Fünfte Szene.


[67] Gellert. Die Vorigen.


GOTTSCHED ohne sich in seinem Geschäft zu unterbrechen. So spät, so spät, Herr Professor!

GRÄFIN aufstehend. Würdigster Professor!

WILHELMINE desgleichen. Das ist er!


Die andern erheben sich nun auch, Gottsched aber fährt stehend fort, Suppe vorzulegen.


GRÄFIN. Es freut uns außerordentlich, den edlen Poeten des Vaterlandes nach langer Zeit wiederzusehen!

GOTTSCHED hustet.

GELLERT. Die Frau Reichsgräfin sind sehr gnädig. Ich wünschte nur, der Ausdruck meines Respektes würde nicht beeinträchtigt durch so unruhige Augenblicke, wie die jetzigen es sind. Ja, Herr Professor Gottsched, die Umstände werden immer drohender, und es ist ein harter Tag angebrochen für Leipzig und für uns.

GOTTSCHED. Schon wieder was Neues?

GRÄFIN. Wie?

FRAU GOTTSCHED. Was denn?

BOLZA. Was gibt's?

GOTTSCHED. Was gibt es?

GELLERT. Es ist nicht mehr daran zu zweifeln, daß die Preußen unter Anführung des Prinzen Heinrich eine große Feldschlacht gewonnen haben in der Gegend von Freiberg!

GOTTSCHED. Gewonnen!

GRÄFIN. Wahrhaftig?

BOLZA. Weh' mir!

CATO. Bei Freiberg!

GOTTSCHED sehr betroffen. Gewonnen![67]

GELLERT. Ja, gewonnen! Sachsen ist also wieder ganz in ihrer Gewalt. Das hätte für uns nicht soviel Bedenken, wenn der König selbst oder auch Prinz Heinrich hierher nach Leipzig kämen. Denn beide sind Freunde der Wissenschaft, und der Zwiespalt, welcher sich zwischen den Kriegsleuten und unsrer Universität entsponnen, würde wohl von diesen königlichen Herren friedlich beigelegt. Aber der König ist fern, und ich höre eben, daß Prinz Heinrich sich gegen Dresden richte, um einen Waffenstillstand zu erzwinge, daß aber die Reiterei hierher sich wende und schon vor unseren Toren sei. Man erwartet jede Minute das Einrücken derselben, und man sagt, es seien diejenigen Reiter, welche wir am meisten zu fürchten haben, die Seydlitzschen Kürassiere, und Seydlitz selbst, der schärfste Widersacher unsrer Universität, komme an ihrer Spitze!

BOLZA. Teufel!


Alle sehen nach ihm; kurze Pause.


GOTTSCHED stöhnt.

CATO für sich. Meine Lage wird gefährlich.

GELLERT. Damit ist ausgesprochen, daß das Kriegsverfahren gegen uns Professoren in der nächsten Stunde beginnen kann. Ich habe große Besorgnis davor, denn ich bin ein stiller Mann des Friedens, und ich bitte Sie, lieber Herr Gottsched, mit unsrer Protestation nicht in so kritischem Momente hervorzutreten.

FRAU GOTTSCHED. Gottsched!

GOTTSCHED. Das ist zu spät. Die Protestation ist schon seit einer Stunde auf dem Rathause.

GELLERT. Um des Himmels willen! Dann eilen Sie selbst aufs Rathaus, sie zurückzunehmen! Ich bin noch keinem Soldaten begegnet, noch wird es Zeit sein, noch wird sie der Herr Bürgermeister in Händen haben!

GOTTSCHED unsicher. Ich kann doch nicht – solch einen Schritt rückwärts – tun, der meine Konsequenz bloßstellen müßte. –

FRAU GOTTSCHED. Tu' ihn, Gottsched, tu ihn!

GELLERT. Besser ist Schweigen als Halbsprechen und eine gute Sache dadurch aussetzen! Durchsetzen können wir's doch nicht gegen die Kriegs macht!

GOTTSCHED. Warum nicht? – Was kann man uns tun?

GELLERT. Alles![68]

GOTTSCHED. Alles?

GELLERT. 's ist ja Krieg!

GRÄFIN. Ich beschwöre Sie, Herr Professor Gellert, haben Sie keine Nachricht, ob die Reichsarmee unter dem Prinzen Stollberg in die Affäre bei Freiberg verwickelt worden sei?

CATO. Ja, die Reichsarmee!

GELLERT. Haben Sie ein persönliches Interesse bei dieser Frage?

GRÄFIN. Ach jawohl, das größte!

WILHELMINE. Jawohl!

GELLERT. Mein Gott –!

GRÄFIN. Sie wissen etwas –!?

GELLERT. Nichts Besonderes, durchaus nichts Besonderes.

GRÄFIN. Reden Sie! ich beschwöre Sie, sagen Sie alles, was Sie wissen!

GELLERT. Nun, es heißt allerdings, die Reichsarmee – sei ebenfalls in die Schlacht verwickelt und – ebenfalls aufs Haupt geschlagen worden.

GRÄFIN. O mein Gott!

GELLERT. Sie haben indessen wie herkömmlich, mehr Gefangene als Tote verloren.

CATO. Wie herkömmlich!


Kurze Pause.


WILHELMINE zu der Gräfin eilend. Trösten Sie sich, Mama, im schlimmsten Falle ist also der Vater gefangen!

FRAU GOTTSCHED. Der Vater!?

BOLZA. Der Graf!

GELLERT. Der Herr Graf?!

GRÄFIN. Ja, mein Gemahl kämpft neben dem Prinzen Stollberg, und seine Gefangenschaft wäre ein erschreckliches Unglück für ihn, weil er überall laut und öffentlich auf das eklatanteste Partei genommen hat gegen die Preußen.

GOTTSCHED zu Cato halblaut. Gellert kann nicht unrecht haben, und es wäre wohl ratsam, Cato, Er eilte aufs Rathaus, um beim Herrn Bürgermeister zu fragen –

CATO. Meinen Sie, Herr Professor?


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 67-69.
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