23. [204] Ulyssis Reise nach dem Trojanischen Kriege.

Jetzund will ich euch erzehlen ein Exempel eines verschmitzten und viel erfahrnen Mannes / Ulysses geheissen: Der gewesen ein Herrscher und König über die Insul Ithaca, im Griechischen[204] Meer gelegen. Von welchem Ulysse der Poet Homerus grosses Werck erdichtet / und in 24. Bücher verfasset / so er Odysseam oder Ulysseam genannt; Daraus ich kürtzlich folgende Geschicht ziehen will: Ulyssis Haus-Frau war die schöne / züchtige und weise Penelope, davon wir vormahls etwas erzehlet. Als nun der Trojanische Krieg solte angehen / der sich wegen der Helena aus Griechenland / so von dem Paride weggeraubet / und in die Stadt Troja gebracht ward / entsponnen / da haben sich alle treffliche Helden in gantz Græcia aufgemachet / Trojam zu belägern: Ulysses war gezwungen auch mit zu ziehen: Aber weil er ueber bey seiner Penelope zu Hause bleiben wolte / hat er sich gestellet / als wäre er gantz toll / und seiner Vernunfft beraubet. Man hat ihm aber diesen Betrug abgemercket /dergestalt: Wie er einen besäeten Acker / darauf das Korn schon herfür gewachsen war / mit zwey unterschiedener Natur Thieren umpflügete / hat man für den Pflug geleget seinen einigen kleinen Sohn Telemachum, und zusehen wollen / ob er auch über denselben würde hinfahren. Da ist Ulysses still gestanden mit seinem Pfluge / und hat seines Sohns verschonet: Daraus man gemercket / daß er nicht toll / sondern wol klug wäre: Also hat er müssen mit den andern Königen und Fürsten aus Griechenland hinziehen nach Troja, sonst Ilium geheissen. In währendem Kriege hat er nicht alleine seine Arglistigkeit und Beredsamkeit zum öfftern erwiesen / indem er mit verwechselten Kleidern und unbekannter Gestalt in der Feinde-Lager gangen / und derer Heimlichkeit ausgesuchet / sondern hat sich auch beneben seinen Gefehrten in das grosse höltzerne Pferd einschliessen / und also[205] verborgen in die Stadt schleppen lassen: des Nachts die Thür in des Pferdes Seiten inwendig aufgemacht / mit seinen Gefehrten heraus gestiegen / die Stadt Troja in Brand gestecket / mit Morden und Niederhauen greulich gewütet / und also das fürnehmste Haupt gewesen des Untergangs der Stadt Troja, und des Königlichen Schlosses Ilii, in der Stadt Troja.


Niemand verläst gern sein Vaterland / und begiebt sich aus der Ruh in viel Unruh. Das Vater-Hertz giebt nicht zu / daß seinem Kinde Leid widerfahre. Vor des Landes Beste soll man treulich machen und sorgen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 204-206.
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