Sechste Szene.


[115] Siegmund. Kürassiere. Die Vorigen.

Bei den letzten Worten Gellerts hat sich die Mitteltür angelweit aufgetan. Sie bleibt offen. Man sieht Siegmund inmitten der Tür, durch welche er eintritt. Zwei Kürassiere mit Fackeln hinter ihm bleiben an den Seiten der Tür stehen. Auf dem sichtbaren Vorsaale aufmarschiert Kürassiere, wenigstens acht an der Zahl, die man wegen der deckenden Wand nicht alle zu sehen braucht. Die vier in der Mitte haben die Pallasche blankgezogen, die vier – je zwei – an den Seiten und jetzt nicht sichtbar, haben Karabiner.


GOTTSCHED. Da ist der Feind! Wir sind überrascht!


Bei Gottscheds Worten: »Da ist der Feind!« fährt alles auseinander. Gottsched bleibt links ganz vorn, dann Frau Gottsched, dann hinten Katharina und Schladritz, dann Siegmund nach der Mitte vorkommend, dann, rechts hinüber weichend, die Gräfin, dann Wilhelmine, dann Gellert, welcher sie aufgehoben und geleitet, dann ganz vorn rechts Cato.


SIEGMUND langsam vorkommend. Richtig! der Bäcker hat recht; die ganze Gesellschaft wird wohl beisammen sein. Zu Gellert. Professerchen, es tut mir leid, Sie selber belästigen zu müssen, aber alle Spuren und meine ausgedehnte Order führen hieher. Order muß ich parieren. Der Rüffel von meinem Hauptmann, daß ich mich drüben hätte in die Flucht schlagen lassen, war ohnedies lang genug. Ich muß meine Wachtmeisterehre einlösen damit, daß ich die ganze Gesellschaft abliefere, Mann und Weib, neun Stück in Summa, weil sie alle revoltiert durch Widerstand oder Entweichung. Die Sache wird sehr garstig, aber ich kann meiner Seele nichts dafür.

GELLERT. Tu Er seine Schuldigkeit, lieber Freund!

SIEGMUND. Das muß ich!

GELLERT sehr erregt. Und erwart' Er von uns nichts anderes als Widerspruch; denn wir sind nicht Seine Untergebenen und gestehen Ihm das Recht nicht zu, in friedliche Bürgerhäuser einzudringen!

SIEGMUND. Professerchen! –

GELLERT immer erregter. Mach' Er fort in seinem Soldaten-ABC, Er hat kein Einsehn in unser Recht! Was soll's?

SIEGMUND einen Zettel vorziehend. Professor Gottsched! Näher[116] zu ihm tretend. Haben Sie heut' mittag den Zettel für den Ratsdiener Mohr selbst geschrieben oder bloß unterschrieben?

GOTTSCHED. Den Zettel? – Unterschrieben.

SIEGMUND. Richtig. Wer hat ihn geschrieben?

GOTTSCHED. Mein damaliger Diener, namens Cato.

SIEGMUND. Der Offizier von der Reichsarmee?

GOTTSCHED. Ja, Herr von Rothenhain.

CATO. Hier ist der, welchen du suchest!

SIEGMUND. Ew. Liebden Respektvoller als bisher und auf ihn zugehend. haben mich zwar bei Roßbach garstig zugerichtet, und ich hatte eigentlich bisher einen leidlichen Grimm gegen Sie, aber als Mann vom Fach kann ich doch den Respekt vor der Tapferkeit meines Feindes nicht ableugnen.

CATO. Zur Sache!

SIEGMUND. Ja, die Sache ist's eben, welche mich so mitleidig stimmt für Sie. Ihre Sache steht niederträchtig schlecht! Der kleine Zettel von heute nachmittag hat Sie vollständig in die Patsche gebracht! Allgemeine Aufmerksamkeit. Mein Rapport über die Affäre beim Professor Gottsched vorhin mußte denn auch die kleinen Beutestücke zum Vorschein bringen. Sie bestanden aus einer gedruckten Schrift und dem kleinen Zettel. Sowie der Auditeur das gedruckte Buch sah, schrie er laut auf. Das sei eine streng verbotene kriegsgefährliche Schrift, sagte er, deren Verfasser gesucht werde wie 'ne Stecknadel! Und nun kommt das Unglück für Sie! In demselben Buche, welches bei Ihnen gefunden worden, sind mit Bleistift Anmerkungen eingeschrieben, und wie der Auditeur sagt, Verbesserungen, welche nur der Verfasser selbst geschrieben haben könne. Die Schrift dieser Anmerkungen aber – 's ist ein feiner Kopf! – die Bleistiftschrift sei aufs Haar dieselbe, wie die Handschrift auf dem kleinen Zettel für den Ratsdiener Mohr. Wer also den Zettel geschrieben, der sei auch der Verfasser jener gefährlichen Schrift – Sie also, Herr von Rothenbein oder wie Sie heißen, sind der unglückliche Verfasser jener Schrift!

