54. [446] Chimæra.

Unter den ungeheuren Wunder-Thieren / derer die Poeten gar viel gemacht und erfunden / ist auch die Chimæra, und zwar dieser Gestalt / daß sie eines Löwen Kopff und Brust gehabt: Den Bauch wie eine Ziege / die Füsse und den Schwantz wie ein Drache; Sie hat immerfort Feuer aus dem Munde gespeyet /schrecklich anzusehen: Und also alles / was bey und um ihr gewesen / Bäume / Thiere / Menschen jämmerlich verbrannt / und getödtet. Dieses Ungeheuer zu tödten und aus dem Wege zu räumen / ist der behertzte und starcke Jüngling Bellerophon erwehlet worden / dem dann diese männliche That desto besser zu verrichten / vom Gott Jupiter ein geflügeltes Pferd verehret worden / mit welchem er durch die Lufft über Land und Meer gefahren / biß er zur Chimæra[446] kommen / welche er mit seinen Pfeilen durchschossen und erleget.


Chimæra ist ein Fürbild des Zorns / welcher / wann er im Menschen angezündet wird / die Augen roth und feurig / das Angesicht aber grausam / und einem Löwen gleich machet. Wann er um das Hertz und im Leibe auf quillet / so verzehret er Safft und Krafft / ja die Knochen selber / und stürtzet den Menschen in Kranckheit und Leibes Gefahr / ist nicht anders als die Ziegen / so immerdar das Fieber haben / und was sie nun bebeissen / zur Stund verdorrend machen. Endlich thut der Zorn wie eine vergiffte Schlange allen / die er nur antrifft / Schaden / und geust seinen Gifft aus über die / so es nicht verschuldet.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 446-447.
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