63. Die wunderschöne [457] Psyche.

Folgendes anmuthiges Kinder-Mährlein oder Gedichte wird von einem alten Mütterlein erzehlet / und aufgezeichnet gefunden beym Apulejo[457] im 4. und 5. Buche des güldenen Esels / dessen Innhalt dieser: Es wohneten in einer Stadt ein König und Königin / die hatten drey Töchter / unter welchen die zwo ältesten zwar trefflich schöne / und von zween Königen geliebet / auch endlich zur Ehe genommen worden: Die Jüngste aber / Psyche genannt / mit so ausbündiger und unaussprechlicher Schönheit begabet / daß jedermänniglich vermeynete / die Göttin Venus wäre von den Göttern gewichen / und unter die Menschen getreten. Niemand betete die Venus an: Niemand opfferte ihr / aller Welt Augen und Zungen und Opffer waren nur auf Psychen gerichtet. Diß verdroß die Göttin Venus; Bate darum ihren kleinen Sohn Cupido / er solte diese Schmach rächen. Unterdessen war niemand / der um Psychen freyen durffte: Also blieb sie sitzen. Hierüber wurde so wohl diese neue Göttin / als ihre Eltern bestürtzet / fragten das Oraculum, ob Psyche sich nicht endlich verheyrathen / und was sie für einen Ehemann bekommen würde? Der Abgott hat dem Vater geantwortet:


Thue deine Tochter nach einem hohen Felsen weisen:

Und hoffe kein Eidam vom menschlichen Geblüt /

Sondern ein Ungeheur / wütend mit Feuer und Eisen /

So der Gott Jupiter auch selber fürchten thut.


Also ward Psyche von ihren Eltern mit Trauer-Kleidern angethan / auf einen hohen Felsen gebracht / und allda von jedermänniglich verlassen. Alsbald erhebet sich ein sanffter lieblicher Westwind / welcher die Psyche allmählich aufhebet / und sie durch die Lufft hinweg führet / und niedergesetzet in eine schöne lustige Aue. Nicht lange war die Psyche gewesen / da wird sie nechst bey sich ansichtig einen ausdermassen schönen[458] Königlichen Pallast / von eitlem Marmor /Gold / Silber und Edelgesteinen aufgebauet / und aufs köstlichste gezieret. Sie gehet da hinein / siehet zwar keinen Menschen / höret aber unterschiedliche Stimmen / sagend: Willkommen Psyche / alles was du hier siehest und findest / das gehöret dir zu / und ist dein: Wir Unsichtbaren seynd auch bereit dir aufzuwarten: Setze dich nieder / iß / und erquicke dich. Alsbald wird da ein Tisch gedecket mit Königlichen Gerichten und Trachten versehen: Psyche siehet zwar niemand /höret aber eine sehr liebliche Musica / mit allerley Instrumenten und Stimmen / und wird ihr da überflüßig zu Tische gedienet. Gegen den Abend legte sie sich zu ruhen auf ein sanfftes schönes Bette: Siehe alsbald kömmt zu ihr / der ihr von den Göttern versprochene Mann / für dem sie sich zwar anfänglich fürchtet /(dann sie sahe seine Gestalt nicht im Finstern) dannoch ward sie sein Eheweib. In währender dieser Freude und Glückseligkeit / die Psyche in ihrem göttlichen Pallast / und mit ihrem unbekannten Ehemann hatte / geschichts auf eine Nacht / daß er zu seiner liebsten Psyche sagte: Meine Auserwehlte / es ist vorhanden / daß deine zwo Schwestern dich suchen werden: So siehe dich ja für / daß du dich mit ihnen nicht besprechest: Thust du das / so wirst du ins äusserste Verderben und Elend gestürtzet werden. Psyche gelobt ihm / sie wolte es nicht thun: Damit schied ihr Eheman gegen der Morgenröthe wieder von ihr / seinem Gebrauch nach. Des andern Tags gedachte Psyche / wie sie so gantz von allen Menschen abgewandt wäre / auch nicht ihre eigene Schwestern besprechen dörffte: Fänget an zu weinen / und sich zu ängsten: Darauf zu Nacht ihr der Ehemann vergönnet /[459] die Schwestern zu sprechen / mit dem Beding / daß sie bey Leibe ihrem Rath und Angeben nicht folgen solte. Psyche wol zu frieden / gebeut dem Wind Zephyro /daß er ihre zwo Schwestern dahin zu ihr bringe / welches auch geschicht: Die Schwestern fragten sie / was ihr Mann vor einer sey? Psyche erzehlet ihnen alles /und nach langem Gespräch giebet sie einer jeglichen so viel Gold und Edelgesteine / als sie fassen können / und lässet sie durch einen sanfften Wind wieder hin fahren. Aber die beyden Schwestern fahen alsbald an der Psyche diese grosse Glückseligkeit zu mißgönnen / gedencken auf Wege / wie sie sie davon bringen /und sich selbsten an ihre Stelle setzen könten: Kommen durch Hülffe des Zephyri etliche mal zur Psyche: Aufs letzte geben sie ihr diesen Rath / sie solte nicht länger also bey einem greulichen Wurm leben / sich von Menschen und ihren Verwandten abhalten / sondern endlich gewiß erfahren und erforschen / was ihr Mann für eine Gestalt hätte? Gaben ihr auch ein / sie solte zur Mitternacht / wenn er schlaffe / aufstehen /eine Lampe anstecken / ein scharff Messer zu sich nehmen / ans Bette zu ihrem Manne gehen / und schauen / wer er wäre: Befünde sie nun / daß er ein solcher Unhold wäre / solte sie ihm das Messer ins Hertz stechen / allen Schatz des Pallasts nehmen / und wieder zu ihren Eltern kehren. Psyche aller treuen Vermahnung ihres Ehegatten / und ihm gethaner Zusage vergessend / folget ihrer Schwestern Rath / und gehet zu Nacht mit der Lampen und blossem Messer an ihr Bette: Siehe / da wird sie gewahr nicht ein greulich scheußlich Monstrum / sondern den kleinen Gott Cupido oder Amor / welcher seinen Köcher /Pfeile und Bogen[460] fürs Bette hatte niedergeleget. Dadurch wird sie so bestürtzet / und wird ihr die Liebe dermassen gegen ihren Mann vermehret / daß sie für Zittern die Lampe nicht mehr halten können / sondern von dem heissen brennenden Oel etliche Tropffen auf Cupido blossen Leib fallen lässet / welcher dann darvon erwachet / und seine liebe Psychen (welche nunmehr von ihm hoch schwanger war) mit einem blossen Messer in der Hand bey sich stehend siehet. Cupido hierdurch bewogen / beklagt seiner Liebsten Elend / nimmt sein gewöhnliches Gewehr / fleugt davon und läßt Psychen allein: Welche dann nun für Schmertzen und Traurigkeit gedachte zu sterben / stürtzet sich auch in einen Fluß: Aber des Flusses Gott zeucht sie dem Cupido zu Ehren bald wieder heraus.


Also hat Psyche gelernet / was es sey vorwitzig seyn /und ungetreuer Freunde Rath folgen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 457-461.
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