« geschrieben.

GOTTSCHED. In Oschatz?

GOTTFRIED. Ja.

GOTTSCHED. Gut, gut. Du kommst also von Oschatz!

GOTTFRIED. Ja, ich bin heut' früh um drei ausgeritten, weil die Herrschaft och beizeiten ufbrechen will.

BOLZA. Bist du Soldaten begegnet?

GOTTFRIED. Ne, 's ist mausestill auf der ganzen Straße, aber droben im Gebirge über Döbeln 'naus, da hat's gepocht! ach Herr Jes, da hat's gepocht, schon vorgestern, da soll reene der Teufel los sein. Mir haben uns immer mit den Ohren auf den Erd boden gelegt, und der Erdboden der bubberte nur immer so!

BOLZA. Jetzt ist's also entschieden, die Schlacht ist geschlagen – ist dein Pferd sehr ermüdet?

GOTTFRIED. O ne! 's ist en alt Husarenpferd von den Zietenschen, en ausrangiertes, weil's dämpfig is, aber wenn's warm wird, da kommt die Puste in Zug, und 's pfeift nur so!

BOLZA. Kannst du in sechs Stunden nach Oschatz zurück?

GOTTSCHED. Sprich!

GOTTFRIED sich hinter dem Ohre kratzend. In sechs Stunden? Heeren Se, ne! Ich muß hier noch Briefe abgeben, der Zietensche muß fressen, ich soll en bißchen feine Bäckerware kofen, und hernachen ist's och erst Oktober gewesen, und das ist der schlimme Pferdemonat –

BOLZA gibt ihm Geld. Also du kannst in sechs Stunden?

GOTTFRIED. Nu ja, ja, wenn's so fix sein muß, und wenn Sie's so meenen, sehn Se, ja doch, ja! – Da nehmen Se mer wohl die Briefschaften ab, Herr Professor, 's wird wohl's Meeste für Sie selber sein Öffnet seine Ledertasche und übergibt drei Briefe. und die Herrschaft wollte zu Mittag hier sein.

FRAU GOTTSCHED. Zu Mittag?[42]

GOTTFRIED. Nu ja freilich, sehn Se, deshalb mußt' ich ja so zeitig fort!

FRAU GOTTSCHED. Sie wird also bei uns speisen?

GOTTFRIED. Nu, Hunger wird se wohl kriegen; denn unterwegs sieht's jetzt erbärmlich aus, und das Frölen Konteß hat 'nen gesunden Appetit.

FRAU GOTTSCHED. Dann muß ich Anstalt treffen! Aufstehend und fortgehend. Die Unterschrift fehlt noch, Gottsched, und das Datum. Besorg' deine Sache gut, Gottfried, 's ist von Wichtigkeit für den Herrn Grafen. Ab.

GOTTFRIED. Keene Sorge, Frau Professern!

GOTTSCHED hat hastig unterdessen ohne die Aufschriften zu betrachten die drei Briefe geöffnet und gelesen. Beim zweiten lächelt er und sagt vor sich hin. Es ist ein sehr liebenswürdig Mädchen! Sehr! Beim dritten. Aha, für meine Frau! Ja, ja Die Briefe auf den Tisch legend. unterschreiben. – So. – Adressieren – Graf Serbelloni Tut beides und siegelt den Brief.

BOLZA zu Gottfried schon bei den Worten: »Unterschreiben«. Kommt der Herr Graf von Manteuffel mit?

GOTTFRIED. I bewahre! Wissen Sie's denn nicht: Der gnädigste Herr Graf steht ja bei der Reichsarmee, mit Respekt zu sagen! Na ja, mit Respekt! er ist nicht dabei gewesen bei Roßbach, sonst wär's wohl anders gegangen, ja! Ne, die gnädigste Frau Gräfin und Frölen Konteß kommen alleene, weil's gerade sicher ist, und weil's nach der Kanonade von vorgestern auf dem Dorfe wohl nicht mehr auszuhalten sein wird. Denn wenn die Retirade losgeht –

GOTTSCHED. Hier, Gottfried, diesen Brief gibst du an den ersten österreichischen Vorposten!

GOTTFRIED. Beim Kolmberge hat er gestern abend schon gestanden, sechs Krawaten stark –

GOTTSCHED. Gut, und mach's ihnen scharf, daß der Brief eiligst an den kommandierenden General geschickt werde.

GOTTFRIED. Schreiben Se's nur lieber mit druf!

GOTTSCHED. Das steht alles drauf.

GOTTFRIED. Na scheene. – Die Kerle werden mir doch nichts tun?

GOTTSCHED. Nein, du bist ein Gesandter!

GOTTFRIED. Ein Gesandter? Nu sehn Se einmal!

GOTTSCHED. Aber du mußt bei ihnen auf Antwort warten![43]

GOTTFRIED. So? – Uf schriftliche?

GOTTSCHED. Ja; das kann zehn bis zwölf Stunden dauern.

GOTTFRIED. Aha, 's mag wohl hapern mit dem Schreiben bei den Krawaten –

GOTTSCHED. Nicht doch, die Kroaten sollen nicht schreiben, einer von ihnen bringt den Brief zum nächsten Vorposten, und du wartest bei den andern fünf, bis Antwort kommt!

GOTTFRIED. So lange? Und die Krawaten werden mir so lange nichts tun?

BOLZA. Sie werden dich ja nicht beißen!

GOTTFRIED. Nicht? –'s sind verhungerte Kerle!

GOTTSCHED. Und wenn die Antwort kommt, reitest du so schnell als möglich hierher und bringst Sie uns!

GOTTFRIED. Was bring ich?

GOTTSCHED. Die Antwort, das heißt den neuen Brief –

GOTTFRIED. Scheene und hernach –?

BOLZA. Hernach erhältst du, wenn du deine Sache gut gemacht, drei Speziestaler!

GOTTFRIED. Sehr scheene! Ende gut, alles gut.

BOLZA. Vorwärts!

GOTTFRIED. Ja vorwärts, Zietenscher! Wendet sich. Und wenn ich hinkomme, sag' ich en scheenes Kompliment vom Herrn Professor Gottsched an die Herrn Krawaten. –

GOTTSCHED. Warum nicht gar!

GOTTFRIED. Nu, wie Se meenen! Also –

GOTTSCHED. Also mach fort!

GOTTFRIED. Richtig! Gesegnete Mahlzeit und empfehle mich. Ab.

BOLZA. Wird der Mensch nicht zu dumm sein?

GOTTSCHED. Er hat ja nichts zu tun als abzugeben und zu warten! – Apropos in einigen Stunden sind Manteuffels hier, sind Sie den Damen vielleicht bekannt? Und scheint es dann etwa ratsam, ihnen auszuweichen?

BOLZA. Bekannt? Wie Sie's nehmen. Ich glaube nicht, daß sie mich persönlich kennen, aber möglich ist es allerdings. Mein Vater nämlich steht im Verkehr mit der Familie und hat mir Andeutungen gemacht, daß er mit dem Grafen Manteuffel ziemlich einig sei über eine Verbindung zwischen mir und der Komtesse.[44]

GOTTSCHED. In der Tat?! Die Komtesse Lächelnd nach seinem Briefe sehend. scheint aber nichts davon zu wissen!

BOLZA. Glauben Sie? Das kann wohl sein. Die Kriegsunruhe hat bisher jede weitere Betreibung des Projektes verhindert. Ich fand auch nicht für nötig, die Sache zu beeilen, da die Komtesse noch jung ist und ich selbst noch zerstreut bin. Ich habe sie nie gesehen, und es sollte noch darauf ankommen, ob wir Gefallen an einander fänden. Unterdes liest Gottsched noch einmal lächelnd das Billett. Finden Sie denn in den Briefen irgend eine Andeutung darauf?

GOTTSCHED. Im Gegenteil! Das heißt: Nein, o nein!

BOLZA. Trotz alledem kann sich die Frau Gräfin einmal in Dresden umgesehen haben nach ihrem wahrscheinlichen künftigen Schwiegersohne und kann mein Äußeres kennen.

GOTTSCHED. Nun dann ist es doch wohl geratener, daß Sie bei Ankunft der Damen nicht zugegen sind, und daß ich erst hinhorche. Neue Mitwisser und besonders Damen –

BOLZA. Sind nicht ratsam. Ganz nach Ihrer höheren Einsicht, mein verehrter Herr Gönner!

FRAU GOTTSCHED wieder eintretend durch die Mitteltür. Ich sehe den Professor Gellert mit einem Fremden von der Ritterstraße herüber auf unser Haus zukommen. Bringen Sie sich in Sicherheit, Herr Graf!

GOTTSCHED. Kennt er Sie?

BOLZA. Gellert? Schwerlich. Er ist selten oder gar nicht in Dresden, und ich bin ihm meines Wissens nie begegnet. Unmöglich ist es freilich nicht.

FRAU GOTTSCHED. Und wenn er Sie auch nicht kennt, wir kennen den Fremden nicht!

GOTTSCHED. Gut; also welches Zimmer hast du für den Herrn Grafen bestimmt?

FRAU GOTTSCHED. Welches Zimmer? Ich bin und bleibe dagegen, daß der Herr Graf sich vierundzwanzig Stunden in unserm Hause verberge –

BOLZA. Unerbittliche!

GOTTSCHED. Aber Frau!

FRAU GOTTSCHED. Alle Teile sind sichergestellt, wenn wir ihn irgend einem Bekannten empfehlen!

GOTTSCHED ungeduldig. Ich aber, Adelgunde, befehle, daß dem[45] Herrn Grafen sogleich ein Zimmer eingeräumt werde, und zwar dies da Auf die zweite Tür rechts deutend. da, das Putzzimmer!

FRAU GOTTSCHED. Neben dem meinigen, mit der Tür hier ins Empfangzimmer, jedem Zulaufe ausgesetzt, Gottsched!

GOTTSCHED. Ich höre draußen sprechen! Kurzum! Zögern Sie nicht, Herr Graf, um nicht überrascht zu werden. Schließen Sie sich ein!

BOLZA in die zweite Tür rechts ab.

FRAU GOTTSCHED während er abgeht. Gottsched, was tust du?

GOTTSCHED. Adelgunde, deine Unhöflichkeit gegen einen Mann von solcher Bedeutung in Dresden setzt mich in maßloses Erstaunen!

FRAU GOTTSCHED. O mein Gott! Für sich. Tu' ich nicht besser, ihm die ganze Wahrheit zu sagen?! Laut. Gottsched!


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 41-46.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gottsched und Gellert
Gottsched Und Gellert: Charakter-Lustpiel in Fünf Akten (German Edition)

Buchempfehlung

Jean Paul

Selberlebensbeschreibung

Selberlebensbeschreibung

Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon