28. Des gelehrten Eulen-Spiegels [43] Diogenis Leben und Thaten.

Der Diogenes ist zwar gewesen ein berühmter Philosophus, aber daneben ein wunderlicher und lächerlicher Mann / von närrischen Anschlägen / wie aus folgenden Geschichten zu ersehen:

1. Der grosse Alexander / wie er zu Corintho war /und jederman ihm Glück wünschete / zum Theil / weil er den Krieg mit den Persern wolte angehen / vermeynet er / Diogenes würde auch zu ihm kommen / da er aber sahe / daß Diogenes ausbliebe / gieng Alexander selbst zu ihm / und fand ihm in der Vorstadt liegen lang ausgestrecket in der Sonnen. Diogenes, ob er wol den Alexandrum sahe und kannte / bekümmerte er sich doch weder um ihn / noch um seine bey sich habende Gesellschafft. Alexander grüssete ihn freundlich / und fragte / ob er nicht etwas bedürffte? Er solte es nur kühnlich fordern: Da antwortete Diogenes und sprach: Ja / das nemlich begehre ich / daß du mir aus der Sonnen weichest / und beyseit gehest / auf daß mich die Sonne recht möge anscheinen. Alexander lachte / und gieng davon / sprechende zu seinen Gefährten: wenn ich nicht wäre Alexander / so wolte ich Diogenes gerne seyn. 2. Auf eine Zeit gieng Diogenes auf dem Marckte zu Corintho spatzieren im Mittage /und hatte ein Stück Brods und Käse in der Hand /davon aß er öffentlich. Wie er nun gefraget ward /warum er[43] auf dem Marckte esse / und nicht zu Hause? Antwortete er: Darum esse ich auf dem Marckt / dieweil mich auf dem Marckte hungert. 3. Wie er zu Athen war / nahm er einsmals eine Leuchte mit brennendem Lichte / und gieng am hellen Mittag auf den Marckt / wie er aber gefraget ward / was er thäte /sprach er: Ich suche Menschen. 4. Er wohnete allezeit in einem Wein-Faß / das war sein Hauß: Und wie die Stadt hart belägert war / und alle Bürger sehr geschäfftig dem Feind abzuwehren / da nahm er sein Weinfaß / weltzete das die Gasse auf und nieder / sagende: Nun jeder man bemühet ist / muß Diogenes nicht allein müssig und stille seyn. 5. Wann Diogenes gesehen / daß man die verstorbene Menschen in die Erde vergraben / hat er zu seinen Schülern gesagt / sie solten ihn / wann er todt wäre / unbegraben liegen lassen; Denn / sprach er: Ich werde die herrliche Brgräbniß bekommen / welche mir die Zeit geben wird / und wird mein Leib von den zweyen edelsten Dingen verzehret werden / nemlich von der Sonnen und dem Regen. Seine Zuhörer aber warffen ihn für / daß er vielleicht von den Thieren würde aufgefressen werden / welches abscheulich / da hat er geantwortet / sie solten ihm einen Stecken in die Hand thun / damit wolte er die Thiere und Vögel wegtreiben; Hierauf antworteten seine Zuhörer / wenn er todt wäre / so würde er nichts mehr fühlen / noch sehen / wie er denn könte die Thiere von sich treiben? Da sprach Diogenes: Ihr Narren / weil ich nichts mehr fühle oder sehe / oder nichts vernehme / wann ich gestorben bin / was ist mir dann daran gelegen / wo ich liege / oder wer mich verzehret. Ferner fragten seine Zuhörer: Ja / wer wird dich denn todt aus dem[44] Hause tragen? Angesehen du keine Magd / noch sonst einen Menschen bey dir hast / sprach Diogenes: Derselbe wird mich aus dem Hause tragen / welcher meines Hauses bedürffen wird. 6. Wie er diesen Discurs mit seinen Discipeln gehalten hatte / lieff er gantz nackend in den Schnee /und weltzte sich darinn / seine Schüler fragten ihn /ob ihn nicht friere; Da fragte er sie wiederum: Ob die Stirn ans Menschen Angesicht auch friere? Wie sie antworteten / nein: Da hat er gesagt: Ey so verwundert euch nicht / daß mich nicht freuret: Denn ich bin über meinem gantzen Leibe nicht anders / als eine Stirn. 7. Aus dem Schnee gieng er alsbald ins Bad / und badete auf denselbigen Tag zweymal. Da fragten ihn seine Schüler / warum er das thäte / und zweymal badete? Antwortet er: Darum / daß es mir nicht gelegen ist /dreymal zu baden. 8. Wie er gefraget ward / welche Zeit man essen solte? sagte er: Ein Reicher esse /wann er will / ein Armer / wann er etwas hat. 9. Wie Diogenes auf einmal von einem Bürger ward ins Hauß geführet / das überaus zierlich geschmücket und auch auf der Erden mit Tapecerey bedecket war / und man dem Diogeni verbot er solte nicht ausspeyen / da hat er einen Hauffen Speichel in den Mund gesammlet / und es dem Wirthe des Hauses ins Angesicht gespeyet / sagende: Er sehe keinen schlimmern Ort im gantzen Hause da er seinen Speichel hinwerffen könte. 10. Er hatte allezeit eine höltzerne Schale /daraus er tranck und aß / wie er nun einmal sahe einen armen Jungen mit der Hand Wasser schöpffen / und aus der Hand trincken / hat er seine höltzerne Schale weggeworffen / und gesaget: Bin ich nicht ein Narr /daß ich fremder Dinge gebrauche[45] / da mir doch die Natur gegeben hat / was mir nöthig ist. 11. Ein übel berüchteter Mann hat auf sein Haus schreiben lassen: In diß Hauß komme nichts Böses. Da hat Diogenes (wie er das gelesen) überlaut geruffen? Wo nichts Böses soll durch die Thür ins Haus gehen / wo soll denn der Wirth hinein kommen? 12. Wann andere Leute die wolriechende Salben auf ihre Häupter schmiereten / so schmierete sie Diogenes auf die Füsse / und sagte: Der Geruch der Salben steigt vom Haupt in die Höhe / und kömmt dem Menschen nicht zu Nutze / aber von den Füssen steiget er nach dem Haupt und der Nasen / daß man seiner geniessen kan. 13. Auf einmal saß er und aß Käse und Brodt in seinem Weinfasse / da kamen die Mäußlein zu ihm gelauffen / und assen die abgefallenen Brocken. Darüber ward Diogenes lachend / und sprach: siehe da! Der Diogenes ernehret auch seine Mund-Diener und Schmeichler. 14. Der Plato hatte in seiner Academia einen Menschen also beschrieben / daß er wäre ein zweyfüßiges Thier ohne Federn. Da nahm Diogenes einen lebendigen Hahn / pflückete demselben alle Federn aus / daß er gantz kahl ward / setzte ihn in des Platonis Academien / und ließ ihn lauffen / schrie überlaut: Sehet da einen Platonischen Menschen. 15. Der König Perdiccas ließ ihm drohen / wo er nicht zu ihm käme / wolte er ihn tödten. Ey / sprach Diogenes, welch eine grosse That würdestu thun. Kan solches doch auch wol thun das kleineste Thierlein Phalangium, oder Scorpion. 16. Er sahe auf eines reichen Schlemmers Hause geschrieben stehen: Diß Hauß ist zu verkauffen. Da sprach Diogenes: Sagte ich es nicht / daß diß Haus würde seinen Herrn ausspeyen? 17. Er ward von den [46] Sinopensibus aus der Stadt verjagt: Da sprach einer zu Diogene, die Sinopæi haben dich verdammet zum weggehen. Antwortete Diogenes: Und ich habe die Sinopæos verdammet zu bleiben / oder daß sie in ihrer Stadt bleiben sollen. 18. Als er einen Durchbringer auf den Abend Oliven und Brod essen sahe / sprach er: Hättestu also allezeit zu Mittage gessen / so würdest du also nicht zu Abend essen. 19. Er sahe / daß sich zwey Weiber an einen Oelbaum erhencket hatten / da sprach er: O wolte GOtt / daß alle Bäume solche Früchte trügen! 20. Wie er gefragt ward von einem / was wiltu Diogenes, daß ich dir eine Ohrfeige gebe? Antwortet er: Einen eisern Helm / so fühle ich die Schläge destoweniger. 21. Auf eine Zeit sahe er / daß ein junger Gesell sich sehr schmückete / und die Haare kräusete / zu dem sagte er: Schmückest du dich für die Männer? Das ist nur vergebens: Für die Weiber? Das ist dir keine Ehre / sondern eine Schande. 22. Wie er gefraget ward /was er für Wein am liebsten trüncke? Antwortete er: Den / welcher mich nichts kostet. 23. Sein Knecht /der Manes, war ihn entlauffen; Da vermahneten ihn die Leute / er solte ihn wieder suchen / das ist seltzam / sprach er: Weil Manes leben kan ohne dem Diogene, und Diogenes nicht leben solte ohne dem Mane. 24. Als er in die Stadt Mindum kam / und sahe / daß das Thor gar groß / die Stadt aber nur klein war / rieff er: Ihr Leute aus Mindo, thut euer Thor zu / auf daß eure Stadt nicht hinaus lauffe. 23. Er sahe einmal ein Huren-Kind mit Steinen werffen unter einen Hauffen Volcks / da sprach Diogenes: Siehe zu / O Junge /daß du nicht deinen Vater treffest. 26. Er pflegete zu sagen / daß unter allen Narren die[47] grössesten wären diese folgende: Erstlich die Grammatici, denn die erforscheten / wie viel Unglück der Ulysses gelitten hätte / und ihr eigenes wüsten sie nicht. Darnach die Musici, denn sie stelleten die Seiten auf ihren Instrumenten / aber die Seiten ihres Gemüths liessen sie übel gestellet. Ferner die Astronomi, denn sie wolten wissen / was im Himmel geschehe / und wüsten nicht / was ihnen vor den Füssen läge. Item die Oratores, denn sie redeten viel von der Gerechtigkeit / lebeten aber sehr übel. 27. Als er nun gar alt war / und man ihm sagte: Er solte nunmehr aufhören zu arbeiten /sprach er: Ihr Narren / wenn ich mit einem in den Schrancken liefe / und wäre bald zum Ende kommen /solte ich denn aufhören zu lauffen?


Weise und kluge Leute thun auch offtmals närrische Thaten.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 43-48.
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