Siebente Szene.


[121] Monaldeschi. – Die Vorigen.


MONALDESCHI ihm nachsehend.

Und er hat recht! – In meinem alten Fehler,

Sentenzen machend, treib' ich mich umher,

Erhitze mich und übertreibe mich!

Daß wir gequält sind, alles zu erklären,

Und damit unsere Wirklichkeit zu fälschen!

Es kommt doch alles aus verborgnem Schoß,

Und die Erklärung, sich als Mutter spreizend,

Ist ewig nur die Amme unsrer Tat;

Wo aber Tat sich räsonnierend zeugt,[121]

Da ist sie stets ein gar verkrüppelt Ding –

Fort, Plunder! 's gibt zu handeln!


Streckt die Hand in die Luft.


Fertig ist der Wind.


Unterdes hat sich Santinelli leise erhoben und ist nach der Treppe geschlichen, in der er verschwindet.


Was regt sich denn?


Zu gleicher Zeit macht Sylva eine heftige Bewegung, und Monaldeschi geht stracks auf sie los.


Wer ist der Horcher?

SYLVA.

Ein Weib, das viel zuviel gehört.

MONALDESCHI sich niederbeugend und kniend.

O Sylva!

O linde Luft auf rauhen Winterwind!

Liebreizend Mädchen, deiner Stimme Ton

Fällt stets wie Zauber in mein Innerstes,

Und wandelt alles mir in weiches Sehnen!

SYLVA.

Berühr' mich nicht, Entsetzlicher!

MONALDESCHI.

O ich begreif's, was ich in meiner Jugend

Niemals begreifen konnte, wenn die Mutter

Vom riesenstarken Simson mir erzählte,

Und wie ihn Delila beherrscht, den Riesen.

Das schöne Weib war seines Volkes Feindin

Und war ihm selber feind, und dennoch zog sie

Ihn immerdar zu ihren Füßen hin.

Er kannte ihren argen, bösen Sinn,

Und dennoch ging das Herz ihm bei ihr auf,

Und ihrer Stimme gab er alles hin,

So Mark wie Seele, Leib wie Vaterland –

Da er das Haupt an ihre Knie lehnte,

Durchschauerte ihn süß der Liebeszauber,

Und gern gestand er ihr, daß seine Locken

Die Riesenkraft ihm bärgen, stille litt er's,

Daß ihre Hand ihn an den Locken faßte,

Und daß die andre Hand sie niederschnitt,

Es war ihm süß, im Himmel zu verschmachten –

O Sylva! Sylva!

Es ist dein weiches Herz

Entrüstet über meins, das wetterhart

Und rauh von Rinde ist – ich weiß, ich weiß,

Ich kenne dieses Schauern deiner Nerven!

Nimm diesen Dolch und stoß ihn langsam mir,[122]

Ich will dir helfen, in dies schlimme Herz –

Zu ändern bin ich nicht, ich bin zu alt –

Doch ist's mir Seligkeit, von dir zu sterben,

Zu fühlen, daß die liebe kleine Hand

Krampfhaft mein Herz greift – stoß', ich bitte dich!

Kannst du nicht liebend streicheln, tu's im Töten!

SYLVA.

Jedwedes Wort erhöht mein Graun vor dir!

MONALDESCHI bedeckt sein Gesicht mit beiden Händen.

Unselige Natur, die mir geworden!

SYLVA leise nachsprechend. Unselige Natur!


Pause.


MONALDESCHI.

Sylva! Sylva!

Deine Mutter war blond, die meine war schwarz,

Sanft nordisches Blut ward dir, mir heißes,

Und erst seit kurzem atme ich hier

Die herbe, besänft'gende Luft –

Gib mich nicht auf, o Sylva! Nein!

Gib mich nicht auf! Du bist's allein,

Die mich beherrscht und hält,

Und die mich beseligt oder vernichtet –

Gib mich nicht auf! Der Mensch lernt viel,

Vielleicht auch ich; und die sanfteren Triebe,

Die du mich lehrst, sie werden mich bessern.

Sei gut, o Sylva! Sei's! Der Hafen liegt vor uns,

Wir kehren heim nach Schweden; morgen schon

Ist diese Wirrnis unsrer Königin geschlichtet,

Ich leb' ein stiller Mann zu deinen Füßen

Ein Probejahr, und länger, wenn du willst,

Umdenken kannst du mich und wirst du mich –

O schüttle nicht das Haupt, es ist nicht Spiel

Der Phantasie – der König kennt mich ganz

Und meine Herkunft, die von Schweden stammt,

Er setzt mich ein in aufgegebne Rechte,

Ich trete ein in den Gesellschaftskreis,

Der mich als Abenteurer ausgeschlossen,

Ich werd' ein Friedensmann, o Sylva, Sylva,

O schüttle nicht das Haupt – den guten Vater,

Den dir der Himmel gab, werd' ich bewegen,

Und wie ein Schäfer will ich um dich werben –[123]

Ach, welche Seligkeit, ein durch die Sitte

Geheiligt Band mit dir zu schließen, ruhig

In himmlischem Besitz die Zukunft kommen,

Die Tage gehn sehn, einen wie den andern,

Auf stilles Friedenswerk die Pläne richten,

Auf Garten, Häuserbau, auf stille Plätze

Für dich! Ich seh' dein liebes Lächeln, seh',

Wie es mir dankt, wenn ich dir's recht gemacht,

Wenn dir ein Baum gefällt, den ich gepflanzt,

Und ein Gemach, das ich dir eingerichtet,

Ein schlankes Roß, das ich dir sanft geritten,

O Sylva, alles das liegt vor der Türe,

O schüttle nicht dein Haupt! Reich mir die Hand!

An deiner Wimper hängt mir Tod und Leben –


Pause.


Du schweigst?

SYLVA.

Ich kann das Graun vor dir nicht mehr verwinden!

MONALDESCHI aufspringend.

Allmächt'ger Gott – gabst du mir meinen Vater?


Er verhüllt sein Gesicht.


SYLVA steht auf, breitet die Arme nach ihm, schauert zusammen und geht langsam nach der Treppe.

MONALDESCHI erwachend und ihr nachrufend.

Sylva!

SYLVA schrickt zusammen, steht und macht nach kurzer Weile mit der Hand eine abwehrende Bewegung – verschwindet in der Treppe.


Pause.


MONALDESCHI zu sich kommend und die Hand in die Luft streckend.

Fahr hin!

Ich bin der Mann, mein Schicksal zu erfüllen.


Klatscht dreimal in die Hände, der Schiffer erscheint mit dem Oberleibe aus der Treppe.


Halt' dein Versprechen! Es weht Südwest.


Der Schiffer pfeift; man hört das Signal wiederholen, hört Kommandoworte.

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 23, Leipzig 1908–09, S. 121-124.
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Monaldeschi
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