26. Von des Adlers verjüngtem Alter.

[215] Man pfleget vom Adler zu sagen / daß er sehr lange und zum wenigsten hundert Jahr lebe: Und wann ihm alsdann der oberste Schnabel so krumm wird / daß er den untersten nicht kan aufthun / und Fleisch fressen /so sauge er nur das Blut aus den Vögeln / biß er an den Steinen wiederum seinen Schnabel wetze und abschleiffe. Darnach fahre er hoch in die Lufft / nahend zur Sonnen / zünde seine Federn an / und falle mit der Brust ins Meer: Lesche sich also ab / und steige darnach in eine Höle / oder wiederum in sein Nest / allda ihm neue Federn wieder auswachsen: Also werde er gantz und gar wieder jung / und fliege davon. Mit diesem Gedichte erkläret man den fünfften Vers. in 103. Ps. V. GOtt mache deinen Mund frölich / daß du wieder jung werdest wie ein Adler. Ebenermassen ist hievon genommen das Sprichwort bey dem Terentio:[215] Aquilæ senectus. Daß alles ist lauter Fabelwerck und Kindermährlein. Dann erstlich ist bewust aus dem Aristotele, und aus der täglichen Erfahrung / daß alle Fleischfressende und krummschnäbliche Vögel nimmer trincken / oder etwas nasses einsaugen / ausgenommen der Indianische Papagoy / der allein trincket: Dabeneben sähet der Adler die andern Thier mit dem Schnabel / sonst kan er sie nicht sahen. Wann ihm nun der Schnabel zugewachsen / wie will er Thiere fangen oder verwunden? Ferner ist bey allen Gelehrten gewiß und ohne Zweiffel / daß die hohe Lufft von der Sonnen nicht heiß ist / sondern gar kalt (wie der stets währende Schnee auf den hohen Bergen augenscheinlich bezeuget.) Nur ist es heiß allhier unten an der Erden / da sich der Sonnen Strahlen im Zurückschlagen zusammen häuffen. Darum ist das Anstecken des Adlers eben so wahr / als das Zerschmeißen der Flügel Icari, davon wir vor diesem geredet. Dieses Verneuern der Federn aber wiederfähret dem Adler natürlich alle Jahr / eben wie andern Vögeln / und darff man ihm derohalben die Federn mit Lügen nicht ausschwitzen. Belangend den Psalm Davids / stehet da nicht / daß du also und auf die Art wieder jung werdest / wie ein Adler. Warlich kein Thier in der Welt wird nach dem Alter jung: Und ob wohl der Krebs seine Scheeren / die Schlange ihre Haut / die Vögel ihre Federn / das Viehe seine Wolle abwerffen / so werden sie doch damit nicht jünger: Sondern das ist die Meynung des Propheten Davids: GOtt tröstet und erfreuet dein Hertz und Mund / stärcket und bestätiget deine Gesundheit / daß du zu allem / was dein Beruff erfordert / auch im Alter frisch / hurtig und unverzagt daher fährest wie[216] ein starcker Adler / zu seinen Weidwerck. Also erkläret des Davids Worte der Prophet Esaias am 40. Cap. Die auf den HErrn harren / kriegen neue Krafft / daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler / daß sie wandeln und nicht müde werden.


Man muß die Schrifft nicht nach den Fabeln der Heyden auslegen / sondern nach der Wahrheit.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 215-217.
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