24. [206] Ulyssis zehenjährige Wallfarth nach geendigtem Kriege.

Nach geendigtem Kriege / welcher zehen gantzer Jahr gewähret / ist Ulysses mit seinen Ithacis oder Gefehrten und Lands-Leuten zu Schiff gangen / aus Troja mit sich wegführend einen sehr grossen Schatz. Nachdem er aber lange Zeit auf dem Meer von den Winden herum getrieben / und bald an diß / bald an jenes Land verschlagen worden / ist er zu den Lothopagis kommen. Woselbst seine Gefehrten ans Land gestiegen / und von den Früchten des Landes Lotus gegessen haben: Da sie alsbald aller vorigen Dinge vergessen / und nicht mehr an ihr Vaterland / noch Freunde /noch Gefehrten gedencken können / sondern allda verblieben / und Ulyssem mit den andern fahren lassen: Welcher hernacher an der Gegend der Cyclopen angelanget. Die Cyclopes waren grausame Riesen / hatten nur ein Auge vor der Stirn / und assen nichts liebers denn Menschen-Fleisch. Der fürnehmste unter ihnen war Polyphemus in einer Höle wohnend. Ulysses stieg ans Land / zu erforschen was für Leute da wohneten / gieng auch mit etlichen seiner Gesellen in die Höle Polyphemi, und nahm mit sich eine[206] Flasche Weins: Wie nun Polyphemus dieser Gäste ansichtig /und woher sie kommen / von ihnen berichtet wird /(Ulysses aber sagte / er hiesse Niemand) da nimmt er zween Gesellen Ulyssis bey den Füssen / schlägt sie mit dem Kopff auf die Erde / daß das Gehirn heraus sprang / schneidet sie in Stücken / und frisset sie beyde auf: Vertröstet unterdessen den Ulyssem, er solte der letzte seyn / und wann er die andern alle gefressen hätte / so wolte er mit ihm die Mahlzeit schliessen. Ulysses, dem hierbey nicht wol zu Muthe war / dachte an seine Listigkeit: Zog derohalben seine Flaschen mit Wein herfür / sprach zum Polyphemo: Auf so einen guten Bissen gehöret ein guter Trunck /und gab ihm des Weins / so viel und so offt er wolte /zu trincken / daß also Polyphemus truncken ward /und beym Feuer einschlieff. Wie aber der Wein begunte zu wircken / da spiehe Polyphemus grosse Stücke der gefressenen Menschen von sich. Ulysses gedachte / wie er mit seinen übrigen Gesellen aus der Polyphemi Händen kommen möchte: Gieng hin /nahm einen grossen spitzigen Stock / legte mit Hülffe seiner Gesellen ans Feuer / daß die Spitze glüend und brennend würde: Da stachen sie dieselbe dem Polyphemo, als er auf den Rücken lag und schlieff / in sein einziges grosses Auge / und verbrannten ihn dermassen / daß er blind ward. Hiervon erwacht Polyphemus, lieff bald hin / und machte alle Gänge der Hölen zu / und vermeynte seine Gäste und ihren Führer / den Niemand aufzutreffen. Aber Ulysses gebrauchte abermahl seine List. Er band seine Gesellen mit Händen und Füssen den Schaafen (derer Polyphemus in der Höle viel hatte) unter den Bauch / und er selbst erwehlte ihm einen grossen Widder / griff den fest an die Wolle unterm Bauch und[207] ließ sich so von ihm tragen. Wie nun Polyphemus seine Schaafe wolte aus und zu Felde gehen lassen / da machte er eine kleine Pforte auf / ließ die Schaafe nach einander ausgehen. Er fühlete aber mit den Händen ein jegliches Schaaf / auf daß sonst niemand mit hinaus gienge. Also ward Ulysses mit seinen ungefressenen Gesellen unter den Bäuchen der Schaafe aus der Höle des Poyphemi getragen / die also ihrem augenscheinlichen Tode entkamen / zu Schiffe sassen / und davon fuhren. Und ob wohl Polyphemus grosse Stücke Steine von dem Felsen abbrach / dieselbe auf des Ulyssis Schiff zuwarff / in Meynung / solches zu vertilgen / so traff er doch nicht zu / weil er blind war. Er schrie aber und heulete schrecklich / und wie er von seinen andern Nachbarn / den Cyclopen / gefraget ward / wer ihm das gethan hätte / rieff er allezeit überlaut: Niemand / Niemand hat mich betrogen. Dann also hatte sich Ulysses genennet.

Von den Cyclopen segelte Ulysses ferner in die Insul Æolus, darinnen Æolus der Gott der Winde seinen Sitz hatte. Dieser Æolus gab dem Ulyssi einen ledernen Sack / darinnen er alle Winde verschlossen hatte / ausgenommen den Westwind / den Ulysses zur Reise in Ithacam bedurffte. Also reisete Ulysses auch von dannen mit gutem Winde. Aber eines Tages / da Ulysses im Schiffe lag und schlieff / kamen seine Gesellen an den ledernen Sack / vermeynten / es wäre ein Schatz von Gold und Silber darinnen: Löseten ihn auf / und siehe / da flogen alle Winde mit Gewalt heraus /und trieben Ulyssem wieder in Æoliam, allda er aber vom Æolo wegen seiner Nachläßigkeit und Verlust der Winde übel empfangen worden. Ulysses[208] fuhr fort in ferner Reise / wiewol mit grosser Gefahr / und kam da zu den Völckern Læstrigones, derer Königin eine Frau war so groß als ein Berg / schrecklich anzusehen: Dieselbe Frau fraß etliche Gefehrten des Ulyssis, und hätte sie alle vertilget / wann sie sich nicht mit der Flucht errettet / und bey Zeiten davon gemachet. Nun bracht ihn folgend der Wind in die Insul Ænea, darinnen die Circe eine Meisterin aller Zauberinnen: Welche Ulyssis Gefehrten durch Kunst in wilde Thiere / daß sie ihre menschliche Gestalt gantz verlohren /verwandelt. Was allhie Ulysses ausgestanden / und wie es ihm ergangen / ist zuvor in der Historie von der Circe erwehnet. Ferner wie Ulysses bey der Circe eine Zeitlang bliebe / ward er von ihr verständiget und unterrichtet / daß er in sein Land Ithacam nicht kommen könte / ehe und bevor er eine Reise nach der Höllen gethan hätte. Also schicket sich Ulysses zu der Reise / gehet zu Schiffe / und fähret so lange über das breite weite Meer / biß er endlich an die Völcker Cimmerios kömmt / bey welchen es allezeit Nacht und niemahls Tag ist (daher eine grosse Finsterniß /Blindheit / Unwissenheit / genannt wird Cimmeriæ tenebræ,) von dannen ist er ferner kommen an den Ort / da die Hölle war. Sein fürnehmstes Fürhaben war / des blinden verstorbenen Weissagers Tiresiæ Seele zu fragen / was er noch ins künfftige für Glück und Unglück haben würde? (von diesem blinden Tiresia ist kommen das Sprichwort: Cœcior Tiresiâ) fürs erste hat Ulysses beym Eingang der Höllen eine Grube gemacht / und etliche schwartze Böcke / die er mit sich genommen geschlachtet / das Blut in die Grube lauffen lassen / und mit einem blossen Rapier über der Grube gestanden. Da seynd alsbald der verstorbenen[209] Menschen Seelen häuffig zugelauffen / von dem Blute zu trincken; Welche er alle nacheinander trincken lassen / und sie gefraget / wer sie wären? Wie und auf was Art sie gestorben? Hieselbst hat er auch zugesprochen seiner Mutter Seele / und aller fürnehmen Helden / die für Troja im Kriege waren umkommen. Er hat auch gesehen den Tantalum biß an die Leffzen im Wasser stehend / den Sisyphum mit dem Stein waltzend / den Ixion das Rad umtreibend /und anderer verstorbener Leute Plagen und Straffen in der Hölle. Letzlich kam auch des blinden Tiresiæ Seele / von welcher Ulysses alles / was er begehrte /zu wissen kriegte: Hierauf reisete er wieder nach der Circe, die ihn mit aller Nothdurfft versorgete / und ferner seinen Weg fahren ließ.

Von der Circe abschiffend ist Ulysses erstlich kommen an die Meer-Wunder Sirenes. Was ihm allda begegnet / ist von uns in der Historia Sirenum vermeldet worden. Folgends kam er an die zwo gefährliche See-Klippen / oder See-Hunde / Scyllam und Charybdim: (von welchen der Vers gemacht ist:


Incidit in Scyllam, qui vult vitare Charybdim.


Das ist / er kömmt aus einem kleinem Unglück in ein grössers:) Diese Monstra haben sechs seiner Gesellen aus dem Schiffe weggerafft und aufgefressen. Von dannen gelangte er in die Insul Thrinacria, da seine Gefehrten aus Hungersnoth schlachteten und auffrassen die Ochsen der Sonnen / und deßhalben mit Donner und Blitz vom Himmel geschlagen wurden: Endlich (auf daß ichs nicht zu lang mache) wie er auf dem Meer einhersegelte / ist seiner ansichtig worden der See-Gott Neptunus, dessen Sohn der Riese Polyphemus war / dem Ulysses das Auge hatte ausgestochen. Auf daß nun Neptunus an dem Ulysse sich rächen möchte / hat[210] er mit Hülffe des Wind-Gottes Æoli das Meer dermassen mit Wellen und Wogen und schrecklichem ungetsümmen Wetter beweget /daß alles über und übergangen / und also des Ulyssis Schiffe / so viel ihrer waren / alle zerschmettert / zerstreuet und versencket wurden / und demnach die Menschen im Meer hin und her trieben / und endlich alle ertruncken / ausgenommen Ulysses, welcher ein Schiff-Bret ergriffen / und sich daran festgehalten /zween Tage und zwo Nächte auf dem Meer schwimmende: Des dritten Tages wurffen ihn die Wellen nackend / und halb todt ans Ufer: Da verbarg er sich im Laube der Bäume / die im nechsten Walde stunden /und entschlieff daselbst aus Mattigkeit und Ohnmacht. Es kam aber ohngefehr des Königes Alcinoi (der an demselben Ort herrschete) Tochter / Nausica, eben auch dahin / da Ulysses lag / spielen fahren. Von dieser erlangte Ulysses bittlich ein Hembde und ein Kleid: ward auch von ihr in ihres Vaters Pallast geführet: Da nun Ulysses mit Essen und Trincken wol tractiret / und dem Könige Alcinoo sich kund gethan / ward er von ihm und allen seinen Hof-Leuten stattlich begabet / in ein Schiff gesetzet / und über die See biß in Ithacam hingeführet. Da ihn dann die Schiffer ans Land gesetzet / und ihres Wegs wieder davon gefahren.


Wir Menschen essen die Früchte der Welt / verlieben uns in die Wollust / vergessen des Himmels und GOttes. Christen schweben in dieser Welt in grosser Gefahr / aber wann sie sich nur halten an das Lämmlein Christum JEsum / und fassen die weisse Wolle eines unschuldigen Lebens / kan ihnen nichts schaden. Durch unsern eigenen Vorwitz bringen wir uns die Winde der Trübseligkeiten auf den Halß. Der HErr erlöset uns aus allen Nöthen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 206-211.
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