Fünfte Szene.


[110] Gräfin Manteuffel tritt ein. Die Vorigen.

Alle treten zur Seite, so daß man die Gräfin hinten in der Mitte sieht.


CATO. Die Gräfin!

WILHELMINE mit Cato am nächsten der Tür. Die Mutter!

GRÄFIN. Wahrhaftig, derselbe Mensch wieder am Arme meiner Tochter!

WILHELMINE. Liebe Mama! –

CATO leise. Still, Wilhelmine!

GRÄFIN. Was soll das heißen?! Ist denn die ganze Welt aus Rand und Band? Langsam vorkommend. Wohin ich trete, Ungehörigkeit, Roheit, Mangel an Sitte und Respekt. Unter diesen Soldaten, selbst unter den höheren Offizieren, welche doch Leute von Familie sind, keine Achtung mehr vor Stand und Rang und Geschlecht! Herr Professor Gellert, was wird aus dieser Welt! Ich bin auf dem Rathause behandelt worden wie ein Bauernweib, wie eine Poissarde, ja selbst der oberste Befehlshaber hat meine kummervolle Erkundigung nach meinem Gemahl trostlos und schnöde bescheiden lassen. Darüber noch außer mir, finde ich Zu Gottsched. Ihr Haus verschlossen und erfahre, daß ein höchst zweifelhaftes Sujet Cato ansehend. meine Tochter von dannen geführt. Ich werde genötigt, in strömendem Regen hieher zu laufen, und hier sehe ich diesen selben verdächtigen jungen Mann schon wieder im Begriff, meine Tochter bras dessous bras dessus Gott weiß wohin zu bringen – meine Herren Professoren und Frau Professorin, darf ich wohl bitten, ein wenig lebhafter geschützt zu werden in den Egards, welche mir und der Komtesse Manteuffel gebühren!

GOTTSCHED. Gnädigste Gräfin!

FRAU GOTTSCHED. Frau Gräfin!

WILHELMINE. Aber, liebe Mama, dieser Mann ist ja –

CATO. Wilhelmine, ich beschwöre dich, jetzt nicht!

GRÄFIN. Was ist das?! Herr, welche vertrauliche Anrede erlauben Sie sich gegen die Komtesse! –[110]

WILHELMINE zu Cato. Ich ertrage dies nicht länger, und du siehst, wohin das unwahre Wesen führt! Es ist ja, liebe Mama –

CATO. Wilhelmine!

WILHELMINE. Es ist ja Vetter Fritz!

CATO. Nun ist's vorbei!


Pause.


GRÄFIN. Was? Friedrich von Rothenhain?!

CATO. Ja, gnädigste Tante, Friedrich von Rothenhain, der sich unter so mißlichen Umständen Ihnen nicht entdecken wollte.

GRÄFIN. Nennen Sie mich nicht Ihre Tante! Die Verwandtschaft ist so weitläufig, daß deren Erwähnung nicht gestattet werden konnte, weil Sie zufällig beim Bruder meines Gatten erzogen wurden. Ihr Betragen hat Sie aller Gemeinschaft mit uns unwürdig gemacht und hat bewiesen, daß die alten Grundsätze guter Häuser vollkommen recht haben: den niederen Adel streng zu scheiden vom Reichsadel.

CATO. Frau Gräfin!

GRÄFIN. Eine Laufbahn wie die Ihrige, Herr von Rothenhain, kann dem Sprößlinge einer mit Recht stolzen Familie nicht begegnen; denn sein Stolz würde es nimmermehr gestatten, daß er seine Fahne verließe, wie Sie nach der unglücklichen Affäre bei Roßbach die Fahne des Reichs verlassen haben; sein Stolz würde ihm nicht gestatten, daß er sich in zweideutiger Gesellschaft von Skribenten umhertriebe jahrelang, wie Sie getan, ja daß er am Ende gar in einer Bedientenlivree zum Vorschein käme, ausgerüstet mit Harlekinsjacke und Possenkram, seiner früheren Bekanntschaft und seinen weitläufigsten Verwandten zum Abscheu!

