Vierzehnte Szene.


[87] Zimmer der Königin. Es dunkelt.

Christine. Dann Monaldeschi.


CHRISTINE tritt auf, ein Diener, der eine Harfe herbeiträgt, folgt ihr. Dies Verhaftungsschauspiel soll geendet sein, und der Marquis soll zu mir kommen. – Diener verbeugt sich und geht.


Die Königin macht einen Gang durchs Zimmer, dann setzt sie sich zur Harfe und spielt – nach einer Weile tritt geräuschlos Monaldeschi ein. Er lehnt sich schweigend an die Wand. Christine bemerkt ihn, ohne sich zu unterbrechen. Sie pausiert nur, wenn sie ihn anredet, bei seinen ersten Antworten spielt sie weiter, und erst im Verlauf des Gespräches hört sie auf.


CHRISTINE. Rauflustiger Sünder, bist du noch am Leben?

MONALDESCHI. Ich bin ja wie ein Kind behütet, das noch nicht selbständig laufen kann!

CHRISTINE. Ich wollte, meine Eltern lebten beide noch und täten mir also – ach, ich sehne mich nach Hilfe und Rat. Und – ich werd' es tun. Monaldeschi macht eine rasche, ablehnende Bewegung. Sage nichts! Sage nichts! Du bist ein Mann, du verstehst mich nicht, verstehst nicht meine Pein! – – Träumen und lieben will ich! Ein Weib bin ich, wie sehr man es verleugnet hat, und dieser Zwang der täglich wiederkehrenden kleinen Pflichten und Handlungen bringt mich zur Verzweiflung. Denn was wir täglich tun müssen, wie weit greifend es sei, erscheint uns klein. Ob ich einem Statthalter Order gebe, oder ob der Handwerker seinem Gehilfen Anweisung gibt, das wird in der Gewohnheit weniger Wochen gleich wichtig und gleich unwichtig und gleich lästig – ich will Zeit und Raum für mein Herz und meinen Gott!

MONALDESCHI. Arme Königin! Verblendete Frau! Tändelnd wandelst du am Abgrunde und wirfst Blumen hinunter, und weil[87] du nicht siehst, daß sie zerschmettert würden, weil du siehst, daß sie auf leisen Winden hinunterschaukeln, meinest du, betörte Königin, auch du mit deinem ganzen Gewichte würdest leise hinuntergeschaukelt werden in die geheimnisvolle Tiefe eines verborgenen Asyls! Selbst die Blumen, von ihrer Wurzel gerissen, welken und verderben da unten. Wir sind keine Blumen und haben doch auch unsre Wurzeln. Von unserm Platze weichend zerschmettert uns die Wucht der eignen Schwere, und gar die Wucht einer regierenden Königin! Arme Frau – und kämest du glücklich hinab, du verdorrtest außerhalb deines Bodens! Arme Königin, du schwärmst in dein Verderben!

CHRISTINE. Du kannst es nicht begreifen, Mann! Dir gilt die Herrschaft mehr als die Liebe!

MONALDESCHI. Wer mag die größten Regungen trennen! Ist nicht die Liebe selbst zur Hälfte Herrschaft? Halb will man beherrscht werden, halb will man beherrschen: aus diesen zwei Hälften besteht die Liebe. Ist nicht aller Drang, der uns treibt, der uns das Leben anziehend erhält, ist's nicht der Drang nach Herrschaft? Du suchst einen Gott, einen Glauben, um in die Herrschaft der Welt eingeweiht zu werden; du suchst Kenntnis und Wissenschaft, um den inneren Gang der Dinge zu beherrschen; du trachtest nach Stärke und Einheit des Charakters, nach Stärke und Einheit des Entschlusses, um Herrscher zu sein über alles, was dir begegnet, und die Krone, das anerkannte Symbol aller Herrschaft, willst du von dir tun? Von dir tun, um frei zu sein? Man ist nur frei, wenn man mächtig ist.

CHRISTINE. Ich bleibe Königin Christine, auch wenn ich aufhöre, regierende Königin von Schweden zu sein!

MONALDESCHI. Ebenso zuversichtlich spricht der Schauspieler, der einen König in richtiger Empfindung spielt: Ich bin König! Wer ist es mehr, solange die Täuschung dauert! So bleibst du Königin für dich, doch nicht für andre Leute!

CHRISTINE. Gibt's denn nicht Verträge, die man abschließt für die Zukunft?

MONALDESCHI. Verträge sind nur etwas zwischen gleichstarken Mächten, und sind nur sicher für heut und morgen. Machen wir Menschen, die wir Verträge machen, machen wir allein die Zukunft? Können wir also darüber verfügen? Als Königin schließest du den Vertrag, und so wie er geschlossen, bist du Privatperson, bist unmächtig, wenn der nunmehrige König nicht gewissenhaft ist.[88]

CHRISTINE. Aber das wird er sein!

MONALDESCHI. Vielleicht! Wer tritt ohne Not auf die Brücke des Vielleicht! Und nicht bloß vielleicht: der König ist nichts einzelnes, er ist die Spitze eines ganzen Reichs; Schicksale und Stimmungen des Reichs ändern sein Gewissen, ändern das Recht, das er dir gewährt, denn das Recht ist eine Übereinkunft zwischen Menschen – veränderst du deinen Glauben, den herrschenden Glauben dieses Landes, so wird man dir sagen, du seist aus der höchsten Sphäre herausgetreten, wodurch in diesem Lande alles Recht und aller Vertrag geweiht werde, nicht mit dir, mit einer anderen habe man Verträge geschlossen!

CHRISTINE. Höre auf! Du bist ein Sophist, der alles schwarz macht, weil er es schwarz zeigen will, – und vergoldet der Ruhm nicht mit himmlischem Strahle ein ganzes Leben, der Ruhm, einer Krone freiwillig entsagt zu haben? Ihr entsagt zu haben ohne Not und Drang, bloß um die wirklich höchsten Güter des Menschen lebendig, frei und wirksam zu machen in sich? Bloß um dem freien Sinne für Gott, Kunst und Wissenschaft frei zu genügen? Gibt's Größeres auf Erden, als solchen Ruhm?

MONALDESCHI. Es gibt Größeres, denn dein Ruhm solcher Art ist hohl und leer! Wer nach Ruhm jagt, hascht nur des Ruhmes Kleid. Ruhm ist der Hauch der Handlung, ist die Seele der Tat. Du willst nicht wirken, du willst nur genießen, dein Ruhm ist ein prasselnd Feuerwerk der Eitelkeit! Dich reizt es, was die Leute in Europa acht Tage lang sagen werden, nicht aber, was lebendig Ruhmvolles daraus erwächst. Und es erwächst nichts, wohl aber geht viel zugrunde. Kunst und Wissenschaft kannst du als mächtige Königin schützen und fördern – als entthronte Königin magst du mit ihnen spielen.

CHRISTINE. Freund, es gibt einen Drang im Menschen, der über alles Räsonnement hinaus mächtig, ja unwiderstehlich ist. Der Hirsch muß zum Wasser gehn, auch wenn er weiß, daß der Jäger am Wasser lauert. Ich muß, Giulio, ich muß! Sie streckt die Hand aus, er kommt und kniet vor ihr. Bleibt uns nicht Wissenschaft? Bleibt uns nicht Gott, den wir reicher suchen können, als in den engen Formen dieses kalten Landes? Bleibt uns nicht die Liebe, von niemand mehr behindert und gestört? – Du schweigst? In dein Vaterland wollen wir ziehn und glücklich sein![89]

MONALDESCHI. Hab' ich ein Vaterland?

CHRISTINE. An meiner Seite sollst du es wieder gewinnen. O wie geht mir das Herz weit auf, wenn ich mich frei von all diesen Fesseln denke! Kein lästiges Geschäft tritt uns mehr in den Weg, wenn wir uns einer Wissenschaft, einer poetischen Welt hingeben wollen; der feierliche prächtige Kultus Gottes steht uns offen, man kann sich ihm hingeben rückhaltlos und völlig, kann die Seele auffliegen lassen in alle Farben und Töne, und die Liebe schlummert und tändelt furchtlos in Gottes schöner Welt. Keines prahlerischen Edelmannes Neid wird uns mehr lästig – Giulio! Und das alles wäre nicht den eitlen Schimmer einer Krone wert? – Glückselige Stunde, wo alle Wonne einer freien Zukunft über mich kommt, laß uns sie weihen, laß uns sie fesseln! Hier Sie greift in den Busen. – hier nimm es hin, ein zauberisches Erbstück unsers Hauses, was von Königin zu Königin herabgeerbt ist aus alter katholischer Zeit, ein Amulett der Liebe, das wonnereiche Bildnis der heiligen Magdalena – nimm es hin, bewahre es treu, es ist die Bürgschaft unseres Glückes, unsrer Liebe – bewahr' es treu, die Sage haftet daran, es sei des Todes, wer es verliere oder veräußere – mit ihm ist Leben und Liebe uns sicher! Sie neigt sich, es ihm um den Hals zu hängen.


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 23, Leipzig 1908–09, S. 87-90.
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Monaldeschi
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