Elfte Szene.


[65] Monaldeschi. – Christine.


MONALDESCHI atemlos. Verzeiht, gnädige Frau – Man hört Geräusch vom Hofe aus, Wachen, die sich zurufen. man verfolgt mich –


Christine schreit auf und greift nach der Klingel.


MONALDESCHI. Man verfolgt mich wie einen Dieb, man schlägt das Gewehr auf mich an, ich flüchte diese Balkontreppe herauf, weil alle Ausgänge besetzt sind –[65]

CHRISTINE. Verwegener Mensch, keinen Schritt weiter, oder ich greife nach dem Pistol und nach der Klingel!

MONALDESCHI. Bis hierher geflüchtet zu sein, müßt Ihr mir vergeben. Ihr mögt sein, wer Ihr wollt, und wenn Ihr die Königin selber seid. Nicht der kleinste Mensch will aus einem Mißverständnisse totgeschossen sein, und keiner, der König selbst nicht, ist hoch genug, um jemand, der am Abgrunde des Todes schwankt, den kleinen Finger zu versagen. Ich verlange ja nicht mehr als den Schatten dieses Balkongeländers. Auch ohne Eure Drohung hätte ich mir nie erlaubt, die Schwelle dieses Fensters zu überschreiten, bis mir ein Wink Eurer Hand, ein Ton Eurer Stimme die Berechtigung dazu gegeben –

CHRISTINE. Du steigst in die Fenster und berufst dich auf gute Manieren! Ein Räuber, der uns mit der Versicherung anfällt, er wolle bloß rauben, aber keine Unanständigkeit begehn.

MONALDESCHI. Warum nicht, gnädige Frau? – Die Formen, die Vorzimmer, die Anmeldung durch Diener und so weiter, das alles ist doch nur erfunden, um uns gegen Unwillkommene zu schützen –

CHRISTINE. Das seh' ich in diesem Augenblick deutlicher als je –

MONALDESCHI. Erlaubt! Alle menschlichen Schutzmittel sind aber unvollständig –

CHRISTINE. Das seh' ich auch!

MONALDESCHI. Sind nicht nur mangelhaft, sondern auch fehlerhaft. Was uns schützen will, das versperrt uns, das entzieht uns auch etwas. Für Eure Vorzimmer müßt Ihr allgemeine Regeln geben, Ihr müßt sagen: nur zu dieser oder dieser Stunde, nur Leute von dieser oder dieser Beschaffenheit dürfen zugelassen, dürfen gemeldet werden. Durch diese allgemeinen Regeln, die alles Unvorhergesehene und Ungewöhnliche ausschließen, schützt Ihr Euch vor Ungelegenheit, sorgt aber auch für Langeweile! Ihr könnt nicht mehr überrascht werden. Ihr könnt niemand sehn und sprechen, der nicht gewisse Eigenschaften, auch für die Bedienten kenntlich, zur Schau trägt. Heißt es nun nicht die Formen respektieren, und doch zugleich die Formen übertreffen, wenn es ein Fremder möglich macht, Euch selbst zu fragen, ob Ihr ihn sprechen wollt? Und wenn er deshalb doch nicht über Eure Schwelle tritt, und wenn er so erscheint, daß er wie ein Gedanke wieder verschwindet, sobald Ihr zu seiner Anfrage den Kopf schüttelt?[66]

CHRISTINE lachend. Du kletterst also an den Fenstern in die Höhe, um die Regeln der Vorzimmer zu verbessern?

MONALDESCHI. Ungefähr so. Wenn mich die Not in die Fenster treibt, so mach' ich aus der Not eine Tugend.

CHRISTINE. Wie bist du daher gekommen?

MONALDESCHI. Soll ich die Wahrheit sagen?

CHRISTINE. Sprich.

MONALDESCHI. Die ganze Wahrheit?

CHRISTINE. Natürlich.

MONALDESCHI. Aber diese ist viel länger als die halbe, sie beginnt in Rom und endigt an diesem Fenster.

CHRISTINE für sich. Aha!