WILHELMINE. O mein Gott, Mutter!

GRÄFIN. Schweig, und tritt hinweg von diesem gezeichneten Manne!

CATO. Madame la Comtesse, die Egards, welche Sie in Anspruch nehmen, haben Ihnen soeben gestattet, mich hier vor zahlreicher Gesellschaft zu schmähen. Diese Egards werden mir hoffentlich eine Rechtfertigung, wenigstens eine oberflächliche Rechtfertigung einräumen.

GRÄFIN. Für Ihren Lebenswandel gibt es keine Rechtfertigung!

CATO. Es gibt eine, wenn ich auch nicht erwarte, daß Sie,[111] Frau Reichsgräfin, diese Rechtfertigung sogleich verstehen und anerkennen möchten.

GRÄFIN. Und mit dieser Erwartung allein wird es seine Richtigkeit haben!

CATO. Madame! Sie haben etwas gesagt, wofür ich blutige Genugtuung von einem Manne verlangen würde. Sie können als Dame solche Genugtuung nicht gewähren und zeigen sich doch auch abgeneigt, nur eine Erwiderung anzuhören. Wäre dies würdiger Stil des hohen Adels? – Madame! Sie haben gesagt, ich hätte meine Fahne verlassen. Das hab ich nicht! Die Fahne hat uns verlassen, uns unglückliche Kinder dieses Deutschen Reichs, die wir nicht Preußen und nicht Österreicher sind! An das Weiberregiment und den Weiberkrieg der Franzosen hat man uns gekettet, in Schlachten hat man uns geführt, die weder Sieg noch ehrenvollen Tod, sondern nur lächerliche Schmach bringen konnten. Fühlen Sie, was das heißt? Zähneknirschend hab' ich's ertragen bis zum Tage von Roßbach; an jenem schmählichen Tage noch habe ich gefochten bis zum äußersten, und ich ernte jetzt noch für meine Hartnäckigkeit die erbitterte Verfolgung der Preußen, wie Sie selbst vor einer Stunde sehen konnten. Das schwache Häuflein, welches von unsrer Reichsarmee übrigblieb, hab' ich nach der Niederlage sammeln und in Sicherheit bringen helfen, und dann erst, dann erst, Madame, hab' ich meinen Abschied genommen. Ich hab' ihn genommen, weil diese Reichsarmee ein machtloser Haufe ist, ohne Kern und ohne Ziel, und weil ich nicht ein Lanzenknecht sein, sondern meinem Vaterlande dienen will. Wo ist mein Vaterland? Es ist nicht bloß, wie Sie sagen, Madame, in Franken, nicht bloß, wie Sie sagen, in dieser oder jener kleinen Reichsunmittelbarkeit. Deutschland heißt es. Wo ist Deutschland? O, daß man so fragen, daß ich es suchen muß, wie etwas Unbekanntes, dies ist der jetzigen Jugend schmerzliches Unglück, groß genug auch ohne Ihre Schmähung! Er tritt rückwärts zur Seite.

GELLERT. Sprechen Sie weiter, junger Mann!

GRÄFIN. Was beweist dies freigeistige Quodlibet?

