60. Pariß.

[453] Priamus, ein König in Troja / hatte unter andern Kindern auch einen Sohn / Alexander geheissen / mit welchem / wie die Mutter Hecuba schwanger gieng /träumete ihr / daß sie eine brennende Fackel zur Welt brächte. Diesen Traum haben die Wahrsager also ausgeleget / daß der Sohn / welchen sie gebähren würde /eine Ursache des Untergangs des Königreichs und der Stadt Troja seyn würde. Deßwegen hat Priamus den Alexandrum, so bald er gebohren / durch einen Diener wegtragen und hinwerffen lassen; Die Mutter Hecuba aber Versehung gethan / daß er heimlich von den Bauren auf dem Berge Ida[453] erhalten und auferzogen worden / welche ihn Paris genennet. Als er ziemlich erwachsen / ist er in den umliegenden Orten zweyerley Tugend halber berühmet worden. Erstlich wegen seiner Aufrichtigkeit im Urtheilen: Und dann wegen Erfahrenheit und Geschwindichkeit im Ringen: Massen er dann zum Richter erwehlet worden / der urtheilen solte unter den dreyen Göttinnen / Venus, Juno und Pallas, welche die schönste / und den güldenen Apffel davon zu tragen würdig wäre? Das Kämpffen und Ringen belangende / hat er für andern allen jederzeit den Preiß erlanget: Auch darinnen seinem Bruder Hector obgesieget / welchen es verdrossen / daß er von einen schwächern und jüngern überwunden / dahero er ihn mit dem Schwerdt überfallen /und tödten wollen / nicht anders wissend / als wäre er eines schlechten Bauers Sohn. Paris hat sich zu erkennen gegeben / und seinen Ursprung mit Zeichen und Zeugnissen bewiesen / ist auch von seinen Eltern für einen Sohn angenommen worden: Und weil ihm die Göttin Venus, des erlangten Lobs und Apffels halber die schönste Frau auf der Welt zu geben versprochen /ihme auch alsbald eine inbrünstige Liebe gegen die schöne Helena / Königs Menelai im Griechenland-Gemahl / eingegossen / ist er / Paris mit 20. Schiffen dahin gesegelt / und nach gepflogener Freundschafft mit der Helena in Abwesenheit ihres Herrn / sich vereiniget / sie zu Schiffe gebracht / und davon gesegelt. Diese Helenam wieder zu holen / seynd alle fürnehmste Könige und Fürsten aus Griechenland für Troja gerücket / und ist diß der Anfang und die Ursache gewesen des zehenjährigen Trojanischen Krieges / und endlich des Verderbens[454] und Untergangs der Stadt Troja / des Priami, und seines gantzen Geschlechts: In währendem Kriege ist der Menelaus (Helenà voriger Ehemann) dem Paridi aufgestossen / und im Kampff begegnet / da es dann mit Paris bald wäre gethan gewesen / wann ihn nicht Venus weggerissen /und verborgener Weise entzücket hätte. Kurtz hernach hat er den Achillem, welcher auf der Griechen Seiten der allerstärckeste und fürnehmste / und des Paridis Schwester Polyxenam lieb gewonnen / mit guten Worten zu Nachtzeiten in die Stadt Trojam gelocket /unter dem Schein / er wolte ihm seine Schwester und die Stadt Troja übergeben: Ihn aber im Tempel Apollinis beym Altar unredlicher Weise ermordet. Gleichfalls er selber bald darauf vom Philoctete getödtet worden.


Durch eines Menschen Schuld wird offt ein gantzes Land verderbet.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 453-455.
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