MONALDESCHI. Und sie bedarf einer Sicherheitsmaßregel.

CHRISTINE. Man soll dir wohl Verschwiegenheit schwören für Geheimnisse, die du um jeden Preis den Leuten an den Kopf werfen willst?

MONALDESCHI. Nein. Schwüre verleiten zur Lüge – darf ich voraussetzen, gnädige Frau, daß es Euch unangenehm wäre, wenn die unten hin und her suchenden Wachen mich in diesem Augenblicke tot schössen?

CHRISTINE. Nein, das darfst du nicht.

MONALDESCHI verbeugt sich. Es wäre Euch aber vielleicht unangenehm, wenn ich mit blutendem Körper in Euer Zimmer stürzte und es besudelte und belästigte?

CHRISTINE. Vielleicht.

MONALDESCHI. Nun kann ich aber nicht voraussagen, wie ich mich in solchem Falle benehmen würde, ob ich nach vorwärts oder rückwärts fiele, ich bedarf also zu jener Erlaubnis, Euch die ganze Wahrheit sagen zu dürfen, noch einer zweiten Auf den Boden zeigend. sie ist nur einen Schritt breit –

CHRISTINE. Wenn ich dir versprochen habe, deine sogenannte ganze Wahrheit zu hören, so habe ich dir ja auch versprochen, daß du nicht früher totgeschossen werdest, als bis du geredet hast.

MONALDESCHI verbeugt sich und tritt einen Schritt herein, so daß er gerade innen an der Fensterschwelle steht. Die für uns günstigen Schlußfolgerungen muß ja immer der andere ma chen, wenn sie vollgültig sein sollen.

CHRISTINE. Was du an Sicherheit gewinnst, verlier' ich an[67] Interesse – da draußen hättest du gedrängter erzählt. Du willst mir vorreden, du kenntest mich nicht?

MONALDESCHI. Ich kannte Euch nicht eher, als bis ich Euch hier das erste Mal gesehn hatte, seit zwei Minuten also kenn' ich Euch – Sich umwendend und aus dem Fenster hinaus zeigend. – ich bin seit einigen Stunden zum ersten Male in dieser Stadt und besuchte dort drüben den einzigen Mann, den ich hier kenne, meinen Landsmann Santinelli.

CHRISTINE. Ist er dein Freund?

MONALDESCHI. Nein, er ist keines Menschen Freund, um nur sein eigner zu sein – meines Erachtens eine schlechte Spekulation, die Spekulation des Geizhalses.

CHRISTINE. Wie nahm er dich auf?

MONALDESCHI. Wie ein mürrischer Feind, der befürchtet, ich könnte seine Wege benutzen und ihn benachteiligen.

CHRISTINE. Kennst du seine Wege?

MONALDESCHI. Nein.

CHRISTINE. Was willst du in Stockholm?

MONALDESCHI. Ich suche mein Glück.

CHRISTINE. Was macht dich glücklich?

MONALDESCHI. Das weiß ich noch nicht – wenn man's wüßte, so hätte man's schon besessen und nur verloren, dann wär's nicht so schwer zu finden. Aber was mich heute beglückt, beglückt mich vielleicht morgen nicht.

CHRISTINE. Was beglückt dich heute?

MONALDESCHI. Macht und Liebe.

CHRISTINE. Soviel auf einmal?

MONALDESCHI. Ein gehört zum andern: find' ich Liebe in mir und zu mir, so bin ich des Glücks mächtig, und soll ich Macht finden, so ist dies nur durch Liebe möglich, da mir die Macht nicht angeerbt ist und sich überhaupt nur scheinbar vererben läßt.

CHRISTINE. Und warum suchst du das in so weiter Ferne und nicht daheim?

MONALDESCHI. Schimmern nicht die rauhsten Berge in der Ferne lieblich blau? Es ist unsre Trägheit und eine krankhafte Himmelssehnsucht, daß wir immer nach der Ferne langen. Von dem, was wir in der Nähe erreichen können, sehen wir alle steile, mühselige Beschwerde deutlich, und deshalb versuchen wir uns nicht[68] daran; von dem, was uns in der Ferne lockt, sehen wir nur die Lockung deutlich, die Hindernisse aber undeutlich, und so gehen wir mit besserem Mute daran.

CHRISTINE. Du hast recht Für sich. so lockt's auch mich von hinnen! Zu ihm. Was lockte dich nach Schweden?

MONALDESCHI. Das Regiment einer Königin.

CHRISTINE. Weil sie ein Weib ist, und jeder Mann sich berechtigt glaubt, bei einem Weibe sein Glück zu suchen, nicht wahr?

MONALDESCHI. Zum Teil wahr. Weil sie ein Weib ist, ja; Weiber haben eine reichere Phantasie. Mit weltlichen Mitteln ausgerüstet, sind sie den idealsten Plänen bereitwillig; jener Rost praktischer Besorgnis, welcher den Männern anklebt, verhindert sie nicht.

CHRISTINE. Das heißt: sie neigen aller Schimäre Ohr und Hand?

MONALDESCHI. Wenn Euch Ideal und Schimäre gleichbedeutend sind, ja. Aber die Schimäre erwächst, ein bloßer Wetterschimmer, aus der Luft ins Ungewisse, das Ideal entkeimt hingegen auch aus gutem, irdischem Boden, und erhebt sich ins Unendliche.

CHRISTINE. Nun, und zu welchem Ideal soll dir die Königin von Schweden behilflich sein? Erst soll sie dich zum Favoriten, dann zum Reichskanzler, und dann zum Könige von Schweden machen, nicht wahr? Und um idealisch anzufangen, kletterst du nachts an ihrem Fenster in die Höhe –

MONALDESCHI. Was Ihr mir da von Hoffnungen zuschreibt, das ist Schimäre, nicht Ideal – Christine von Schweden heißt in Rom die philosophische Königin, man weiß und rühmt, daß sie der Wissenschaft und Kunst und aller ewigen Frage der Welt nachgeht – ist es nicht Gewinn, einer Königswelt nahe zu sein, wo inmitten weltlicher Macht der freie Wissenschaftsgedanke freie Geltung und freie Bahn gewinnt?

CHRISTINE. Und dergleichen bringst du aus Rom? Das ist ja ketzerisch.

MONALDESCHI. Ketzerei muß von der Kirche verfolgt werden, wie der Staat bekämpft, was ihm widerspricht; aber um die Ketzerei wirksam zu verfolgen, wird es der Kirche notwendig, sich selbst methodisch zu entwickeln, darum –

CHRISTINE. Darum braucht die Kirche Ketzer, willst du sagen – du weißt dich in Schweden zu benehmen, und du scheinst mir[69] überhaupt ein so leichtsinniger, gefährlicher Mensch zu sein, daß du meiner besten Glückwünsche bedarfst, um dem Schicksale eines Taugenichts zu entgehn.

MONALDESCHI. Die Glückwünsche einer Königin sind Briefkuverts des Glückes selbst.

CHRISTINE. Schmeichle dich hinauf zur Schimäre, und sorge selbst, wie du den Rückzug findest – meine Wache wird dir zeigen, was in diesem Briefkuvert steckt. Sie macht ihm eine Handbewegung des Abschiedes.

MONALDESCHI. Erlaubt mir nur noch eine Frage: Wenn ich eine heiße bleierne Kugel finde, war diese Kugel Euch wirklich dienstbar und willkommen?

CHRISTINE. Törichter Mensch! Bin ich das Schicksal?

MONALDESCHI. Ich danke Euch!

CHRISTINE. Wofür?

MONALDESCHI. Daß Ihr nicht ja gesagt –

CHRISTINE. Glückliche Reise. Sie setzt sich mit dem Rüchen nach dem Fenster.

MONALDESCHI. Das Schicksal ist der Zufall und das ganze Leben – ihm gehört man überall; dafür sorgen, heißt sterben, darüber unbekümmert sein, heißt leben. Er verschwindet hinter dem Fenster.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 23, Leipzig 1908–09, S. 65-70.
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