Zweite Szene.


[124] Gottfried. Die Vorigen.


FRAU GOTTSCHED. Gottfried!

GOTTSCHED. Gottfried – gefangen!

BOLZA. Der Reitknecht gefangen!

FRAU GOTTSCHED. Allmächtiger Gott – Gottsched und Bolza ansehend. unser Brief!

GOTTSCHED leise. Jawohl!

GRÄFIN. Du bist auch gefangen, Gottfried, was heißt das?

SIEGMUND. So heul' Er nicht, und red' Er!


Zieht sich nach hinten.


GOTTFRIED. Ja doch!

GOTTSCHED. Unglücklicher! Du bist so ungeschickt gewesen, dich fangen zu lassen!

GOTTFRIED. Na heeren Se, und da heeßen Se mich och noch ungeschickt, und Se sein doch schuld an meinem Malhör! Die Herrn Kürassiere sagen, Gott verzeih mir die Sünde, ich würde gehenkt![124]

GRÄFIN. Wieso denn?

GOTTSCHED. Sprech' Er doch leise!

BOLZA leise. Hat Er den Brief abgegeben an die Preußen?

GOTTFRIED. Ne, abgegeben hab ich ihn nicht.

GOTTSCHED. Gott sei Dank!

BOLZA leise. Er hat ihn also noch?!

GOTTFRIED. Ne, haben tu ich ihn och nicht mehr!

GOTTSCHED. Göttlicher Gottfried, wer hätte dir die Einsicht zugetraut! Leise. Du hast also den Brief, der uns jetzt in Lebensgefahr bringen könnte, beiseite gebracht!

BOLZA. Wahrhaftig? Ja?

GOTTFRIED sieht beide dumm fragend an. Als wie den Brief? Ne, mich haben sie bald auf die Seite gebracht, die Herrn Kürassiere! Herr Jeses, ich bin ja nur bis an die Griene Schenke 'naus gekommen, da begegneten sie mir schon und kriegten mich beim Schlafittchen, ach, wenn das meine Mutter erfährt!

GOTTSCHED. Der Brief!

BOLZA. Der Brief! Wo ist er hin?

GOTTFRIED. Ach, der hat keenen Schaden gelitten.

GOTTSCHED. Wo ist er?

FRAU GOTTSCHED UND BOLZA. Wo ist er?

GOTTFRIED. Wo er ist? Na Auf das Zimmer des Auditeurs weisend. da drin –

GOTTSCHED UND FRAU GOTTSCHED. Dort –

GOTTSCHED. Kerl, du sagst ja, du hattest ihn nicht abgegeben!

GOTTFRIED. Ne doch, abgenommen haben sie mir 'n!


Pause.

Gottsched und Bolza an ihre Plätze zurück.


GRÄFIN. Ist der Brief an mich, und steht etwas Gefährliches darin?

GOTTSCHED. An den kaiserlichen General Serbelloni ist er gerichtet –

FRAU GOTTSCHED. Und das Gefährlichste steht darin!

GELLERT. Fassung! Man wird, man muß ein Einsehen haben bei Bürgersleuten, welche im Kriege nicht offiziell beteiligt sind!

GOTTSCHED. Keine Verblendung jetzt am äußersten Punkte! Erinnern Sie sich, Gellert, unsrer Leipziger Abgeordneten, des[125] Kammerrat Hohmann, der Kaufherrn Winkler, Konrad, Gebrüder Richter und wie sie weiter heißen, welche wegen der Kriegsschatzung, so Leipzig zahlen mußte, billige Vorstellungen machten? Sie waren in gutem bürgerlichen Rechte; denn die Schatzung war so hoch, daß unsre Enkel noch werden zahlen müssen an der Schuld, und was geschah ihnen wegen der billigen Vorstellung? Sie wurden mit Todesstrafe bedroht! Erinnern Sie sich des Ministers Wackerbarth? Er wurde nur verdächtig und ward plötzlich aufgehoben und hin weggeführt in die Festung Küstrin. Haben wir nicht alle den Grafen Seckendorf draußen in Meuselwitz gekannt? Als bescheidener Privatmann lebte er da, ein Greis, und ward als verdächtig angeklagt und verschwand wie ein Meteor hinter den Festungswällen von Magdeburg!

FRAU GOTTSCHED. Gottsched! Siegmund hinten hinaus.

GOTTSCHED. Jetzt ist der Augenblick gekommen, Madame, zu stehen oder zu fallen. Weil ich die Gefahr übersah, durfte ich schwanken, solange noch Mittel vorhanden waren, dem wirklichen Zusammenstoße auszuweichen – was ein Weiberverstand leicht mißdeutet. Nun aber gilt's! Zeigen wir der Welt, daß die Männer der Wissenschaft auch Männer von Charakter sind!


Man hört Geräusch links von der Straße herauf und sieht hinten im Vorsaale Bewegung. Gellert und Cato eilen ans Fenster.


GELLERT im Hinübergehn. Es wird lebendig unten!


Man hört einen sehr vollständigen Trommelwirbel auf der linken Seite.


SIEGMUND von hinten hereinkommend. Der Prinz kommt! Treten Sie auf die Seite Die rechte ist gemeint. hinüber! Er wendet sich wieder nach hinten.

CATO am Fenster. Das ist er!

GELLERT ebenfalls hinaussehend. Jünger und freundlicher als der König! Welch ein schönes Roß, dieser Schimmel, und so ruhig bei all dem Lärmen und Lichtschimmer!


Neuer Trommelwirbel.


SIEGMUND wieder hereinkommend. Herr Professor Gellert, da hinüber! Der Prinz kann jeden Augenblick hier eintreten!

GELLERT. Ja doch! Geht nach rechts hinüber mit Cato.


Bei den Worten »hier eintreten« erscheinen hinten inmitten des Vorsaals von links einige Soldaten mit Fackeln; die übrigen Soldaten haben sich rangiert, voran die Trompeter, und sowie die Fackelträger erscheinen, blasen die Trompeter[126] Fanfare. Während der Fanfare tritt von links inmitten des Vorsaales Prinz Heinrich ein und schreitet auf die Türe zu.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 124-127.
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Gottsched und Gellert
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