CATO mit Gellert vorkommend. Was es beweist? Madame, es beweist: daß die reichsadligen Anmaßungen nicht den Kern und die Kraft Deutschlands bilden und sich nicht dafür ausgeben dürfen, unser Reich zu sein. Das beweist es! Es beweist ferner, daß wir[112] auch im Genie des Königs von Preußen und in der Tapferkeit seiner Völker ein neues Lebenselement unsers veralteten deutschen Reiches finden und anerkennen dürfen, und es beweist endlich, daß Leute wie ich und meine Freunde eine Rolle der Vermittlung und Versöhnung suchen, ergreifen und durchführen müssen. Solch eine Rolle verstehen Sie nicht, Frau Gräfin, und darum schmähen Sie dieselbe, und doch ist sie, ach, ohnehin so dornenvoll; denn sie kann nirgends auf der breitgetretenen Heerstraße einhergehen und kann nirgends mit dem großen Haufen wandeln, und sie hat nirgends etwas gemein mit den beliebten Stichworten des Tages und erntet darum nirgends Lob und Anerkennung. Verzweifelt wäre ich längst in dieser schweren, undankbaren Rolle, hätte mir nicht Gott dafür einen glücklich heitern Sinn beschieden und mir eine Liebe ins Herz gepflanzt Auf Wilhelmine blickend. eine Liebe, welche eine vorurteilsvolle Mutter wohl zerreißen, aber nicht töten kann! Er tritt einen Schritt vor und ergreift die von Gellert dargebotene Hand.

GELLERT. Seien Sie getrost! Ein Mann von Ihrer Gesinnung kommt an ein gutes Ziel!

GRÄFIN welche pantomimisch ihr Erstaunen über Gellerts Worte und Benehmen ausdrückt. Herr Professor Gellert, wohin geraten Sie! Sie, auf welchen man so großes Vertrauen setzt! Sie billigen solchen Wirrwar verwegener Neuerung?!

GELLERT. Dies ist kein Wirrwarr, Frau Gräfin. Dies ist ein so gesunder Ton unsrer Jugend, daß sich mein ganzes Herz daran erlabt!

GRÄFIN. Das sagen Sie?! Nun, Herr Professor Gottsched, der Sie mit höheren Ständen zu verkehren gewohnt sind, so reden Sie, sprechen Sie ein entscheidendes Wort! Wenn Männer von Ihrer Bedeutung es stillschweigend gutheißen, daß alle begründete Ordnung im Reiche, daß alles geweihte Herkommen auf den Kopf gestellt wird, was soll entstehen aus solcher vorlauten Jugend?!

GOTTSCHED. Seien Sie unbekümmert, Frau Gräfin, ich werde niemals so dreiste Formlosigkeit gutheißen! Ich bekämpfe sie in jenen aberwitzigen jungen Skribenten, deren Sie beiläufig gedachten, und deren unverkennbares Echo aus diesem jungen Manne redet –

CATO. Halten Sie ein, mein Herr! Es steht Ihnen übel an, mit Geringschätzung von jungen Schriftstellern zu reden, auf denen unsers Vaterlandes Hoffnung beruht. Man bezahlt es Ihnen überreich,[113] daß Sie seit Jahrzehnten gefällige Ordnung und trockne Sauberkeit der Formen gelehrt mit einem Aufwande und einem Anspruche, als handle es sich um Wohl und Wehe des Deutschen Reichs. Seien Sie begnügt mit dieser Anerkennung, und stören Sie nicht eine junge Welt, deren Seele Ihnen verschlossen ist. Unsre Nachkommen werden mit Stolz auf einen Mann zurückblicken, den Sie einen aberwitzigen Skribenten zu nennen wagen, das kommende Deutschland wird mit Stolz einen Lessing seinen Lessing nennen, wenn der Name Gottsched nur noch eine Kuriosität sein wird!

GOTTSCHED vortretend. Vortrefflich, junger Herr! Auf denselben Lessing, welcher mit Ihnen den buntscheckigen Hanswurst, diese Fratze der Roheit, wieder auf die Bühne bringen möchte!

CATO. Ach nein, mein Herr! Wir spotten über Ihren Harlekinsfeldzug, weil es lächerlich ist, gegen Kleider mit schweren Waffen Krieg zu führen! Auf die Kleider schlagen Sie, und schlagen damit auf ein Herz, welches Sie nicht kennen. Die bunte Jacke auf dem Theater der Neuberin wollen Sie aus Quandts Hofe vertreiben, aber die bunte Jacke unsers Reichs ist Ihnen ganz in der Ordnung. Sie wissen, Sie ahnen nicht, daß es uns eine Genugtuung sein kann, über unsre scheckigen Lappen zu spotten und zu lachen. Sie wissen nicht, daß es einer Nation erwünscht und wertvoll sein kann: die Laune und den Witz des Volkes auf dem Theater dargestellt und wirksam zu sehen, wenn das Volk sonst nirgends Veranlassung hat witzig zu sein. – Sie wissen nicht, daß es nicht bloß um Formen und Gefäße sich handelt in der Literatur, sondern auch um den Inhalt, welcher diese Formen und Gefäße anfülle.

