53. Liebe und Treue zweyer Brüder gegen ihr Vaterland.

[86] Folgende Historiam beschreibet Valerius Maximus im 5. Buche.

Carthago und Cyrene waren zwo Städte nicht ferne von einander gelegen; Dahero es sich zu trug /daß sie in Streit und Zwiespalt geriethen / wegen der Gräntze ihrer Aecker. Sie wurden aber den Sachen also eins / daß auf einen Tag / in einer angestimmten Morgen-Stunde / aus jeglicher Stadt zweene Jünglinge zugleich solten anfangen auszugehen. Und wo dieselben zusammen kommen / und einander begegnen würden / allda solten die gemeinen Gräntzen und Scheidungen beyder Städte seyn. Wie der Tag heran kommen / fiengen der Carthaginenser Jünglingen (welche 2. Brüder waren / Phileni genannt /) nicht redlicher / sondern betrüglicher Weise an / früher oder zeitiger auszugehen / als angeordnet war / auf daß sie ihre Stadt-Gräntze desto weiter möchten aussetzen. Die Cyrener Jünglinge aber handelten aufrichtig / und fiengen an zu gehen recht auf die bestimmte Zeit. Wie beyderseits Jünglinge nun zusammen kamen / da merckten alsbald die Cyrener / daß die Carthaginenser nicht hätten aufrichtig gehandelt / und nach vielem disputiren sprachen sie endlich aus Ungedult: Als dann[86] würden an dem Ort die Gräntzen seyn / wann die Phileni sich allda würden lebendig begraben lassen: Anzudeuten / daß solches unmüglich wäre / und nimmermehr geschehen würde. Die beyden Brüder aber dachten sich einen ewigen Nahmen zu machen /besonnen sich nicht lange / sondern liessen alsobald auf derselben Stätte sich lebendig begraben / und gönneten ihrem Vaterlande viel lieber / als ihrem eigenen Leben ein langes Ziel / nur einen unsterblichen Nahmen und ewiges Lob dadurch zu erlangen. Warlich /Carthago ist schon längst zu Staub und Asche worden: Aber dieser beyder Carthaginenser Brüder Ruhm bleibet und floriret noch heut zu Tage.


Wo findet man jetzo solche Treu? Man muß billich Gut und Blut vor sein Vaterland wagen: Aber wann es nur um eine Hand voll Erde ist / soll man sein Leben höher halten.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 86-87.
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