GOTTSCHED. Nicht übel!

FRAU GOTTSCHED. Armer Mann!

WILHELMINE. O mein Gott!

GRÄFIN. Da beginnt die Strafe!

GELLERT. Mein armer junger Freund![117]

SIEGMUND. Ihr Schicksal tut mir leid, aber das geht im Kriege so!

CATO schmerzlich. Was hätt' ich noch zu verlieren! Sich wendend. Tut Eure Schuldigkeit, Wachtmeister! Führt mich ab! Achtung! Siegmund richtet sich. Rechtsum! Vorwärts marsch!

SIEGMUND nachdem er einen Schritt marschiert ist. Halt, halt! Ich hab ja hier noch die Zivilisten alle aufzurollen! Fünf Mannsbilder und vier Frauenzimmer! Die Frauen zählend. Eins, zwei, drei, vier – die Frauenzimmer sind auf dem Platze –

GOTTSCHED. Bedien' Er sich passender Ausdrücke, Wachtmeister! Es sind Gräfinnen und meine Gemahlin darunter!

SIEGMUND. Echauffieren Sie sich nicht. Ich spreche grad' so wie mein General eben gesprochen hat. Just zwei Gräfinnen Manteuffel, weil von einem Manteuffel bei der Reichsarmee die Rede sein solle, auf dem Rathause.

GRÄFIN. Von meinem Gemahl?!

SIEGMUND. Weiß nicht; aber was Gutes ist's nicht, das muß ich Ihnen voraussagen.

GRÄFIN. Allmächtiger Gott!

SIEGMUND. Nun die Männer! – Da sind nur vier! Holla, wo ist Graf Bolza? Das wär' nicht übel! Zu Gellert. Ehrwürdiger Herr Professor, erschweren Sie nicht die verdrießliche schichte! Allen Anzeichen nach ist der Graf ebenfalls bei Ihnen. Rufen Sie ihn herbei, sonst muß ich, trotz meinem guten Willen für Sie, das Hans von oben bis unten durchsuchen lassen!

GELLERT. Ich bin Mitglied der Universität und kursächsischer Untertan – rechtmäßig steht meine Behausung keinem fremden Soldaten offen, mein Freund! Ich bin ein friedliebender Mann, mein Freund, aber in meinen vier Pfählen bin ich mein eigner Herr und lasse mir nicht kommandieren durch brutale Gewalt, und lasse mir nichts antasten, so weit ich's hindern kann! Seinen italienischen Grafen liebe ich nicht und schütze ich ungern, aber auch über ihn würde ich solchergestalt unter keiner Bedingung Rede und Auskunft geben, und wenn sich dieser Graf selbst zu mir geflüchtet hätte, so würde ich ihn um keinen Preis ausliefern, darauf kann Er sich, mein lieber Freund und Wachtmeister, verlassen, wie auf ein Evangelium!

SIEGMUND. Das hilft uns ja alles nicht, Professerchen, ich [118] muß! – Den Teufel auch! Wenn ich den Grafen einbüßte, so ginge mir's hundeschlecht! Der ist ja neben dem jungen Herrn hier Auf Cato zeigend. und etwa noch dem Professor Gottsched die wichtigste Person fürs Kriegsgericht!

GOTTSCHED leise. Kriegsgericht!

FRAU GOTTSCHED. Kriegsgericht?!

SIEGMUND. Ich kann mir also nicht anders helfen! Nach der Tür sehend und dahinzu kommandierend. Zweiter Zug! Achtung! Man sieht sie zusammenrücken, die Fackelträger treten ganz herein und links und rechts von der Mitteltür an die Hinterwand. Der Graf muß herbei! Nach der Tür links hinten gehend.

GELLERT. Dort wohnt meine Wirtin, und der Eingang zu ihr ist von außen.

SIEGMUND. So? – Verschlossen! Ich will aber von hier hinein!

GELLERT unbeweglich. Durch meine Hilfe gewiß nicht!

SIEGMUND. Und jene Tür? Nach rechts zeigend und einige Schritte darauf zugehend.

GELLERT. Mein Schlafzimmer, nur wenige Schritte lang und breit.

SIEGMUND. Groß genug zum Versteck – auch verschlossen? – hat auch den Eingang von außen?

GELLERT scheint heftig sprechen zu wollen, schweigt aber.

SIEGMUND. Nun? Zu Gellert gehend. Also sogleich zu öffnen!

GELLERT in großer Bewegung. Nimmermehr! So wahr ich Gellert heiße, das tu' ich nicht und duld' ich nicht, so weit's auf mich ankommt!

