22. Von des Schwanen Gesang / und des Storchs [202] Pietät.

Von den Schwanen wird gesagt und geschrieben / daß / wann sie nun sterben sollen / sie alsdann so lieblich anfangen zu singen / als sonsten kein Gesang seyn mag. Ovidius schreibet:


Cantator Cygnus funer is ipse sui.


Daher kommt die Phrasis: Cantio Cygnea, das ist / die letzte Wort / die ein Mensch redet oder schreibet kurtz vor seinem Abschiede. Also nennet man einen Schwanen-Gesang / Jacobs des Patriarchen / und Mosis Testament. Item die letzten Wort Davids. Wie dann auch den Gesang Simeonis; Die letzten Wort Christi am Creutz und dergleichen.

Was den Schwanen-Gesang betrifft / ist gantz falsch / erdicht und nur ein Fabelwerck. Es seynd in Teutschland / Franckreich und anderswo / ja bey uns[202] allhier zu Rostock etliche hundert Schwanen gewesen / der er viel natürliches Todes gestorben. Es hat aber niemahls jemand gehöret dieselben singen für ihrem Ende. Wann sie sterben / strecken sie sich auf den Bauch hin / legen den Halß für sich nieder / heben sich offt wieder auf / biß sie gar liegen bleiben: Ihr Gesang aber ist als das Gruntzen eines fliegenden Kranichs / oder einer Ganß / die beym Halse zur Küchen getragen wird. Warlich es haben die Schwanen nicht einen Nachtigals-Halß / sondern einen Ganß-Halß / Schnabel / Zunge und Stimme. An diesem Schwanen-Gesang hat schon vor Alters gezweiffelt der Plinius, welcher also spricht: Man erzehlet einen traurigen Gesang der Schwanen im Tode. Ich halte es aber für Lügen / aus unterschiedlichen vielen Erfahrungen. Wahr ist es / das Rantzau in seinem Calender setzet / er habe einen Schwanen singen hören / verstehe sich auf solche Art / wie gesagt ist / und alle die Gänse pflegen zu singen. Daß man aber des HErrn Christi letzte Wort am Creutz / oder des Simeonis Gesang / nunc dimitis, etc. einem abscheulichen Gänse- oder Schwanen-Gesang vergleichen will / ist sehr unchristlich.

Von den Störchen erzehlet man gleiche Lügen /daß sie nemlich ihre alte / unvermögende Eltern wiederum ernehren und schützen / dieselben auf dem Rücken tragen; und also Trinckens halber zum Wasser führen. Daher / sagt man / komme von der ςοργὴ (das ist / die angebohrne natürliche Liebe zwischen Eltern und Kindern) der Nahme Storch. Und diese Weißheit gebrauchen so wohl Gelehrte als Ungelehrte / zur Bestätigung des vierdten Gebots. Die Wahrheit hievon zu sagen / so ist diese Rede von den Störchen ein[203] offener Tand und hadgreiffliche Lügen. Wer hat jemahls gesehen / daß der alte Storch vom Jungen auf dem Rücken getragen worden? Alle Jahr gegen den Herbst fliegen die Alten hinweg / führen die Jungen mit sich nach der Insul Java, (wie Hugo Linscot meynet:) Sie kommen aber um Gertruden-Tag wieder / ein jeder zu seinem Neste / und brüten wieder Junge aus /die von den Alten ernehret werden / biß die mit ihnen davon fliegen. Und zwar / weil der Storch keine bleibende Stätte hat / sondern nur wenig Monat bey uns /und nicht etliche Jahr nacheinander in unsern Häusern und Höfen verharret / wie Hüner / Gänse und dergleichen / so ist ja unmöglich / daß man solches an ihnen hat können observiren. Dann nachlauffen kan man ihnen auch nicht / wo sie hinfliegen: Das ist wahr /daß die Störche grosse Treue und Fleiß anwenden in der Kinder-Zucht / (gleichfalls wie andere Thiere:) Daher das Sprichwort ςοργὴ auf den Storch könte gezogen werden: Aber was die jungen Störche den Alten thun / oder daß sie sie solten auf dem Rücken zum Wasser tragen / das ist niemahls von keinem Menschen / weder in dieser alten / noch in der neuen Welt gesehen worden.


Die Alten haben viel Dinge erdichtet / aber doch alles zu dem Ende / damit die Menschen sich daraus möchten bessern / und an dem unvernünfftigen Vieh ein Beyspiel nehmen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 202-204.
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