GRÄFIN händeringend zu Gottsched. Grundsätze wie im Bauernkriege!

FRAU GOTTSCHED. Endigen Sie diesen Aufenthalt, Frau Gräfin, wir haben ja unmittelbarer Gefahr zu begegnen!

GRÄFIN. Solche Grundsätze sind die größte Gefahr!

WILHELMINE vor oder hinter der Gräfin zu Cato tretend. Fritz, Fritz, schone ihn doch, damit er für uns spreche.

CATO. Das tut er nie, dieser Mann des Schimmers. Können wir uns nicht selbst helfen, so sind wir verloren für einander, mein geliebtes Mädchen!

GRÄFIN. Muß ich es zum dritten Male sagen: Tritt hinweg, Wilhelmine, von diesem Manne, welchen du nicht mehr kennst![114]

WILHELMINE. Aber, liebe Mutter, er ist es ja allein auf der weiten Welt, welchen ich von Herzen liebe –

GRÄFIN. Wilhelmine!

WILHELMINE. Mutter, liebe Mutter! Vergeben Sie mir den Widerspruch in dieser einzigen Sache! Dem Grafen Bolza kann ich nicht angehören, er ist meiner Seele fremd, und Fritz kann ich nicht verlassen, meine ganze Seele hängt an ihm!

GRÄFIN. Du sprichst wie ein törichtes Kind! Von einer Verbindung mit Graf Bolza ist jetzt bei dessen traurig zweifelhafter Lage gar nicht die Rede, am allerwenigsten spricht man davon in öffentlicher und gemischter Gesellschaft, wenn man von guter Erziehung ist. Aber davon ist die Rede, und darin sollst du wenigstens deine Abstammung bewähren: daß nun und nimmermehr irgend eine Vertraulichkeit oder auch nur Bekanntschaft stattfinden darf zwischen dir und einem Manne, wie diesem Herrn von Rothenhain, welcher seinen immerhin edlen Stand vergißt, welcher alle Schicklichkeit mit Füßen getreten hat, welcher mit gefährlichen, alle Ordnung auflösenden Grundsätzen prahlt, und welcher dem schrecklichen Lose eines Landstreichers und Aufrührers entgegenrennt!

WILHELMINE. Mutter!

GRÄFIN. Zum letzten Male also: hinweg von diesem Manne!

WILHELMINE. Sei barmherzig, Mutter! Ihr zu Füßen fallend. Mein ganzes Leben ruht in diesem Manne! All' meine Gedanken stammen von ihm, all' meine Gedanken gehören ihm! Du tötest dein Kind, wenn du mich unwiderruflich von ihm scheidest!

GRÄFIN deren Aufregung während dieser Rede sichtlich bis zum äußersten gewachsen ist. Unwiderruflich! Dies ist das Wort! Und da ich die Größe deiner Verblendung in dieser Szene erkenne, so sei es zu deinem eigenen Besten sogleich und öffentlich hiermit ausgesprochen, so sei es feierlich ausgesprochen vor fremden Zeugen, daß nie und nimmermehr, solange deine Mutter atmet –

WILHELMINE schreiend und aufspringend. Meine Mutter!

FRAU GOTTSCHED. Um Gottes willen, Frau Gräfin!

GELLERT. Halten Sie ein, freveln Sie nicht an der Zukunft, Frau Gräfin! Die Zukunft ist Gottes. Keine Mutter hat das Recht, Gott dergestalt vorzugreifen!


Fackellicht.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 110-115.
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