SIEGMUND. Also! Ich bin am rechten Orte! Nach der Mitteltür sprechend. Zwei Flügelmänner rechts und zwei Flügelmänner links, schultert – Karabiner! Man hört das Geräusch des Schulterns. Rechts und links abgeschwenkt, marsch! Kommen von rechts und links vormarschiert und stehen bei »Halt!« einander gegenüber vor der Tür, also seitwärts gegen das Publikum. Halt! Front! Machen Front gegen die Szene. Vorwärts marsch! Marschieren ins Zimmer. Halt! Zwei Mann hieher! Zeigt auf die Tür links, zwei Kürassiere stellen sich auf mit dem Gesicht gegen die Tür links. Zwei Mann hieher! Die Tür rechts zeigend und die zwei Mann hinweisend. Er kommandiert vorn auf dem Theater stehend mit dem Rücken gegen das Publikum. Macht Euch fertig zum – Feuern! Sie nehmen ihre Karabiner in Arm, untersuchen die Pfannen und ziehen auf.[119]

GELLERT. Entsetzlicher Mensch!

FRAU GOTTSCHED. Mein Gott!

GOTTSCHED. Brutal!

GRÄFIN. Gott steh' uns bei!

SIEGMUND. Da man die Schlösser nicht aufschließen läßt, so laß ich sie aufschießen!

GELLERT. Barbarischer Mensch, und dort vielleicht meine Mietsfrau erschießen, und hier –

CATO rasch leise zu Gellert. Ist der Graf in dem kleinen Zimmer, so wird er ja wahrscheinlich auf diese Weise erschossen. Schlimmeres kann ihm ja auch im schlimmsten Falle vor einem Kriegsgerichte nicht widerfahren. Ist er drin?


Man hört von der Seite der Fenster einen vollen Trommelmarsch aus der Ferne von der Straße herauf.


GELLERT leise. Freilich! und 's ist ja gar nicht verschlossen!

SIEGMUND. Da rückt Infanterie ein; nun haben wir Reiter Eile, abzumachen, was wir angefangen – Achtung! Schlagt an!

ALLE. Nein! Halt!

GELLERT. Haltet ein um Gottes willen!

CATO während jener Worte schon nach hinten gehend, kommandiert. Setzt ab! –

BOLZA tritt bei »Gottes willen« aus der Tür bis in die Mitte vor. Ich danke Ihnen, Herr Gellert – führt mich vor Euren Chef!

SIEGMUND. Hahn in Ruh! Vorwärts!

GELLERT in größter Aufregung. Nun, so möge mir Gott verzeihn, wenn ich das nicht geduldig und christlich ertrage; mit meiner Geduld ist's am Ende, und ich werde reden, Siegmund ist einen Schritt vorgekommen, erstaunt über den Professor, und dieser ist einige Schritte auf ihn zugegangen und greift ihn jetzt einen Augenblick an dem Bandelier der Patrontasche oder am Arme. dreister Kriegsmann, gegen Gewalt, so laut ich mit meiner Stimme reden kann und wär's auf dem Markte. Verstehst du mich, Mann der zudringlichen Gewalt?! Sich rasch umwendend. Kollege Gottsched! empfinden Sie die Erniedrigung, welche man uns antut, uns friedlichen Bürgern, stillen Männern edler Wissenschaft, empfinden Sie die Erniedrigung, wie ich sie empfinde –

GOTTSCHED ihn mit starker Stimme unterbrechend, dabei aber seine Frau ansehend. Ich empfinde sie in voller Größe und Gewichtigkeit und bin auf alle Gefahr hin bereit.[120]

GELLERT fortwährend zum eifrigsten Sprechen bereit und Gottsched unterbrechend. Recht so! Ihre Hand! Faßt zu. Auf alle Gefahr hin bereit dagegen aufzutreten, sei's vor Kaiser und Reich!

GOTTSCHED. Sei's vor Kaiser und Reich!

GELLERT. Ja, sei's vor einem Kriegsheere, welches tausend Feuerschlünde auf uns gerichtet hielt.

CATO vortretend und Gellerts linke Hand ergreifend. Die Sicherheit im deutschen Bürgerhause zu vertreten!

GELLERT. Zu vertreten, solang' ein lebendiger Odem in uns ist!

CATO. Vorwärts!

GELLERT sich wendend, indem er Gottscheds Hand losläßt, Hut und Stock nehmend. Vorwärts! Und nicht Ihr Soldaten sollt uns aufs Rathaus führen, nein, wir Bürger wollen Euch führen in das Haus unsers Rates und unsers Rechtes, wo Ihr uns verhöhnen und mißhandeln könnt, wo Ihr aber hören sollt, was Rechtens ist für einen deutschen Bürgersmann!

CATO. Vorwärts!

GOTTSCHED. Vorwärts!

GELLERT. Vorwärts!


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 115-121.
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