62. Von Küssen.

[456] Plutarchus in seinen Röm. fragen setzet unter andern auch diese: Woher es erstlich kommen / daß die Weibsbilder ihre nechste anverwandten Mannspersonen / hinwieder die Männer die Weiber geküsset? Unter andern Ursachen seynd diese zwo die fürnehmsten. Erstlich / weil es zu Rom verboten war / daß keine Weibspersonen dürffte oder möchte Wein trincken / auf daß man erführe / ob auch den Weibern der Athem nach Wein rieche / hat man ein Gesetz gemachet / daß die nechsten Anverwandten ihren Freundinnen solten den Mund bieten und sie küssen / zu vernehmen ob sie auch Wein getruncken / und da solches geschehen / sie darüber zu schelten oder zu straffen. Welche Frau ihr nun wol bewust war / reichet ihren Mund bereitwillig zu / und küssete ihren Freund. Die anderer[456] Ursache ist diese: Nach Zerstörung der Stadt Troja versammleten sich die überbliebene Trojanische Weiber und Männer / giengen zu Schiff / ein ander Land und Wohnung zu suchen / kamen endlich in Italien an den Fluß Tybris. Da stiegen die Männer aus /giengen zu Landwerts ein / und blieben die Weiber bey den Schiffen. Die hielten unter sich Rath / wie den Sachen zu thun wäre. Beschlossen endlich / es wäre besser an einem gewissen Ort zu bleiben / als auf dem ungestümmen Meer herum zu wallen: Vereinigten sich derhalben / und wurffen Feuer in alle Schiffe / damit die Männer kein Mittel oder Gelegenheit hätten weiter und von dannen zu fahren. Die Männer auf dem Lande sahen das grosse Feuer von ferne / lieffen den Schiffen zu / selbige zu retten. Die Weiber / als sie ihrer Männer Zorn und Unmuth vermerckten / haben sich zusammen gethan / seynd ihren Männern mit aufgethanen Armen entgegen gelauffen /und hat jegliche ihren Mann umfangen und geküsset /und also durch ihre Freundlichkeit nicht allein der Männer Zorn gestillet / sondern sie auch beweget /allda zu bleiben / eine Stadt zu bauen / und das Land einzunehmen / daraus denn nachmals die Stadt Rom entstanden / und ist dieser Gebrauch des Küssens immer bey den Römern geblieben / zum Gedächtniß der Trojanischen Weiber.


Mit Freundlichkeit richtet eine Frau bey ihrem Manne vielmehr aus / als mit Unglimpff und störrischem Sinne.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 456-457.
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