Sechste Szene.


[55] Zimmer im Schlosse. An der Hinterwand sind große Fenster – es ist dunkel im Zimmer, aber hinter den Fenstern brennen Laternen, und der Mondschein reicht hin, so daß man einen Korridor mit Säulen, in welchem Schildwachen hin und wieder gehn, einen dahinter folgenden Hof und ganz hinten unsicher Schloßgebäude unterscheiden kann.


SANTINELLI allein, sitzt, die Arme übereinandergeschlagen, im Dunkeln. Zum zwölften Male derselbe Vollmond, und er findet mich fast auf derselben Stelle, da er mich das erstemal in Stockholm gesehn, und da er mir so Prächtiges versprach! Sie nahm mich auf wie den Ersehnten, alle Türen öffneten sich, ich wurde ihr Haushofmeister, und – bin es noch, bin nicht weiter, und bin ärmer um die Hoffnungen jener Zeit. Worin hab' ich gefehlt? Worin? Ich weiß es nicht.[55] Sie hat nur den einen, nur den einzigen Gedanken an mir gesehn, wie ich ihr ergeben sein könne ganz und gar, und nur ihr. Umsonst! Wir bleiben auf ein und derselben Stelle: dasselbe Wohlwollen heute wie gestern, und nicht mehr, kein Zollbreit mehr! Steht auf. Täusche dich nicht! Beschwichtige dich nicht, Santinelli, es ist dir nur ein Teil deiner Hoffnungen geglückt, und damit ist dein Schicksal für immer entschieden. Umhergehend. Jawohl! Der Reiz der Neuheit, die Macht des ersten Eindrucks sind dahin, und was sie mir nicht bringen, das erwerbe ich nicht.

Giulio hatte wohl recht, bei unsern Unternehmungen mir immer spöttisch zuzurufen: Wenn der Eroberer nicht alle Tage weiter geht, so geht er alle Tage zurück. Es ist also. Altern nicht die Kräfte und Vorzüge? Verringert sich nicht meine Mannesschöne? Solange man noch wächst, ja, was braucht man da zu sorgen! Was heute nicht gelingt, gelingt morgen! Aber wenn man die Manneshöhe erreicht hat, und vor einem aller Weg abwärts geht – Setzt sich wieder. Und doch! Man muß nur ein Ding im Leben unternehmen, auf dies eine alles zusammendrängen! Alles, alles, jeden Atemzug, jeden Gedanken, jede Handbewegung, jeden Schritt, jedes Wort, jeden Gruß', jedes Ja, jedes Nein, alles muß man nur darauf richten, und man vollbringt's, man erreicht's. Kommt man nicht auf die Spitze des Berges, so kommt man doch hoch – täglich zu demselben Haufen einen Stein gelegt, am Ende wird's doch ein Berg.

Schöne, schöne Zeit, Mondenschein und Sommernacht und Manneskraft, ihr fließt ungenützt dahin! Ich sehe nach ihren Fenstern hinüber, und sie ruft mich nicht! Eine Minute nach der andern vergeht, es werden Stunden daraus, Tage und Monde; ein Jahr der besten Lebenszeit ist hin, ein langer Schritt bergabwärts ist getan. –


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 23, Leipzig 1908–09, S. 55-56.
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