87. [325] Pythagoræ Philosophia.

Pythagoras aus der Insul Samo gebürtig / ist gewesen ein Stiffter und Anfänger der Italiänischen Philosophie / hat niemahls weniger als 600. Zuhörer oder Schüler gehabt / die ihn meistentheils zu Nacht-Zeiten besuchet. Mit diesen hielt er den Brauch / daß sie anfänglich 5. gantzer Jahr stillschweigen / kein Wort reden oder fragen / sondern nur allezeit fleißig zuhören musten. Welche fünffjährige Still-Zeit genennet wird έχεμὐϑεια. Daher das Sprichwort kommen: Silentium Pythagoricum, eine standhafftige Verschwiegenheit. Pythagoras ist der erste gewesen / welcher gelehrt / daß die Seelen der Menschen nach dem tödtlichen Abgang umher wanderten / und aus einem Cörper in den andern treten. Wann sie wohl und der Tugend gemäß gelebet / so kämen sie in fürtrefflicher Könige oder ander Leute Leiber / wären sie aber den Lastern zugethan / so verringerten sie sich / und würden[325] unvernünfftige Thiere / als Ochsen / Schaafe /Schweine / etc. Aus welchen Ursachen Pythagoras seine Schüler und alle Menschen sehr abmahnete und warnete / sie solten kein Fleisch vom geschlachtetem Viehe essen / dann sie möchten vielleicht ihre eigene Eltern / Schwestern / Brüder oder Kinder verschlingen. Er hat auch öffentlich fürgegeben / er wäre der selbe Euphorbus, der im Trojanischen Kriege gewesen / dessen Seel in ihn gefahren / davon weitläufftig beym Ovidio, im letzten Buch der Veränderung. Bey seinen Zuhörern hat er ein solch Ansehen gehabt / daß alles / was er geredet / man alsbald geglaubt / als wanns GOtt selber gesprochen / und daran hat niemand zweiffeln müssen. Wann die Schüler gefraget worden / warum? haben sie nichts geantwortet / als ἀυτὸς ἔφα, Er / Pythagoras, hats selber gesaget.


Man muß erst ein Ding verstehen lernen / ehe man davon redet. Laster verwandeln die Menschen in wilde Thiere. Man muß seine Lehrmeister lieben: Aber nicht zu Engeln und Göttern machen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 325-326.
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