68. Das Glücks-Rad.

[116] Die alten Heyden haben das Glück für eine Göttin gehalten / angebetet und derselben zugeeignet die Gewalt über alle menschliche Händel. Wann einem etwas guts oder glückliches wiederfahren / haben sie dem Glück dafür gedancket: Da ihnen etwas übles und unglückliches begegnet / haben sie sich über das Glück beschweret / beklaget / und es geheissen eine leichtfertige Hure / eine tolle / vermessene / blinde /unbarmhertzige Stieffmutter; Und weil sie gesehen /daß das Glück seine Gaben so wunderlich austheilete / indem es den Frommen und Weisen offtmals Armuth und Kranckheit zuwürffe; Die Bösen aber und Unwürdigen mit grossem Hauffen Goldes und Silbers /Ehr und Ansehen / mit Gesundheit und Schönheit begabte: Ja / daß die Fortuna im Augenblick einen hoch erhübe / alsbald wiederum in den Staub und Asche legte / und gantz erniedrigte: Endlich / daß in der Fortuna nichts beständigers wäre als die Unbeständigkeit / die ihr immerdar anhienge: Haben dieselbigen Alten aus diesen Ursachen das Glück gemahlet / als eine nackende / blinde Frau / oder auf einer Kugel / die sich nimmer umkehrete / und nimmer still stünde / habende in der einen Hand einen Beutel von Geldes /welchen sie unter die Leute ausschüttete: Mit der an dern Hand aber anderer Leute Beutel und Geld zu sich zöge und risse.

Von dem Sesostri, der Egyptier Könige / wird erzehlet / daß / nachdem er viel Völcker unter sich gebracht / er einen Wagen von lauterm Golde / Edelgesteinen / und Elffenbein haben machen / und darauff sitzende / sich von vier Königen als Pferden fortziehen lassen. Wie aber einer unter den ziehenden Königen[117] offtmals sich umgesehen / und die Räder des Wagens beschauet / ist er vom Sesostri gefraget worden /was es bedeutete / daß er so offt nach den Rädern schauete? Da hat derselbige geantwortet: Ich sehe und behertzige der Räder schnellen Umlauff / in welchem das höheste bald das niedrigste wird / und erinnere mich hiebey der Unbeständigkeit des Glücks / welches das Hohe so schleunig erniedriget / und das Niedrige wiederum erhöhet. Als Sesostris solches gehöret / hat er die Könige ausspannen / und sich nicht mehr von ihnen schleppen lassen: Gedenckend / daß er eben so wol dem Glück unterworffen / als diese Könige. Ovidius spricht klüglich an einem Ort:


Passibus ambiguis Fortuna volubilis erat,

Et manet in nullo certa tenaxqve loco.


Der berühmte Mahler Apelles, hat die Fortunam nicht stehend aufm Rade / sondern sitzend gemahlet. Und wieder gefraget / warum er solches gethan? Hat er geantwortet: Dieweil die Fortuna auf einer Stelle nicht könte oder möchte stille stehen bleiben.


Dem Glück wird viel beygemessen / daß die Menschen selbst verursachen. Virgil. Sua cuique exorsa laborem Fortunamque ferent. In der Welt ist nichts beständig /welches angedeutet wird durch die Fortun.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 116-118.
Lizenz:
Kategorien: