Sechste Szene.


[47] Gellert. Cato zu Anfange nur sichtbar und später eintretend. Schladritz desgleichen. Gottsched ist aufgeregt mit dem Antlitz gegen das Publikum stehengeblieben und sieht ins Publikum.


GELLERT im Eintreten halblaut zu Cato. Wart' Er nur, Lieber, bis ich Ihn rufe!

SCHLADRITZ tritt an der Tür Cato in den Weg. Hier wird gewartet!

CATO. So? Er trägt durch den ganzen Akt einen geschlossenen, weiten, weißen Mantel.

SCHLADRITZ macht vor sich und vor ihm die Tür zu, so daß Gellert und Gottsched allein bleiben.

GOTTSCHED in unveränderter Stellung und mit scheltender Stimme. Entschuldigen Sie mich, Herr Professor der Moral, daß Sie mich[47] im Schlafrocke überraschen: ich war Ihres Besuches nicht mehr gewärtig, da Sie die ehrenvolle Einladung der Fakultät vor zwei Stunden übersehen zu dürfen geglaubt!

GELLERT. Sie beschämen mich, Herr Professor; denn ich bin sehr im Unrechte, nicht zu rechter Zeit gekommen zu sein. Die Wahrheit zu sagen: ich hielt es anfangs für eine irrtümliche Bestellung, da ich, wie Sie wissen, nur außerordentlicher Professor –

GOTTSCHED. Und nicht mit Sitz und Stimme in der Fakultät betraut sind. Um so eifriger hätten Sie die Auszeichnung empfinden und ihr Folge leisten sollen!

GELLERT. Ganz gewiß! Aber, lieber Gott! seit der Krieg von neuem unsre Landschaft überschwemmt, gibt es wieder so viel Unglückliche, welche des Trostes und Rates bedürfen, daß man selten Herr ist seiner Zeit.

GOTTSCHED. Die Pflichten des Amtes stehen über den Pflichten des Herzens. Und unser Amt verlangt jetzt gerade ungewöhnliche Aufmerksamkeit und Entschlossenheit. Der Krieg wird zudringlich auch gegen uns. Jetzt erst verändert er seine Stellung und blickt auf den links stehenden Gellert, mit einer Handbewegung auf den Stuhl am Sofa zeigend, während er sich von rechts einen Stuhl holt und im Gehen danach weiter spricht. Beide setzen sich aber nicht. Solch ein Fall hat die Fakultätssitzung, zu welcher Sie geladen waren, beschäftigt. Es handelt sich um einen Eingriff, in unsre Rechte, um einen Eingriff, welchen wir mit aller Nachdrücklichkeit zurückweisen müssen. Und da Sie, Herr Professor Gellert, durch Ihre kleinen Schriften, wenn auch nicht einen literarischen, doch einen gewissen moralischen Einfluß ausüben auf das deutsche Publikum, wenigstens auf einen Teil des selben, so haben wir es für zulässig erachtet, Ihren Namen unsrer Protestation beizufügen.

GELLERT. Einer Protestation?

GOTTSCHED. Ja. Ein preußischer Reitergeneral hat sich gestattet, der Universität ungebührliche Vorschriften zu machen. Er will uns vorschreiben, was gelehrt oder nicht gelehrt werden soll vom Katheder, namentlich in Sachen der Geschichte und Rechts-Philosophie, indem er sich darauf bezieht, daß der Kriegszustand und die gereizte Stimmung in Deutschland augenblicklich solche Einschränkungen erheische.

GELLERT. Das letztere ist wohl nicht unrichtig: es ist herzzerreißend, daß deutsche Völkerschaften einander gegenseitig zerfleischen –[48]

GOTTSCHED. Sie verwechseln wiederum das Herz mit dem Amte, Herr Professor. Niemand von uns hat ein Wohlgefallen an dem inneren Kriege, aber je trauriger das gemeine Wesen durch einander geschleudert wird, desto unerläßlicher ist es für jeden einzelnen, auf seinem Posten fest zu stehn, seinen Posten zu verteidigen. Unser Posten ist die akademische Lehrfreiheit. Wir vertreten die Wissenschaft, welche nicht abhängig sein darf von der Politik des Augenblicks.

GELLERT. Das ist wohl wahr.

GOTTSCHED. Deshalb haben wir eine Protestation aufgesetzt gegen die Zumutungen des Reitergenerals. Es ist Ihnen gestattet, sie mit zu unterzeichnen, und wenn dies geschehen ist, soll sie aufs Rathaus getragen werden, um nötigenfalls durch die städtische Behörde den soldatischen Herren vorgelegt zu werden.

GELLERT. Wird aber nicht dieser herausfordernde Schritt das soldatische Ungewitter heraufbeschwören über unsre arme Stadt?

GOTTSCHED. Das darf uns nicht kümmern in Verrichtung unserer Pflicht!

GELLERT. Und werden wir's durchsetzen können?

GOTTSCHED. Sind wir denn so schwache Leute, Herr Professor Gellert?

GELLERT. Ach ja, das sind wir doch! Was vermögen wir gegen Kriegsgewalt?

GOTTSCHED. Ei, ist unser moralisches Ansehn nicht eine größere Macht als die brutale Macht der Waffen? Herr Professor, ich verwundere mich höchlich. Sie so kleinmütig zu finden!

GELLERT. Ich bin ein ängstlicher Mann und nicht geeignet zu öffentlicher Opposition. Ich fühle und fürchte zu sehr unsre Schwachheit.

GOTTSCHED. Sie wären also wohl gar imstande, der Unterschrift auszuweichen?

GELLERT. Ach nein! Ich freue mich eigentlich unsrer Tapferkeit, da ich sie uns gar nicht zugetraut hätte. Gott gebe nur, daß wir auch, und besonders ich selbst, in Tapferkeit bestehn mögen, wenn es zur wirklichen Probe kommt.

GOTTSCHED. Sie werden doch nicht so kläglich sein!

GELLERT. Nun, ich werde mich zusammennehmen!

GOTTSCHED. Wahrscheinlich wird Ihr Heldenmut gar nicht weiter[49] herausgefordert werden. König Friedrich ist ein Freund der Wissenschaft und weiß deren Unabhängigkeit zu schätzen. Er würde im Falle der Not, wenn er unsre bündige Protestation erfährt, seinen Kriegsleuten den Eingriff verweisen. Außerdem kann ich zu Ihrer Beruhigung hinzusetzen, daß die preußische Armee in Sachsen jetzt wahrscheinlich schon vernichtet und das Ende des Krieges vor der Tür ist.

GELLERT. Das änderte wohl innerlich an unserm Schritte nichts. Wenn wir ihn tun, so müssen wir ihn doch auf jegliche Gefahr hin tun. Darf ich Sie wohl bitten, mir die Schrift zu zeigen?

GOTTSCHED. Noch eins! Der General Seydlitz stellt noch eine Forderung, gegen welche wir uns milder verhalten können. Es tauchen jetzt überall, je länger der Krieg dauert, kleine Gelegenheitschriften auf voller Naseweisheit. Ich meine nicht die Herren Gleim und Konsorten, welche die alltäglichen Dinge in Verse und Reime bringen und hier mit dem alltäglichen Publikum schmeicheln, welches solchergestalt denn auch Poesie zu genießen vermeint. Ich meine auch nicht unsre vorlaute ästhetische Jugend, welche meine Vertreibung des Hanswurstes von der deutschen Bühne bekrittelt, die Herren Mylius, Lessing, und wie sie sonst Namen führen. Dergleichen ist nicht erheblich, genug –

GELLERT. Glauben Sie –?

GOTTSCHED. Ich glaube nicht nur, ich weiß es. Was ich aber meine, sind die Flugschriftenschreiber über Krieg und Frieden. Es ist erstaunlich, was alles sich jetzt zudrängt auf den politischen Markt und mitsprechen will – Man hört außen Gezänk zwischen Schladritz und Cato; Gottsched wendet sich nach hinten. Wer ist da?

GELLERT für sich. Der Bursche zankt sich und wird mir Ungelenheiten bringen.

GOTTSCHED wieder nach vorn. Kurz und gut, es ist vor einigen Tagen hier in Leipzig eine der dreistesten dieser Flugschriften erschienen unter dem gemeinen Titel: »Pro patria! Landsleute, schlagt Euch nicht untereinander, sondern schlagt die Fremden aus dem Lande«, das heißt die Russen, Schweden und Franzosen.

GELLERT. Ich kenne die Schrift.


Neuer Zank draußen; man hört eine Ohrfeige.


GOTTSCHED. Was hat denn das zu bedeuten? Das klang ja wie eine Ohrfeige! Geht nach der Tür.[50]

GELLERT für sich. Der junge Mensch macht mir Streiche!

GOTTSCHED die Mitteltür öffnend und hinaussprechend. Was gibt's hier? Cato erscheint. Wer ist Er? Schladritz erscheint neben Cato, und während Gottsched ins Zimmer zurück- und Cato eintritt, sagt, ebenfalls eintretend.

SCHLADRITZ. Ein Grobian ist's, Herr Professor, der sich erlaubt hat, mir eine Ohrfeige zu geben, weil ich ihn von der Tür wegjagen wollte!

GOTTSCHED. Ohrfeigen sind Ihm gesund – Zu Cato. wer ist Er?

CATO. Halten zu Gnaden, hochgelehrter Herr Professor, dieser gütige Herr da Auf Gellert deutend. hat mir Hoffnung gemacht, in Ihren Dienst eintreten zu dürfen.

SCHLADRITZ. Dacht ich's doch!

GELLERT. Die Frau Professorin ließ mich vorhin wissen, daß Sie einen Diener brauchten, und dieser junge Mensch da hatte sich kurz vorher bei mir gemeldet mit dem Ansuchen um einen kleinen Posten, womöglich in dem Hause eines Gelehrten –

CATO. Und besonders im Hause des berühmten Herrn Professor Gottsched, der bei mir zu Hause in Franken so erstaunlich in Ehren steht. Wenn meine Mutter erfährt, daß ich hier untergekommen bin beim Könige der schönen Schriften, und mich durch ordentliche Aufführung dort halte, so vergibt sie mir alle Jugendstreiche, und ich wäre der glücklichste Bursche, hochverehrter Herr Professor, wenn ich mitten in der Bücherregierung Schuhe putzen, Röcke ausklopfen, Bücher aufschneiden und mitunter gar ein Buch lesen könnte von Ihnen, hochgelehrter Herr! Ich würde mir auch alle ersinnliche Mühe geben, Ihnen alles an den Augen abzusehen und alles im Hause so glatt und so leise und so fix zu besorgen, daß die Wirtschaft stille an Ihnen vorüberhuschte, wie eine eingeölte Maschine, und daß Ihre großen Gedanken nicht eine Minute mehr gestört würden, ich bitte recht schön, verehrungswürdigster Herr, machen Sie einen Menschen glücklich, dessen Glück darin besteht, Ihr Bedienter zu werden!

SCHLADRITZ unter großer Aufregung. Den Hals dreh' ich dir um!

GOTTSCHED zu Gellert. Das ist ja ein schnurriger Patron! Wissen Sie etwas Näheres über ihn!

GELLERT. Nicht viel; aber auch nichts Ungünstiges. Er zeigt viel Anlage und Auffassungsvermögen –[51]

SCHLADRITZ unterbrechend. Er ist ein Vagabund, und der Herr Professor werden schön ankommen!

GOTTSCHED. Wird Er wohl schweigen! Was will Er hier? Wer hat Ihm gestattet einzutreten!

SCHLADRITZ. Aber erlauben Sie, Herr Professor, wenn man Ohrfeigen kriegt, so darf man sich doch wohl erkundigen, von wem man sie gekriegt hat –

GOTTSCHED. Man darf nichts, man schere sich hinaus!

SCHLADRITZ. O Herr Je – Abgehend. Um aus der Haut zu fahren! Cato drohend. Warte nur! Ab.

GOTTSCHED. Und du, geschwätziger Patron, wer bist du eigentlich? Wie heißt du? Warum schleppst du den Mantel?

CATO. Ach, lieber Gott, der Mantel deckt meine Schwäche. Meine Kleidungsstücke sind bei den Kriegszeiten dünne geworden, und neulich haben mich auf der Landstraße die Kroaten ausgeplündert, als ordentlicher Mensch hab' ich nur mit Mühe auf Sauberkeit des Kopf- und Schuhwerks halten können, 's sieht traurig unter dem Mantel aus. Nun hab' ich ein vielleicht zu zartes Ehrgefühl und schäme mich.

GOTTSCHED. Der Schladritz hat wohl am Ende recht, wenn er dich einen Vagabunden nennt!

CATO. In seinem Verstande nicht, aber leider in dem meinigen. Mein Leben ist verfehlt worden: ich habe hoch hinaus gewollt, und bin drunter weggekommen! Drunten gefiel mir's nicht, und da bin ich hierhin und dahin gefahren mit allerlei neuen Versuchen, und das nennen die Schriftgelehrten wohl auch Vagabundieren.

GOTTSCHED zu Gellert. Das ist gar nicht ohne Sinn.

CATO. Sehen Sie, hochgelehrter Herr Professor, ich wollte durchaus studieren und hatte doch nicht das nötige Zeug dazu, weder im Beutel, noch vielleicht auch im Kopfe, aber das Bücherlesen war einmal mein höchstes Vergnügen, und so ist's denn gekommen, daß ich ein konfuses Schicksal gekriegt habe. Aber ich bin ehrlicher Leute Kind und habe mich, Gott sei Dank! durch dick und dünn immer ehrlich durchgeschlagen. Nun hab' ich seit Jahren, seit ich Ihre »Kritische Dichtkunst« gelesen, immer danach geangelt, in Ihren Dienst zu kommen, um als solider Bedienter doch auch nicht verbauern zu müssen. Bei vornehmen Leuten hat mir's nie gefallen, das bißchen Französisch und was sie Tournüre nennen, das kriegt[52] man bald weg, und damit ist's aus, 's ist nichts dahinter. Ich wollte aber dahin, wo was dahinter wäre, eine Stube Nach links in die stets offene Stube Gottscheds blickend. voll Bücher und Papier, und Schreiben, immer Schreiben und Druckenlassen, Korrektur, Revision, Aushängebogen, Herausgabe des Buchs, Aufsehn, Rezensionen, Ruhm und Ruhm, und nun so eines Ruhmes Bedienter, Professor Gottscheds Bedienter, mit der Zeit Abschreiber, Geschäftsführer im kleinen, am Ende gar eine Art Famulus, wie sie's nennen, so bloß Famulus für Haus und Hof und Küche, sehn Sie, das hat mir Tag und Nacht geträumt, und jetzt weiß ich selber kaum, ob es noch im Traume ist, daß ich endlich hier in Leipzig am Nikolaikirchhofe und zur Bedienung Empfohlener bei Deutschlands Minerva bin.

GOTTSCHED lachend – zu Gellert. Ein sehr schnurriger Kauz, Herr Professor.

GELLERT ebenfalls lachend. Jawohl!

GOTTSCHED. Er kann sogleich den wichtigen Gang besorgen; also die Unterschrift Geht mit einer einladenden Bewegung für Gellert nach seinem Zimmer. und dann aufs Rathaus. –

GELLERT. Sie wollten mir noch die zweite Forderung an die Fakultät mitteilen wegen der Flugschrift.

GOTTSCHED stehenbleibend. Ja, diese Flugschrift soll hier entstanden sein, und die Universität soll dafür aufkommen. Sie soll alles anwenden, den Verfasser zu ermitteln.

GELLERT rasch. Ist das unser Amt?

GOTTSCHED ohne sich zu unterbrechen. Und soll Sicherheit leisten für die Zukunft, daß dergleichen vorlaute Schriften nicht wieder von hier ausgehn.

CATO leise. Aha!

GELLERT. Wir sind keine Polizeibehörde, und so ungern ich mich mit Opposition befasse, dagegen unterschreibe ich sogleich meinen Protest.

GOTTSCHED. Nun, ich bin hierbei nicht für einen allgemeinen Protest gewesen, weil sich wirklich sehr viel unberufenes Gelichter in die Literatur drängt; aber es ist jedem einzelnen bei der Unterschrift freigegeben, über diesen Punkt seine Meinung auszudrücken.

GELLERT. Ich bin dazu bereit, Herr Professor.

GOTTSCHED hineinzeigend. Dort auf dem Tische liegen die Schriften!


Gellert geht hinein, Gottsched folgt.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 47-53.
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